The Project Gutenberg EBook of Einführung in die moderne Logik. Erster Teil. by Goswin Uphues
This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license
Title: Einführung in die moderne Logik. Erster Teil. Author: Goswin Uphues Release Date: January 5, 2008 [Ebook #24172] Language: German Character set encoding: UTF-8 ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EINFÜHRUNG IN DIE MODERNE LOGIK. ERSTER TEIL.***
Der
Bücherschatz des Lehrers.
Wissenschaftliches Sammelwerk
zur intellektuellen und materiellen Hebung
des Lehrerstandes.
Unter Mitwirkung massgebender Fachgelehrter und Schulmänner
herausgegeben
von
K. O. Beetz,
Schuldirektor in Gotha
Fünfter Band.
Einführung in die moderne Logik.
Osterwieck/Harz.
Verlag von A. W. Zickfeldt.
1901.
Wer die Entwicklung der philosophischen Forschung der letzten zehn Jahre mit aufmerksamem Blicke verfolgte, dem konnte es nicht entgehen, dass in der Auffassung des Verhältnisses von Psychologie und Logik eine Wandlung eintrat oder sich wenigstens anbahnte. Anfangs hatte es den Anschein, als ob die Psychologie die Stellung einer ersten und herrschenden Disciplin erhalten sollte. Das Erkennen und Denken sind doch Bewusstseinsthatsachen und anderseits Voraussetzungen aller Wissenschaften und somit auch der Philosophie. Was lag näher, als die Wissenschaft von den Bewusstseinsthatsachen, die Psychologie, als grundlegende philosophische Disciplin zu betrachten, ja noch mehr, sie zur Grundlage aller Wissenschaften zu machen. Allmählich aber brach sich der Gedanke Bahn, dass vom Erkennen und Denken als Bewusstseinsthatsachen das Erkannte und Gedachte sorgfältig unterschieden werden müsse und dass die Untersuchung hierüber eher das Recht in Anspruch nehmen könne als Voraussetzung aller Wissenschaften und als grundlegende philosophische Disciplin zu gelten. So trat die Logik an die Stelle der Psychologie; sie nahm wieder, wie ehemals in der Philosophie, unter den philosophischen Disciplinen die erste Stelle ein. Aber Hand in Hand damit ging auch eine andere Auffassung der Logik. Man begnügte sich nicht mehr mit einer Behandlung der blossen Formen des Denkens, sondern Fragen, die den Inhalt des Denkens und Erkennens, das Gedachte und Erkannte betreffen, wurden in immer grösserer Zahl in die Logik hineingezogen. Die Logik wurde aus einer formalen Disciplin, zu der sie unter dem Einflusse Kants geworden war, in eine [pg IV] erkenntnistheoretische Disciplin umgestaltet. Das hatte seinen Grund nicht bloss in der Entwicklung der philosophischen Forschung, sondern wird auch durch die Natur der Sache gefordert.
Verstehen wir unter Logik die Wissenschaft vom Denken, so ist doch nicht alles Denken Gegenstand der Logik, sondern nur das Denken, durch welches aus dem im Bewusstsein Gegebenen Erkenntnisse werden, das Denken also, das seinen Zweck im Erkennen hat und ihm als Mittel dient. In der Logik ist also das Denken dem Erkennen untergeordnet. Die Logik ist in erster Linie Erkenntnislehre und erst in zweiter Linie Denklehre. Was heisst Erkennen? Was können wir erkennen? Das sind die Fragen, welche die Logik vor allem zu beantworten hat. Ihre erste Aufgabe ist, den Begriff des Erkennens nach seinem Inhalt und Umfang zu bestimmen.
Aber das Erkennen ist eine Thätigkeit, die sich auf ein Ziel richtet. Dieses Ziel ist die Wahrheit. Eine solche Thätigkeit setzt die Erkenntnis des Zieles, seiner Erreichbarkeit und der Normen, die sie zu befolgen hat, voraus. Was Erkennen heisst, können wir nur bestimmen, wenn wir wissen, was Wahrheit ist (Definition der Wahrheit), wie wir sie erreichen können (Kennzeichen der Wahrheit), welche Regeln wir zu diesem Zwecke beobachten müssen (Gesetze des Erkennens). Die Untersuchungen über den Begriff der Wahrheit, über das Kennzeichen der Wahrheit und über die Gesetze des Erkennens, wie ich sie in der vorliegenden Schrift dargestellt habe, machten seit 1896 den ersten Teil meiner in jedem Sommer gehaltenen Vorlesungen über Logik aus. Sie erscheinen hier um ein Beträchtliches vermehrt, nämlich um den ganzen vierten Abschnitt dieser Schrift, der vom Umfange unsers Wissens handelt. In diesem Abschnitte beantworten wir die zweite Frage der Erkenntnistheorie: Was können wir erkennen? während die Untersuchungen über die Definition der Wahrheit, das Kennzeichen der Wahrheit und die Gesetze des Erkennens, die drei ersten Abschnitte dieser Schrift umfassend, die erste Frage der Erkenntnistheorie: Was heisst Erkennen zu beantworten suchen.
[pg V]Die Auffassung der Logik als erkenntnistheoretischer Disciplin ist eine Wendung zum Besseren. Allein rücksichtlich dessen, was Erkenntnistheorie zu leisten hat und leisten kann, gehen die Meinungen weit auseinander. Das Erkennen im gewöhnlichen von allen wissenschaftlichen Forschern mit Ausnahme einiger Erkenntnistheoretiker angenommenen Sinne hat eine metaphysische Bedeutung. Die Wahrheit ist ein metaphysischer Begriff. Was wahr ist, ist nur wahr, weil es für alle Zeit und darum für die Ewigkeit gilt. Nur darum gilt es auch für alle Denkenden. Wirklich ist etwas nur, weil es an diesem Ewigkeitscharakter der Wahrheit teilnimmt. Diesem Begriff der Wahrheit möchten viele um jeden Preis aus dem Wege gehen, obgleich er in jeder ernstgemeinten Behauptung wiederkehrt und natürlich von allen wissenschaftlichen Forschern ausser einigen Erkenntnistheoretikern, wenn auch unbewusst, festgehalten wird. Man greift zu allerlei Kunststücken, beginnt mit der Umdeutung und endet mit der Wegdeutung dieses Begriffs – alles aus Scheu vor der Metaphysik. Man hat das Gefühl, diese Forscher wandern an einem Abgrunde in beständiger Furcht, in ihn hineinzufallen. Der Abgrund heisst Metaphysik. Oft werden sie vom Schwindel ergriffen und fallen wirklich hinein. Der Begriff der Wahrheit lässt sich eben nicht unterdrücken. Aber alsbald arbeiten sie sich wieder in die Höhe und setzen ihre gefährliche Wanderung fort. Ihre mühselige Arbeit macht einen trostlosen Eindruck. Das Ergebnis ist ein unfruchtbarer Formalismus.
Kant wollte das Wissen beseitigen, um dem Glauben Raum zu schaffen. Hätte er diesen Gedanken weiter verfolgt, dann würde er zu einer Würdigung der geschichtlichen Erkenntnisse gekommen sein, die wir bei dem grossen Denker vermissen. Denn die Glaubensüberzeugungen gehören zu den geschichtlichen Erkenntnissen. Für unsere modernen Formalisten hat dieser Gedanke Kants keinen Wert, sie empfinden ihn als des grossen Kant unwürdig. Folgerichtig darf man darum auch bei ihnen keine Würdigung der geschichtlichen Erkenntnisse erwarten. Es scheint oft, als ob sie durch die Erkenntniskritik nur der vergötterten Naturwissenschaft freie [pg VI] Bahn machen wollen und als ob diese an die Stelle des realen Inhalts der Philosophie treten soll. Und doch ist der Erkenntnis- und Bildungswert der Naturwissenschaft, wie wir zeigen werden, viel geringer als der der Geschichte.
Die gegensätzliche Trennung des Erkennens und seines Gegenstandes führte Kant zu dem Unbegriff des Dinges an sich oder des Gegenstandes, wie er unerkannterweise ist. Unsere Formalisten möchten dieses caput mortuum der Kantischen Spekulation am liebsten beseitigen oder durch den transcendentalen Gegenstand, die Regel der Vorstellungsverknüpfung ersetzen – da das Ding an sich nach ihrer Meinung die Grundvoraussetzung aller Metaphysik bildet. Wäre das der Fall, dann müsste man freilich aller Metaphysik entsagen. Denn das Ding an sich ist in der That ein ungereimter Begriff. Aber gerade die Aufrechthaltung der metaphysischen Bedeutung des Erkennens und sie allein macht, wie wir zeigen werden, die Beseitigung des Dinges an sich möglich.
Die Scheu vor der Metaphysik ist noch viel verbreitet; sie ist eine Nachwirkung der sensualistischen Psychologie und der formalistischen Logik. Aber die Anzeichen einer Entwicklung des philosophischen Denkens, die der Metaphysik günstig ist, mehren sich. Viele bekennen sich rückhaltlos zur Metaphysik und treten mutig für sie ein. Sie möchten nicht, dass ein formalistischer Logismus die Stelle des sensualistischen Psychologismus einnähme. Auch der formalistische Logismus kann wie der sensualistische Psychologismus nur eine vorübergehende Entwicklungsphase der Philosophie sein. Die Logik bedarf notwendig zu ihrem Unterbaue einer Auseinandersetzung über die Wahrheit im alten Sinne, und diese Auseinandersetzung ist ein Zweig der Metaphysik. Das ist die Anschauung, die wir im ersten Teile unserer Schrift vertreten.
Die Erkenntnistheorie umfasst die schwierigsten Fragen der Philosophie. Ihr Verständnis setzt nachdenkliche verinnerlichte Naturen voraus, die heutzutage nicht allzuhäufig sind. Gewiegte Pädagogen behaupten, dass manchen im übrigen gut begabten Schülern jede Anlage für Mathematik fehlt. Mit anscheinend grösserem Rechte kann man sagen, dass fast allen [pg VII] Menschen mit sehr wenigen Ausnahmen die Anlage für jenen Teil der Philosophie abgeht. Aber ich bin überzeugt, dass jeder einigermassen Beanlagte bei entsprechendem Unterrichte ein Verständnis der Mathematik gewinnen kann. Und was dem Eindringen in jenen schwierigen Teil der Philosophie hinderlich im Wege steht, sind Lebensgewohnheiten, die durch Selbsterziehung überwunden werden können und überwunden werden müssen. Wer fühlt sich nicht angezogen von der Schilderung des wahren Philosophen im platonischen Theätet? Wer möchte sich von einem Platon nicht gern die Weihe des Gedankens erteilen lassen? Aus der schwierigsten dieser Fragen, der Frage nach dem Verhältnis von Wahrheit und Wirklichkeit redet der Geist Platons zu uns. Er hat sie zuerst gestellt, und die Antwort, welche er gab, ist auch heute noch beachtenswert.
Ich habe das Buch geschrieben für diejenigen, welche diese schwierigen Fragen studieren d. h. durchdenken wollen, um sich eine eigene Meinung zu bilden; nicht für die, welche sich mit einer blossen Kenntnisnahme der in der Erkenntnistheorie behandelten Fragen begnügen möchten. Kritische Auseinandersetzungen mit den Anschauungen anderer, diese Schatten für das Licht der eigenen Gedanken, die seinen Glanz erhöhen sollen, wurden grundsätzlich vermieden. Sie sind für die blosse Kenntnisnahme nützlich, für die Vertiefung in die Sache meistens schädlich.
Hoffentlich dienen dem Zweck dieser Vertiefung das ausführliche Inhaltsverzeichnis, das die behandelten Thesen der Reihe nach formuliert und das ebenso ausführliche Namen- und Sachregister, das die erörterten Grundbegriffe in alphabetischer Folge darstellt. Beide zeigen, wie viel Gedankenarbeit der Verfasser selbst übernimmt und wieviel er seinen Lesern zumutet. Die letztere ist nicht geringer als die erstere. Es gibt Wissenschaften, die man sich nicht aneignen kann ohne selbst an der Forschungsarbeit teil zu nehmen, das Lernen ist hier bedingt durch das Mitforschen. Zu diesen Wissenschaften gehört in erster Linie die Erkenntnistheorie. Es wäre für mich leichter gewesen bei den einzelnen Fragen länger zu verweilen und ihre Behandlung umfangreicher zu gestalten, wohl auch [pg VIII] bequemer für den Leser. Es lag so nahe zu diesem Zweck die gewohnte und geläufige Form von Vorlesungen zu wählen, wie ich sie über diese Fragen oft gehalten habe. Was ich hier biete ist nur ein gedrängter Auszug aus diesen Vorlesungen, den ich am Schluss derselben zu diktieren und zur Grundlage von seminaristischen Übungen zu machen pflege. Nach meinen Erfahrungen regt gerade diese gekürzte Form der Darstellung am meisten zum Selbstdenken an. Sache des Lesers ist es bei den einzelnen Gedanken stehen zu bleiben und zu diesem Zweck für die erste Durcharbeitung das Inhaltsverzeichnis allein, für die wiederholte Durcharbeitung das Inhaltsverzeichnis und Register zu benutzen. Ich möchte das auch manchen Fachgenossen empfehlen, namentlich denen, die über eine mehr als »mittlere Begabung« verfügen. Jedenfalls bin ich dann vor Missverständnissen geschützt, wie sie in der Philosophie an der Tagesordnung sind. Ich bemerke noch, dass die Zusammengehörigkeit, der Grundbegriff meiner 1893 erschienenen Psychologie des Erkennens auch den Grundbegriff dieser Erkenntnistheorie bildet.
Halle, 14. Juni 1901.
Die Wahrheit und unser Wissen.
Erster Hauptteil.
Die Wahrheit.
Erster Abschnitt: Was ist Wahrheit?
Erste Untersuchung.
Die herkömmliche Definition der Wahrheit 1
Was ist »Ding an sich«? Definition der Wahrheit; a) falsche, b) richtige Auffassung. Erkennen a) nach rationalistischer, b) nach empiristischer Auffassung. Gegenstand des Erkennens – die Wahrheit. Inhaltsmerkmal der Wahrheit, Kennzeichen der Wahrheit.
Zweite Untersuchung.
Der überzeitliche Charakter der Wahrheit 3
Begriffsurteile. Thatsachenurteile. Auch die Wahrheit der letzteren hat einen überzeitlichen Charakter.
Dritte Untersuchung.
Bedeutung des überzeitlichen Charakters der Wahrheit 4
Ewige Bedeutung – Grund der überzeitlichen Geltung. Nur als Glied der Gesamtwirklichkeit ist etwas wahr. Spinozas »sub specie aeternitatis«. Gelten und Existieren, Wahrheit und Wirklichkeit.
Vierte Untersuchung.
Nur Eine Wahrheit für alle Denkenden 5
Aus der überzeitlichen Geltung folgt die Allgemeingültigkeit für alle Denkenden. Die Wahrheit kein Produkt der menschlichen Organisation. Wahrheit kein Ding an sich, untrennbar vom Erkennen a) als Bewusstsein überhaupt, b) als menschliches Erkennen, dessen Hervortreten in der Zeit nicht bloss durch seine ewige Bedeutung bedingt ist, sondern auch selbst eine ewige Bedeutung hat. Die neuentdeckten Wahrheiten darum schon vor ihrer Entdeckung untrennbar vom menschlichen Erkennen.
[pg X]Fünfte Untersuchung.
Die Wahrheit und das Urteil 6
Das Bewusstsein der Wahrheit gleich der Beziehung auf die Objektivität. Erkennen und Urteil keine Abbildung der Wahrheit, sonst wäre diese Ding an sich. Im Erkennen besitzen wir die Wahrheit selbst, nicht ihr Spiegelbild. Mit jedem Urteil treten wir in die ewige, überzeitliche, unvergängliche, übersinnliche Welt ein und fassen in ihr festen Fuss. Augustin, Eckhart. Nikolaus von Cues. Platons Ideenwelt das, was wir Wahrheit nennen.
Zweiter Abschnitt: Die Wahrheit und das Wesen der Dinge.
Sechste Untersuchung.
Wesentliche und unwesentliche Merkmale 7
Das Wesentliche und das Wesen ist Ziel des Erkennens. Wesentlich nicht gleich notwendig dem Dinge oder notwendig für seinen Begriff. Die Merkmale sicher nach ihrem Werte verschieden. Ein Merkmal, das eine Unterscheidung eines Dinges von allen andern ermöglicht, gehört darum noch nicht in die Definition des Dinges. Das Notwendige gehört (zum Teil wenigstens) zum Ausserwesentlichen.
Siebente Untersuchung.
Wie gewinnen wir die wesentlichen Merkmale? 8
Wesentlich nicht gleich allgemein oder konstant. Nicht durch Generalisation werden die wesentlichen Merkmale gewonnen, obgleich sie ihre Gewinnung vorbereiten kann, sondern, durch die der Generalisation vorausgehende Abstraktion. Ein Fall, Ein Beispiel genügt für die Gewinnung; sie wird vermittelt durch den Blick des Geistes, den nicht alle besitzen, der der Intuition ähnlich ist und wie diese noch keine Erkenntnis bildet.
Achte Untersuchung.
Die wesentlichen (begrifflichen) Merkmale sind nicht aus den sinnlichen (vorstellungsmässigen) abzuleiten 10
Sinnenbilder Grundlage alles Erkennens. Sinnenbilder der Ausdehnung und Bewegung selbst ausgedehnt und bewegt, schon darum verschieden von den Begriffen der Ausdehnung: Vielheit der gleichzeitigen Teile und Berührung, der Bewegung: Vielheit der aufeinanderfolgenden Teile und Übergang. Sinnenbilder Zusammenfassungen von Empfindungen ohne gegenständlichen Charakter. Wie erhalten die Empfindungen gegenständlichen Charakter, oder wie werden sie zu Vorstellungen? Willensdinge – Substanzen, Ursachen. Das Finden der wesentlichen Merkmale ein Schaffen; doppelte Funktion desselben: Vereinzelung der Teile des Ausgedehnten und Bewegten, Zusammenfassung der sich berührenden [pg XI] und ineinander übergehenden – beides Voraussetzung der betreffenden Urteile. Begriff und Sinnenbild von Punkt, Linie, Fläche, Geist. Auch das negative Urteil setzt den Blick für das, was anders ist, voraus.
Neunte Untersuchung.
Das Wesen der Dinge 14
Nicht das Sinnenbild des Kreises, der Ellipse, eher die mathematische Formel, das Gesetz für beide, weiterhin das Gesetz für ihre Stellung unter den Kegelschnitten, endlich ihre Stellung in der Gesamtwirklichkeit – das Wesen der Ellipse und des Kreises; Wesen und Wahrheit dasselbe. Wesen nicht unveränderlicher Seinskern.
Zehnte Untersuchung.
Der Begriff der Philosophie 15
Wesen der Farbe, des Menschen unerkennbar. Trotzdem die Erkenntnis des Wesens das Ziel des Erkennens. Philosophie Wissenschaft vom Wesen der Dinge und Wissenschaft der Fragen. Wesen des Erkennens? Wesen der Erscheinung der Dinge in uns? Wesen der Orts- und Zeitbestimmungen? Erkennen kein Abbilden.
Elfte Untersuchung.
Die Wahrheit das höchste Gut 18
Wahrhaft schön, wahrhaft sittlich – was alle als solches anerkennen müssen. Unser Begriff von den Dingen zu unterscheiden von dem Begriff, der ihr Wesen, ihre Stellung in der Gesamtwirklichkeit bestimmt. Für den ersteren gilt: nicht ohne dass es wahr ist, ist etwas gut und schön, für den letzteren: dadurch, dass es wahr ist, ist es schön, gut. Wesen und Wahrheit des Nichtseinsollenden, Scheinbaren? Seine Wirklichkeit nicht zu bezweifeln. Vielleicht ist es das anmasslich Selbständige.
Zweiter Hauptteil.
Unser Wissen.
Dritter Abschnitt: Kennzeichen der Wahrheit.
Zwölfte Untersuchung.
Bestandteile des Erkenntnisvorgangs 19
Wesentlich gleich zugehörig, zusammengehörig; Wesen gleich Zusammengehörigkeit – Grundbegriff des Erkennens. Das was zusammengehörig ist, und seine Zusammengehörigkeit zu unterscheiden. Das Vorgefundene a) Sinnenbilder, b) Vorstellungen Vorstufe des Erkenntnisvorgangs, Erste Stufe: Erfassung dessen, was zusammengehörig, was wesentlich durch den Blick des Geistes – keine Erkenntnis, [pg XII] eine Abstraktion als Hinsehen, Festhalten, eine schaffende Thätigkeit. Ihr Ergebnis Einzelgebilde des Denkens, auf Grund deren erst die Urteilsthätigkeit möglich ist. Zweite Stufe: Einleuchten der Zusammengehörigkeit kein Zwang, keine Nötigung, – noch keine Erkenntnis. Dritte Stufe: Einsicht in die Zusammengehörigkeit, Sehen, Wahrnehmen derselben, – eigentliche Erkenntnis. Vierte Stufe der ersten entsprechend: Gedanklicher Ausdruck der Einsicht im Urteil erzeugt ein neues Gebilde des Denkens – eine Verbindung, kein Einzelgebilde. Fünfte Stufe der zweiten entsprechend: Bewusstsein der Wahrheit, der Objektivität. Fünfte und zweite Stufe objektiv. Sechste Stufe: Gewissheit der dritten entsprechend Ausschluss des Zweifels, – positiver Zustand. Sechste und dritte Stufe subjektiv. Einleuchten, nicht die Einsicht Kriterium, gemäss dem wir über wahr und falsch urteilen. Einsicht das, wodurch wir die Wahrheit erkennen.
Dreizehnte Untersuchung.
Gesetze des Erkennens 23
Es giebt nur Eine Wahrheit, keine einzelnen Wahrheiten. Entdeckung dieser Einen Wahrheit nach dem Gesetz der Zusammengehörigkeit, dem Grundgesetz des Erkennens; (Synthese nicht Analyse). An seine Stelle treten die Gesetze für die Urteile: erstens Gesetz der Übereinstimmung, Form eins und vier; zweitens Gesetz des Enthaltenseins, Form fünf und acht. Drittens Gesetz des Widerspruchs, Form zwei und drei, Form sechs und sieben – Gesetze für einzelne Urteile; viertens Gesetz des ausgeschlossenen Dritten für das Verhältnis zweier Urteile zu einander. Vier Kategorien: Ding, Eigenschaft, Vorgang, Beziehung; die Begriffe der einen Kategorie nicht der einer andern über- oder unterzuordnen. Verhältnis des Enthaltenseins verschieden von Ding und Eigenschaft, Ding und Vorgang, von untergeordneter Bedeutung für unser Erkennen. Urteil setzt Synthese voraus und schliesst diese als bedingenden Bestandteil ein, mag sein gedanklicher Ausdruck auch als Enthaltensein, Subsumtion, Analyse erscheinen; der sprachliche Ausdruck erscheint wieder als Synthese. Die wesentlichen Merkmale nicht einander über- oder untergeordnet, ausser wenn sie den gleichen Kategorien angehören; nicht in den Sinnenbildern enthalten. Auch die negativen Merkmale der Dinge nicht in ihnen enthalten.
Vierzehnte Untersuchung.
Gesetze des Erkennens (Fortsetzung) 29
Gesetze für das Einzelwirkliche als Subjekt der Urteile – Urteilsgesetze: die genannten. Gesetze für den Zusammenhang des [pg XIII] Wirklichen, den wir erschliessen – Schlussgesetze: das Einheitsgesetz, das Gesetz der Kausalität oder der Ermöglichung des Anfangenden, das Gesetz des Grundes. Drei Gedankengänge, die zum Einheitsgesetz führen. Falsche Formulierung des Gesetzes der Kausalität; es ist verschieden vom Gesetz der Gleichförmigkeit des Naturlaufs – Sinn dieses Gesetzes – führt nicht auf das Gesetz des Widerspruchs zurück. Gesetz des Grundes, ein Gesetz des Enthaltenseins in seiner Anwendung auf Urteile. Drei Formen des Gesetzes des Widerspruchs. Real- und Formalgesetze. Auch das Gesetz des Widerspruchs kann einen realen, den Fortschritt des Erkennens bedingenden Charakter haben.
Fünfzehnte Untersuchung.
Erkenntnis und blinde Überzeugung 34
Erkenntnis hat einen vernünftigen Grund in dem Einleuchten, blinde Überzeugung beruht auf Gewöhnung, auf Gefühlen, die meist zuerst ein blindes Urteilen zur Folge haben, an das sich dann die Überzeugung anschliesst von der Wahrheit des Urteils, ferner oft von der (angeblichen, vermeintlichen) Einsicht und dem (vermeintlichen) Einleuchten. Gewissheit nach ihrer negativen Seite ohne Grade, die mit der Einsicht verbundene Gewissheit auch nach ihrer positiven Seite ohne Grade, während die Gewissheit, welche den blinden Urteilen folgt, sich masslos steigern lässt, wie die Gewissheit des Fanatikers zeigt. Ausserdem: die vermeintliche Einsicht folgt dem Urteil, die wirkliche geht ihm immer voran.
Sechzehnte Untersuchung.
Zulänglichkeit des Kennzeichens der Wahrheit 36
Vermeintliche Einsicht und wirkliche Einsicht nicht bloss durch die steigerungsfähige und nichtsteigerungsfähige Gewissheit und durch ihr Verhältnis zum Urteil von einander verschieden, die vermeintliche kann auch durch die wirkliche überwunden werden. Vier mögliche Fälle. Sinn des Gesetzes der Gleichförmigkeit des Naturlaufs.
Siebzehnte Untersuchung.
Einsicht und Denknotwendigkeit 38
Einsicht keinerlei Nötigung. Notwendigkeit, Nichtandersseinkönnen oft nur Folgerung aus der Gewissheit. Das Verhältnis des Enthaltenseins ein Notwendigkeitsverhältnis; aber dieses Notwendigkeitsverhältnis nicht Grund unserer Einsicht in die Wahrheit der betreffenden Urteile. Dasselbe gilt von den Denknotwendigkeiten, die in dem zusammengehörigen Nichtenthaltenen und in den Unverträglichkeitsverhältnissen bestehen. Warum es für unser Denken notwendig ist, der Eigenschaft ein Selbständiges (?), den [pg XIV] Veränderungen und Bewegungen ein Veränderliches und Bewegliches, das beharrt, zu Grunde zu legen – davon haben wir keine Einsicht. Dass das System der Wahrheit notwendig einen Denkenden, das Anfangende notwendig einen Ermöglichungsgrund voraussetzt, ist nur eine Folgerung aus der Gewissheit, die wir vom Gesetz der Einheit und der Kausalität haben.
Achtzehnte Untersuchung.
Einsicht und Wille 43
Widerstreben gegen die erkannte Wahrheit – letzte Quelle alles Unsittlichen. Vom Verstandesakte der Einsicht verschieden die Hingabe des Willens und das Ergriffensein des Gemüts. Beides wichtig für die sittlichen und religiösen Wahrheiten, die gewohnheitsmässig festgehalten wieder zu blossen Verstandeseinsichten oder Kopfwahrheiten herabsinken, von denen das Leben unberührt bleibt. Die Wahrheit Gemeinschaftsgut, nicht Gut des egoistischen Willens, sittliches Gut, höchstes Gut.
Vierter Abschnitt: Umfang unseres Wissens.
Neunzehnte Untersuchung.
Schranken unseres Erkennens 45
Unterschied von Kategorien und Prädikabilien, der Kategorie Eigenschaft und der Prädikabilie Proprietät. Verhältnis der Eigenschaft zum Ding verglichen mit dem Verhältnis des Anfangenden zum Ermöglichungsgrund. Das Wesen sicher eine Kategorie, auch das ausserwesentliche Zufällige und Notwendige gehört doch zum Seienden und ist insofern Kategorie. Wann Gattung und Art Prädikabilien sind. Verschiedenheit, Gleichheit. Zahl Prädikabilien, Einheit sicher Kategorie. Die Endlichkeit als seiendes Nichtsein. Raum und Zeit, die Formalkategorien, Substanz und Kausalität, die Realkategorien, enthalten Raum und Substanz in der Berührung, Zeit und Kausalität in dem Übergang, ein dem Denken inkommensurables, von ihm nicht aufzuhellendes Element. Wo diese Kategorien eine Rolle spielen, da kann, sofern dieses Element in Frage kommt, von Einsicht und Erkenntnis keine Rede sein. Was haben Raum und Zeit für eine Bedeutung, da sie einerseits als Formalkategorien das Sein der Dinge in keiner Weise vermehren und anderseits doch die Principien der Individuation bilden, durch die das Wirkliche seine Wirklichkeit erhält, da alles Wirkliche Einzelwirklichkeit ist? Die Wirklichkeit eine Realkategorie, da sie auf dem wirklichen Akt der göttlichen Selbstentäusserung beruht, der den wirklichen Dingen eine Selbständigkeit leiht, die ihnen eigentlich nicht zukommt. Inwiefern [pg XV] ist das Wahre wirklich? Insofern Gott es nicht bloss denkt, sondern will? Der Schöpfungsakt ein Akt der Selbstentäusserung. Symbolische Bedeutung von Raum und Substanz – scheinbare Selbständigkeit, Unendlichkeit. Symbolische Bedeutung von Zeit und Kausalität – thatsächliche Abhängigkeit, Beschränktheit. Hat die Negation eine reale Bedeutung?
Zwanzigste Untersuchung.
Die Erkenntnis der Aussenwelt 51
Keine Erkenntnis der Beschaffenheit der äusseren Dinge möglich. Psychologische Erklärung der Zusammensetzung der sogenannten sinnfälligen Wirklichkeit. Ort der Dinge im Raum, wodurch bestimmt. Die Dinge sind keine blossen Sinnenbilder, Vorstellungen oder fortdauernde Möglichkeiten von Empfindungen. Unmittelbare Evidenz der Existenz dieser Dinge, die nicht nach dem Kausalitätsgesetz erschlossen werden kann. Der Begriff der Ursache spielt in der Wahrnehmung keine Rolle. Die Naturdinge sind verschieden von Raum und Zeit, von Substanz und Kausalität, die nur zur Erscheinungsform der Dinge in unserm Bewusstsein gehören. Sie sind Gedanken Gottes, wie wir nach dem Einheitsgesetz schliessen. Es giebt keine unmittelbare Evidenz von der Nichtexistenz solcher Dinge. Beweis für ihre Existenz. Abstrakte Trennung von Leib und Seele bei Cartesius und in der Psychologie: Empfindungen als blosse Bewusstseinsvorgänge, Anfangszustände des Bewusstseins. Definition der Empfindungen ohne körperliche Vorgänge unmöglich. Weder für das entwickelte Bewusstsein noch für das des Kindes sind sie blosse Empfindungen. Objektivationstheorie – Ersatz dafür. Empfindungen nicht als Empfindungen gegeben, sondern als Erkenntnismittel. Platons Schwungbrett. Aristoteles: kein Begriff ohne Phantasiebild. Verbindung unseres Bewusstseins nicht bloss mit unserm Körper, sondern auch mit der Körperwelt überhaupt. Wie weit reicht unsere Erkenntnis der Körperwelt?
Einundzwanzigste Untersuchung.
Über die Erkenntnis des eigenen Bewusstseins 58
Brentano über die äussere und innere Wahrnehmung. Bewusstheit uneigentliches Wesen. Auf Grund der Reflexion gewinnen wir eine Einsicht in die wirkliche Beschaffenheit der Bewusstseinsvorgänge. Die angewendeten Vorstellungen ursprünglich sinnliche, aus dem sinnlichen Gebiet entlehnte, übertragene, bildliche. Was ist sinnliches Gebiet? Inwiefern wird dasselbe durch die Empfindungen konstituiert? Nicht insofern sie Gegenstand der Reflexion sind. Falsch, dass wir von den Bewusstseinsvorgängen blosse Vorstellungen haben. Übertragung der sinnlichen [pg XVI] Vorstellungen durch den Blick des Geistes für das Wesentliche, nicht in Urteilen. Methode der Psychologie: Isolierung der Empfindungen, Isolierung der Bewusstseinsvorgänge. Übergreifender Charakter der Bewusstseinsvorgänge schon für das Zustandekommen der Sinnenbilder der Ausdehnung und Bewegung notwendig. Einheit des Bewusstseins. Einsicht in die Zusammengehörigkeit mancher Bewusstseinsvorgänge, in die Zugehörigkeit zu unserm Bewusstsein. Erinnerung, was sie ist. Vergleich mit der Wahrnehmung. Warum wir bei beiden nicht von Einsicht sprechen. Unter welchen Vorbehalten bestehen auch die Erinnerungen in Einsichten? Einsicht in die Lückenhaftigkeit unserer Erinnerungen, wodurch ermöglicht? Selbstbewusstsein ist Einsicht in die Zusammengehörigkeit des Bewusstseins mit unserm Ich. Humes Irrtum. Was das Ich ist, wissen wir nicht. Leibliches Ich. Ich getrennt vom Leib d. h. von dem Leibe wie er seinem Wesen nach ist ein Abstraktum. Einsicht in die Zusammengehörigkeit unserer Bewusstseinsvorgänge mit unserm Ich. Vergleich der Erkenntnis der Aussenwelt mit der Erkenntnis unserer eigenen Bewusstseinsvorgänge. Bei den Bewusstseinsvorgängen fällt die Erscheinung derselben im Bewusstsein mit dem Wissen, das sie von sich selbst haben, also mit ihnen selbst zusammen.
Zweiundzwanzigste Untersuchung.
Weitere Schranken unseres Erkennens 64
Keine Erkenntnis des Wesens der Aussendinge und Bewusstseinsvorgänge, ihrer Stellung im System der Wahrheit. Die Zahl der blinden Wissensinhalte unübersehbar gross. Blosse Kenntnisse keine Erkenntnisse – Zusammengeratenes nicht Zusammengehörendes. Associative Wissensinhalte – alles Namen- und Wortewissen von dieser Art. Induktionsschluss ergiebt eine auf Einsicht beruhende Wahrscheinlichkeit.
Dreiundzwanzigste Untersuchung.
Die Erkenntnis der Innenwelt anderer 66
Nicht durch einen Schluss der Analogie vermittelt, sondern
unmittelbar
bei Kindern und Erwachsenen. Ansteckende Wirkung der
Bewusstseinsäusserungen und Bewusstseinszustände. Actio in
distans. Immediatum commercium animarum. Aristoteles, Locke,
Pestalozzi als Zeugen für die Grenzen unserer Erkenntnis
anderer. Wesen der Religiosität: positive Seite der Moral, persönliches
Verhältnis. Selbsterkenntnis inwiefern schwieriger als
die Erkenntnis anderer. Einsichtige Urteile über die sittliche
Beschaffenheit anderer möglich. Verehrungssinn. Worte ungewollte
Selbstbeurteilungen.
Vierundzwanzigste Untersuchung.
Geschichtliche Erkenntnisse 70
Ist Glauben als Fürwahrhalten auf das Zeugnis anderer minderwertig gegenüber dem Wissen? Mitgeteilte Urteile keine von uns gefällten Urteile. Äussere Einsicht in die Wahrheit vermittelt durch die Einsicht, dass der Mitteilende die Wahrheit sagen kann und sagen will. Statt Glauben und Wissen zu unterscheiden sprechen wir von Kenntnissen erster und zweiter Hand. Believe, faith. Glauben im religiösen Sinne. Kenntnisse zweiter Hand weitaus überwiegend. Begriffs- und Thatsachenurteile nach ihrem Erkenntniswert. Erkenntniswert der Naturwissenschaften, der Geschichte. Natur eine gebrochene Einheit, in der Geschichte haben wir eine wirkliche Vielheit. Das Einzelne in der Natur hat keinen Eigenwert, nur wertvoll als Exemplar einer Gattung. Vom Körperlichen als solchem haben wir keine eigentlichen Erkenntnisse, wohl aber von den Beweggründen und Triebfedern menschlicher Handlungen. Das Körperliche hat im Geistigen seinen Zweck, das Umgekehrte unmöglich. Zweckbegriff von den Anhängern der mechanischen Naturauffassung durch die Entwicklungstheorie wieder eingeführt. Die Zielstrebigkeit des Aristoteles wird auf die Natur als Ganzes angewendet. Woher die Anpassung? Aristokratisches Prinzip in der Natur: nicht das Stärkere siegt der Regel nach, sondern das Vollkommenere. Entwicklung in der Natur sehr langsam, in der Geschichte augenscheinlich. Fortschritte in der Geschichte auf intellektuellem und religiösem Gebiete. Herstellung von Einheiten in Natur und Geschichte wie verschieden! Dort Mittelpunkte, Systeme des Aussereinanderliegenden, hier bewusste Einheiten vieler Personen. Persönlichkeiten in der Geschichte Träger von Ideen, damit Triebkräfte der Entwicklung. Neues in der Entwicklung: ex nihilo fit nihil. Bedeutung des Individuums in der Geschichte.
Fünfundzwanzigste Untersuchung.
Künstlerische und wissenschaftliche Inspiration 77
Erfahrung, Vernunft und Offenbarung. Inspiration verschieden von dem Blick für das Wesentliche, von der schöpferischen Einbildungskraft. Künstlerindividualität. Intuitionen. Einfallen von Gedanken. Inspirationen: Zusammengehörigkeiten höherer Art, aufgedrängte, aufgenötigte Gedanken, Ergänzungen des Blicks für das Wesentliche, – noch keine Erkenntnisse. Zwei unverifizierbare Eingebungen über das Wesen des Körperlichen. Einbildungen und Eingebungen. Letztere stammen aus dem Reich der Wahrheit, mit dem wir zusammenhängen. Zwei Erkenntnisquellen als Ausgangspunkte für das Erkennen: a) Erfahrung, aa) Empfindungen, bb) Bewusstseinsvorgänge, b) Eingebungen. Erkenntnis nur durch das Denken möglich.
[pg XVIII]Sechsundzwanzigste Untersuchung.
Religiöse Erkenntnisse 82
Religion was sie ist. Inspiration von Religion unabtrennbar – sie giebt den Philosophen interessierende Weltanschauungen. Religion eine praktische Angelegenheit, hat bestimmte theoretische Voraussetzungen. Diese sind nicht darum wahr, weil sie sich bewähren: a) Ausprobieren unmöglich, b) Wirkungen auch rein psychologisch bei falschen Voraussetzungen möglich. Religion nicht bloss Sache des Gefühls. Das intellektuelle Element der Religion, richtig verstanden, nicht bloss Voraussetzung der Religion sondern ihr Wesen, sofern dieses in ihrer Wahrheit besteht. Die Wahrheit an sich das höchste Gut. Darum Gott die Wahrheit. Für uns ist Sittlichkeit ein höheres Gut. Fides quaerens intellectum. Notitia, fiducia, assensus. Der Inspirierte kann davon eine Einsicht gewinnen, dass er eine Inspiration empfangen hat. Die Verkündigung der Inspiration als von Gott stammend – Offenbarung. Mittelbare äussere Einsicht in die Wahrheit der Offenbarung vermittelt durch die Einsicht, dass der Verkündende die Wahrheit weiss und sagen will. Massgebend und entscheidend hierfür die sittliche und religiöse Beschaffenheit des Verkündigers. Äussere Einsicht vom religiösen Gesichtspunkte aus der inneren vorzuziehen.
Schluss 87
Alle Wahrheit wegen ihrer ewigen Bedeutung – Metaphysik. Wer diese leugnet, muss auch die überzeitliche Geltung und damit die Allgemeingültigkeit der Wahrheit für alle Denkenden leugnen – er verfällt dem Skepticismus. a) Empiristischer, b) rationalistischer Wahrheitsbegriff. Beide setzen den metaphysischen Wahrheitsbegriff voraus. Nach jenem lässt sich nur entscheiden, was wahrscheinlich ist, nach diesem nur, was möglicherweise wahr ist. Jener ist nützlich für die Sicherung unserer Lebenszwecke, dieser für die Verwirklichung eines Erkenntnisideals. Ein Prüfstein der Wahrheit ist weder der eine noch der andere.
Druckfehler:
Seite 7 Zeile 13 lies statt Unveränderliche Veränderliche.
Die herkömmliche Definition der Wahrheit.
Seit Cartesius spielt der Gedanke einer gegensätzlichen Trennung von Leib und Seele in der Philosophie eine Rolle. In ähnlicher Weise hat seit Kant der Gedanke einer gegensätzlichen Trennung des Erkennens und seines Gegenstandes die Philosophen beschäftigt, und zwar verstanden sie unter Gegenstand das sogenannte Ding an sich oder den Gegenstand, wie er unerkannter Weise ist. Beide Gedanken sind der Aristotelischen und mittelalterlichen Philosophie fremd. Der letztere Gedanke führt zu einer Auffassung der gewöhnlichen Definition der Wahrheit, welche jede Erkenntnis der Wahrheit unmöglich macht. Nach dieser Definition nämlich, auf die alle Erörterungen über die Wahrheit vielfach unbewusst und unfreiwillig zurückkommen, besteht die Wahrheit in der Übereinstimmung des Erkennens mit seinem Gegenstande. Fassen wir hier Gegenstand in seiner gegensätzlichen Trennung vom Erkennen als das Unerkannte oder so wie er unerkannter Weise ist, so kann von einer Erkenntnis der Wahrheit keine Rede mehr sein; denn der Gegenstand kommt uns doch nur innerhalb unsrer Vorstellungen und Gedanken, also vermittelt durch unser Erkennen, zum Bewusstsein. [pg 02] Was er abgesehen davon sein mag, darüber wissen wir nichts. Aber muss in jener Definition der Wahrheit das Wort Gegenstand notwendig im Sinne des unerkannten Gegenstandes, wie er unerkannter Weise ist, genommen werden? Wir werden der Absicht der gewöhnlichen Definition der Wahrheit gerecht, wenn wir den Gegenstand als das betrachten, was vom Erkennen weder gemacht noch geändert wird und insofern vom Erkennen unabhängig ist. Damit steht aber nicht im Widerspruch, wenn wir an einer unlösbaren Verbindung des Erkennens mit seinem Gegenstande festhalten und insofern von einer wechselseitigen Abhängigkeit einerseits des Erkennens vom Gegenstande und anderseits des Gegenstandes vom Erkennen reden. Wenn das Erkannte auch nicht durch das Erkennen ist, so bleibt doch die Annahme möglich, dass es nicht ohne das Erkennen sein kann und insofern von ihm abhängig ist. Ausgeschlossen ist hierbei die rationalistische Annahme, dass das Erkennen seinen Gegenstand aus sich selbst schöpft; aber auch die empiristische Annahme ist unrichtig, dass dem Erkennen sein Gegenstand einfach gegeben wird. Das Gegebene ist noch nicht das Erkannte; das Erkennen darf den Gegenstand weder erzeugen oder auch nur ändern, noch kann es ihn als Unerkanntes als Ding an sich erfassen.
Indes ganz abgesehen davon können wir die Definition, wie sie gewöhnlich gegeben wird, nicht gebrauchen, schon wegen der Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit des Wortes »Gegenstand«, und es würde daran auch dann nichts geändert, wenn wir dieses Wort durch das nicht minder unbestimmte und vieldeutige »Wirklichkeit« ersetzten. Für uns giebt es nur einen Gegenstand des Erkennens, und das ist die Wahrheit. Wir nehmen an, dass wir die Wahrheit erkennen können, erklären uns aber ausser Stande, von dem was Wahrheit ist, eine Definition zu geben. Wenn wir aber auch keine eigentliche Definition von dem Begriff der Wahrheit zu geben vermögen, so können wir doch wenigstens ein Merkmal dieses Begriffs aufweisen und in ihm uns seinen Inhalt vergegenwärtigen. Das Merkmal ist freilich kein letztes Unterscheidungsmerkmal, aber doch ein wesentlicher, wenn nicht der wesentlichste Bestandteil des Begriffs der Wahrheit. Wir [pg 03] können ferner auch ein Kennzeichen der Wahrheit angeben, an dem wir Wahrheit und Falschheit unterscheiden, und damit den Umfang dieses Begriffs bestimmen. Wie so oft muss auch hier die genauere Bestimmung des Umfangs einen Ersatz bieten für die unzulängliche Festsetzung des Inhalts. Das Kennzeichen ist freilich nur ein äusseres, aber als einziges unterscheidendes Kennzeichen nicht bloss praktisch unentbehrlich, sondern auch von entscheidender Wichtigkeit.
Der überzeitliche Charakter der Wahrheit.
Aus Thatsachen und Gedanken, d. h. aus dem Vorgefundenen und aus unsren nicht willkürlichen sondern dem Vorgefundenen entsprechenden Zuthaten, bauen sich die Wissenschaften auf. Wenigstens ist in dem, was wir Thatsachen nennen, das Vorgefundene das herrschende Element, während in den Gedanken das Vorgefundene gegen die Zuthaten zurücktritt. Zu den Gedanken gehören auch die Begriffsurteile oder Begriffssätze wie: weiss ist nicht schwarz, ein Viereck nicht rund, ein gleichseitiges Dreieck gleichwinklig, zwei kleiner als drei usw., die das Gebiet der logischen und mathematischen Wahrheiten umfassen. Sie sind vollkommen wahr, auch wenn die Glieder, die sie miteinander verbinden, gar nicht existieren; auch wenn es so etwas wie weiss und schwarz, Viereck und rund, gleichseitiges und gleichwinkliges Dreieck, zwei und drei in Wirklichkeit gar nicht giebt, so bleibt doch die in diesen Urteilen ausgedrückte Beziehung durchaus wahr. Sie ist ewig gültig, ihre Wahrheit hat einen überzeitlichen Charakter.
Richtig verstanden gilt das aber von allen Urteilen, die eine Wahrheit zum Ausdrucke bringen. Die Thatsachen unsres Bewusstseins, von denen nur wir allein jeder für sich Kenntnis haben können, und alle übrigen Thatsachen von mehr oder minder langer Dauer – wie sie z. B. in den Urteilen: ich freue mich jetzt, oder: die Lampe steht auf dem Tische, ausgedrückt werden – können nur wirklich oder wahr sein, wenn dies, dass sie jetzt oder eine zeitlang bestehen, für alle Zeiten gilt. Alle Wahrheit, auch die anscheinend nur einen Augenblick oder eine kurze Zeit bestehende, hat einen überzeitlichen [pg 04] Charakter. Sie hat trotz ihres scheinbar kurzen Bestandes eine ewige Gültigkeit. Nur darum ist sie Wahrheit.
Bedeutung des überzeitlichen Charakters der Wahrheit.
Aber wie ist das möglich? Nur dadurch, dass auch die vergängliche Thatsache eine ewige Bedeutung hat, aus der sich ihr Hervortreten in der Zeit erklärt. Nur aus dieser ihrer ewigen Bedeutung, die ihre zeitliche Existenz bedingt und begründet, folgt notwendigerweise der überzeitliche Wahrheitscharakter der Thatsache. Eine ewige Bedeutung kann aber der zeitlichen und vergänglichen einzelnen Thatsache nicht als solcher in ihrer Vereinzelung sondern nur als Glied eines grösseren über ihre Zeitlichkeit und Vergänglichkeit hinausgehenden Ganzen zukommen; nur als Teil der Gesamtwirklichkeit, die als Ganzes wenigstens über die Zeitlichkeit und Vergänglichkeit ihrer Teile hinausgeht. Schon im gewöhnlichen Leben sprechen wir bei Thatsachen nur von Wahrheit, wenn sie in den Zusammenhang des Wirklichen aufgenommen werden können und durch ihre Stellung in diesem Ganzen eine Bedeutung gewinnen. Dass ein Stein am Wege liegt, eine Person uns begegnet, nennen wir schwerlich eine Wahrheit, ausser wenn die Betonung dieses Sachverhalts aus andren Gründen etwa wegen eines gerichtlichen Verfahrens wichtig ist. Jedenfalls werden wir uns den Wahrheitscharakter der Thatsachen, der notwendig ein überzeitlicher ist, nur zum Bewusstsein bringen können, wenn wir sie der zufälligen Äusserlichkeiten, insbesondere ihrer Vereinzelung zu entkleiden und mit Spinoza zu reden sub specie aeternitatis zu betrachten suchen. Ob und inwiefern dies Streben von Erfolg gekrönt ist oder zu inhaltlich bedeutsamen Erkenntnissen führt, mag fraglich bleiben; aber davon hängt natürlich die notwendige Überzeitlichkeit des Charakters der Wahrheit nicht ab.
Eine Folgerung drängt sich auf: das Gelten steht höher als das Existieren; das Existieren ist nur möglich durch das Gelten. Mit andren Worten: die Wahrheit steht höher als die Wirklichkeit und die Wirklichkeit ist nur Wirklichkeit durch die Wahrheit. Aber was ist Wirklichkeit, abgesehen von ihrer Wahrheit?
Nur Eine Wahrheit für alle Denkenden.
Was für alle Zeit gilt, gilt natürlich auch für alle Denkenden. Es giebt entweder keine Wahrheit, oder aber sie gilt für alle Denkenden. Die Wahrheit ist nicht ein Erzeugnis der menschlichen Organisation überhaupt oder jeder einzelnen menschlichen Organisation insbesondere, sodass sie nur für die Menschen gälte oder gar für jeden einzelnen Menschen eine andere und besondere wäre. Alle Erkenntnis hat nur Einen Gegenstand, das ist die Eine Wahrheit, die für alle Erkennenden dieselbe ist. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass die Wahrheit unabhängig vom Erkennen sei im Sinne der Transcendenz oder des Dinges an sich. Bei einer solchen Unabhängigkeit hörte die Wahrheit auf, Gegenstand des Erkennens zu sein. Die unauflösliche Verbindung der Wahrheit mit dem Erkennen muss festgehalten werden, wie immer diese Verbindung zu denken ist. Ausserdem wird man von einer Abhängigkeit der Wahrheit vom göttlichen Denken oder – wenn man diesen Ausdruck vorzieht – vom »Bewusstsein überhaupt« und auch vom menschlichen Denken reden dürfen, vorausgesetzt, dass das menschliche Denken, wenn es wahr ist, eins mit dem göttlichen ist.
Gilt die Wahrheit, auch wenn wir sie nicht erkennen? Gilt das Gesetz der Gravitation, ehe es Newton entdeckte? Zweifellos! Aber was heisst das anders, als dass diese Wahrheit, wie alle andren, einen überzeitlichen Charakter hat, dass sie ewig gilt! Muss man dann aber nicht schliessen, dass die Wahrheit vorhanden sein kann, ohne unser Erkennen? Wir dürfen nicht vergessen, dass auch unser Erkennen, wie alle Thatsachen, einen überzeitlichen Charakter hat. Gewiss, es hat einen Anfang, es erlebt Veränderungen, gehört also der Zeit an, wie alle zeitlichen Thatsachen. Aber wir wissen nicht, wie sich später zeigen wird, was es mit der Zeit auf sich hat, obgleich wir ihr die Bedeutung nicht absprechen. Sicher ist, dass das Zeitliche vom Ewigen abhängig ist, dass es in seinem Hervortreten in der Zeit durch das Ewige bedingt und bestimmt ist. Das gilt auch von unsrem Erkennen. Aber nicht minder sicher ist, dass dieses Hervortreten in der Zeit auch [pg 06] eine ewige Bedeutung hat, und das verbürgt uns seine unauflösliche Verbindung mit der Wahrheit, in der allein diese ewige Bedeutung ihren Grund haben kann.
Die Wahrheit und das Urteil.
In jedem Urteile haben wir ein Bewusstsein der Wahrheit, wenn auch nur einschliesslich und der Sache nach. Ausdrücklich und der Form nach ist dies allerdings nur der Fall in dem Urteile: Es ist wahr, dass dies oder jenes zutrifft! Natürlich handelt es sich hierbei nicht immer um ein Bewusstsein der wirklichen, sondern oft auch nur der bloss vermeintlichen Wahrheit. Dieses Bewusstsein geht seinem Sinne nach stets über die Verbindung der Vorstellungen im Urteile hinaus und weist auf einen Sachverhalt hin, der in der Verbindung der Vorstellungen zum Ausdrucke kommen soll, aber von ihr verschieden ist. Wir nennen das die Beziehung des Urteils auf die Objektivität, und diese ist mit dem in ihm enthaltenen Bewusstsein der Wahrheit ein und dasselbe.
Wenn man das Urteil Ausdruck eines Sachverhalts nennt und darunter eben nur diese Beziehung auf die Objektivität oder das Bewusstsein der Wahrheit versteht, so ist dagegen nichts einzuwenden. Falsch wäre es aber, wenn man das Wort Ausdruck im Sinne einer Nachbildung des Sachverhalts verstehen wollte. Das im Urteil sich darstellende Erkennen ist keineswegs eine bloss müssige Wiederholung der Wirklichkeit, ein blosses Spiegelbild derselben. Dem Bilde ist es eigentümlich, eine Sache so wiederzugeben, wie sie unabgebildeter Weise ist. Wäre das Erkennen ein blosses Bild der Wahrheit, so würde es die Wahrheit wiedergeben, wie sie unerkannter Weise ist. Die Wahrheit würde zum unerkennbaren Ding an sich. Im Erkennen haben wir nicht ein blosses Bild der Wahrheit sondern die Wahrheit selbst. Es ahmt sie nicht nach (homoiosis), sondern nimmt an ihr teil (koinonia), sie ist in ihr gegenwärtig (parusia). Wir nehmen im Erkennen die Wahrheit selbst in Besitz, nicht bloss ihr Spiegelbild, ihren Abdruck im Bewusstsein. Davon überzeugt uns immer wieder die Reflexion auf den Erkenntnisvorgang.
[pg 07]Wichtig ist, dass wir im Urteile nicht bloss über die in ihm vorhandene Verbindung der Vorstellungen hinausgehen, sondern mit unsrem Denken oder, wenn wir auch das falsche Urteil berücksichtigen wollen, wenigstens in Gedanken in die überzeitliche, ewige Welt, die für alle Denkenden in gleicher Weise gilt, hineinreichen und mit ihr im Zusammenhange stehen. Das ist die Bedeutung der Beziehung auf die Objektivität, die mit dem Bewusstsein der Wahrheit ein und dasselbe ist. Diese überzeitliche, ewige, für alle Denkenden gleicherweise geltende Welt ist die Welt, das Reich oder auch die Region, das System der Wahrheit. Jeder Urteilende tritt mit jedem Urteil in dieses allem sinnlichen Scheine nicht bloss sondern auch allem Vergänglichen, Veränderlichen so entgegengesetzte Gebiet ein und fasst in ihm festen Fuss.
Unsere Darlegung erinnert nicht bloss an Spinoza, der alles sub specie aeternitatis betrachten will, sondern auch an Augustins veritates aeternae et immutabiles, die ihren Grund nicht in dem veränderlichen menschlichen Denken und ebensowenig in den veränderlichen Dingen der Welt sondern nur in Gott haben können. Sie erinnert ferner an den Satz von Nikolaus von Cues, der wieder an Eckhart anklingt, dass die ideelle Existenz der Dinge (in dem Gedanken Gottes) wahrer ist als die in Raum und Zeit erscheinende körperliche Existenz. Sie erinnert endlich ganz besonders an die Ideenlehre Platons. Das, was wir Wahrheit nennen, ist in der That eine Platonische Idee, oder sie umfasst vielmehr die ganze Ideenwelt Platons, welche die Erscheinungswelt in ihrem Sein bedingt.
Wesentliche und nicht wesentliche Merkmale.
Das Erkennen ist auf das Wesentliche gerichtet. Sein Ziel ist das Wesen der Dinge. Das Wesentliche soll im Gegensatz stehen zu dem Zufälligen und scheint dann als das Notwendige, Unentbehrliche betrachtet zu werden. Es fragt sich, wem notwendig, wem unentbehrlich? Natürlich dem Begriff [pg 08] des Dinges (Ding im allgemeinsten Sinne genommen, in dem es auch Eigenschaften, Vorgänge und Beziehungen umfasst). Allein, fragen wir weiter, woraus besteht der Begriff? so lautet die Antwort: aus den wesentlichen Merkmalen. Durch Zurückgreifen auf den Begriff kommen wir in der Erkenntnis dessen, was unter wesentlich zu verstehen ist, nicht weiter.
Jedenfalls setzt die Unterscheidung wesentlicher und zufälliger Merkmale die Annahme eines Wertunterschieds unter den Merkmalen voraus. Und an dieser Annahme wird festgehalten werden müssen. Schon wenn wir von der Gestalt und Grösse der Ausdehnung, von der Höhe und Stärke eines Tones, von der Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung reden, tritt dieser Wertunterschied deutlich hervor. Das erstgenannte Merkmal ist das vorzüglichere, dem das zweite als Eigenschaft untergeordnet wird. Aber nicht das Umgekehrte gilt. Man kann den Kaukasier nicht definieren als ein menschliches Weisses, den Menschen nicht als ein zweibeiniges und zweihändiges oder als ein zweifüssiges ungefiedertes Wesen, wenn gleich diese Definitionen eine Unterscheidung des Kaukasiers von den andern Menschentypen und des Menschen von allen andern Dingen ermöglichen. Warum nicht? Weil die weisse Farbe, die Zweifüssigkeit, Ungefiedertheit keine wesentlichen Merkmale bilden, das Weiss-Sein ausserdem sich dem Mensch-Sein nicht überordnen lässt. Die Alten hatten recht, wenn sie im Anschluss an Porphyrius nicht unterschiedslos alle Merkmale, die einem Dinge und nur ihm zukommen, in seine Definition aufgenommen wissen wollten, sondern nur gewisse wertvolle, die sie die wesentlichen nannten. Auch darin hatten sie recht, wenn sie von den wesentlichen Merkmalen nicht bloss die zufälligen, wie z. B. die Farbe beim Menschen, unterschieden, sondern auch die notwendigen, die sogenannten Proprietäten. Was notwendig zum Wesen des Menschen gehört, wie z. B. die Zweifüssigkeit, ist darum noch nicht ein Bestandteil dieses Wesens.
Wie gewinnen wir die wesentlichen Merkmale?
Aus dem Gesagten ergiebt sich, dass wir weder die einer Reihe von Dingen gemeinsamen, sogenannten allgemeinen [pg 09] Merkmale, noch die im Laufe der Entwicklung eines Dinges sich gleichbleibenden sogenannten konstanten Merkmale mit den wesentlichen verselbigen dürfen. Es bedarf ferner nicht eines Durchlaufens einer Reihe von gleichen oder ähnlichen Dingen oder der Entwicklungsphasen ein und desselben Dinges um das Wesentliche an ihnen zu entdecken. Freilich kann nicht geleugnet werden, dass dieses Verfahren der Generalisation die Auffindung der wesentlichen Merkmale häufig unterstützt. Sind die Umstände und Verhältnisse der Gegenstände, um deren Erkenntnis es sich handelt, sehr verwickelt und schwer überschaubar, so mag es unentbehrlich sein, aber doch nur für die Ausscheidung der unwesentlichen Merkmale, nicht unmittelbar für die Auffindung der wesentlichen. Die Abstraktion ist natürlich früher als die Generalisation, weil deren Bedingung. Durch die Abstraktion gewinnen wir unter andrem auch die wesentlichen Merkmale. Eine kleine Menge Wasser genügt dem Chemiker, die Zusammensetzung des Wassers, alles Wassers aufzuweisen, eine einzige, beliebig gewählte Dreiecksfigur dem Mathematiker, die Eigenschaften aller Dreiecke darzuthun. Das bekannte Verfahren der Induktion, bei der von einer grösseren oder geringeren Zahl von Einzelfällen ausgegangen und aus ihnen mit grösserer oder geringerer Wahrscheinlichkeit auf einen allgemeingültigen Sachverhalt geschlossen wird, kommt ebenso wie das Verfahren der Generalisation nur dann zur Anwendung, wenn die Umstände und Verhältnisse sehr verwickelt und schwer überschaubar sind. »Die wahre Methode geht« nach Liebig (von Liebig, Franz Bacon und die Methode der Naturwissenschaften 1863 S. 47) »vom einzelnen Falle, nicht von vielen Fällen aus«. Das deutet auch Goethe an, wenn er (W. XXII. S. 264) sagt: »Was ist das Allgemeine? Der einzelne Fall. Was ist das Besondere? Millionen Fälle.«
Indes, was ist denn das Mittel für die Erfassung des Wesentlichen? Ein einfacher Blick des Geistes, über den freilich keineswegs jedermann verfügt. Eine grosse Anzahl selbst von den wissenschaftlichen Forschern hängen an Einzelheiten, Äusserlichkeiten, dringen nicht ein in den Kern der Sache, nicht in das, worauf es ankommt. Der Blödsinnige und Dumme ermangelt dieses Blickes gänzlich. Jener bleibt mit [pg 10] seinem sprunghaften Denken keinen Augenblick bei derselben Sache, dieser sieht, wie man zu sagen pflegt, vor lauter Bäumen den Wald nicht. Insbesondere zeigt dies der Ungebildete durch Heranziehung aller, auch der gleichgültigsten Nebenumstände bei Darstellungen und Erzählungen. Ihnen allen fehlt der Blick des Geistes für das Wesentliche.
Etwas dieser eigentümlichen Funktion des Bewusstseins Ähnliches haben wir in dem, was man in der Wissenschaft als Aperçu oder Intuition bezeichnet. Man muss darunter auch einen, wie man sagt, vorausschauenden Blick des Geistes verstehen, durch den die wissenschaftlichen Ergebnisse, die das Ende einer längren Gedanken- und Forschungsarbeit bilden und sie zum Abschlusse bringen, vorweggenommen oder unmittelbar aufgefasst werden. Freilich ist diese Vorwegnahme oder unmittelbare Auffassung keineswegs schon eine Erkenntnis. An sie anschliessend nimmt die eigentliche wissenschaftliche Gedanken- und Forschungsarbeit erst ihren Anfang, zunächst sozusagen bloss probierend und tastend. Aber dieses eigentliche wissenschaftliche Verfahren erhält doch durch das im voraus erfasste Ergebnis seine Richtung und sein Ziel. Ihm liegt die Aufgabe ob, für das Aperçu oder die Intuition den Beweis zu führen und sie dadurch zu einer wirklichen Erkenntnis zu erheben. Wir werden bald sehen, dass der Blick des Geistes, durch den wir die wesentlichen Merkmale gewinnen, darin mit dem wissenschaftlichen Aperçu und der wissenschaftlichen Intuition Ähnlichkeit hat, dass wir durch ihn und für sich allein noch keineswegs Erkenntnisse gewinnen.
Die wesentlichen (begrifflichen) Merkmale sind nicht aus den sinnlichen (vorstellungsmässigen) abzuleiten.
All unsrem Erkennen liegen Sinnenbilder zu Grunde. Auf das in den Empfindungen gegebene, das Sinnliche, Sinnfällige, muss, sei es zur Begründung, sei es zur Verdeutlichung unsrer Erkenntnisse, immer zurückgegriffen werden; zur Verdeutlichung insbesondere dann, wenn es sich um die Erkenntnis des Nichtsinnlichen, Geistigen handelt. Die Grundbestandteile dieses Sinnlichen, Sinnfälligen bilden die Sinnenbilder der [pg 11] Ausdehnung und Bewegung. Von beiden haben wir Tast- und Gesichtsbilder, auch von der Bewegung (etwa die Berührungsempfindungen von einem über die Hand kriechenden Sonnenkäfer), denen entsprechende Gesichtsempfindungen zur Seite gehen. Natürlich sind diese Bilder selbst ausgedehnt und bewegt und heissen nur uneigentlich Bilder von der Ausdehnung und Bewegung. Das deutet schon darauf hin, dass wir unter der Ausdehnung und Bewegung etwas andres verstehen müssen als diese sogenannten Sinnenbilder. Was wir unter Ausdehnung und Bewegung verstehen, das zeigen die Worte Ausdehnung und Bewegung an. Diese Worte sind sozusagen Zeichen für ein in uns vorhandenes ruhendes Wissen, eine Wissensdisposition, eine Fähigkeit, in Urteilen darzulegen, was Ausdehnung und Bewegung ist, oder wenigstens jederzeit diese Worte richtig anzuwenden. Wir wissen, dass die Ausdehnung eine Vielheit gleichzeitiger einander berührender Teile, die Bewegung eine Vielheit aufeinander folgender, ineinander übergehender Teile umfasst. Gleichzeitige Vielheit und Berührung, aufeinander folgende Vielheit und Übergang, das sind die Bestandteile der Begriffe Ausdehnung und Bewegung, die wesentlichen (begrifflichen) Merkmale der Ausdehnung und Bewegung. Aber sind diese Merkmale nicht schon in den Sinnenbildern der Ausdehnung und Bewegung vorhanden, nicht in ihnen unmittelbar gegeben, sodass sie sich also von den sinnfälligen, sinnlichen gar nicht unterscheiden oder höchstens doch durch eine in Gestalt von Worten vermittelte Umformung aus ihnen abgeleitet werden könnten? Wenn die Sinnenbilder selbst ausgedehnt und bewegt sind, so sind diese Merkmale so in ihnen enthalten, wie in jedem andren Ausgedehnten und Bewegten. Aber um sie zu finden, dazu bedarf es eben eines Finders, der von den sinnlichen Empfindungen selbst verschieden ist, eben jenes Blickes des Geistes, dem wir die Gewinnung der wesentlichen Merkmale zuschreiben. Die Sinnenbilder an und für sich genommen sind nichts andres als Zusammensetzungen von Empfindungen, die je den Teilen der Netzhaut und Tasthaut entsprechen. Sie sind Zustände des Bewusstseins, die noch gar nicht einmal einen gegenständlichen Charakter haben, noch nicht einmal als Objekte uns gegenübertreten. [pg 12] Unsrem entwickelten Bewusstsein erscheint freilich ihre Gegenständlichkeit als etwas Selbstverständliches; aber doch nur darum, weil ihnen der Finder, der Blick des Geistes, gegenübersteht.
Wie werden ursprünglich aus den, sagen wir einmal bloss subjektiven Empfindungen – an sich genommen sind die Empfindungen ja weder subjektiv noch objektiv – Vorstellungen? Wie es scheint auf folgendem Wege. Mit den Bewegungen unsrer eigenen Glieder sind Willensimpulse verbunden; sie kehren regelmässig bei den sogenannten willkürlichen Bewegungen wieder und associieren sich so mit den Sinnenbildern der Ausdehnung und Bewegung dieser Glieder. Wenn nun Sinnenbilder der Ausdehnung und Bewegung, mit denen diese Willensimpulse nicht verbunden sind, in uns auftreten, so wird das Gedächtnisbild dieser Willensimpulse reproduziert und auch diesen Sinnenbildern unterlegt. So treten dann diese Sinnenbilder als Willensdinge den Sinnenbildern, die von vornherein mit den Willensimpulsen verbunden sind, gegenüber. So erhalten diese erstren Sinnenbilder diesen letztren gegenüber, wie es scheint, ursprünglich einen gegenständlichen Charakter, oder, wie wir ohne Gefahr des Missverstandenwerdens besser sagen, sie werden zu Vorstellungen. Gegenstände im eigentlichen Sinne als das dem Geiste Gegenüberstehende giebt es für ihn erst auf Grund des Urteils.
Wir nannten die Sinnenbilder, mit denen associativ Willensimpulse verbunden sind – auch von den Sinnenbildern, mit denen sie ursprünglich verbunden sind, können wir das Gleiche sagen, – Willensdinge. Es ist bekannt, dass die Wilden ebenso wie unsere Kinder und Dichter alles als belebt und beseelt, alles als mit Gefühl und Willen ausgestattet, auffassen. Diese Animismus genannte Erscheinung hält natürlich der fortschreitenden Erfahrung gegenüber nicht Stand. Der geworfene Stein und die freifliegende Taube werden bald unterschieden. Von dem Willensding bleibt dann nur übrig, 1. dass es einen Raum ausfüllt, der nicht zugleich mit ihm von einem andren Dinge eingenommen werden kann – das Willensding wird zur Substanz; 2. dass es jedem Eindringen in diesen Raum Widerstand entgegensetzt, also Einwirkungen ausübt – das Willensding [pg 13] wird zur Ursache. Man könnte denken, diese wesentlichen (begrifflichen) Merkmale der Dinge im engren Sinne seien wieder unmittelbar in den mit Willensimpulsen verbundenen Sinnenbildern der Sinnendinge gegeben. Aber auch hier gilt: es bedarf des Finders, des Blickes des Geistes, und erst dieser schafft, erzeugt, freilich nicht willkürlich, sondern im engen Anschluss und gemäss dem Sinnenbild, in seiner Thätigkeit von ihm bedingt und bestimmt, das wesentliche oder begriffliche Merkmal. Das Finden, Erblicken, auf geistigem Gebiete ist eben nicht ein materielles Aufnehmen sondern ein Erzeugen, ein Schaffen. Allein, sollte man nicht annehmen dürfen, dass wir diese begrifflichen Merkmale nur durch die urteilende Thätigkeit gewinnen? Zumal wir ja die Vielheit der Teile des Ausgedehnten und der Bewegung anscheinend nur durch Unterscheidung der Teile im Urteile erhalten. Diese Unterscheidung im Urteil setzt die Erfassung der Teile als einzelner, sozusagen eine Unterscheidung durch den einfachen Blick des Geistes voraus. In der durch diese Unterscheidung gegebenen Vereinzelung sind die Teile im Sinnenbilde der Ausdehnung und Bewegung nicht vorhanden, sondern können erst durch den Blick des Geistes gewonnen werden. Dasselbe gilt dann natürlich auch von dem Moment der Berührung und des Übergangs, den andern begrifflichen oder wesentlichen Merkmalen der Ausdehnung und Bewegung, in denen die einzelnen Teile zu zweien zusammengefasst werden. Gewiss kommt in unsrem entwickelten Bewusstsein wie jene Vereinzelung so auch diese Zusammenfassung im Urteil zum Ausdruck. Aber wie die im Urteil gegebene Vereinzelung, so setzt auch die in ihm gegebene Zusammenfassung den einfachen Blick des Geistes, dem wir die Gewinnung der wesentlichen Merkmale zuschreiben, voraus. Diese durch den einfachen Blick des Geistes sich vollziehende Vereinzelung und Zusammenfassung erzeugt neue gedankliche Gebilde im Geiste, eben die wesentlichen, begrifflichen Merkmale, die wir mit den Worten gleichzeitige, aufeinanderfolgende Vielheit, Berührung, Übergang bezeichnen und die die Grundlage der betreffenden unterscheidenden und zusammenfassenden Urteile bilden.
Wir können nicht zugeben, dass die wesentlichen Merkmale, [pg 14] aus denen der Begriff nach allgemeiner Annahme besteht, in den Sinnenbildern oder Vorstellungen in dem hier erklärten Sinne wirklich enthalten sind. In andren Fällen tritt uns das noch deutlicher entgegen. Wir haben Sinnenbilder vom Punkt, der keine Ausdehnung hat, von der Linie, die nur eine Ausdehnung, von der Fläche, die nur zwei Ausdehnungen hat, von einem luftartigen Gebilde als dem Geiste, der den ausschliessenden Gegensatz zu allem Körperlichen ausmacht. Es ist einleuchtend, dass die hier genannten wesentlichen Merkmale des Punktes, der Linie, der Fläche, des Geistes nur durch Negation des in den betreffenden Sinnenbildern Enthaltenen gewonnen werden können. Die Negation im eigentlichen Sinne hat nur im negativen Urteile ihre Stelle, aber diese im negativen Urteil gegebene Negation setzt den Blick für das, was anders ist, als das, was negiert wird, voraus.
Das Wesen der Dinge.
Aber wir haben immer noch nicht erklärt, was das Wesentliche eigentlich ist oder worin das Wesen der Dinge besteht. Am einfachsten scheint die Sache bei den mathematischen Gebilden zu liegen. Das Wesen eines Kreises, einer Ellipse besteht natürlich nicht in der gezeichneten und von uns gesehenen Linie, viel eher in der mathematischen Formel, durch welche das Verhältnis der Linie zu dem einen Mittelpunkt des Kreises und zu den beiden Mittelpunkten der Ellipse bestimmt wird, in dem Gesetze des Kreises und der Ellipse. Sicher kommt die mathematische Formel dem Wesen des Kreises und der Ellipse näher als die gezeichnete und gesehene Linie, die, um gezeichnet und gesehen zu werden, im Widerspruch mit sich selbst mehrere Ausdehnungen haben muss. Aber macht die mathematische Formel das ganze Wesen des Kreises und der Ellipse aus? Sie gehören doch zu den Kegelschnitten und nehmen innerhalb derselben eine bestimmte, durch neue Formeln festgelegte Stellung ein. Diese gehört nicht minder zu ihrem Wesen. Sie sind Linien, und Linien begrenzen Flächen; Flächen begrenzen Körper, Körper nehmen hinwiederum in der Gesamtheit des Wirklichen eine Stellung ein, an der auch die [pg 15] Linien teilnehmen. Auch diese Stellung zur Gesamtheit des Wirklichen gehört zum Wesen des Kreises und der Ellipse, ja es ist einleuchtend, dass sie ihr eigentliches Wesen bilden muss, da aus ihr die Einzelstellung dieser mathematischen Gebilde und somit ihre mathematische Formel sich ergiebt und abgeleitet werden kann. Was vom Wesen des Kreises und der Ellipse gilt, wird vom Wesen aller Dinge behauptet werden müssen. Eine rohe Auffassung sieht in diesem Wesen einen beharrlichen, unveränderlichen Seinskern, an dem sich die mit dem Begriffe des Dinges verträglichen Veränderungen vollziehen sollen. Einen solchen unveränderlichen Seinskern giebt es nicht in den Dingen. Die Veränderungen sind Veränderungen der Dinge, nicht an den Dingen. Man kann sich auch nicht auf den Begriff des Dinges berufen, um die mit seinem Wesen verträglichen Veränderungen des Dinges zu gewinnen. Denn der Begriff, der die wesentlichen Merkmale umfasst, setzt das Wesen des Dinges voraus. Das unveränderlich sich Gleichbleibende in den Dingen ist ihre Stellung zur Gesamtheit des Wirklichen. Sie verleiht den Dingen eine überzeitliche Geltung und eine ewige Bedeutung; in ihr besteht das Wesen der Dinge, und dieses Wesen ist mit ihrer Wahrheit ein und dasselbe. Wie die Wahrheit, so ist darum auch das Wesen unveränderlich und ewig. In diesem höchsten Sinne giebt es von jedem Ding nur Einen Begriff. Er ist der Ausdruck für seine Stellung in der Gesamtheit des Wirklichen, oder, wie wir auch sagen können, für seine Stellung in dem System der Wahrheit. Natürlich ergiebt sich auch aus der Stellung eines Dinges in der Gesamtheit des Wirklichen, welche Veränderungen es durchlaufen kann, oder welche Veränderungen für die Geltendmachung dieser Stellung erforderlich sind.
Der Begriff der Philosophie.
Können wir wirklich für unser Erkennen das Eindringen in das Wesen der Dinge in diesem Sinne als Aufgabe in Anspruch nehmen? Geht eine solche Aufgabe nicht über die Kraft des Erkennens hinaus? Gilt das Wesen der Dinge nicht mit Recht für unerkennbar? Haben wir beispielsweise vom [pg 16] Wesen der Farbe eine Erkenntnis? Die Physiker sagen, die Farben seien Ätherschwingungen; die Physiologen nennen sie Empfindungen. Aber weder die einen noch die andren können uns sagen, was es mit den Ätherschwingungen und Empfindungen eigentlich auf sich hat, was ihr Wesen ist. Das Wesen der Farbe würden wir erst dann erkannt haben, wenn wir den ursächlichen Zusammenhang zwischen den Ätherschwingungen und unsren Empfindungen und den Zweckzusammenhang zwischen beiden verstanden hätten, wenn wir wüssten, warum die Ätherschwingungen die Farben erzeugen und wodurch sie das vermögen. Davon aber sind wir sehr weit entfernt. Wir wissen nicht, wie die durch die Ätherschwingungen erzeugten Gehirnvorgänge es machen, dass die von ihnen ganz verschiedenen Farbenempfindungen auftreten, und noch weniger, warum es der toten und gleichmässigen Ätherschwingungen bedarf, um die ganze Farbenwelt hervorzuzaubern, die der Kunst der Malerei ihre Existenz verleiht. Noch weniger können wir das Wesen des Menschen erkennen. Platon nannte den Körper den Kerker und das Grab der Seele, moderne Physiologen betrachten das Bewusstsein als ein überflüssiges und unbequemes Nebenprodukt. Die Frage, warum der den Geist so oft behindernde Körper mit dem den Körper so oft zum Siechtum verurteilenden Bewusstsein verbunden ist, wird heutzutage kaum gestellt. Erst die Beantwortung dieser Frage würde uns Aufklärung über das Wesen des Menschen geben. Aber wenn wir das Wesen der Dinge gar nicht erkennen können, warum denn von dieser Erkenntnis reden und von ihr so viel Aufhebens machen? Wir antworten: das Ziel des Erkennens ist unzweifelhaft das Wesen der Dinge, und wer die richtige Darstellung vom Erkennen geben will, darf dies sein Ziel nicht ausser Acht lassen; mag das Erkennen dasselbe auch nur unvollkommen und annähernd erreichen. Man hat die Philosophie nicht mit Unrecht als die Wissenschaft vom Wesen der Dinge bezeichnet. Man muss sie folgerichtig auch als die Wissenschaft der Fragen bestimmen, denn sie steht mitten im Fragen und kommt aus dem Fragen gar nicht heraus. Aber ist das etwa eine ihrer unwürdige Bestimmung? Ist die richtig gestellte Frage und das Bewusstsein, [pg 17] sie nicht beantworten zu können, wirklich wertlos? Jedenfalls ist diese Bestimmung ehrenvoller für die Philosophie, als wenn man sie, ihrer gegenwärtigen Lage nicht ganz unangemessen, als die Wissenschaft charakterisiert, in der jeder eine andere Meinung hat.
Dass die Philosophie die Wissenschaft der Fragen ist, zeigt sich besonders, wenn wir den Begriff des Erkennens ins Auge fassen. Man spricht von Erscheinung im Gegensatz zum Wesen und unterscheidet die Erscheinung im metaphysischen und erkenntnistheoretischen Sinne. Unter der erstren sind die Veränderungen der Dinge zu verstehen, die sich natürlich aus ihrer Stellung in der Gesamtheit des Wirklichen ergeben und darum aus ihrem Wesen erklären lassen. Unter der letztren sind die Denkvorgänge im weitesten Sinne des Wortes, die auch und in erster Linie die sinnlichen Empfindungen umfassen, zu verstehen. Sie vermitteln das Erkennen, und insofern sie das wirklich oder vermeintlich thun, gelten sie als Erscheinung der Dinge in uns. Was hat es mit dieser Erscheinung der Dinge in uns, diesen Denkvorgängen, die das Erkennen vermitteln, auf sich? Was hat das Erkennen zu bedeuten, was ist sein Wesen? Nur eine blosse Abspiegelung, eine müssige Wiederholung der Dinge im Bilde? Sind auch die für unsre Erfassung des Wirklichen so notwendigen Ortsbestimmungen, die einerseits feste Punkte voraussetzen und anderseits sich doch in lauter Beziehungen auflösen, und ebenso die Zeitbestimmungen, von denen das Gleiche gilt, Bilder einer von ihnen unabhängig bestehenden Wirklichkeit? Dem Bilde ist es eigentümlich, den Gegenstand so wiederzugeben, wie er unabgebildeterweise ist. Wäre das Erkennen nur ein Bild des Wirklichen, so würden wir den Begriff des Dinges an sich nicht entbehren können. Um ihn zu vermeiden, mussten wir eine unauflösliche Verbindung des Erkennens mit seinem Gegenstande, der Wahrheit annehmen. Aber erst, wenn wir die Art dieser Verbindung zu bestimmen vermöchten, würden wir das Wesen des Erkennens erkannt haben, mit ihm auch die Bedeutung der für unsere Erfassung des Wirklichen so notwendigen Orts- und Zeitbestimmungen.
[pg 18]Die Wahrheit das höchste Gut.
Insofern die Philosophie als Wissenschaft vom Wesen der Dinge und vom System der Wahrheit bezeichnet werden muss, ist sie auch die Wissenschaft vom höchsten Gute: denn die Wahrheit ist in der That das höchste Gut, dasjenige, wodurch alles andere Wert erhält. Wertvoll wird etwas nicht etwa dadurch, dass es der Wahrheit nicht ermangelt, sondern geradezu durch seine Wahrheit. Dass wir etwas aus sittlichen Gründen thun sollen, dass etwas schön ist, gilt natürlich nur insoweit, als eben dies Thun-sollen und das Schön-sein wahr ist. Wie wir gewöhnlich sagen, es gilt nur, wenn das sittlich Gebotene wahrhaft oder wirklich sittlich, das für schön erklärte wahrhaft oder wirklich schön ist. Wahrhaft und wirklich gut oder schön ist etwas nur dann, wenn es dem allgemein für alle Denkenden und für alle Zeit gültigen, dem in diesem Sinne objektiv gültigen Begriffe des sittlich Guten und des Schönen entspricht. Mit diesem Begriff würde sich unser Begriff vom sittlich Guten und Schönen erst decken, wenn wir ihn in seiner Stellung im System der Wahrheit erkannt hätten. So lange und so weit dies nicht der Fall ist, bleibt er missverständlich und einseitig; so lange ist er darum kein unzweideutiger und vor allem kein vollständiger Ausdruck des wahrhaft und wirklich Guten und Schönen. Für unsren Begriff des sittlich Guten und des Schönen, sofern er wirklich wesentliche Merkmale enthält, gilt: nicht ohne ihn giebt es etwas Gutes und Schönes. Für den Begriff des sittlich Guten und Schönen im System der Wahrheit gilt hingegen: nur durch ihn ist etwas schön, ist etwas gut. Auch das Gute und Schöne erhält seine Wahrheit und Wirklichkeit lediglich durch seine Stellung im System der Wahrheit oder dadurch, dass es in diesem System eine Stelle hat. Ähnlich wie vom sittlich Guten und Schönen sprechen wir auch von einem wahren, wirklichen Israeliten, von einem wahren, wirklichen Menschen, von wahrem, wirklichem Golde u. s. w. Der hier als Massstab zugrundeliegende Begriff, ein Soll-Begriff oder Idealbegriff, wird in allen diesen Fällen von uns als etwas Allgemeingültiges geltend gemacht oder in Anspruch genommen, als etwas, das alle anerkennen müssen, und [pg 19] weist damit auf den ihm im System der Wahrheit entsprechenden Begriff hin.
Was wahrhaft und wirklich ist, wird dadurch über die Vergänglichkeit und Veränderlichkeit hinausgehoben; es ist nicht bloss etwas Scheinbares, nicht etwas zum Verschwinden Bestimmtes, nicht etwas Nichtseinsollendes. Aber wenn dem Scheinbaren, dem Nichtseinsollenden auch kein Wert und keine Wahrheit zukommen soll, so ist es doch nichtsdestoweniger eine Wirklichkeit. Wie ist das möglich? Auch das Vergängliche und Veränderliche, worin immer es besteht, ist nur wirklich durch seinen überzeitlichen Charakter, durch seine ewige Bedeutung. Sollen wir auch dem bloss Scheinbaren, dem Zufälligen, dem Nichtseinsollenden einen überzeitlichen Charakter und eine ewige Bedeutung zuschreiben? Wirklich kann es nur durch diesen seinen überzeitlichen Charakter und seine ewige Bedeutung sein; nur durch sie wird es über den blossen inhaltleeren Schein, über den blossen sinnlosen Zufall hinausgehoben, wie der Schatten nur sein kann, indem er sich an die Dinge der Umgebung dessen heftet, von dem er ausgeht. Das Scheinbare, Nichtseinsollende, Zufällige ist, wie später klar werden wird, das nicht wahrhaft und wirklich sondern nur anmasslich und vorgeblich Selbständige, das die geliehene Selbständigkeit als wirkliche gebraucht und damit zum Schein herabsetzt.
Die Bestandteile des Erkenntnisvorgangs.
Was wesentlich ist, ist einem Ding – das Wort im weitesten Sinne genommen – wesentlich, es ist ihm zugehörig und gehört mit ihm zusammen. So führt der Begriff des Wesentlichen auf den des Zusammengehörigen zurück. Das zeigt sich insbesondere, wenn wir den alles Wesentliche zusammenfassenden Begriff des Wesens der Dinge näher betrachten. Die Stellung der Dinge in der Gesamtheit des Wirklichen, d. h. also ihre Zusammengehörigkeit mit allem Wirklichen, macht das Wesen der Dinge aus. Die Zusammengehörigkeit ist der Grundbegriff des Erkennens, in dem uns seine wesentlichste Seite kund wird; das Wesen der Dinge und ihre Wahrheit ist sein Ziel, aber nur durch Erfassung des Zusammengehörigen wird es erreicht.
Das, was zusammengehörig oder wesentlich ist, muss sorgfältig unterschieden werden von seiner Zusammengehörigkeit oder Wesentlichkeit. Wir erfassen dasselbe mit einem Blick des Geistes, über den das entwickelte Bewusstsein verfügt. Es ist vor allem wichtig zu beachten, dass dieser Blick nicht als eine Erkenntnis betrachtet werden kann. All unser Erkennen setzt ein Vorgefundenes voraus, nicht als seine Quelle, sondern als Ausgangspunkt für eine Reihe von Thätigkeiten, die ihm vorangehen. Diesen Ausgangspunkt, also das Vorgefundene, bilden die Empfindungen und die aus ihnen zusammengesetzten [pg 21] Sinnenbilder. Auch die Willensdinge, die durch blosse Association der Sinnenbilder der Ausdehnung und Bewegung mit den Willensimpulsen entstehen, ferner die ersten Vorstellungen, die wir von einem uns Gegenüberstehenden gewinnen, gehören, wie die Sinnenbilder selbst zu den Voraussetzungen des Erkenntnisvorganges und können insofern dem Vorgefundenen zugerechnet werden.
Durch den Blick des Geistes, der eine besondere Art der Abstraktion bildet, gewinnen wir den Begriff oder die wesentlichen Merkmale dieser Willens- oder Sinnendinge. Natürlich belehrt uns dieser Begriff in keiner Weise darüber, was den Sinnendingen für die Gesamtheit des Wirklichen für eine Bedeutung zukommt. Hier zeigt sich insbesondere, dass die vielen Begriffe, auch wenn sie die wesentlichen Merkmale umfassen, also wirkliche Begriffe sind, von dem eigentlich einzig und allein diesen Namen verdienenden Begriff, der die Stellung des Einzelnen im System der Wahrheit bestimmt, ganz und gar verschieden sind. Zur Gewinnung dieses Begriffs bedarf es eines sozusagen alles zusammenschauenden Blicks; für die Gewinnung jener Begriffe genügt der in Gedanken trennende Blick. Diese in Gedanken sich vollziehende Trennung ist der eigentliche Sinn der Abstraktion, des lateinischen abstrahere, des griechischen aphaireisthai, nicht das Absehen, viel eher das Hinsehen und Festhalten des einen, mit Vernachlässigung und Beiseitesetzung des andren im Denken. Es ist klar, dass ein solches Trennen, gedankliches Isolieren ein neues gedankliches Gebilde eben das auf diese Weise Getrennte und Isolierte und zugleich Festgehaltene erzeugen, erschaffen muss. Die so erzeugten, geschaffenen Gebilde sind Einzelgebilde des Denkens und als solche im Denken vorhanden, nicht erst in Urteilen gegeben. Wenn man den Nachdruck auf das Absehen, Fallenlassen, das leicht als Ausscheiden, Verneinen gefasst werden kann, legt, so liegt der Gedanke nahe, diese wesentlichen Merkmale seien für uns nur in negativen Urteilen vorhanden. Aber das widerspricht einerseits der Selbstbeobachtung, der Reflexion auf das, was wir thun, wenn wir diese Gebilde festhalten: es ist ein einfaches Hinsehen, Hinblicken, dessen thatsächlicher Nebenerfolg das Absehen freilich bildet, aber ohne als besonderer Vorgang [pg 22] hervorzutreten. Anderseits setzen diese negativen Urteile bereits die Isolierung der wesentlichen und unwesentlichen Merkmale also eben diese isolierten Gebilde voraus. Durch diese Isolierung gewinnen wir die wesentlichen Merkmale, die zu dem Sinnen- oder Willensding gehören: Ausdehnung, Bewegung, Nebeneinander, Nacheinander, Substanz, Kausalität. Was die Bedeutung dieser Worte ist, können wir freilich nur in Urteilen angeben; aber daraus folgt nicht, dass wir den Gedankengehalt dieser Worte auch nur durch Urteile gewinnen. Die Urteile, in denen wir die Bedeutung dieser Worte darlegen, setzen vielmehr die entsprechenden Einzelgebilde des Denkens voraus, in denen das in den Urteilen Verbundene isoliert wird. Diese gedanklichen Einzelgebilde schafft, erzeugt der Blick des Geistes, aber er entdeckt und findet sie zugleich. Das, was er findet und entdeckt, ist jedenfalls von dem Vorgefundenen verschieden, es ist eine Zuthat zu dem Vorgefundenen, die freilich nicht willkürlich sondern ihm angemessen ist. Mit dieser Zuthat ist das in der Empfindung Gegebene, das Vorgefundene jedenfalls überschritten. Sie ist das, was wesentlich ist, das, was zusammengehörig ist, wesentlich dem Dinge, zusammengehörig mit dem Ding, in dessen Besitz wir zunächst durch den genannten Blick unseres Geistes gesetzt werden.
Die zweite über das Vorgefundene hinausgehende Stufe, die aber auch noch nicht als eigentliche Erkenntnis betrachtet werden kann, besteht darin, dass sich unsrem Bewusstsein die Wesentlichkeit des Wesentlichen, die Zusammengehörigkeit des Zusammengehörigen aufdrängt, dass der Gedanke daran sich als unabweislich darstellt. Das Sichaufdrängen der Zusammengehörigkeit und Sichalsunabweislichdarstellen darf nicht falsch verstanden werden. Es ist ein Einleuchten und hat darum mit äusserem Zwange, der uns die Empfindungen aufdrängt, oder mit innerer Nötigung, die wir erfahren, wenn uns ein Gedanke verfolgt, nichts zu thun. Es wendet sich einfach an die Vernunft des Menschen.
Nun folgt als dritte Stufe die eigentliche Erkenntnis, die in der Einsicht der Zusammengehörigkeit oder der Wesentlichkeit besteht. Selbstverständlich ist der sich unabweislich [pg 23] aufdrängende Gedanke oder das Einleuchten etwas von der Einsicht Verschiedenes. Nur in der Einsicht kann die Erkenntnis bestehen. An die Einsicht schliesst sich als vierte Stufe das Urteil an, das sich ganz auf die Einsicht stützt und nur als gedanklicher Ausdruck der Einsicht aufgefasst werden kann. Als fünfte Stufe folgt das Bewusstsein von der Objektivität des Urteils oder das Bewusstsein der Wahrheit des Urteils, das seinen Grund in der zweiten Stufe, dem Einleuchten der Zusammengehörigkeit hat. Es folgt als sechste Stufe die Gewissheit, der Gegensatz des Zweifels, der allen Zweifel ausschliesst und dem Bewusstsein die Festigkeit verleiht, wie der Zweifel dasselbe ins Schwanken bringt. Es ist nach dem Zeugnis der Reflexion ganz offenbar, dass die Einsicht, der eigentliche Erkenntnisakt, von ihrem gedanklichen Ausdruck im Urteil verschieden ist. Weniger deutlich giebt sich kund, dass von der Einsicht auch der Zustand der Gewissheit und das Bewusstsein der Wahrheit verschieden ist; aber beide setzen die Erkenntnis als vollendet voraus und dürfen darum nicht mit der Einsicht verselbigt werden.
Das Urteil entspricht dem Finden der wesentlichen Merkmale durch den Blick des Geistes. Wie durch das letztere ein Einzelgebilde des Denkens erzeugt wird, so durch das erstere eben jene Urteil genannte Verbindung, sei es eines Sinnenbildes, sei es eines Einzelgebildes des Denkens mit einem andren Einzelgebilde, eben dem wesentlichen Merkmal. Wie das Einzelgebilde des Denkens im Worte seinen Ausdruck findet, so die Urteil genannte Verbindung im Aussagesatze. Aber sowohl das Einzelgebilde wie diese Verbindung sind gedanklicher Natur und müssen darum sorgfältig von dem sprachlichen Ausdrucke unterschieden werden. Der Auffindung des wesentlichen Merkmales folgt das Einleuchten und die Einsicht, dem Urteil das Bewusstsein der Wahrheit und die Gewissheit. Auch diese Glieder entsprechen sich: das Einleuchten dem Bewusstsein der Wahrheit und die Einsicht der Gewissheit. Es sind Zustände, nicht Schöpfungen des Bewusstseins, von denen Einleuchten und Bewusstsein der Wahrheit einen objektiven, Einsicht und Gewissheit einen subjektiven Charakter haben. Das Kennzeichen der Wahrheit besteht für uns in dem Einleuchten, [pg 24] der zweiten über das Vorgefundene hinausgehenden Stufe des Erkenntnisvorgangs. Es liegt nahe – und das geschieht oft genug – die Einsicht für das Kennzeichen der Wahrheit zu halten; wird doch das griechische enargein und das lateinische evidentia oft genug mit Einsicht wiedergegeben oder die Einsicht näher als das Einleuchten der Wahrheit erklärt. Natürlich kann unter dieser Voraussetzung nicht von einem criterium secundum quod ausser für die nachträgliche Reflexion, sondern nur von einem criterium quo cognoscitur die Rede sein. Wir verstehen unter dem Kriterium oder Kennzeichen der Wahrheit nicht diesen subjektiven Zustand der Einsicht sondern das Einleuchten, Sichaufdrängen der Zusammengehörigkeit, die Unabweislichkeit des Gedankens derselben, die natürlich etwas Objektives ist und darum auch die Objektivität des Urteils oder das Bewusstsein seiner Wahrheit begründen kann.
Die Gesetze des Erkennens.
Die Wahrheit, das Ziel des Erkennens ist nicht eine zusammenhanglose Summe von Teilen sondern ein Ganzes, in dem jeder Teil den andern bedingt und trägt, kein Chaos sondern ein System, und dieses System ist der Wahrheit so wesentlich, dass eine einzelne Wahrheit nur Wahrheit ist durch ihren Zusammenhang mit dem Ganzen. Man kann darum streng genommen nicht von einer einzelnen Wahrheit sprechen sondern nur von einem Reiche der Wahrheit. Die verschiedenen zusammengehörigen Wahrheiten als zusammengehörige, also ihre Zusammengehörigkeit zum Bewusstsein bringen, so den Zusammenhang aller Wahrheit herstellen, oder besser gesagt die Eine Wahrheit finden, das ist das Ziel des Erkennens. Die Ableitung und Erschliessung der einen Wahrheit aus der andren ist nur die Kehrseite dieses Zieles, seine bloss formale Folgeerscheinung, und von viel geringerer Bedeutung.
Das ist freilich ein hohes, ein allzuhohes Ziel. Der Zusammenhang aller Wahrheit, oder, was dasselbe ist, das Wesen der Dinge zu erkennen, den Einen Gedanken zu finden, der über alles Licht verbreitet, ist uns bis jetzt versagt. Wir müssen uns mit einzelnen Strahlen dieses Lichtes begnügen. Wir kommen [pg 25] nur wenig über die wesentlichen Merkmale der Dinge hinaus, und wenn wir darunter diejenigen verstehen, von deren Zugehörigkeit zu den Dingen wir eine Einsicht haben, reichen wir in vielen Fällen nicht einmal an diese heran. So tritt für unser Denken an die Stelle des Gesetzes der Zusammengehörigkeit, das uns die Aufgabe stellt, alle Wahrheiten in ihrer Zusammengehörigkeit und somit als die Eine Wahrheit zu erfassen, das Gesetz der Übereinstimmung, nach dem sich die Wahrheit und Falschheit unsrer einzelnen Urteile bestimmt. Wir unterscheiden vier, beziehungsweise acht Formen dieses Gesetzes, deren Wahrheit uns unmittelbar einleuchtet. Erstens, das Zugehörige muss zugesprochen werden. Zweitens, das Zugehörige darf nicht abgesprochen werden. Drittens, das Nichtzugehörige muss abgesprochen werden. Viertens, das Nichtzugehörige darf nicht zugesprochen werden. Zu dem Zugehörigen gehört auch das Enthaltene. Was in einem Subjekt enthalten ist, gehört zu ihm, aber nicht das Gegenteil gilt: was in einem Subjekt nicht enthalten ist, kann ganz wohl ihm zugehören. Daraus ergeben sich die vier weiteren nicht die Zugehörigkeit sondern das Enthaltensein betreffenden Formen. Fünftens, das Enthaltene muss zugesprochen werden. Sechstens, das Enthaltene darf nicht abgesprochen werden. Siebentens, das Nichtenthaltene darf nicht als enthalten zugesprochen werden. Achtens, das Nichtenthaltene muss als enthalten geleugnet werden. Der Zusatz als enthalten in sieben und acht ist notwendig, weil auch das Nichtenthaltene zugehörig sein kann. Was immer zugesprochen oder abgesprochen wird, wird als zugehörig zugesprochen oder abgesprochen; deshalb bedarf es des Zusatzes als zugehörig in drei und vier nicht, er ist ohne weiteres in diesen Formen eingeschlossen. Setzen wir voraus, dass das negative mit dem unendlichen Urteil: der Mensch ist nicht sterblich – ist unsterblich; der Kreis ist nicht rund – ist nichtrund, dieselbe Bedeutung hat, so ergiebt sich, dass die Formen zwei und drei und die Formen sechs und sieben dasselbe ausdrücken. Man kann sie im Gegensatz zu dem Gesetze der Übereinstimmung als Formen des Gesetzes des Widerspruches bezeichnen, das eigentlich nur die negative Seite des Gesetzes der Übereinstimmung bildet. Es ist ein [pg 26] Widerspruch nicht bloss das Nichtenthaltene als enthalten zu behaupten, wie es die siebente Form, sondern auch das Nichtzugehörige als zugehörig zu behaupten, wie es die dritte Form verbietet.
Nicht bloss, was in einem Subjekt enthalten ist, kommt ihm zu, sondern auch das nicht in ihm Enthaltene, sofern es zu ihm gehört. Würde nur das erstere ihm zukommen, so gäbe es keinen Fortschritt im Erkennen. Aber giebt es etwas nicht in einem Subjekt Enthaltenes, das trotzdem zu ihm gehört? Ohne Zweifel, wenigstens für alle diejenigen, welche Sinnenbild und Vorstellung von dem Begriff, der die wesentlichen Merkmale umfasst, unterscheiden und von diesen wesentlichen Merkmalen behaupten, dass sie nicht in den Sinnenbildern oder Vorstellungen enthalten sind. Fassen wir unter dieser Voraussetzung das Subjekt unter der Vorstellung auf und legen ihm ein wesentliches Merkmal bei, oder fassen wir es unter einem wesentlichen Merkmal auf und legen ihm ein anderes wesentliches Merkmal bei, so schreiben wir offenbar dem Subjekt etwas zu, das nicht in ihm enthalten ist. Natürlich kommt dem Subjekt auch das zu, was in ihm enthalten ist, und so ergiebt sich als besonderer Fall des Gesetzes der Übereinstimmung das Gesetz des Enthaltenseins, das die Formen fünf bis acht umfasst.
Es giebt sehr vieles, was in einem Subjekt nicht enthalten ist und ihm doch nicht abgesprochen werden darf, vielmehr zugesprochen werden muss. Freilich liegt es sehr nahe, alle Urteile für analytische oder Erläuterungsurteile, d. h. auf dem Verhältnis des Enthaltenseins beruhende Urteile zu halten, wenn man bloss auf den gedanklichen Ausdruck der Urteile achtet. Allein diesem gedanklichen Ausdruck, der immerhin als blosse Analyse betrachtet werden mag, liegt eine Synthese zugrunde. Wir denken, ehe wir urteilen, das Subjekt unter dem Gesichtspunkt des Prädikats. Die Zusammengehörigkeit beider drängt sich uns auf, wir sehen sie ein, und nun machen wir sie im Urteil geltend. Das alles sind wahre Synthesen, sie kehren bei allen Urteilen, die für den Fortschritt unsres Erkennens von Bedeutung sind, wieder. Fasst man das so unter dem Gesichtspunkte des Prädikats gedachte Subjekt als [pg 27] eine Einheit auf, so ist das Urteil natürlich, wie es sich uns in seinem gedanklichen Ausdruck darstellt, ein bloss analytischer Vorgang. Wäre es bloss dies, dann gäbe es keinen Fortschritt in unsrem Erkennen, da alles Erkennen sich in Urteilen vollzieht, oder darin wenigstens seinen gedanklichen Ausdruck findet. Der Begriff des Enthaltenseins und des analytischen Verfahrens thut unsrem Erkennen nicht genüge; wir müssen ihn ersetzen durch den der Zusammengehörigkeit und der Synthese.
Vom Enthaltensein kann nur bei einander über- oder untergeordneten Begriffen die Rede sein; der übergeordnete Begriff ist in dem untergeordneten enthalten. Dieses Verhältnis gilt also nur für die sogenannten logischen Teile, für die Gattungs- und Artmerkmale, nicht für die metaphysischen Teile. Geschwindigkeit und Richtung sind nicht in der Bewegung enthalten, Stärke und Höhe nicht im Tone, sie sind Eigenschaften, notwendige Eigenschaften von Bewegung und Ton, ohne die beide nicht sein können, aber nicht Merkmale, die ihnen übergeordnet werden könnten; oder genauer, die eine Gattung bilden, der Bewegung und Ton untergeordnet sind. Das Verhältnis des Enthaltenseins ist das Verhältnis des Allgemeinen zum Besondren. Es ist nicht das einzige, nicht einmal das wichtigste Verhältnis für unser Erkennen. Die Inhaltsmerkmale oder Constitutive eines Begriffs sind in ihm wirklich enthalten; sie sind ausser dem letzten unterscheidenden Merkmale auch Merkmale des höheren, übergeordneten Art- oder Gattungsbegriffes, und verhalten sich darum zu dem Begriff in der That wie das Allgemeine zum Besondren. Der Gedanke liegt freilich nahe, dass dieses Verhältnis, wenn nicht das einzige, so doch das hauptsächlichste für unser Erkennen bildet. Gilt doch allgemein bei den Aristotelikern das Prädikat des Urteils als der allgemeinere Begriff und wird hiernach das Verhältnis von Subjekt und Prädikat als ein Subsumtionsverhältnis bestimmt. Statt der Baum blüht, sollen wir hiernach sagen, der Baum ist blühend, oder besser noch, ein blühendes Etwas; statt der Mensch ist sterblich, der Mensch ist ein sterbliches Wesen. Auf diese Weise wird freilich das Urteil in das Subsumtionsverhältnis eingespannt. Aber die Eigentümlichkeit der von diesem Verhältnis verschiedenen Verhältnisse von Ding [pg 28] und Vorgang, Ding und Eigenschaft werden dabei unterdrückt und beseitigt. Man muss die vier Kategorien von Begriffen unterscheiden: Ding, Eigenschaft, Vorgang, Beziehung. In jeder dieser Kategorien giebt es über- und untergeordnete Begriffe, aber man kann die Begriffe der einen Kategorie nicht denen der andren über- oder unterordnen. Der Vorgang hat das Eigentümliche eines zeitlichen Anfangs, Verlaufs und Endes, das einer Reihe von Veränderungen eines Veränderlichen gleichkommt. Die Eigenschaft hat das Eigentümliche eines Unselbständigen gegenüber einem Selbständigen, das an dessen Sein teilnimmt und ohne dasselbe nicht vorhanden sein kann. Die Beziehung hat das Eigentümliche, dass sie zwischen zwei Gliedern besteht und ohne diese Glieder nicht vorhanden sein kann. Überall handelt es sich hier um Verhältnisse, die vom Verhältnis des Allgemeinen zum Besondren oder vom Verhältnis des Enthaltenseins verschieden sind und für unser Erkennen eine viel wichtigere Rolle spielen. Die Eigenschaft ist das Endglied des Substanzverhältnisses, der Vorgang das Mittelglied des Ursachverhältnisses, die Beziehung das, was die Zusammenfassung der einzelnen Wahrheiten zu dem System oder Reiche der Einen Wahrheit ermöglicht.
Die einzige Möglichkeit, alles auf das Verhältnis des Enthaltenseins zurückzuführen, besteht darin, dass man auch die sogenannten negativen Merkmale als in den Dingen enthalten oder als Inhaltsmerkmale derselben betrachtet. Dann ist in jedem Gegenstande alles Aussagbare enthalten. Allein negative Merkmale setzen negative Urteile voraus und haben nur in ihnen Halt und Bestand. Durch diese negativen Urteile werden sie aber gerade von den betreffenden Gegenständen ausgeschlossen. Man müsste also das Ausgeschlossene als eingeschlossen, d. h. das, was nicht zum Inhalt gehört, als zum Inhalt gehörend, oder das, was nicht Bestandteil des Inhalts ist, als Bestandteil des Inhalts betrachten, wollte man die negativen Merkmale für Inhaltsmerkmale erklären. Heutzutage, wo wir so stark sind in dem Voraussehen der Konsequenzen im praktischen Leben sowohl wie in der Wissenschaft, dass wir darüber die Prinzipien kaum noch beachten oder ununtersucht auf sich beruhen lassen, ist es nicht zu verwundern, dass alles zur [pg 29] Analyse drängt und von Synthese nichts wissen will. Aber der Natur und dem Wesen des Erkennens geschieht damit nicht genüge. Das ist es, was wir betonen möchten.
Das Gesetz der Übereinstimmung, des Enthaltenseins und des Widerspruchs sind Gesetze für die Einzelurteile, aber auch die einzigen Gesetze, nach denen die Wahrheit und Falschheit der Einzelurteile bestimmt werden kann. Sie sind in allen ihren Formen, jede für sich genommen, unmittelbar einleuchtend. Das gewöhnlich aufgestellte Gesetz des ausgeschlossenen Dritten ist nicht Gesetz für ein Einzelurteil sondern nur für das Verhältnis zweier Urteile zu einander. Es lautet: Wenn von zwei Urteilen eins dasselbe bejaht, was das andere verneint, – so ist notwendig eins von beiden wahr, sie können nicht beide falsch sein, die Wahrheit ist nicht ein Drittes, von Bejahung und Verneinung nicht Betroffenes; – sie können nicht beide wahr sein, eins von beiden ist falsch, auch die Falschheit ist nicht ein Drittes, weder in der Bejahung noch in der Verneinung Ausgedrücktes. Nach diesem Gesetze folgt aus der Wahrheit von eins die Falschheit des Gegenteils von zwei, aus der Falschheit des Gegenteils von zwei die Wahrheit von zwei; und dasselbe gilt von drei und vier, von fünf und sechs, von sieben und acht. Eigentlich heisst das Gesetz nur: zwischen Bejahen und Verneinen giebt es kein Mittleres; Bejahen und Verneinen sind ausschliessende Gegensätze. Dass sie es sind, kommt uns bei einem Vergleiche von eins und zwei, drei und vier, fünf und sechs, sieben und acht zum Bewusstsein. Aber auch nur hier, wo es sich um das Einzelwirkliche handelt.
Gesetze des Erkennens. (Fortsetzung.)
Giebt es keine weiteren Gesetze des Erkennens? Die genannten Gesetze sind eigentlich nur Gesetze für das Einzelwirkliche; sie geben Bestimmungen über das, was zu ihnen gehört oder nicht zu ihnen gehört. Sofern dieses Einzelwirkliche das Subjekt der Urteile bildet, sind sie Gesetze der Urteile. Aber das Einzelwirkliche ist Glied der Gesamtwirklichkeit, und diese seine Stellung zur Gesamtwirklichkeit macht sein eigentliches Wesen aus. Es muss auch Gesetze für den [pg 30] Zusammenhang alles Wirklichen geben, den wir auf dem Wege des Schlusses erkennen. Diese Gesetze sind darum Gesetze des Schlusses. Es sind drei Gesetze: das Gesetz der Einheit, das Gesetz der Kausalität und das Gesetz des Grundes. Es ist eine alte Rede vom Einheitsstreben unserer Vernunft. Aber Einheit ist nicht Einerleiheit, nicht Dieselbheit, sogern das auch der Analytiker annähme. Die rein äusserlichen Orts- und Zeitbestimmungen, deren wir zur Unterscheidung des Einzelwirklichen von einander bedürfen, setzen feste Punkte in Raum und Zeit voraus, die dann aber sofort sich in lauter Beziehungen auflösen. Beziehungen ohne Beziehungsglieder sind undenkbar. Also muss ein über allen Zeit- und Raumbestimmungen stehendes Sein angenommen werden, das diesen Beziehungen Halt und Bestand giebt. Unser Bewusstsein, das ebenfalls dem Fluss der Zeit angehört, kann dieses Sein nicht ausmachen. Man kann sich auch nicht darauf berufen, dass Raum und Zeit etwa nur Formen unserer Anschauung sind. Das mag sein, eine Bedeutung für die Welt der Wirklichkeit kommt ihnen unzweifelhaft zu, mögen wir dieselbe kennen oder nicht. Zu dem gleichen Ergebnis führte schon den Aristoteles die Bewegung, die er als eine anfangslose betrachtete. Nehmen wir eine rückwärts sich erstreckende unendliche Zahl von Bewegungsgliedern an, von denen das nachfolgende Glied immer von dem vorausgehenden abhängt, so haben wir lauter abhängige Glieder; die unendliche Reihe ist so lange ohne Halt und Bestand, als wir nicht ein über ihr stehendes Unbewegtes, den unbewegten Beweger des Aristoteles annehmen, in dem die Bewegung ihren Grund hat, ohne dass er an ihr teilnimmt. Wir betonten früher, dass es keine Einzelwahrheit giebt und demnach auch strenggenommen keine einzelnen Wesen, da alles mit einander im Zusammenhang steht, und das Eine in dem Andern seine Stütze und seine Begründung findet. Das Reich der Wahrheit ist ein Ganzes, keine Summe von Teilen, kein wirres Durcheinander, sondern eine nach Gründen geordnete oder besser durch einen Begründungszusammenhang gegliederte Einheit. Jede Wahrheit hat ihren objektiven Grund, auch die unmittelbar einleuchtenden Thatsachen und Prinzipien, für die wir einen Beweis nicht führen können und die in sofern [pg 31] subjektiv für uns grundlos sind. Man könnte sich das Reich der Wahrheit nun als ein System von Gliedern denken, die sich gegenseitig stützen und tragen. Allein die Beziehung zur Erkenntnis ist der Wahrheit wesentlich. Die Wahrheiten sind keine Dinge an sich, die wir so erkennen, wie sie unerkannter Weise sind. Ihr Einheitspunkt ist darum das ihnen allen gemeinsame göttliche Erkennen oder Denken, an dem unser Erkennen teilnimmt. In ihm haben sie ihren letzten objektiven Grund, ganz verschieden von dem subjektiven Grund unserer Einsicht. In diesen Gedankengängen von den Zeit- und Ortsbestimmungen zu dem über Zeit und Ort Erhabenen, von der Bewegung zu dem unbewegten Beweger, von dem System der Wahrheiten zu dem Erkennenden und Denkenden, in dem es seinen Grund hat, macht sich das Einheitsgesetz unseres Denkens geltend. Es lautet: Das System der Wahrheit setzt einen Erkennenden voraus, in dem es seine Einheit hat.
Als weiteres Gesetz unseres Erkennens bezeichnen wir das Gesetz der Kausalität: Was anfängt zu existieren, setzt ein Anderes voraus, das bei seinem Anfange schon vorhanden ist und diesen Anfang ermöglicht – Gesetz der Ermöglichung. Das Gesetz der Kausalität verhält sich ähnlich zum Einheitsgesetz wie das des Widerspruchs zum Gesetz der Übereinstimmung. Wie das Gesetz des Widerspruchs zum Gesetze der Übereinstimmung hinüberleitet, so das Gesetz der Kausalität zum Einheitsgesetz. Meistens müssen wir uns mit der Wegräumung des Unwesentlichen begnügen, und dazu verhilft uns das Gesetz des Widerspruchs immer, auch wenn wir nicht im stande sind, das Wesentliche oder eigentliche Wesen der Dinge zu erkennen. Meistens müssen wir uns auch zufrieden geben mit der Herstellung des Kausalzusammenhangs der Dinge mittels des Kausalitätsgesetzes. Und diese Herstellung gelingt uns fast immer, wenn wir auch die Stellung der Dinge in der Gesamtheit des Wirklichen nach dem Einheitsgesetz nicht zu erkennen vermögen. Falsch ist die Formel des Gesetzes: Was anfängt zu existieren, setzt ein Anderes voraus, aus dem es notwendig hervorgeht. Diese Formel schiebt das Gesetz der Kausalität in das Gesetz des Grundes hinein, die Wirkung [pg 32] wird dadurch zur blossen logischen Folge herabgesetzt. Was immer unter dem causari verstanden werden mag, es ist verschieden von sequi. Das Gesetz der Kausalität in der von uns gegebenen Form ist unmittelbar evident. Es leuchtet uns unabweislich ein, dass kein Ding sich den Anfang seines Seins selbst geben kann, sondern eines Andern bedarf, das diesen Anfang ermöglicht, obgleich die erstere Annahme keineswegs einen Widerspruch einschliesst. Sicher wäre es widersprechend, wenn man annehmen wollte, ein Ding könne freilich nicht selbst seinen Anfang ermöglichen, und doch leugnete, dass dazu etwas von ihm Verschiedenes schon bei seinem Anfange Vorhandenes notwendig sei. Aber bedarf es einer Ermöglichung des Anfangs? Darüber sagt uns das Gesetz des Widerspruchs nichts. Das Gesetz der Kausalität bejaht die Frage, und diese Bejahung drückt seinen eigentlichen Sinn aus. Natürlich ist das Gesetz der Kausalität auch ganz etwas andres, als das von der Gleichförmigkeit des Naturlaufs, das auf induktivem Wege gewonnen wird, und als das viel weniger gesicherte Seitenstück desselben, dass alle Denkenden unter gleichen Umständen gleiche Urteile fällen. Das Gesetz von der Gleichförmigkeit des Naturlaufs ist nur eine Zusammenfassung unserer Erfahrungen von der Qualität der Ursachen oder Ermöglichungsgründe, worüber uns natürlich nur die Erfahrung und nicht das ganz allgemeine Gesetz der Kausalität oder Ermöglichung belehren kann. Von Evidenz kann bei dem Gesetze der Gleichförmigkeit keine Rede sein.
Als letztes Gesetz erwähnen wir das Gesetz des Grundes. Es lautet: Bei Bejahung des Grundes muss auch die Folge bejaht werden, und bei Verneinung der Folge muss auch der Grund verneint werden. Da eine Folge verschiedene Gründe haben kann, so gilt wenigstens nicht allgemein die Umkehrung des ersten Teiles des Gesetzes: Bei Bejahung der Folge muss auch der Grund bejaht werden. Da die Folge im Grunde enthalten ist, so gilt natürlich immer: Wenn die Folge, das Enthaltene, nicht vorhanden ist, so ist auch der Grund, das die Folge notwendig Enthaltende, nicht vorhanden. Es handelt sich hier offenbar lediglich um das Verhältnis des Enthaltenseins. Das Gesetz des Grundes ist nichts andres, als das Gesetz [pg 33] des Enthaltenseins in seiner Anwendung auf zwei oder mehrere Urteile, die sich wie Grund und Folge verhalten. Natürlich kann das Gesetz des Grundes ebensowenig wie das des Enthaltenseins zu einer Erweiterung unserer Erkenntnisse dienen und hat deshalb, wie dieses letztere, einen bloss formalen Charakter.
Wenn wir das in einem Subjekt Enthaltene von ihm leugnen, das in einem bejahten Urteil enthaltene andere Urteil leugnen, oder auch trotz der Verneinung des enthaltenen Urteils das enthaltende bejahen, so verstossen wir nicht bloss gegen das Gesetz des Enthaltenseins und gegen das Gesetz des Grundes sondern auch gegen das Gesetz des Widerspruchs: wir widersprechen uns selbst. Insofern kann man die Form, welche wir, die Verneinung zu Hülfe nehmend, dem Gesetze des Grundes geben können: Bei Bejahung des Grundes darf nicht die Folge verneint und bei Verneinung der Folge nicht der Grund bejaht werden, als dritte Form des Gesetzes des Widerspruchs bezeichnen. Das, was wir als erste Form des Gesetzes des Widerspruchs bezeichnen können: Das Nichtzugehörige nicht zusprechen oder als zugehörig bejahen, ist natürlich von etwas anderer Art als die dem Verhältnis des Enthaltenseins entsprechende zweite und dritte Form des Gesetzes. Wer gegen diese zweite und dritte Form verstösst, widerspricht sich selbst, wer hingegen gegen die erste Form verstösst, legt bloss einem Subjekt ein nicht zu ihm gehörendes Prädikat bei, das im Subjekt nicht enthalten ist, ihm also auch nicht widerspricht. Aber er legt doch ein nicht zugehörendes Prädikat als zugehörend bei und begeht in sofern einen Widerspruch.
Das Gesetz der Übereinstimmung, das Einheitsgesetz und das Gesetz der Kausalität sind Realgesetze, die den Fortschritt unsres Denkens ermöglichen und begründen, müssen darum als Gesetze des Erkennens im strengen Sinne bezeichnet werden; das Gesetz des Enthaltenseins und das Gesetz des Grundes sind Formalgesetze, nach denen der Inhalt der gewonnenen Erkenntnis zergliedert wird, also eigentlich Denkgesetze. Indes auch durch Verneinung des Nichtzugehörigen und ebenso auch durch Verneinung des Nichtenthaltenen findet entschieden ein Fortschritt des Erkennens statt. Insofern kann [pg 34] auch das Gesetz des Widerspruchs eine reale Bedeutung haben.
Erkenntnis und blinde Überzeugung.
Wir unterschieden den Blick, der die zusammengehörigen Merkmale entdeckt; das Sichaufdrängen oder Einleuchten der Zusammengehörigkeit; das Sehen, Wahrnehmen dieser Zusammengehörigkeit oder die Einsicht in dieselbe, worin der eigentliche Erkenntnisakt besteht; den gedanklichen Ausdruck der Zusammengehörigkeit im Urteil; das Bewusstsein der Objektivität oder Wahrheit des Urteils, das dem Einleuchten oder Sichaufdrängen der Zusammengehörigkeit entspricht; endlich die Überzeugung von der Wahrheit oder Gültigkeit des Urteils, die zur Gewissheit wird, wenn sie jeden Zweifel ausschliesst. Die thörichte Frage, ob das Ding so ist, wie wir es mit den leiblichen Augen sehen, stellen wir nicht, auch nicht die, ob ein solches Ding existiert, sondern die andere, was das Ding seinem Wesen, seiner Wahrheit nach ist. Das hängt natürlich von seiner Stellung in der Gesamtheit des Wirklichen ab und kann nur mit dem Auge des Geistes gesehen werden.
Das auf Einsicht beruhende Urteil und die auf Einsicht beruhende Überzeugung haben natürlich, wie die Einsicht selbst, in dem Einleuchten der Zusammengehörigkeit einen vernünftigen sie vollkommen rechtfertigenden Grund, der aber, wie wir sehen werden, keineswegs zwingend ist. Einsicht darf nicht mit Denknotwendigkeit verwechselt werden. Allein Urteil und Überzeugung können auch ohne vernünftigen Grund eintreten. Wir sprechen dann von blindem Urteil, blinder Überzeugung. Natürlich hat auch das blinde Urteil und die blinde Überzeugung einen Grund, nur keinen zureichenden, wirklich rechtfertigenden Grund. Ihr Grund besteht in den Gefühlen des Gefallens und Missfallens, der Abneigung und Zuneigung, in der durch die Meinung anderer, zu der auch die öffentliche Meinung gehört, entstehenden Gewöhnung, in den von dort her rührenden Vorurteilen der Familie, des Standes, der Nation, der Konfession, des Berufs, in der Erziehung, in ererbten und [pg 35] erworbenen Gehirndispositionen, endlich im Egoismus und Lebenstrieb, der sich im Wettbewerb und im Kampfe ums Dasein kundgiebt. Aus allen diesen Gründen entsteht zunächst ein blindes Urteilen, oder gedankliches Behaupten, das, wenn es oft genug wiederholt wird, eine blinde Überzeugung zur Folge hat, die freilich auch unmittelbar aus diesen Gründen, insbesondere aus den Gefühlen der Abneigung und Zuneigung, des Gefallens und Missfallens, dann aus dem Egoismus und Lebenstriebe hervorgehen kann. Diesem blinden Urteilen und Überzeugtsein folgt dann das vermeintliche Sehen, Wahrnehmen der Zusammengehörigkeit, die vermeintliche Einsicht in dieselbe, die natürlich keine Erkenntnis ist, weil sie des vernünftigen Grundes, auf dem alle Erkenntnis beruht, ermangelt. Die Erkenntnis ist wirkliche, nicht bloss vermeintliche Einsicht in die Zusammengehörigkeit und beruht auf dem Einleuchten dieser Zusammengehörigkeit. Diese wirkliche Einsicht geht immer dem Urteil, der gedanklich behaupteten Zusammengehörigkeit, voran und unterscheidet sich dadurch wesentlich von der vermeintlichen Einsicht. Wie solche blinden Urteile und Überzeugungen des vernünftigen, sie rechtfertigenden Grundes ermangeln, der nur in dem Einleuchten der Wahrheit bestehen kann, so ermangeln sie damit auch des Kennzeichens der Wahrheit, das eben in diesem Einleuchten besteht. Wenn sie wahr sind, so sind sie doch nur zufälliger Weise wahr; eine Bürgschaft für ihre Wahrheit bieten sie in keiner Weise.
Mit der in der Einsicht bestehenden Erkenntnis ist immer eine Gewissheit verbunden, sie ist von derselben unabtrennbar. Unter Gewissheit aber verstehen wir eine Überzeugung, die jeden Zweifel ausschliesst. So lange wir zweifeln, hin- und herschwanken, oder auch die Gründe für oder gegen eine Sache abwägen, erkennen wir nicht. Wenn wir aber sagen: das ist zweifelhaft, entweder weil gar keine Gründe dafür sprechen, oder weil die Gründe, die dafür sprechen, nicht durchschlagend sind; wenn wir ferner sagen: das ist wahrscheinlich oder das ist unwahrscheinlich, weil mehr oder weniger Gründe für eine Sache sprechen als für ihr Gegenteil, so ist das eine Erkenntnis; wir sagen so, weil wir es einsehen. Eine wahrscheinliche oder zweifelhafte [pg 36] Einsicht giebt es nicht, sondern nur eine Einsicht, dass etwas wahrscheinlich oder zweifelhaft ist. Die Einsicht ist eben immer mit der Gewissheit verbunden und von ihr unabtrennbar, aber auch die blinde Überzeugung kann jeden Zweifel ausschliessen und so zur Gewissheit werden. Von dieser Art ist unzweifelhaft die Überzeugung des Fanatikers oder desjenigen, der blindlings einem Andern in rückhaltloser, unbedingter Weise vertraut. Ihre Überzeugung schliesst sicher jeden Zweifel aus und muss darum als Gewissheit bezeichnet werden. Freilich ist das eine blinde Gewissheit, die von der auf Einsicht beruhenden und von ihr unabtrennbaren Gewissheit verschieden ist. Offenbar hat die Gewissheit, insofern sie jeden Zweifel ausschliesst, also nach ihrer negativen Seite, keine Grade; nach ihrer positiven Seite hat sie allerdings, wenigstens als blinde Gewissheit, ebenso wie die blinde Überzeugung, Grade. Die blinde Gewissheit kann nicht als ein Maximum der blinden Überzeugung betrachtet werden, sondern ist durch die Leidenschaftlichkeit des Blindglaubenden einer Steigerung bis ins Unermessliche fähig. Anders scheint es mit der auf Einsicht beruhenden Gewissheit zu sein. Die Einsicht hat natürlich keine Grade, sie ist entweder vorhanden oder nicht vorhanden. Ein Mehr oder Minder giebt es hier nicht. Dasselbe scheint auch von der mit der Einsicht verbundenen Gewissheit zu gelten. Sie ist nicht bloss nach ihrer negativen sondern auch nach ihrer positiven Seite ohne Grade.
Zulänglichkeit des Kennzeichens der Wahrheit.
Es ist keine Frage, dass es ein vermeintliches Einleuchten giebt, dass wir oft glauben, die Zusammengehörigkeit leuchte uns ein und doch hinterher bekennen müssen, dass wir uns getäuscht haben. Wir wechseln nicht bloss unsere Ansichten sondern auch unsere Einsichten, verwerfen eine frühere Einsicht als bloss vermeintlich und setzen eine andere möglicherweise wieder vermeintliche an ihre Stelle. Alles auf Grund des, sei es wirklichen, sei es vermeintlichen Einleuchtens. Wie kann da dieses Einleuchten noch als massgebendes und entscheidendes Kennzeichen der Wahrheit betrachtet werden? [pg 37] Wir haben schon gezeigt, dass die mit Einsicht verbundene Gewissheit von andrer Art ist als die ohne Einsicht. Was von der Gewissheit gilt, die ohne Einsicht eintritt, muss natürlich auch von der Gewissheit behauptet werden, die sich mit der vermeintlichen Einsicht verbindet. Da sich nun immer mit der vermeintlichen Einsicht ebenso wie mit der wirklichen eine Gewissheit verbindet, so können wir beide schon durch die Art der mit ihnen verbundenen Gewissheit unterscheiden. Aber auch abgesehen von diesem Unterschiede zwischen der vermeintlichen und wirklichen Einsicht können wir uns der ersteren erwehren und ihr gegenüber die letztere zur Geltung bringen. Der vermeintlichen und wirklichen Einsicht entspricht das vermeintliche und wirkliche Einleuchten oder Evidentsein eines Sachverhaltes. Es kann nun irgend etwas mittelbar oder unmittelbar einleuchtend sein. Alle des Beweises bedürftigen Sätze sind, wenn sie bewiesen sind, mittelbar einleuchtend; unmittelbar einleuchtend ist nach unsrer Auffassung nicht bloss das Gesetz des Widerspruchs, sondern auch das der Ermöglichung oder Kausalität.
Nehmen wir nun an, dass ein Satz in mittelbarer Weise einleuchtend zu sein scheint, so können wir, wenn sein Gegenteil mittelbar einleuchtend gemacht werden kann, einen Beweis hierfür erbringen und dadurch den Schein des Einleuchtens beseitigen. Mag aber das Gegenteil des Satzes auch eines Beweises nicht fähig sein, in jedem Falle sind wir im stande, den Beweis, der für den in mittelbarer Weise scheinbar einleuchtenden Satz geführt wird, zu prüfen und, falls sich hierbei ein Fehler ergiebt, durch diese Prüfung den Schein des Einleuchtens zu zerstören. Nehmen wir ferner an, dass ein Satz in unmittelbarer Weise einleuchtend zu sein scheint, so können wir für das Gegenteil einen Beweis zu führen suchen und dadurch den Schein des Einleuchtens entfernen. Es bleibt noch ein Fall als möglich übrig. Ein Satz könnte unmittelbar einleuchtend scheinen und sein Gegenteil auch nur unmittelbar einleuchten, sodass wir also keinen Beweis für dasselbe zu führen im Stande sind. Hier stehen nun freilich Ja und Nein einander gegenüber, und eine Entscheidung ist unmöglich. Aber dieser vierte Fall ist in der Geschichte der Philosophie nicht vorgekommen. [pg 38] Heraklit und Hegel haben das Gesetz des Widerspruchs geleugnet, aber ihr Recht zu dieser Leugnung durch einen Beweis darzuthun gesucht. In neuester Zeit hat man das Gesetz der Kausalität nicht eigentlich geleugnet aber doch bezweifelt, dass es unmittelbar einleuchtend sei. Aber auch diesen Zweifel sucht man zu begründen, indem man dem Gesetze der Kausalität das Gesetz von der Gleichförmigkeit des Naturlaufs, das nur auf einer Induktion beruht, substituiert – eine Zusammenfassung unsrer Erfahrungen über die Qualität der zu bestimmten Wirkungen gehörenden Ursachen. Solche Gedankengänge, die das unmittelbare Einleuchten gewisser Sätze bestreiten, kommen natürlich im wirklichen Leben nicht vor. Man ist hier eher geneigt, das unmittelbare Einleuchten gewisser dem sinnlichen Schein oder einer unberechtigten Verallgemeinerung zu liebe aufgestellter Sätze zu behaupten, wie z. B. das unmittelbare Einleuchten des Satzes, dass die Sonne still steht. Hier ist es ein Leichtes, durch den Beweis des Gegenteils den Schein des unmittelbaren Einleuchtens zu zerstören.
Es ergiebt sich, dass wir dem unleugbaren Vorkommen einer vermeintlichen Einsicht und eines vermeintlichen Einleuchtens nicht ratlos gegenüberstehen und uns hierdurch in der Annahme des Einleuchtens der Zusammengehörigkeit als eines zuverlässigen und entscheidenden Kennzeichens der Wahrheit nicht irre machen lassen dürfen. Wir können nicht bloss die wirkliche Einsicht von der vermeintlichen an bestimmten Merkmalen unterscheiden, wir können auch die entstehende vermeintliche Einsicht überwinden, und zwar durch die wirkliche Einsicht.
Einsicht und Denknotwendigkeit.
Die Einsicht oder Erkenntnis beruht, wie wir sahen, auf einem vernünftigen, zureichenden, sie völlig rechtfertigenden Grunde. Es ist aber zu beachten wichtig, dass dieser Grund nicht zwingend wirkt. Einsicht hat nichts mit äusserem Zwange oder innerer Nötigung gemein; sie kann darum auch keineswegs mit Denknotwendigkeit verselbigt werden. Allerdings kommt [pg 39] in unsren Schlussfolgerungen aus der Einsicht häufig so etwas wie Denknotwendigkeit zum Ausdruck. Wir sagen: es kann nicht anders sein, es muss so sein. Wir sagen das nicht bloss, wenn es sich um begriffliche, sondern auch, wenn es sich um bloss thatsächliche Wahrheiten handelt. Wenn wir sie einsehen, so erscheint uns das Gegenteil ausgeschlossen, also unmöglich. Woher kommt das? Offenbar lediglich von der mit der Einsicht verbundenen Gewissheit. Wir sind gewiss, das heisst, aller Zweifel und damit auch die Möglichkeit, dass es anders sein könnte, die Möglichkeit des Gegenteils ist ausgeschlossen. So sagen wir denn eben wegen dieser Gewissheit: so muss es sein. Soll das etwa heissen, dass zwischen den zusammengehörigen Gliedern, deren Zusammengehörigkeit wir einsehen, ein Notwendigkeitszusammenhang besteht? Sicherlich nicht. Denn sonst dürften wir nicht in gleicher Weise reden, wenn es sich um bloss thatsächliche Wahrheiten handelt, bei denen offenbar die Annahme eines Notwendigkeitszusammenhangs ausgeschlossen ist. Indes könnte immerhin die Einsicht überall da mit der Denknotwendigkeit verselbigt werden müssen, wo ein solcher Notwendigkeitszusammenhang des Zusammengehörigen vorliegt. Das bedarf einer nähern Untersuchung.
Es fragt sich, ob bei allen begrifflichen Sätzen eine solche Denknotwendigkeit vorhanden ist, und weiterhin, ob dort, wo sie vorhanden, die Denknotwendigkeit mit der Einsicht ein und dasselbe ist. In den Gesetzen des Erkennens und Denkens kommt anscheinend überall eine Denknotwendigkeit zum Ausdrucke. Gesetz der Übereinstimmung: Das Zugehörige muss zugesprochen, darf nicht abgesprochen, das Nichtzugehörige darf nicht zugesprochen, muss abgesprochen werden. Das Gesetz des Enthaltenseins: Das Enthaltene muss zugesprochen, darf nicht abgesprochen, das Nichtenthaltene darf nicht als enthalten zugesprochen, muss abgesprochen werden. Das Gesetz der Einheit: Das System der Wahrheit setzt notwendig einen Denkenden voraus. Das Gesetz der Ermöglichung: Was anfängt, zu existieren, setzt notwendig ein Anderes voraus, das bei seinem Anfange schon vorhanden ist und diesen ermöglicht. Das Gesetz des Grundes: Aus der Wahrheit des Grundes ergiebt sich notwendig die Wahrheit der Folge, aus [pg 40] der Falschheit der Folge die Falschheit des Grundes. Das »muss«, »darf nicht«, »notwendig« drückt hier zunächst auch nichts anderes als die Gewissheit aus, die jeden Zweifel und damit die Möglichkeit des Andersseinkönnens ausschliesst. Aber es verhält sich doch bei diesen Gesetzen mit der Notwendigkeit nicht gleichmässig. Ein Notwendigkeitsverhältnis zwischen dem Ding und dem von ihm Ausgesagten liegt unzweifelhaft vor, wenn das Ausgesagte in dem Dinge enthalten ist. Natürlich ebenso, wenn es sich nicht um Dinge sondern um Urteile handelt, wenn nach dem Gesetze des Grundes aus der Wahrheit des den Grund bildenden Urteils die Wahrheit des die Folge ausdrückenden Urteils und wenn aus der Falschheit des die Folge ausdrückenden Urteils die Falschheit des den Grund bildenden Urteils erschlossen wird. In diesen beiden Fällen, allgemeiner: in Urteilen, wo es sich um ein Enthaltensein handelt, mag man von einer Denknotwendigkeit reden, aber man darf eben nur dies mit dem Enthaltensein gegebene Notwendigkeitsverhältnis darunter verstehen. Wir sind durch nichts äusserlich gezwungen oder innerlich genötigt, das in einem Dinge Enthaltene von ihm auszusagen oder aus einem Urteil als dem Grunde ein anderes als seine Folge abzuleiten. Wir sehen freilich mit einer allen Zweifel ausschliessenden Gewissheit ein, dass das Urteil, in dem wir das in einem Ding Enthaltene von ihm aussagen, notwendig wahr sein muss, ebenso, dass das Urteil wahr sein muss, das sich als Folge aus einem andren Urteil als seinem Grunde ergiebt. Aber wiederum ist zu beachten wichtig, dass diese Einsicht in die Wahrheit der Urteile mit der im Enthaltensein gegebenen Denknotwendigkeit nichts zu thun hat, von ihr ganz und gar verschieden ist und sich in keiner Weise auf sie stützt. Es ergiebt sich, dass, wenn auch in Bezug auf das Enthaltensein von Denknotwendigkeit geredet werden kann, diese Denknotwendigkeit doch nicht mit der Einsicht verwechselt oder verselbigt werden darf.
Auch in Bezug auf das zusammengehörige Nichtenthaltene kann von Denknotwendigkeiten geredet werden. Man hat von jeher unterschieden zwischen den Proprietäten oder wahren Eigenschaften, die nicht als Merkmale im Ding enthalten sind [pg 41] und ihm doch notwendig zukommen, und zwischen den Accidentien, die ihm zukommen können. Richtung und Geschwindigkeit sind für die Bewegung, Stärke und Höhe für den Ton solche Eigenschaften, aber die bestimmte Richtung und Geschwindigkeit, die bestimmte Stärke und Höhe sind nicht notwendig. Ohne jene Eigenschaften kann Bewegung und Ton gar nicht vorhanden sein, wohl aber ohne diese Bestimmtheiten. Die Zugehörigkeit ist hier Denknotwendigkeit. Aber es ist zu beachten wichtig: nicht weil es denknotwendig ist, betrachten wir dieses Zugehörige als zugehörig, sondern nur darum, weil uns die Zugehörigkeit einleuchtet und wir sie einsehen. Jede Eigenschaft setzt ferner ein Selbständiges, jede Bewegung, jede Veränderung ein Bewegliches, ein Veränderliches, ein Beharrliches voraus. Wir können das nicht anders denken; also wiederum eine Denknotwendigkeit innerhalb des Zugehörigen, Nichtenthaltenen. Es scheint, als wenn dieser Denknotwendigkeit gar keine Einsicht entspricht. Wir sehen ein, dass und warum das Enthaltensein denknotwendig ist; aber wir sehen nicht ein, warum wir in unsrem Denken für die Eigenschaft ein Selbständiges, für die Bewegung ein Bewegliches, für die Veränderung ein Veränderliches voraussetzen müssen. Wir können nur sagen, die Einrichtung unsres Denkens bringt das so mit sich. Die Röte hat doch ihren eigenen Inhalt, ebenso die Bewegung, ebenso die Veränderung. Warum setzt sie etwas voraus, das rot ist, sich bewegt, sich verändert? Hier scheint bloss ein blindes Müssen vorhanden zu sein, das auf einer Einrichtung, auf einem Mechanismus unsres Denkorganismus beruht. Es scheint nicht unwichtig zu beachten, dass keine Denknotwendigkeit besteht, jedes Selbständige mit Eigenschaften auszustatten oder jedem Beharrlichen eine Bewegung oder Veränderung zuzuschreiben. Wenn wir einem Selbständigen, einem Dinge eine Eigenschaft zuschreiben, ihm Bewegung oder Veränderung beilegen, so geschieht das, weil uns die betreffenden Zusammengehörigkeiten einleuchten.
Auch bezüglich des Nichtenthaltenen und Nichtzugehörigen giebt es Denknotwendigkeiten, die wir als Unverträglichkeitsverhältnisse bezeichnen. Sie sind überall dort vorhanden, wo [pg 42] von einem Subjekt ein Prädikat notwendig ausgeschlossen ist. Das gilt von allen Prädikaten, die das kontradiktorische Gegenteil des Subjekts ausdrücken. Es gilt ferner von allen Dingen – das Wort im engern Sinne genommen – unter einander. Da sie ein Eigensein haben und einander gegenüber selbständig sind, können sie nicht von einander ausgesagt werden. Bei vielen Prädikaten macht sich in ihrem Verhältnis zu einander diese Unverträglichkeit geltend, die nur die Kehrseite der Notwendigkeit ist. Sie können nicht zugleich von demselben Subjekt ausgesagt werden; so: Bejahen und Verneinen desselben Gegenstands, Wollen und Widerstreben in Bezug auf denselben Gegenstand, die sogenannten konträren Gegensätze arm und reich, jung und alt, gross und klein, schwarz und weiss usw. Dass wir diese Prädikate als unverträglich miteinander oder mit dem Subjekt erkennen, hat seinen Grund natürlich lediglich in dem Einleuchten der Unverträglichkeit, nicht in der mit ihr gegebenen Denknotwendigkeit, sodass also auch hier Denknotwendigkeit und Einsicht als etwas ganz Verschiedenes erscheint.
Es fragt sich, ob nicht eine Denknotwendigkeit in dem Einheitsgesetz und dem Gesetz der Kausalität vorliegt, und weiterhin, ob nicht diese Denknotwendigkeit mit der Einsicht als ein und dasselbe gesetzt werden muss. Zunächst ist einleuchtend, dass es sich für uns nicht darum handeln kann, zu entscheiden, ob zwischen dem Denkenden und dem System der Wahrheit, zwischen dem den Anfang irgendwie Ermöglichenden und dem Anfangenden ein Notwendigkeitszusammenhang besteht, sondern lediglich darum, ob er von dem Einheits- und Kausalitätsgesetz gefordert wird und in diesen Gesetzen zum Ausdrucke kommt. Beides wird nun geleugnet werden müssen. In dem Einheitsgesetz (das System der Wahrheit setzt einen Denkenden voraus, der alle Wahrheit erkennt) und in dem Gesetz der Kausalität (das Anfangende setzt ein anderes schon Bestehendes voraus, das seinen Anfang ermöglicht) ist von einem Notwendigkeitsverhältnis zwischen dem Denkenden und dem System der Wahrheit, zwischen dem den Anfang Ermöglichenden und dem Anfangenden in keiner Weise die Rede; ein solches Notwendigkeitsverhältnis wird darum auch [pg 43] von diesen Gesetzen nicht gefordert. Nur insofern kommt auch in diesen Gesetzen ein Notwendigkeitsverhältnis zum Ausdruck, als das System der Wahrheit notwendig einen Erkennenden, und das Anfangende notwendig einen Ermöglichungsgrund voraussetzt. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dieses Notwendigkeitsverhältnis als eine Denknotwendigkeit zu bezeichnen; aber wiederum gilt, dass diese Denknotwendigkeit nicht der Grund unsrer Einsicht in die Wahrheit dieser Gesetze ist, dass vielmehr dieser Grund, wie überall so auch hier, nur das Einleuchten der Zusammengehörigkeit sein kann. Auch hier sind also Denknotwendigkeit und Einsicht ganz und gar verschieden.
Einsicht und Wille.
Da mit der Einsicht keinerlei Zwang oder innere Nötigung für uns verbunden ist, so sind wir im Stande uns derselben zu entziehen, wenn sie unsren Neigungen nicht entspricht, wie viele Erfahrungen unseres Lebens uns bestätigen. Das Widerstreben gegen die erkannte Wahrheit ist eine leider nur zu häufig vorkommende Thatsache. Wir können unsren Blick von dem Sichaufdrängen und Einleuchten der Zusammengehörigkeit ablenken und auf etwas andres richten, uns dadurch die eintretende Einsicht aus dem Sinne schlagen, in den Hintergrund drängen, verdunkeln und sogar ganz beseitigen, um uns einem entgegengesetzten, blinden Dafürhalten, das unsren Neigungen besser entspricht, hinzugeben. Aber auch wenn dies nicht der Fall ist, bleibt die Einsicht und das ihr folgende Urteil oft ein blosser Verstandesakt, selbst vorausgesetzt, dass entgegengesetzte Interessen vorhanden sind aber keinen Einfluss ausüben, weil der Wille nicht widerstrebt. Ganz verschieden von diesen Verstandesakten ist die Liebe zur Wahrheit, die sich in der Hingabe und Unterwerfung des Willens unter die Wahrheit und in dem Ergriffen- und Unterjochtwerden des Gemütes von der Wahrheit kundthut und der Vertiefung in die Wahrheit, insbesondere in ihren überzeitlichen Charakter, zu folgen pflegt. Es ist klar, dass die Wahrheitserkenntnis erst durch diese Mitbeteiligung des Willens und Gemüts eine Bedeutung für unser inneres Leben erhält. Die Anerkennung [pg 44] der erkannten Wahrheit, das Festhalten an ihr trotz entgegengesetzter Neigung ist eine strenge sittliche Pflicht, ja die höchste sittliche Pflicht, denn alles Unsittliche hat seine letzte Wurzel und Quelle in dem Widerstreben gegen die erkannte Wahrheit, was schon in dem blossen Sichabwenden und Unbeachtetlassen der eben aufleuchtenden Einsicht sich kundgiebt. Die erkannte Wahrheit ist ein sittliches Gut, nicht ein Gut des egoistischen Willens sondern ein Gut des Gemeinschaftswillens; ja sie ist das Gut der Güter, das höchste Gut, denn alle andren Güter erhalten nur durch sie ihren Wert. Die Wahrheitsliebe ist Pflicht jedes Menschen, die glühende Liebe zur Wahrheit ist die Tugend des wissenschaftlichen Forschers. Das Wort Kants vom guten Willen gilt im höchsten Sinne von der Wahrheit: Das einzige, was nicht bloss in der Welt der wollenden Wesen, wie der gute Wille, sondern überhaupt um seiner selbst willen gut ist, ist die Wahrheit, denn alles andere ist nur gut durch sie. Das gilt von allen Wahrheiten. Einer besondren Beachtung bedürfen die sittlichen und religiösen Wahrheiten, die Wahrheiten, welche, allgemeiner gesprochen, unser praktisches Verhalten und unsre persönlichen Beziehungen regeln. Sie müssen natürlich den Willen in ganz andrer Weise beeinflussen und das Gemüt in Anspruch nehmen und doch bleiben gerade sie häufig lediglich blosse Kopfwahrheiten. Die mit ihnen verbundene Einsicht ist natürlich auch ein Verstandesakt. Sitte und Gewohnheit bringen es mit sich, dass man ihnen die Anerkennung im Denken und Reden nicht versagt. Diese Anerkennung wird als etwas Selbstverständliches betrachtet. Aber sie ist auch lediglich eine Anerkennung des Verstandes, die diesen Wahrheiten in gedankenloser Weise entgegengebracht wird, ohne dass der Wille und das Herz davon irgendwie berührt werden, selbst wenn das Leben des Anerkennenden den Wahrheiten durchaus widerspricht. Der Widerspruch zwischen den Gewohnheiten des Lebens, wie sie im Handeln sich kundgeben und zwischen der ebenfalls im Denken und Reden zur Gewohnheit gewordenen Anerkennung kommt gar nicht mehr zum Bewusstsein. Die Gewohnheit auf beiden Seiten lässt eine Reflexion gar nicht aufkommen und alles als selbstverständlich erscheinen. Das ist die Lage der [pg 45] meisten Menschen, die im Reden und Denken an der ihnen anerzogenen Moral und Religion festhalten, obgleich die Grundsätze dieser Moral und Religion auf ihre Gesinnung, ihr Leben und Handeln gar keinen Einfluss ausüben. Ihre Moral und Religion ist lediglich zur Kopfwahrheit geworden. Wie oft werden Grundsätze im Denken und Reden als selbstverständlich anerkannt und doch im Leben und Handeln ohne weiteres, wir müssen sagen gedankenlos, unbewusst, mit Füssen getreten. Wer verurteilt in seinem Denken und Reden nicht den Egoismus, und wer zieht das zuerst deutlich, dann immer weniger deutlich, zuletzt gar nicht mehr als minderwertig erkannte eigene Ich nicht dem fremden vor?
Schranken unsres Erkennens.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Gegenstand und das Ziel des Erkennens nichts andres sein kann als die Wahrheit in ihrem überzeitlichen Charakter, der allein ihre Allgemeingültigkeit für alle Denkenden verbürgt. Aber es fragt sich, ob die thatsächliche Beschaffenheit der Erkenntnisvorgänge dieser Aufgabe in jeder Hinsicht angemessen ist und gerecht wird. Um diese Frage zu beantworten, gehen wir von der seit Aristoteles und dem Neuplatoniker Porphyrius üblichen Unterscheidung zwischen den Prädikabilien und Prädikamenten oder Kategorien aus. Unter Prädikabilien verstehen wir höchste Aussagen über Begriffe, unter Prädikamenten oder Kategorien höchste Aussagen über das Seiende. Man zählt nach Porphyrius fünf Prädikabilien: Gattung, Art, Differenz, das Notwendige (Proprietät), das Zufällige (Accidenz), die wesentlichen Merkmale, welche in Gattung, Art und Differenz vorhanden sind, von den ausserwesentlichen notwendigen oder zufälligen unterscheidend; ferner nach Aristoteles zehn Kategorien: Substanz, Eigenschaften, Grösse, Beziehung, Ort, Zeitpunkt, Lage, Thun, Leiden, Zustand.
Die notwendigen Merkmale oder Proprietäten sollen also etwas anderes als die Eigenschaften sein. Die Eigenschaft [pg 46] kann sowohl Proprietät als Accidenz sein, sie kann dem Ding sowohl notwendig als zufällig zukommen. Z. B. ist die weisse Farbe und das Kranksein eine Eigenschaft gewisser Menschen, aber doch nur ein Accidenz. Es gehört zum Wesen der Eigenschaft, dass sie nicht ohne ein Selbständiges sein kann, dessen Eigenschaft sie ist, dass sie ein Selbständiges notwendig voraussetzt: aber darum ist sie noch nicht notwendig für dieses Selbständige. Das gilt nur von der Proprietät. So setzt auch das Anfangende einen Ermöglichungsgrund notwendig voraus, geht aber darum noch keineswegs aus diesem Ermöglichungsgrund notwendig hervor oder ist mit ihm notwendig verbunden. Die Proprietät gehört, wie das Accidenz, zum Ausserwesentlichen; die Eigenschaft kann sowohl zum Wesentlichen als Ausserwesentlichen gehören. Man sieht, die Unterscheidung von Proprietät und Eigenschaft lässt sich zur Not aufrecht erhalten und durchführen. Aber warum sollen die Proprietäten, warum soll überhaupt das Ausserwesentliche nur eine Aussage über Begriffe enthalten? Gehört das Ausserwesentliche nicht auch zum Seienden? Gattung und Art sind offenbar Prädikabilien, wenn man sie einfach nach dem Verhältnis des Allgemeinen und Besondern ins Auge fasst. Aber die Alten haben mit Recht Gattung und Art nicht bloss nach diesem Verhältnis bestimmt, sondern für beide nur die wesentlichen Merkmale in Anspruch genommen und die ausserwesentlichen auf Proprietät und Accidenz verteilt. Ist aber nun das Wesentliche und weiterhin das Wesen ein blosses Prädikabile? und nicht vielmehr eine Kategorie? Ja, die Kategorie der Kategorien? Das Seiende ist doch eben nur ein Seiendes dadurch, dass es ein Wesen, eine Wahrheit hat.
Verschiedenheit und Gleichheit sind sicher unmittelbar nur Aussagen über unsre Begriffe, keine Kategorien, ebensowenig das Nichtseiende, die Negation des einen vom andern; Mensch als Nicht-Pflanze z. B. Demnach kann auch die Zahl keine Kategorie sein; sie ist der Gattung verwandt und wie diese Zusammenfassung niederer Einheiten zu einer höheren Einheit; nur dass bei der Gattung in dieser höheren Einheit die niedern für das Bewusstsein verschwinden, während sie bei der Zahl im Bewusstsein festgehalten werden. Aber wie steht es mit [pg 47] der Einheit im höchsten Sinne? Ist sie auch keine Kategorie? Sicher ist sie eine Kategorie. Nur dadurch, dass das Seiende ein Teil der Einen Wahrheit ist und an ihr teilnimmt, ist es ein Seiendes; die Einheit wie das Wesen, wie die Wahrheit selbst ist in der That die höchste Kategorie; sie ist von Wahrheit und Wesen nicht zu trennen, so wenig wie das Wesen von der Wahrheit und die Wahrheit vom Seienden.
Es mag angemessen sein, das für ein Ding Notwendige und das ihm Zufällige zu unterscheiden; aber wichtiger ist die Frage, ob etwas darum, weil es zufällig ist, weniger zum Seienden gehört. Zufällig ist dem Menschen das Kranksein, das Krüppelhaftsein, wohl auch die Farbe, die schwarze, gelbe, rote Haut; aber sind diese Eigenschaften darum weniger seiend, weil sie zufällig sind? Was hat es mit dem Zufälligen überhaupt in Hinsicht des Seins auf sich? Fragen wir endlich, ist die Wirklichkeit eine Kategorie? Auch die nichtseinsollende Wirklichkeit? Sicherlich wird man diese Frage bejahen müssen! Wir kommen auf den ersten Teil derselben zurück. Wie steht es mit der Negation, die als Negation des Nichtzugehörigen, Nichtenthaltenen für den Fortschritt unsres Erkennens von so grosser Wichtigkeit ist? Hat sie eine reale Bedeutung? Wenn man sagt, das eine ist bloss nichtseiend mit Bezug auf das andere, nicht aber an sich, so vergisst man, dass das Nichtsein des andern die Beschränktheit, die Endlichkeit des einen, gleichsam das im einen selbst vorhandene Nichtsein voraussetzt. Was hat es mit diesem anscheinend seienden Nichtsein auf sich?
Wie die Prädikabilien von dem Gedanken des Enthaltenseins, von dem Verhältnis des Allgemeinen zum Besondren beherrscht sind, so tritt für die Tafel der Kategorien die sinnliche, sinnfällige Wirklichkeit (Substanz, Grösse, Ort, Lage) in den Vordergrund. Das entspricht in gewisser Hinsicht der thatsächlichen Beschaffenheit unsrer Erkenntnisvorgänge, aber in keiner Weise dem Zwecke derselben. Je mehr wir uns von der sinnfälligen Wirklichkeit entfernen, desto inhaltleerer wird anscheinend unser Denken. Wir haben immer weniger Anlass, mit der Negation zu unterscheiden und zu trennen. Das Verhältnis des Enthaltenseins tritt in den Vordergrund, das Denken [pg 48] ist sozusagen in dasselbe eingespannt, die Einheit wird zur Einerleiheit, das Wesen zum inhaltsleeren Allgemeinen; selbst die Wahrheit kommt auf das Enthaltensein zurück (immanenter Wahrheitsbegriff). Und doch hat das Verhältnis des Enthaltenseins für unser Erkennen nur eine untergeordnete Bedeutung. Die sogenannte sinnfällige Wirklichkeit kann, wie wir noch sehen werden, nur die Bedeutung eines Erkenntnismittels haben, das wohl die Richtung des Erkennens, aber nicht sein Ziel bestimmt. In dieser thatsächlichen Beschaffenheit unsrer Erkenntnisvorgänge liegt offenbar eine Schranke für das seinem Ziele zustrebende Erkennen.
Als weitere Schranken unsres Erkennens lehrt eine eingehende Betrachtung die Kategorien des Raumes, der Zeit, der Substanz und Kausalität kennen, die in unsrem Erkennen die grösste Rolle spielen. Vergleichen wir das System der Wahrheit, wie es unsrem Erkennen gegeben wird oder entgegentritt, einem Gebäude, in dem wir das Gerüste oder Fachwerk von der ausfüllenden Masse, einem Gewebe, in dem wir die Kette von dem Einschlag unterscheiden, so können Raum, Zeit, Substanz und Kausalität als das Gerüste oder Fachwerk für das Gebäude der Wahrheit oder als die Kette für das Gewebe, das sie bildet, bezeichnet werden.
Die Kategorien Raum und Zeit setzen die Sinnenbilder der Ausdehnung und Bewegung voraus, gehen aber weit über diese Sinnenbilder hinaus; sie bestehen in einer begrifflichen Bearbeitung derselben, die nicht etwa bloss das in ihnen Enthaltene wiedergiebt, sondern auch das für das Denken ihnen Zugehörige hinzufügt. Aber in dieser begrifflichen Bearbeitung steckt ebenso wie in den entsprechenden Sinnenbildern ein irrationales oder dem Denken inkommensurables Element. Es ist für Ausdehnung und Raum die Berührung der Teile, welche das den beiden wesentliche Nebeneinander ausschliesst; es ist für Bewegung und Zeit der Übergang, der das der Bewegung und Zeit wesentliche Nacheinander ausschliesst. Zwischen zwei nebeneinander liegenden Orten giebt es keinen dritten, beiden gemeinsamen; zwischen zwei auf einander folgenden Zeitpunkten keinen dritten, beiden gemeinsamen. Und doch setzt das die Berührung und der Übergang voraus, [pg 49] wenn wir mit dem Denken zu erfassen suchen, was sie besagen. Die Kategorien der Substanz und Kausalität verlangen, dass dem Sinnenbild des Ausgedehnten und Bewegten der der innern Erfahrung entstammende Willensimpuls in associativer Weise unterlegt wird. Dadurch entstehen aus dem Ausgedehnten die den Raum ausfüllenden und damit Widerstand entgegensetzenden Dinge – neue, umfassendere Sinnenbilder, deren begriffliche Bearbeitung die Begriffe der Substanz und Kausalität ergiebt. Auch diese enthalten das irrationale, dem Denken inkommensurable Element in verstärktem, verdoppeltem Masse. Die Berührung wird für die Substanz zur Quelle des Nebeneinander, trotzdem sie eigentlich das Nebeneinander ausschliesst. Der Übergang wird für die Kausalität zur Quelle des Nacheinander, trotzdem der Übergang das Nacheinander ausschliesst.
Natürlich sind die Begriffe von Raum und Zeit, von Substanz und Kausalität nicht etwa bloss umgeformte Sinnenbilder oder sinnliche Empfindungen, sie sind das Erzeugnis einer begrifflichen Bearbeitung und gehen insofern weit über das sinnliche Gebiet hinaus; aber in ihnen bleibt ein aus der Empfindung stammendes, für das Denken nicht aufzuhellendes, undurchsichtiges Element. Trotzdem schon in den Sinnenbildern der Ausdehnung und Bewegung und mehr noch in den umfassenderen Sinnenbildern, die aus ihnen durch associative Verknüpfung mit dem Willensimpuls entstehen, am meisten aber in der begrifflichen Bearbeitung dieser Sinnenbilder der synthetische Charakter unsres Erkennens zum Ausdrucke kommt, kann doch in allen unsren Erkenntnissen, in denen diese Sinnenbilder und die aus ihnen durch begriffliche Bearbeitung gewonnenen Kategorien der Zeit, des Raumes, der Substanz und Kausalität eine Rolle spielen, von einem Einleuchten des Zusammengehörigen und von einer Einsicht in dasselbe keine Rede sein; ausser insofern wir von dem in den Sinnenbildern enthaltenen und in diesen Kategorien wiederkehrenden irrationalen Element absehen. Sehen wir von diesem irrationalen Element ab, so bleibt uns eine blosse Mannigfaltigkeit in Raum und Zeit übrig, über die wir, was das Verhältnis und die Zusammenordnung der Teile angeht, einleuchtende und einsichtige Urteile zu fällen im Stande sind.
[pg 50]In den Gesetzen des Erkennens und Denkens, die wir als einleuchtend und einsichtig betrachten, haben wir von den Vorstellungen Substanz und Kausalität natürlich keinen Gebrauch machen können. Das Gesetz der Übereinstimmung spricht von Dingen, aber in ganz allgemeinem Sinne, wonach Eigenschaften, Vorgänge, Beziehungen auch als Dinge gelten können; nicht aber im Sinne der Substanzvorstellung. Im Gesetze der Kausalität haben wir nur von der Ermöglichung des Anfangs reden können, nicht von der Kausalität im Sinne der Ursachvorstellung als hervorbringender Ursache. Dass etwas in einem bestimmten Zeitpunkte anfängt, hat für uns keine grössere Schwierigkeit zu denken, als dass es in einem bestimmten Zeitpunkte oder an einem bestimmten Orte vorhanden ist. Man könnte in dem Einheitsgesetze unsres Erkennens den Einen Erkennenden als Träger und Erzeuger des überzeitlichen, natürlich auch überräumlichen Systemes aller Wahrheit auffassen; aber es ist einleuchtend, dass das Wort Träger in diesem Falle nicht im Sinne der Substanzvorstellung und das Wort Erzeuger nicht im Sinne der Ursachvorstellung gedacht wird.
Raum und Zeit bieten der Erkenntnis freilich noch eine andere Schwierigkeit. Sie verhalten sich völlig gleichgültig gegen den Inhalt, passen sich jedem Inhalte an, vermehren den Inhalt in keiner Weise und bilden insofern einen Gegensatz zu Substanz und Kausalität. Man kann sie deshalb als Formalkategorien, Substanz und Kausalität im Gegensatz zu ihnen als Realkategorien bezeichnen. Die Frage nach der Bedeutung von Raum und Zeit für den Inhalt ist darum eine unabweisliche, um so mehr, da nur durch sie die Individualisierung der Dinge und Vorgänge möglich ist. Sie sind die Prinzipien der Individuation, durch die allein für unser Denken die Dinge aus der Sphäre der unbestimmten und darum bloss gedanklichen Allgemeinheit herausgehoben und zu Wirklichkeiten gestempelt werden, die nur Einzelwirklichkeiten sein können. Was haben Raum und Zeit im Reiche der Wahrheit für eine Bedeutung, wie unterscheiden sich Wahrheit und Wirklichkeit? das ist die für das Erkennen schwierige, vielleicht unlösbare, jedenfalls noch nicht gelöste Frage. Sagen wir, das Wahre ist wirklich, insofern es vom göttlichen Wesen nicht bloss gedacht sondern [pg 51] auch gewollt wird, Raum und Substanz sind der symbolische Ausdruck für die scheinbare Selbständigkeit der Dinge ihm gegenüber, Zeit und Kausalität der symbolische Ausdruck für die völlige Abhängigkeit der Dinge von ihm, so sind das jedenfalls viel zu allgemeine Antworten, um als genügend gelten zu können, obgleich sie eine ganze Weltanschauung und vielleicht die einzig mögliche enthalten. Natürlich muss das Weltwirkliche sich in völliger Abhängigkeit von Gott befinden. Der Willensakt, dem es seinen Ursprung verdankt, kann ihm nur eine scheinbare, keine wirkliche Selbständigkeit verleihen. Wo gäbe es in der Welt auch etwas wirklich völlig Selbständiges? Es giebt kein gottfremdes, ihm nicht gehörendes Sein – ein solches würde ja eine Schranke für Gott, ein zweiter Gott sein. Unter dieser Voraussetzung ist jener göttliche Wille nur als Selbstentsagung, Selbstentäusserung, Selbstverzicht Gottes zu denken, durch welche den Dingen der Welt eine Selbständigkeit geliehen wird, die ihnen eigentlich nicht zukommt. Diese geliehene Selbständigkeit kommt in Raum und Substanz, hingegen die wirkliche Unselbständigkeit, die unbeschadet jener besteht, in Zeit und Kausalität zum Ausdruck. Hiernach ist die Wirklichkeit nicht wie Raum und Zeit eine Formalkategorie, was man wegen des Zusammenhangs der Entstehung unserer Erkenntnis der Wirklichkeit mit den Kategorien von Raum und Zeit erwarten sollte. Sie beruht auf dem wirklichen Akte der Selbstentsagung und Selbstentäusserung Gottes, dessen Ergebnis, die geliehene Selbständigkeit, nicht als etwas bloss Scheinbares betrachtet werden kann. Die auf ihren Wirklichkeitssinn pochenden Philosophen der Gegenwart werden diese Gedanken für übersteigend oder gar verstiegen halten, das ist ebenso leicht als überflüssig. Wünschenswert wäre, dass sie endlich erklärten, worin denn nach ihrer Meinung die Wirklichkeit im Unterschied von der Wahrheit bestehe und ob Raum und Zeit bloss für das Zustandekommen unserer Erkenntnis der Wirklichkeit oder auch für diese selbst eine Bedeutung haben.
Die Erkenntnis der Aussenwelt.
Wenn wir die Entstehung und Zusammensetzung unsrer [pg 52] Vorstellungen der Weltdinge und ihrer Ordnung in Raum und Zeit ins Auge fassen, wie sie nach dem gesicherten Ergebnis der Psychologie notwendig gedacht werden muss, so können wir keinen Augenblick darüber zweifeln, dass wir von der Beschaffenheit dieser Dinge keine Erkenntnis haben. Die Annahme, dass die Dinge so sind, wie wir sie wahrnehmen, beruht offenbar auf einer bloss vermeintlichen, durch die Psychologie völlig beseitigten Einsicht. Für den Kenner der Psychologie ist die Frage, ob die Dinge so sind, wie wir sie sehen, einfach ungereimt. Jeder hat sein besonderes, eigenes Gesichtsbild von den Dingen, und dieses besteht aus den Gesichtsempfindungen und den mit ihnen associierten Tastempfindungen: seine Stelle im Raum wird bestimmt durch die für das Zustandekommen dieser Tastempfindungen erforderlichen Muskelempfindungen der Arm- und Beinexkursionen. Zu einem uns gegenüberstehenden sogenannten Gegenstande wird das Ding durch die von unsren Bewegungen hergenommene und dem bewegten Gesichtsbilde zu Grunde gelegte Willensenergie, die allmählich verblasst und als Restbestand das den Raum ausfüllende und Widerstand entgegensetzende Ding übrig lässt. Wenn wir die Dinge so wahrnehmen sollen, wie sie sind, dann muss diese ihre Beschaffenheit in blossen Empfindungen bestehen, und die Dinge können nichts als Vorstellungen sein. Allein niemand versteht unter den Dingen blosse Komplexe von Empfindungen oder Vorstellungen, auch nicht fortdauernde (unter gleichen Umständen immer wiederkehrende) Möglichkeiten von Empfindungen; ganz abgesehen davon, dass diese Möglichkeiten als reale Möglichkeiten gedacht werden müssen und so einen Ermöglichungsgrund der Empfindungen voraussetzen. Alle denken unter den Dingen etwas von den Empfindungen und Vorstellungen Verschiedenes.
Müssen wir also auf die Erkenntnis der Beschaffenheit der Dinge verzichten, so fragt sich, ob wir nicht wenigstens die Existenz von Dingen, die uns unter der Hülle von Empfindungen bewusst werden, erkennen können. Davon nun, dass von uns verschiedene, durch die Empfindungen und Vorstellungen uns gegebene und unsrem Bewusstsein gegenwärtige Dinge existieren, davon haben wir eine unmittelbare Einsicht. [pg 53] Die Zusammengehörigkeit dieser Empfindungen und Vorstellungen mit einem von uns verschiedenen Sein oder Etwas leuchtet uns unmittelbar ein. Die Einsicht davon lässt sich nicht wegdisputieren; sie bleibt bestehen, auch wenn die anfängliche Einsicht, dass wir die Beschaffenheit der Dinge erkennen, beseitigt oder als eine bloss vermeintliche Einsicht erkannt ist.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Einsicht eine unmittelbare ist und die Zusammengehörigkeit uns unmittelbar einleuchtet. Sie ist nicht vermittelt durch die Einsicht, die wir vom Gesetz der Kausalität haben. Wir schliessen nicht daraus, dass die Empfindungen ohne unser Zuthun in uns entstehen, auf etwas von uns Verschiedenes, das ihren Anfang ermöglicht. Gegen diesen Schluss ist mit Recht eingewendet worden, dass die Empfindungen möglicherweise aus uns entstehen könnten, ohne dass wir darum wüssten. Unsre Erkenntnis von den Dingen der Aussenwelt, sofern es sich um ihre Existenz handelt, ist eine streng unmittelbare; von dem Bewusstsein einer Ursache, eines Anfangs und einer Ermöglichung des Anfangs ist in ihr nichts zu entdecken, wie das schon oft hervorgehoben worden ist. Für die Nichtexistenz der Dinge in dem Sinne, in dem wir sie verstehen, ist eine unmittelbare Evidenz nie in Anspruch genommen worden, kann auch, so viel ich sehe, in Zukunft nicht in Anspruch genommen werden. Sie sind natürlich verschieden von den Empfindungskomplexen, den Willensdingen, von ihrer Substanz und Kausalität, deren Entstehung und Zusammensetzung uns die Psychologie mit durchsichtiger Klarheit kennen lehrt. Sie können Gedanken sein und sind nach unsrer Auffassung Gedanken Gottes, oder wenn man lieber will, des Bewusstseins überhaupt (Berkeley, Rehmke), also nicht Gedanken unsres oder meines individuellen Bewusstseins. Sie sind nicht Dinge an sich, die wir erkennen, wie sie unerkannterweise sind, sondern ein von Ewigkeit und vor uns Gedachtes, und unsre Erkenntnis derselben ist nur ein Nachdenken eines Vorhergedachten. Giebt es keine unmittelbare Evidenz der Nichtexistenz der Dinge in diesem Sinne, so ist der seltene Fall, wo sich Evidenz und Evidenz wie Ja und Nein gegenüber stehen, also ausgeschlossen, der einzige Fall, in dem wir [pg 54] uns auf eine Evidenz nicht berufen könnten. Für die Nichtexistenz von Dingen in unsrem Sinne scheint auch kein Beweis geführt werden zu können. Positivisten wie Stuart Mill, welche sich auf die fortdauernde Möglichkeit der Empfindungen, aus denen sich das Vorstellungsbild der Dinge ergiebt, zurückziehen, müssen diese Möglichkeit als reale fassen und bedürfen daher für sie eines Ermöglichungsgrundes, den sie nur in den Dingen in unsrem Sinne finden können. Idealisten wie Berkeley, Rehmke können gegen die Annahme von Dingen als Gedanken Gottes oder des Bewusstseins überhaupt von ihrem Standpunkte aus keinen Beweis zu erbringen versuchen.
Hingegen können wir unsere Annahme von solchen Dingen, die wir durch unmittelbare Einsicht gewinnen, auch noch durch einen Beweis stützen. Seit Cartesius ist in der Philosophie die abstrakte Trennung von Leib und Seele, von Körperwelt und Bewusstsein, die von ihm aus bloss methodischen Gründen eingeführt wurde, zu einer gewohnheitsmässigen Annahme geworden, über deren Recht oder Unrecht kaum noch reflektiert wird. Aristoteles und den mittelalterlichen Philosophen war diese Annahme völlig fremd. Auch unsere Psychologie setzt die abstrakte Trennung von Leib und Seele als selbstverständlich voraus, sie geht darum von den Empfindungen als den Anfangszuständen des Bewusstseins aus und legt auf Grund derselben und im Anschluss an sie den reichen Inhalt des Bewusstseinslebens dar. Das bietet methodische Vorteile und ist insofern nicht zu verwerfen. Allein schon eine Definition der Empfindung ist unmöglich ohne Zuhilfenahme körperlicher Vorgänge, der Sinnesreize und Gehirnerregungen. Ausserdem wird niemand bestreiten, dass das Kind von Empfindungen als Bewusstseinsvorgängen noch nichts weiss. In unsrem entwickelten Bewusstseinsleben treten ferner die Empfindungen nie als Empfindungen, als Bewusstseinsvorgänge auf. Man hat deshalb gesagt, sie seien uns nicht als Empfindungen sondern als objektivierte Vorstellungen gegeben. Was heisst das? Werden Empfindungen je objektiviert und dadurch zu Vorstellungen? Die Theorie der Objektivation und Projektion ist veranlasst durch die Farben, die Empfindungen sind und doch von uns in der Ferne als den Dingen anhaftend gesehen werden. [pg 55] Allein mit den Farbenempfindungen sind entsprechende Tastempfindungen associiert, die wir nur haben können, wenn wir den Gegenstand berühren. Es ist darum begreiflich, dass wir beim Sehen des Gegenstandes uns in Gedanken an seinen Ort versetzen und ihn nun unmittelbar, wie mit den Tastempfindungen so auch mit den Gesichtsempfindungen der Farben umkleiden (hierin liegt der Grund, wie bei der Erörterung über die Erinnerung deutlich werden wird, warum wir bei der äussern Wahrnehmung nicht leicht von einer Einsicht reden). Wir würden nicht von objektivierten oder gar projizierten Empfindungen als dem unmittelbar Gegebenen reden, sondern vorziehen zu sagen, dass uns die Empfindungen nicht als Empfindungen ursprünglich gegeben sind sondern als Erkenntnismittel.
Auf einer gewissen Stufe des entwickelten Bewusstseins hören schon beim unmündigen Kinde die Empfindungen auf unverstandene Zustände zu sein. Es erhebt sich der auf das Wesen der Dinge und die Wahrheit gerichtete Blick des Geistes, durchdringt die sinnliche Hülle der Empfindungen, die in jedem andere und besondere sind, und erfasst das für alle Zeit und darum auch für alle Denkenden den Empfindungen irgend entsprechende, jedenfalls mit ihnen zusammengehörende Sein und Etwas, d. h. das für alle Zeit und für alle Denkenden gültige Wesen der Dinge in der unbestimmten Weise, wie es eben dem Begriffe des Seins und Etwas entspricht. Natürlich bleibt die Empfindung das Kleid, die Hülle dieses unbestimmten Seins und Etwas, der Stützpunkt, das Schwungbrett, um mit Platon zu reden, für diesen Blick des Geistes, das er nicht entbehren kann. Empfindungen als Bewusstseinsvorgänge sind Abstraktionen, als Erkenntnismittel für die Aussenwelt sind sie das ursprünglich Gegebene. Aber auch für die höchsten Begriffe können wir dieses Erkenntnismittel, wie Aristoteles zuerst sieht, nicht entbehren. Kein Begriff ohne Phantasiebild – dieser Satz stammt von ihm. Er will sagen: kein Begriff ohne wieder auflebende Empfindungen, die als Erkenntnismittel funktionieren. Dem Blick des Geistes, der das den Empfindungen entsprechende Sein findet oder entdeckt, folgt das Einleuchten der Zusammengehörigkeit und diesem die Einsicht in die Zusammengehörigkeit. [pg 56] Aber nur von dem ganz unbestimmten Sein und Etwas der Dinge, das freilich für alle Zeit und für alle Denkenden gilt, giebt uns diese Einsicht Kunde, nicht von seiner Beschaffenheit. Etwas Näheres von seiner Beschaffenheit, freilich noch unbestimmt genug, erfahren wir nach dem Einheitsgesetz unsres Erkennens, nach dem alle Wahrheit und damit alles Wesen der Dinge Gedanke Gottes ist. Hiernach muss dann auch das mit den Empfindungen zusammengehörende Sein und Etwas als Gedanke Gottes gefasst werden. Davon haben wir dann eine mittelbare, eine durch das Einheitsgesetz vermittelte Erkenntnis.
Wir gehen bei unsrer Beweisführung davon aus, dass nicht bloss unser Leib sondern auch die Körperwelt mit unsrem Bewusstsein eine Einheit bilden. Denn nur unter dieser Voraussetzung scheint eine unmittelbare Erkenntnis der Körperwelt aus den Empfindungen und durch sie, wenn auch nur ganz unbestimmt, als eines Etwas oder Seienden möglich zu sein. Aber besteht jene Annahme zu recht? Können wir wirklich nicht bloss von einer Einheit unsres Leibes, sondern auch der Körperwelt mit unsrem Bewusstsein reden? Zunächst unterscheidet das Kind seinen eigenen Leib noch nicht von fremden Körpern. Erst die Schmerzgefühle, welche mit den Angriffen auf den Leib verbunden sind, machen ihm klar, dass es sich mit dem eigenen Körper anders verhält als mit fremden Körpern. Dann steht doch auch der eigene Körper mit der ganzen Körperwelt in einer auf beständigem Austausch beruhenden Verbindung; sie bilden mit einander eine unauflösliche Einheit, in dem es kein Leeres und keine Sprünge giebt. (Horror vacui. Natura non facit saltus.) Natürlich leugnen wir nicht, dass das Verhältnis des Bewusstseins zu dem, was wir unsren Leib nennen, ein andres ist als zu den fremden Körpern. Aber erstens ist dies Verhältnis uns unbekannt; zweitens ist es nicht zu allen Teilen des eigenen Leibes das gleiche, scheint zu vielen Teilen desselben vielmehr kein engeres zu sein wie zu der übrigen Körperwelt; drittens endlich ist dieses Verhältnis, was die Erkenntnis des eigenen und der fremden Körper angeht, sicher das gleiche, und bloss in dieser Hinsicht kommt dieses Verhältnis für uns hier in Betracht.
[pg 57]Wir fragen endlich, wie weit denn unsre Einsicht bezüglich der Aussenwelt reicht? Wir antworten: genau so weit, als unsere wirkliche Erkenntnis; denn diese ist mit der Einsicht ein und dasselbe. Natürlich gehört Raum und Zeit, Substanz und Ursache, nicht minder aber auch Materie und Kraft, in denen die gleichen irrationalen, dem Denken inkommensurabeln, durch dasselbe nicht aufzuhellenden Elemente enthalten sind, bloss zu der Erscheinung der Welt in unsrem Bewusstsein. Abgesehen von den Urteilen über das in diesen Formen Verbundene giebt es keinerlei Einsicht von ihnen, was natürlich nicht hindert, dass wir von dem in diesen Formen Gegebenen, unter ihnen Erfassten eine Einsicht haben. Sehen wir aber von dieser Erscheinung der Aussenwelt in uns ab, so bleibt kaum etwas anderes übrig, als ein unbestimmtes Seiendes, das freilich im Gegensatz zu dieser Erscheinung objektiv für alle Zeit und für alle Denkenden gültig ist, und in diesem Sinne existiert. Giebt es eine Vielheit von Dingen in der Aussenwelt, die wir freilich nur nach den sinnfälligen Eigenschaften ihrer Erscheinung unterscheiden können? Wir werden behaupten müssen, dass wir davon eine einsichtige Erkenntnis haben, sofern es sich um die grossen Himmelskörper einschliesslich unsrer Erde und um die kleinen Menschen-, Tier- und Pflanzenkörper handelt, auch bezüglich der Atome der Physiker, bezüglich der Aggregatzustände Luft, Wasser, Erde, ferner der Berge, Flüsse, Thäler, Meere. Aber was diese vielen Dinge der Natur sind, die wir nur nach ihrer Erscheinung im Bewusstsein bestimmen und unterscheiden können, insbesondere, wodurch sie sich in Wirklichkeit unterscheiden, wissen wir nicht. Die Vielheit stellt sich uns ferner als eine gebrochene Einheit dar. Natürlich haben wir auch von den Ergebnissen der beschreibenden Naturwissenschaften, sofern sie wirklich wissenschaftliche Ergebnisse sind, einsichtige Erkenntnisse, bei denen freilich immer vorbehalten bleibt, was es mit den Körpern, von denen sie handeln, eigentlich auf sich hat, was sie abgesehen von ihrer Erscheinung in unsrem Bewusstsein sein mögen. Das Gleiche gilt von den Ergebnissen der Chemie, Astronomie, Physik, Mechanik und zwar in um so höherem Grade, je weiter wir uns in diesen Wissenschaften von den [pg 58] verwickelten Verhältnissen des Einzelwirklichen entfernen, jemehr wir von ihnen abstrahieren. Bis an die äusserste Grenze der Abstraktion gehen wir in der Geometrie und Arithmetik, und daher rührt die durchsichtige Klarheit der Sätze dieser Wissenschaften. Bei der Geometrie bleibt freilich noch der Raum und die Ausdehnung mit dem in ihnen enthaltenen irrationalen Elemente gleichsam als Hindernis einer vollkommen uneingeschränkten Einsicht bestehen, die wir erst für die Sätze der Arithmetik, bei der auch dieses Hindernis in Fortfall kommt, in Anspruch nehmen können.
Über die Erkenntnis des eigenen Bewusstseins.
Die Erkenntnis der Aussenwelt ist, wie wir sehen, überall durch unüberschreitbare Schranken eingeengt. Wenn wir von der Existenz der Dinge und Vorgänge der Aussenwelt und ebenso der Beziehungen zwischen ihnen auch eine wirkliche, in der Einsicht bestehende Erkenntnis haben, so bleibt uns die nähere Beschaffenheit dieser Dinge und ebenso der Vorgänge doch verborgen. Wir können sie nur nach ihrer Erscheinung in unsrem Bewusstsein näher bestimmen, und diese mag für ihre Unterscheidung ausreichen, kann uns aber über ihre Beschaffenheit keine Belehrung geben. Der Aussenwelt steht die Innenwelt unsres Bewusstseins gegenüber. Können wir von dieser Einsichten, Erkenntnisse gewinnen, die umfassender und vertiefter sind, wie manchmal behauptet wird? Von einer Reihe von Forschern, die sich an Brentano anschliessen, wird angenommen, dass wir Einsichten überhaupt nur von den Gegenständen der innern Wahrnehmung, also von der eigenen Innenwelt haben können, nicht aber von den Gegenständen der äussern Wahrnehmung, also von der Aussenwelt, sofern sie Gegenstand der äussern Wahrnehmung ist.
Jedenfalls ist jeder Bewusstseinsvorgang durch das Merkmal der Bewusstheit charakterisiert, das man als ein Wissen des Bewusstseinsvorganges um sich selbst bezeichnen kann. Jeder hat sich selbst zu seinem Inhalte. In diesem Sinne kann man sagen: jede Vorstellung stellt etwas vor, mag sie richtig sein oder nicht, und das ist der nicht von ihr verschiedene [pg 59] Inhalt. Dieses Wissen des Bewusstseinsvorganges um sich selbst muss natürlich immer wahr sein: in ihm kann es keinen Irrtum, keine Falschheit geben. Aber es ist kein eigentliches Wissen, kein namentliches, vorstellungsmässiges, begriffliches Wissen. Wir gewinnen durch dasselbe noch keine Vorstellungen, Begriffe von den Bewusstseinsvorgängen. Dieses uneigentliche Wissen ist keine Einsicht, keine Erkenntnis. Aber wir können über die Bewusstseinsvorgänge reflektieren und diese Reflexion, selbst ein Bewusstseinsvorgang, ist von den Bewusstseinsvorgängen, die ihren Gegenstand bilden, verschieden. Durch die Reflexion nun gewinnen wir zweifellos nicht bloss von der Existenz sondern auch von der Beschaffenheit der Bewusstseinsvorgänge eine Einsicht, eine Erkenntnis. Wir stehen ihnen nicht ratlos gegenüber wie den Dingen und Vorgängen der Natur oder müssen uns mit einer ganz unbestimmten Erkenntnis derselben begnügen. Wir wissen, was es mit ihnen auf sich hat, wodurch sie sich von einander unterscheiden auf Grund von Merkmalen, die wir in den Bewusstseinsvorgängen selbst finden. Allerdings sind alle unsere Vorstellungen, die wir von den Bewusstseinsvorgängen haben, aus dem sinnlichen Gebiete entlehnte, übertragene, ursprünglich also sinnliche und mit Bezug auf die Bewusstseinsvorgänge nur bildliche Vorstellungen. Wir bedürfen dieser Krücken der sinnlichen Vorstellungen bei jedem Schritte, den unser Denken thut und können ihrer nirgends entraten, auch nicht, wenn es sich um die Erkenntnis unserer Bewusstseinsvorgänge handelt. Aber wir wissen sehr wohl zwischen dem ursprünglichen und übertragenen Sinne dieser Vorstellungen, z. B. der Vorstellung Vorstellen, zu unterscheiden und geben ihnen unwillkürlich bei der Übertragung auf die Bewusstseinsvorgänge eine diesen entsprechende andere Bedeutung. Hier kommt das mit jedem Bewusstseinsvorgang verbundene, uneigentliche Wissen des Bewusstseinsvorgangs um sich selbst zur Geltung und verhindert eine Herabziehung der Bewusstseinsvorgänge in das sinnliche Gebiet. Die Empfindungen, insofern sie Erkenntnismittel der Aussenwelt sind und als solche immer unter Mitwirkung der Sinnesorgane, sei es der äussern, sei es bloss der innern, der Gehirnerregungen, funktionieren, gehören dem [pg 60] sinnlichen Gebiete an, ja sie konstituieren dasselbe. Insofern wir aber bei der Reflexion über die Empfindungen von dieser ihrer körperlichen Seite absehen, bilden sie, wie alle Bewusstseinsvorgänge, einen Gegensatz wie zu allem Körperlichen, so auch zu allem Sinnlichen. Es ist unrichtig zu sagen, dass wir von den Bewusstseinsvorgängen nur Vorstellungen haben und nicht wissen, was diesen Vorstellungen eigentlich entspricht; von unsren gegenwärtigen Gefühlen, gegenwärtigen Wollungen und gar von unsren gegenwärtigen Vorstellungen sollen wir blosse Vorstellungen haben. Es leuchtet unmittelbar ein, dass diese Annahme falsch ist, abgesehen von den widersinnigen Konsequenzen, zu denen sie führt. Müssten wir ja dann auch von den Vorstellungen unsrer Bewusstseinsvorgänge nur Vorstellungen haben und von diesen Vorstellungen wieder nur Vorstellungen und so fort ohne Ende. Man könnte denken, die Übertragung der aus dem sinnlichen Gebiete entlehnten Vorstellungen auf die Bewusstseinsvorgänge könne nur in Urteilen geschehen. Allein diese Urteile setzen das Einleuchten der Zusammengehörigkeit der Bewusstseinsvorgänge mit den Vorstellungen und die Einsicht in diese Zusammengehörigkeit voraus, die Übertragung geht also, wie der Einsicht und dem Einleuchten, so auch dem Urteil voran, und wir werden sie dem Blick des Geistes zuschreiben müssen, dem wir die wesentlichen Merkmale verdanken.
Man kann die Bewusstseinsvorgänge isolieren, wie wir das thun, wenn wir sie durch übertragene Vorstellungen näher bestimmen. Das ist ein abstraktes Verfahren, welches zu diesem Zwecke angewendet werden kann und in der Psychologie gute Dienste thut. Aber man darf nicht glauben, dass die Bewusstseinsvorgänge in Wirklichkeit auch isoliert von einander sind. Sie liegen nicht nebeneinander wie die Atome eines Körpers, haben vielmehr einen übergreifenden, die gleichzeitigen und sogar auch die vorangehenden Bewusstseinsvorgänge mit umfassenden Charakter. Ohne dieses Übergreifen ist das Zustandekommen des Sinnenbildes der Ausdehnung, in dem die gleichzeitigen Empfindungen, und des Sinnenbildes der Bewegung, in dem die aufeinanderfolgenden Empfindungen in bewusster Weise zusammenhängen oder einen bewussten Zusammenhang bilden, nicht zu erklären. Die den einzelnen Bewusstseinsvorgängen [pg 61] eigentümliche Bewusstheit oder das Wissen um sich selbst greift hier auch auf die andern gleichzeitigen oder vorausgehenden und nachfolgenden Empfindungen hinüber. Das, was wir Einheit des Bewusstseins nennen, vermöge deren wir von unsrem Bewusstsein reden und dieses den fremden Bewusstseinen gegenüberstellen, hat hierin seinen Grund. Es ist zu beachten wichtig, dass wir nicht bloss eine wirkliche Einsicht und Erkenntnis von der Existenz und Beschaffenheit der Bewusstseinsvorgänge haben, sondern ebenso auch von ihrer Zugehörigkeit zu unsrem Bewusstsein, oder dass sie unsere Bewusstseinsvorgänge sind. Auch von dem besonderen Zusammenhange zwischen Vorstellungen und Gefühlen, Gefühlen und Wollungen, zwischen Überlegung, Entschluss, Vorsatz, Ausführung – mag uns die Art dieses Zusammenhangs auch dunkel bleiben – haben wir eine Einsicht, eine wirkliche Erkenntnis, also wenigstens davon, dass dieser Zusammenhang besteht. Wir wissen, was wir beabsichtigen, und wann wir ohne Absicht handeln und darum für den Erfolg unserer Handlungen entweder gar nicht oder nicht völlig verantwortlich sind, und dieses Wissen beruht auf einer Einsicht und Erkenntnis. Das Gefühl der Reue und der Verantwortung und ihr Gegenteil hat darin seinen Grund.
Giebt es auf Einsicht beruhende Erinnerungen, sind Erinnerungen wirkliche Erkenntnisse? Zweifellos können sie das sein und sind es in Wirklichkeit oft genug. Eigentlich können wir uns nicht an Dinge und Vorgänge, sondern nur an unsere Wahrnehmung der Dinge und Vorgänge erinnern. Die Erinnerung ist ein Wissen der Zusammengehörigkeit eines vergangenen Bewusstseinsvorganges mit dem gegenwärtigen, daher seiner Zugehörigkeit zu unsrem Bewusstsein. Dass uns diese Eigentümlichkeit der Erinnerung bei der Erinnerung selbst weniger zum Bewusstsein kommt, hat seinen Grund darin, dass wir bei den Erinnerungen uns ganz in die Zeit des vergangenen Vorgangs versetzen und mit unsrem Denken nur bei ihm verweilen; ähnlich wie wir bei der Wahrnehmung uns an den Ort des Gegenstandes versetzen. Das ist auch der Grund, warum wir nicht leicht von einer Einsicht sprechen weder bei der Erinnerung noch bei der [pg 62] Wahrnehmung. Die Einsicht setzt immer zwei Glieder voraus, deren Zusammengehörigkeit uns einleuchtet. Bei dieser Versetzung in die Zeit des erinnerten und an den Ort des wahrgenommenen Gegenstandes scheint aber immer nur ein Glied vorhanden zu sein. Kommen wir aber auf dem Wege der Reflexion dazu, die Erscheinung des Dinges in unsrem Bewusstsein von dem wahrgenommenen Dinge selbst oder den gegenwärtigen Erinnerungsakt von dem vergangenen erinnerten Bewusstseinsvorgang zu unterscheiden, so leuchtet uns die Zusammengehörigkeit beider ein, und wir begreifen, dass wir auch bei der Wahrnehmung und Erinnerung von einer Einsicht sprechen müssen. Sehen wir unter dieser Voraussetzung ab von der Bedeutung der Zeit, der Vergangenheit in ihrem Verhältnis zur Gegenwart, die wir nicht kennen, sehen wir ferner ab von Ausdehnung, Bewegung, Raum, Substanz, die nur die Erscheinung der Dinge und Vorgänge im Bewusstsein ausmachen können (falls bei der Erinnerung auch äussere Dinge und Vorgänge, sofern sie wahrgenommen wurden, in Frage kommen), so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass es Erinnerungen giebt, die in einer Einsicht oder wirklichen Erkenntnis bestehen. Die ganz klaren und deutlichen sind von dieser Art. Wer kann leugnen, dass er eine auf Einsicht beruhende Gewissheit davon hat, heute Morgen aufgestanden zu sein, einen Spaziergang gemacht zu haben, auf demselben jemand getroffen oder gesprochen zu haben, von Kummer erfüllt gewesen zu sein beim Tode eines Angehörigen, beim Verlust eines Vermögens usw.? Sogar darüber, ob unsere Erinnerung ungenau, lückenhaft, verschwommen ist, können wir unter Umständen eine auf Einsicht beruhende Gewissheit haben. Ist das Gedächtnisbild von einem früheren Bewusstseinsvorgang von dieser Beschaffenheit, so werden die mit dem früheren Bewusstseinsvorgang verbundenen Gefühle auch nur zum Teil in lückenhafter, verwischter Weise wieder aufleben. Das hat eine Spannung, ein Unbehagen zur Folge, worin wir etwa den psychologischen Anknüpfungspunkt für das Einleuchten der Nichtzusammengehörigkeit, (die in diesem Falle als Nichtangemessenheit bestimmt werden muss) des Gedächtnisbildes mit dem Bewusstseinsvorgang erblicken können, der die Einsicht in diese Nichtzusammengehörigkeit folgt.
[pg 63]So sicher es aber auch ist, dass wir Erinnerungen haben, die in Einsichten bestehen und also wirkliche Erkenntnisse sind, so sind die bei der Erinnerung gewonnenen Einsichten doch mancherlei Einschränkungen unterworfen, und wir müssen ihnen gegenüber mancherlei Vorbehalte machen. Noch mehr ist das der Fall, wenn wir von der Erkenntnis unseres Ich sprechen. Wie jeder Bewusstseinsvorgang ein Wissen, freilich ein uneigentliches Wissen von sich selbst hat, das wir seine Bewusstheit nennen, so hat auch das, was wir unser Ich, unser Selbst nennen, ein Bewusstsein von sich. Wir haben ein Ich-Bewusstsein, ein Selbst-Bewusstsein, die Zusammengehörigkeit unsres Ich, unsres Selbst mit diesem Bewusstsein von sich leuchtet uns unmittelbar ein; davon haben wir eine Einsicht, eine Erkenntnis, eine unmittelbare Einsicht, die jeden Zweifel ausschliesst. Wenn Hume behauptet, dass er in sich jederzeit nur ein Bündel von Vorstellungen findet, so hat er eben vergessen, dass dazu ein Vorfinder, eben das Ich, erforderlich ist. Aber was ist dieses Ich, dieses Selbst? Das ist eine andere Frage. Und hier fehlt uns offenbar die Einsicht oder Erkenntnis. Sicher ist es nicht unser Körper oder einer seiner Teile, die Augen, die Ohren, die wir, auch abgesehen von ihrer Erscheinung in unsrem Bewusstsein, unterscheiden müssen, obgleich das Wort Ich lange Zeit hindurch von unsren Kindern und von vielen Erwachsenen ihr Leben hindurch nur oder fast nur von ihrem Leibe verstanden wird, also von dem leiblichen Ich; obgleich ferner das Ich von dem, was dem Leibe, abgesehen von seiner Erscheinung im Bewusstsein, entspricht, nicht getrennt werden kann, soll es nicht zu einem blossen Abstraktum werden. Ohne dieses, dem sinnlich erscheinenden Leib Entsprechende ist ja kein Bewusstsein denkbar, und ohne Annahme des Bewusstseins können wir auch von keinem Ich reden. Sicher ist es ferner keine Substanz, die nur zur Erscheinungsform der körperlichen Dinge gehören kann. Auch mit dem Selbst-Bewusstsein oder Ich-Bewusstsein, das nur sein Merkmal bildet, kann das Ich und Selbst nicht verselbigt werden. Es ist der Ausdruck für die Zusammengehörigkeit der Bewusstseinsvorgänge zu Einem Bewusstsein, aber doch kein blosses Wort; vielleicht ist es das Band dieser Zusammengehörigkeit, das sich ebenso [pg 64] zu der Gesamtheit der Bewusstseinsvorgänge verhält wie der Eine Denkende zum Reich der Wahrheit. Hier sind wir auf blosse Vermutungen angewiesen, es fehlt uns jede Einsicht und damit die wirkliche Erkenntnis. Wenn wir urteilen: ich freue mich, ich bin traurig, ich stelle mir vor, so haben wir zweifellos eine Einsicht und wirkliche Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit unsrer Bewusstseinsvorgänge mit dem Ich- oder Selbstbewusstsein, von ihrer Zugehörigkeit zu unsrem Bewusstsein, diese leuchtet uns unmittelbar ein. Aber vorbehalten bleibt, was es mit dem Ich und Selbst auf sich hat.
Wir sehen, nicht bloss für die Erkenntnis der Aussenwelt, auch für die Erkenntnis unsrer eignen Innenwelt giebt es unübersteigliche oder wenigstens bis jetzt nicht überwundene Schranken; auch hier müssen wir Vorbehalte machen, wenn wir von Einsicht und wirklicher Erkenntnis reden wollen. Freilich besteht, was die Erkenntnis der Aussenwelt und die unsrer eigenen Innenwelt angeht, ein wesentlicher Unterschied. Sehen wir vom Ich ab, so wissen wir doch, was wir unter Händen haben, wenn wir uns mit den Bewusstseinsvorgängen beschäftigen; wir kennen ihre Merkmale und können sie danach von einander unterscheiden, während wir von den Dingen und Vorgängen der Natur in der That nicht wissen, was sie sind, und sie lediglich nach ihrer Erscheinung in unsrem Bewusstsein von einander unterscheiden können. Bei den Bewusstseinsvorgängen fällt natürlich ihre Erscheinung im Bewusstsein mit ihnen selbst zusammen. Denn diese ihre Erscheinung im Bewusstsein ist nichts anderes als das mit ihnen verbundene Wissen von sich selbst, das wir ihre Bewusstheit nennen. Die Reflexion ist nur eine Wiederholung dieses mit jedem Bewusstseinsvorgange verbundenen Wissens von sich selbst.
Weitere Schranken unseres Erkennens.
Eine Schranke unsrer Erkenntnis, der Innen- und Aussenwelt, haben wir bisher absichtlich unerwähnt gelassen. Wir erkennen das Wesen der Dinge und Vorgänge der Natur wie der Vorgänge unsres Bewusstseins, ihre Wahrheit, erst dann, wenn wir ihre Stellung in dem System aller Wahrheit erfasst [pg 65] haben. Davon sind wir aber mit all den erörterten Einsichten und Erkenntnissen noch weit entfernt. Wir gewinnen mit ihnen sozusagen nur die Glieder dieses Systems. Über ihren Zusammenhang innerhalb desselben, auf den doch alles ankommt, bleiben wir völlig im Dunkeln. Das ist die letzte, höchste, eine allgemeine Schranke unserer Erkenntnis, die sowohl für die Erkenntnis der Aussenwelt wie für die Erkenntnis der Innenwelt gilt. Weitere, näher liegende, ebenfalls allgemeine Schranken unsrer Erkenntnis bedürfen einer besondren Erörterung.
Wir bezeichnen gewöhnlich als unser Wissen alles das, von dem wir eine Gewissheit haben. Die Gewissheit verbindet sich aber auch oft genug mit einem blinden Dafürhalten und ist in diesem Falle ohne vernünftigen Grund. Wenn wir die zahlreichen Quellen des blinden Dafürhaltens ins Auge fassen, wenn wir insbesondere erwägen, wie oft unsre Zuneigungen und Abneigungen, unsre Interessen auf unsre Überzeugungen einen massgebenden und bestimmenden Einfluss ausüben, wie oft nach dem Sprichwort der Wunsch der Vater des Gedankens ist, werden wir kaum zweifeln können, dass die Zahl der auf blindem Dafürhalten beruhenden und darum des Charakters der Vernünftigkeit entbehrenden Wissensinhalte sehr gross ist und kaum überschätzt werden kann. Diese Wissensinhalte können natürlich nicht als Erkenntnisse im eigentlichen Sinne gelten.
Von den Erkenntnissen im eigentlichen Sinne müssen ferner die sogenannten Kenntnisse, die auf einer blossen Kenntnisnahme, auf einem blossen Kennenlernen beruhen, sorgfältig unterschieden werden. Sie bilden die unübersehbar grosse Gruppe der associativen Wissensinhalte, bei denen ebenfalls in keiner Weise von einer Einsicht die Rede sein kann. Wir haben Gesichtsempfindungen von den Dingen; mit ihnen zusammen treten die Gehörsempfindungen oder Gehörsvorstellungen von den auf diese Dinge angewendeten Worten auf; sie associieren sich mit den ersteren und werden gelegentlich, wenn sich die Gesichtsempfindungen wiederholen, reproduziert. Wir sagen dann, das Ding heisst so und so. Das ist natürlich ein lediglich associatives Wissen, ohne alle Einsicht. Alles Namen- und [pg 66] Wortwissen in der eigenen und fremden Sprache, alle Benennungsurteile sind von dieser Art, da die Namen und Worte nur willkürliche Zeichen sind für das, was sie bedeuten. Nicht bloss mit den Worten steht es so, es ist vielfach nicht anders mit den Sachen. Wie selten haben wir verhältnismässig eine Einsicht in den Zusammenhang der Teile, aus denen wir die Dinge zusammensetzen, der Eigenschaften, die wir ihnen beilegen, des Geschehens in Natur und Geschichte, wenigstens wenn wir über die nächsten Zusammenhänge bei diesem Geschehen hinausgehen wollen. Die Wissenschaft stellt sich die Aufgabe, diese Zusammenhänge darzulegen, oder, was dasselbe ist, die Gesetze für dieselben zu finden. Aber wie weit ist sie von der Lösung dieser ihrer Aufgabe entfernt. Sehr oft haben diese Zusammenhänge für uns nur den Charakter des zufällig Verbundenen oder des Zusammengeratenen, von dem es nur ein associatives Wissen geben kann, weil das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und damit die Einsicht fehlt.
Es ist endlich klar, wenn wir auf Grund einer geringeren oder grösseren Zahl von Einzelfällen einen allgemeinen Satz aufstellen, wenn wir mit andren Worten einen Induktionsschluss ziehen, so hat dieser Satz, je nach der Zahl der Fälle, eine grössere oder geringere Wahrscheinlichkeit, aber von dieser Wahrscheinlichkeit haben wir doch eine Einsicht, eine wirkliche Erkenntnis, eine Einsicht in seine Wahrscheinlichkeit.
Erkenntnis der Innenwelt andrer.
Wir haben gesehen, wie wir zur Erkenntnis unserer eigenen Innenwelt gelangen und welche Schranken für diese Erkenntnis vorhanden sind. Aber wie steht es mit unserer Erkenntnis der Innenwelt andrer? Haben wir eine auf Einsicht beruhende wirkliche Erkenntnis von fremden Bewusstseinen? Allgemein wird jetzt angenommen, dass diese Erkenntnisse, wenn es wirkliche Erkenntnisse sind, auf dem Wege des Analogieschlusses zustande kommen. Mit unsren Bewusstseinsvorgängen sind Ausdrucksbewegungen, z. B. Lachen und Weinen mit Freude und Trauer, ausserdem Mienen, Gebärden als [pg 67] Zeichen bestimmter Gefühle, Worte als Zeichen bestimmter Gedanken verbunden. Nehmen wir diese nun an andren wahr, so schliessen wir, dass auch bei ihnen die gleichen Bewusstseinsvorgänge vorhanden sein müssen. Sollte wirklich alle Erkenntnis fremder Bewusstseine auf diesem Wege zustande kommen? Sollte beispielsweise das Kind die Freude, die Trauer, den Zorn und Unwillen der Mutter, ihre Liebe, ihren Beifall nur auf diesem Wege kennen lernen? Ist das Kind, wenn es anfängt in dieser Weise in das Bewusstsein der Mutter Blicke zu thun, wohl imstande, die mit seinen Bewusstseinsvorgängen verbundenen Ausdrucksbewegungen, insbesondere seine mit ihnen verbundenen Mienen, die fast ausschliesslich in Betracht kommen, genau zu kennen, um sie mit den Mienen der Mutter vergleichen und daraus bei der Mutter auf ähnliche Bewusstseinsvorgänge schliessen zu können? Das scheint den Beobachtungen, die wir am Kinde machen können, durchaus zu widersprechen. Aber auch soweit wir Erwachsene fremde Bewusstseine erkennen, spielt dieser schwerfällige Analogieschluss, wie die Reflexion deutlich lehrt, keine Rolle. Unsre Erkenntnis der fremden Bewusstseine giebt sich uns als eine unmittelbare kund und, wie es scheint, kann sie auch beim Kinde keine andere sein.
Aber wie ist das möglich? Der blosse Anblick der Bewegung eines andren, z. B. beim Stossen einer Billardkugel, beim Springen über einen Graben, erzeugt in uns, wenn nicht die gleiche Bewegung, so doch den Ansatz dazu. Ähnlich kann man beobachten, dass die Gefühlsäusserungen eine ansteckende Wirkung ausüben. Begegnen wir finstern Mienen, so verdüstert sich auch unwillkürlich unsere eigene Miene. Wo alles lacht, müssen auch wir lachen; wo alles weint, können wir uns des Weinens nicht enthalten, und wenn wir auch nicht wirklich mitlachen oder mitweinen sollten, so werden wir doch fröhlich oder traurig gestimmt. So lange wir Kinder sind und noch nicht gelernt haben, unsren Gefühlsäusserungen Zügel anzulegen, werden wir nicht bloss fröhlich mit den Fröhlichen und traurig mit den Traurigen; wir lachen wirklich mit den einen und weinen mit den andren. Das ist die Regel. Natürlich giebt es Ausnahmen, bei Kindern sowohl als bei Erwachsenen, [pg 68] wenn sie sehr egoistische, sehr gefühllose Naturen sind. Das Merkwürdige hierbei ist nur, dass die ansteckende Wirkung nicht bloss bei den Gefühlsäusserungen stehen bleibt, sondern sofort auch, und wie es wenigstens bei den Erwachsenen scheint, mit grösserer Sicherheit auf die Gefühle selbst übergeht. Nehmen wir nun an, dass wir von unsren Mitmenschen nach ihrer leiblichen Erscheinung bereits eine Erkenntnis gewonnen haben, ist es dann nicht natürlich, dass wir in diesen uns aufgedrängten Gefühlen und sonstigen Bewusstseinsvorgängen ihre eigenen erblicken, dass die Zusammengehörigkeit dieser ihrer Bewusstseinsvorgänge mit ihrer leiblichen Erscheinung sich uns aufdrängt, uns unmittelbar einleuchtet und wir so eine unmittelbare Einsicht, eine unmittelbare wirkliche Erkenntnis von dieser Zusammengehörigkeit und damit von den fremden Bewusstseinen gewinnen? So erklärt sich denn die allbekannte Erscheinung von der unwillkürlich in unsren Kindern auftretenden Abneigung gegen Personen, die Kinder nicht leiden können oder die von schlechter Gemütsart sind. Das Gefühl der Abneigung gegen Kinder, gegen alle Menschen überhaupt, teilt sich den Kindern mit, und in diesem Gefühle lesen sie gleichsam unmittelbar in der Seele des andren und sehen, was in ihr vorgeht. Ich brauche nicht zu bemerken, dass diese Erscheinung zu den Erfahrungen gehört, die wir täglich an uns selbst machen können und die somit als eine allgemein menschliche Erscheinung betrachtet werden muss, mithin auch für das Leben der Erwachsenen gilt. Die Unmittelbarkeit der Erkenntnis der fremden Bewusstseine hat im Grunde nichts Auffälliges. Das Gegenteil ist nur scheinbar natürlicher; der Raum, der uns anscheinend von dem fremden Bewusstsein trennt, gehört selbstverständlich nur unserer Vorstellung an. Eine actio in distans, Einwirkung aus der Ferne muss nach dem jetzigen Stande der Naturwissenschaft sogar für die Körperwelt angenommen werden, wenigstens so lange, als noch nicht nachgewiesen ist, dass die Gravitation zu ihrer Wirkung Zeit braucht; bis jetzt gilt diese Wirkung als eine unzeitliche oder zeitlose. Von der actio in distans der Körper bis zum immediatum commercium animarum ist nur ein Schritt.
Freilich hat die Erkenntnis anderer, insbesondere ihres [pg 69] Innern, auch ihre Schranken. Schon Aristoteles und Locke sagen, dass wir nicht wissen können, ob die Empfindungen etwa von rot und grün, die wir beim Anblick von Blut und Gras haben, bei andren die gleichen und nicht vielmehr die umgekehrten sind, so dass ihnen beim Gras die Empfindung gegenwärtig ist, die wir beim Blut haben, und umgekehrt. Da wir alle von Jugend an gelernt haben, das Gras grün und das Blut rot zu nennen, so würden natürlich die sprachlichen Bezeichnungen die gleichen bleiben. Da ferner für unsre Erkenntnis andrer, so unmittelbar sie ist, doch ihre Gefühlsäusserungen massgebend sind, so muss natürlich immer vorausgesetzt werden, dass diese Gefühlsäusserungen natürliche sind und nicht etwa künstlich zum Zweck der Verstellung oder der schauspielerischen Darstellung hervorgebracht werden. Pestalozzi betont, dass darüber, ob eine Handlung aus selbstlosen oder selbstsüchtigen Motiven hervorgeht, ob sie mit andren Worten sittlich oder unsittlich ist, nur jeder bei sich selbst urteilen kann. Natürlich gilt das Gleiche auch davon, ob neben dem negativen Moment der Selbstlosigkeit auch das positive Moment der rückhaltlosen Hingabe an Gott, des persönlichen Verhältnisses zu ihm, worin das Wesen der Religiosität besteht, für das Zustandekommen der Handlung bestimmend war. Obgleich sich das nun nicht bestreiten lässt, so ist doch anderseits auch nicht zu leugnen, dass wir auf Grund von Erfahrungen, die wir an uns und an andren machen, andren mehr Vertrauen schenken können und müssen als uns selbst, andere für ehrlicher, uneigennütziger, hingebender, opferwilliger halten müssen als uns selbst. In Bezug auf mich selbst bin ich doch eben wegen meiner Eigenliebe, die zum Selbstbeschönigen und Selbstbetrügen führt, viel mehr der Täuschung ausgesetzt, als in Bezug auf andere. Abgesehen davon ist das in Wort und That vorliegende Leben des Einzelnen ebenso Ausdruck seines Innern wie die Gefühlsäusserungen, und wenn wir hier das Natürliche, Nichtkünstliche und Nichtverstellte von seinem Gegenteil unterscheiden können, muss das auch dort gelten. Ist aber dies der Fall, dann kann sich mit der Erkenntnis der Lebensführung des Einzelnen, wie sie sich äusserlich kundgiebt, auch die Vorstellung der Sittlichkeit, der Religiosität verbinden und die Zugehörigkeit dieser [pg 70] innern Vorzüge zu ihr uns einleuchten, sodass wir nun auch von diesem Leben nach seiner innern sittlich religiösen Seite eine Einsicht und wirkliche Erkenntnis haben können. Oft macht das Leben eines Menschen auf uns einen so überwältigenden Eindruck, dass wir bezüglich der Lauterkeit und Reinheit seiner Gesinnung eine durch nichts zu erschütternde Überzeugung gewinnen und uns sagen müssen und wirklich sagen, dass, wenn hier keine Einsicht vorhanden ist, es überhaupt keine Einsicht giebt. Es ist merkwürdig, dass die solchen seltenen Menschen Nahestehenden und mit ihnen Umgehenden trotz der entgegengesetzten Erfahrung, die sie an sich selbst und an andren machen, in diesem ihre Einsicht betreffenden Urteil übereinstimmen, auch wenn der sogenannte Verehrungssinn in ihnen wenig oder gar nicht entwickelt ist. Natürlich sind wir bei dieser auf Einsicht zurückzuführenden Erkenntnis des Innern andrer auch auf ihre Worte als ungewollte und unbeabsichtigte Selbstbeurteilungen angewiesen, also auch auf die Mitteilungen andrer. Ob und inwiefern wir bezüglich der Mitteilungen andrer auch von wirklichen Erkenntnissen oder Einsichten reden können, darüber bedarf es einer besondren Untersuchung, der wir den Titel Geschichtliche Erkenntnisse geben, da die geschichtlichen Mitteilungen unter den Mitteilungen andrer die erste Stelle einnehmen.
Geschichtliche Erkenntnisse.
Den Mitteilungen andrer gegenüber sind wir gewohnt, von einem Dafürhalten zu reden, das wir mit dem geringschätzigen Namen Glauben bezeichnen und insofern dem Wissen als etwas Minderwertiges gegenüberstellen. Wir vergessen dabei gewöhnlich, dass unser ganzes Gerichtsverfahren, auch wenn es sich bei ihm um Leben und Tod handelt, auf Zeugenaussagen, also auf einem Glauben in diesem Sinne beruht, und dass das Leben in der Familie, in der Gesellschaft, im Staate, jeder Verkehr mit unsresgleichen ohne ihn unmöglich würde. Sicher ist, dass blosse Mitteilungen an sich genommen keine Einsichten sind, wenigstens nicht für diejenigen, denen die Mitteilungen gemacht werden. Mitgeteilte Urteile sind zunächst [pg 71] noch keine von uns gefällten Urteile, bei denen die Zugehörigkeit des Prädikates zum Subjekt uns einleuchtet. Aber wir haben gesehen, wie unübersehbar gross die Wissensinhalte sind, die wir uns selbst verdanken und bei denen ebenfalls von einem solchen Einleuchten keine Rede sein kann. Wir bezeichneten diese Wissensinhalte als Kenntnisse und unterschieden sie von den Erkenntnissen. Mit diesen Kenntnissen stehen die Mitteilungen zunächst auf einer Stufe. Aber ebenso wie die blossen Kenntnisse können auch sie unter Umständen zu Einsichten oder Erkenntnissen erhoben werden. Es ist also insofern kein Grund vorhanden, sie den Wissensinhalten gegenüber, die wir uns selbst verdanken und die blosse Kenntnisse sind, für minderwertig zu halten.
Sicher ist ferner, dass wir bezüglich der mitgeteilten Urteile sehr häufig nicht zu einer unmittelbaren Einsicht in die Zusammengehörigkeit des Prädikats mit dem Subjekte gelangen können, uns vielmehr mit der Einsicht, dass der Mitteilende die Wahrheit sagen kann und sagen will, begnügen müssen, und dass wir erst hieraus auf die Zusammengehörigkeit des Prädikats mit dem Subjekte schliessen können. Aber auch von den Wissensinhalten, die wir uns selbst verdanken und die zunächst blosse Kenntnisse sind, gilt, dass wir sehr oft nur eine mittelbare Einsicht von ihnen gewinnen und sie nur durch diese mittelbare Einsicht zu eigentlichen Erkenntnissen erheben können. Wenn wir eine wirkliche Einsicht gewinnen, ist es in der That nicht von Bedeutung, ob dieselbe mittelbar oder unmittelbar ist, ebenso wenig, ob sie eine äussere ist, vermittelt durch Einsicht in die Fähigkeiten und Gesinnungen der Mitteilenden, oder eine innere, vermittelt durch Einsicht in Sätze, die von selbst einleuchten. Auch die äussere mittelbare Einsicht führt in letzter Instanz auf Sätze zurück, die durch sich selbst einleuchtend sind. Ich möchte deshalb vorschlagen, die im Deutschen (im Englischen hat sowohl believe dafürhalten, als faith Glauben im religiösen Sinne eine ganz andere Bedeutung) übliche Unterscheidung des Glaubens von dem Wissen fallen zu lassen und an ihre Stelle die andere von Wissensinhalten, die wir uns selbst und die wir andren verdanken, zu setzen. Es ist dies die bei den Engländern übliche Unterscheidung [pg 72] zwischen Kenntnissen erster und zweiter Hand. Das Wort Glaube bleibt besser wie das englische faith auf seine religiöse Bedeutung beschränkt.
Überblicken wir nun einmal das unermesslich grosse Gebiet der Wissensinhalte, die wir andren verdanken, oder der Kenntnisse zweiter Hand, gegenüber der kleinen Zahl von Wissensinhalten, die wir uns selbst verdanken, oder der Kenntnisse erster Hand, und erwägen wir die Konsequenzen, zu denen es führt, wenn wir die erstren als minderwertig gegenüber den letztren betrachten wollen! Man bedenke, die ganze Geschichte, die Geographie fremder Länder und Völker, die wir nicht selbst gesehen, die Reisebeschreibungen und Naturbeschreibungen von Gegenständen und Dingen, die wir nicht selbst erforschten, die Geschichte der Wissenschaften, auch die Lehren der Biologie, Chemie und Physik, selbst der Mathematik, die wir nicht nachgeprüft haben – und welcher Fachmann wäre im Stande, alles vor ihm Erforschte nachzuprüfen? – alles das sind Kenntnisse zweiter Hand, deren Wahrheit wir nur mittelbar erkennen, sofern wir auf sie aus der Einsicht, dass die uns diese Kenntnisse Mitteilenden die Wahrheit wussten und auch sagen wollten, schliessen. Können wir diese sämtlichen Wissensinhalte, weil wir sie der Mitteilung andrer verdanken, für minderwertiger halten als die geringe Zahl der durch eigene Thätigkeit gewonnenen Wissensinhalte, die doch grösstenteils auch nur Kenntnisse sind und insofern mit ihnen auf einer Stufe stehen? Oder doch für minderwertiger als diejenigen unter ihnen, welche eigentliche Erkenntnisse sind, insbesondere als die Begriffsurteile der Arithmetik, der Logik, der Metaphysik und die diesen Begriffsurteilen sich nähernden, freilich nicht ohne Vorbehalt als Erkenntnisse zu betrachtenden allgemeinen Lehrsätze der Geometrie, Astronomie, Physik, Mechanik? Wegen der allgemeinen Anwendbarkeit der Begriffsurteile und dieser sich ihnen nähernden Lehrsätze ist ihr Nutzen für den Aufbau der Wissenschaften nicht hoch genug anzuschlagen, und insofern mögen sie höherwertig sein als die einfachen Thatsachenurteile. Aber der Erkenntniswert der Begriffsurteile ist offenbar nicht grösser als der der Thatsachenurteile. Hier wie dort besteht er in dem Einleuchten der Zusammengehörigkeit [pg 73] und der Einsicht in dieselbe, was beides bei Thatsachen ebensowohl vorhanden sein kann als bei Begriffen. Ausserdem hat die Wahrheit der Thatsachenurteile ebenso einen überzeitlichen Charakter wie die Wahrheit der Begriffsurteile. Die meisten der auf Mitteilung beruhenden Urteile, ausser denen, die zu den erklärenden Naturwissenschaften und zur Mathematik gehören, sind solche Thatsachenurteile; die geschichtlichen Wissenschaften bestehen fast lediglich aus ihnen.
Es ist wichtig zu beachten, dass den geschichtlichen Thatsachen, die wir sämtlich der Mitteilung andrer verdanken, kein geringerer, im Gegenteil sicher ein höherer Erkenntniswert zukommt als, ganz allgemein gesprochen, den Wissensinhalten der Naturwissenschaften, von denen wir viele durch unsere eigene Beobachtung gewinnen und die wir, wenn sie durch Beobachtung andrer gewonnen wurden, nachprüfen können, die ferner wegen ihrer grösseren Einfachheit eher die Herstellung gesetzlicher, den Begriffsurteilen sich nähernder Zusammenhänge ermöglichen. Wir haben gesehen, dass sich uns die Natur als eine gebrochene Einheit, nicht als eine wahre Vielheit darstellt; damit hängt zusammen, dass das Einzelne in der Natur nur als Beispiel einer Gattung und Art und nicht als solches Bedeutung hat. Den Botaniker interessiert dieses bestimmte Exemplar einer viola tricolor nur als Beispiel der Art. Ganz anders in der Geschichte. Die geschichtlichen Personen bilden eine wirkliche Vielheit. Jede einzelne hat ihren Wert, ist sozusagen eine Gattung, eine Art für sich. Eben darum stellen die geschichtlichen Thatsachen dem Erkennen eine viel schwerer zu bewältigende Aufgabe als die Naturthatsachen; sie bieten dem Erkennen zu gleicher Zeit aber auch einen Reichtum und eine Lebensfülle, hinter der die reichste und lebensvollste Ausstattung der Naturgestalten zurückbleibt. Die Geschichte ist die Quelle von Gedanken, welche uns der Lösung des Rätsels des Weltgeschehens näher bringen, während die Natur unsren Fragen gegenüber verstummt. Von dem Körperlichen, dem eigentlichen Gegenstande der Naturwissenschaft, wissen wir strenggenommen nicht, was es ist; von den Triebfedern und Beweggründen menschlicher Handlungen, die sich uns als die [pg 74] Hebel der geschichtlichen Entwicklung darstellen, haben wir eine eigentliche, in einer Einsicht bestehende Erkenntnis. Ausserdem ist das Körperliche sicher dem für die Geschichte massgebenden und bestimmenden Geistigen untergeordnet und hat in ihm seinen Zweck. Was haben beispielsweise die freilich bloss hypothetisch angenommenen Ätherschwingungen und die wirklich zu konstatierenden Luftschwingungen sonst für einen Zweck, als in unserem Bewusstsein die Farben und die Töne zu erzeugen und damit den Künsten der Malerei und Musik zur Geburt zu verhelfen? Es giebt einen der Natur innewohnenden Zweckzusammenhang, der in der Ermöglichung und Herausbildung des Bewusstseins, vor allem des menschlichen Bewusstseins, seine Spitze hat und in ihm, wie es scheint, seinen Abschluss findet. Es scheint nicht richtig, die Natur als Gegensatz zum Geiste zu betrachten; vielmehr stellt sie sich uns dar als eine Stufenleiter zum Geiste, der uns nicht bloss in unsrem Bewusstsein sondern mehr noch in der Geschichte offenbar wird. Man könnte sagen, die Natur oder Körperwelt sei für uns, die wir allein das Bewusstsein seiner Beschaffenheit nach kennen, das Nichtbewusstsein, also Gegensatz des Bewusstseins. Allein das ist nur ein andrer Ausdruck für unser Nichtwissen. Eher kann man sagen, das Niedere sei um des Höheren willen, also in letzter Instanz alles für das Bewusstsein da. Herausbildung des Nervensystems als Bedingung der Empfindung, des Bewegungssystems als Werkzeug des Willens – das scheint der ganze Zweck des tierischen und menschlichen Körpers zu sein. Wofür wäre die Farbenpracht, der Formenreichtum der Pflanzenwelt, wenn nicht für das sehende Auge?
Oder soll etwa das Bewusstsein seinen Zweck in der Natur haben und ihr als Mittel dienen? Allein die Natur geht die Jahrtausende hindurch ihren unabänderlichen Gang nach ehernen Gesetzen, die das Bewusstsein entdecken und dann sich dienstbar machen, aber nicht im geringsten ändern kann. Das Antlitz des Weltalls und der Erde bleibt das gleiche Jahrtausende hindurch, ohne von dem Bewusstsein einen ändernden Einfluss zu erfahren. Die Benutzung der Naturgesetze zu seinen, nämlich des Menschen Zwecken, das sich Dienstbarmachen [pg 75] und Beherrschen der Natur, das Zwingen derselben zum Gehorsam im Experiment kraft dieser Gesetze ist ferner unerklärbar, wenn das Bewusstsein der Natur wie das Mittel dem Zweck untergeordnet oder um der Natur willen vorhanden wäre.
Es bleibt noch eine dritte Möglichkeit, nämlich mit der mechanischen Naturauffassung den Zweckbegriff ganz zu eliminieren. Allein die Anhänger dieser Auffassung können der Entwicklungshypothese nicht entbehren und führen mit ihr gleichsam durch eine Hinterthür den Zweckbegriff wieder in die Wissenschaft ein. Die Entwicklungshypothese verlegt die Zielstrebigkeit, die Aristoteles zur Ermöglichung der Selbstentfaltung und Selbstentwicklung für jedes einzelne Naturding in Anspruch nahm, in das Ganze der Natur. Das Niedere ist nach ihr dem Höheren untergeordnet und dient ihm als Mittel zum Zwecke. Man sucht freilich die Zweckmässigkeit mechanisch zu erklären. Nur was seiner Umgebung angepasst und für den Verkehr mit ihr eingerichtet ist, soll daseinsberechtigt und lebensfähig sein. Woher kommt die Anpassung und Einrichtung? Es passt sich selbst an, richtet sich selbst ein; vermöge seines Selbsterhaltungstriebes kommt es zur Selbstentfaltung und Selbstentwicklung. Das ist eben das, was Aristoteles Zielstrebigkeit nennt. Man sagt, das Stärkere erhält sich, weil es besser für den Kampf ums Dasein ausgerüstet ist. Aber das gilt nicht eigentlich vom Stärkeren, sondern vom feiner Organisierten, vom Empfänglicheren, Reizbareren, also von dem Vollkommneren. Dieses ist das Stärkere. Mit andren Worten, die Entwicklung zum Vollkommneren, die Zielstrebigkeit setzt sich durch, hält sich aufrecht. Der Geruchssinn des Parfumeriefabrikanten, der Geschmackssinn des Gourmands, der Gehörssinn des Musikdirigenten, der Gesichtssinn des Mikroskopikers wird durch die infolge der Übung und Gewöhnung wiederholt auftretenden und einander weckenden Empfindungen feiner, zarter, für Unterschiede empfänglicher, keineswegs aber gröber, stärker. Wäre das letztere der Fall, dann liesse sich durch Summierung der wiederauflebenden Empfindungen alles sehr leicht erklären, rein mechanisch; alle Vervollkommnung wäre nur ein Stärkerwerden. Aber es ist anders in der Natur; man [pg 76] kann von einem aristokratischen Prinzip als dem herrschenden, in letzter Instanz ausschlaggebenden reden. Das Bessere, das Vollkommnere gewinnt im Allgemeinen den Sieg, das Stärkere nur ausnahmsweise. Dem gegenüber versagt die mechanische Erklärung. Dass sich das Bessere, Vollkommnere durchsetzt und erhält, scheint ohne Zielstrebigkeit nicht erklärt werden zu können.
Die fortschreitende Entwicklung der Natur ist nicht zu leugnen. Sie vollzieht sich durch Zusammenfassung des Nebeneinanderliegenden, Getrennten zur Einheit, durch Bildung kleinerer Ganzen, z. B. der Himmelskörper im Weltenraum, der Krystalle, Pflanzen, Tiere auf der Erde, und innerhalb dieser letztern durch Herstellung von Mittelpunkten zuerst und dann von Systemen, die das kleine Ganze beherrschen: Ernährungs-, Nerven-, Bewegungssystem. Aber wie langsam geht diese Entwicklung vor sich, ihr Alter zählt nach Jahrmilliarden! Die eigentliche Stätte unablässiger, augenscheinlicher, fortschreitender Entwicklung ist die Geschichte. Insofern kann man sie als die an Intensität freilich alles Vorausgehende hinter sich lassende Fortsetzung der Natur bezeichnen. Auch in ihr handelt es sich um Herausbildung von Einheiten; aber diese Einheiten sind nicht Zusammenfassungen neben- und aussereinanderliegender Teile, sondern Einheiten, die in einem Bewusstsein von sich selbst, an dem alle ihre Glieder teilnehmen, bestehen: Volk, Staat, Gesellschaft, Nation. Einheiten ferner im strengen Sinne, nämlich geistige Einheiten, Persönlichkeiten, welche die eigentlichen Träger der geschichtlichen Entwicklung bilden. Sie sind Träger von Ideen, welche die Massen bewegen. Darin liegt ihre Bedeutung. Die Geschichte bewährt sich gerade durch diese in ihr hervortretenden, in den Persönlichkeiten verkörperten Ideen als fortschreitende Entwicklung. Die Frage, ob es einen Fortschritt in der Geschichte giebt, sollte darum von rechtswegen gar nicht gestellt werden. Für die Wissenschaft und Religion hat man ihn nicht leugnen können; zeitweilige Rückschritte sind nur Anläufe zu kräftiger Erhebung. Man wird hienach nicht bestreiten können, dass die Geschichte einen viel bedeutsameren und gehaltreicheren Erkenntnisgegenstand ausmacht als die Natur. Es giebt ohne [pg 77] Zweifel in der fortschreitenden Entwicklung der Natur etwas Neues, das aus den vorausgehenden Faktoren nicht erklärt werden kann, – das Organische gegenüber dem Unorganischen ist, wie das Tier gegenüber der Pflanze, ein solches Neues – wenn man nicht etwa den Satz ex nihilo fit nihil zu leugnen versucht. Das gilt in noch viel höherem Grade von der Geschichte. Hier ist das Neue an das Individuum gebunden, und die Bedeutung des Individuums bedingt und bestimmt den geschichtlichen Fortschritt.
Künstlerische und wissenschaftliche Inspiration.
Es giebt eine alte Unterscheidung von drei Erkenntnisquellen: Erfahrung, Vernunft und Offenbarung. Man begegnet ihr heute nicht mehr. Sie gilt für veraltet. Indes hat sie doch ihr gutes Recht. Die Redeweise: es war mir oder kam über mich wie eine Offenbarung, wird nicht selten gebraucht, und viele werden gestehen müssen, dass sie so etwas wirklich erlebt haben. Man spricht allgemein von einer künstlerischen Inspiration. Die schöpferische Einbildungskraft ist etwas andres. Worin liegt der Unterschied? Was ist unter dieser Inspiration, Eingebung, die als Offenbarung bezeichnet werden muss, zu verstehen?
Es bedarf eines Blickes des Geistes, um das Wesentliche von dem Unwesentlichen in den Dingen unterscheiden, um die Merkmale ihres Begriffes auffinden und entdecken zu können. Nicht jeder verfügt über diesen Blick. Viele bleiben an dem Äusserlichen und Nebensächlichen mit ihrem Denken haften. Wir sagen dann, sie können nicht denken. Wie sie des eigentümlichen Erlebnisses, das wir als Einsicht bezeichnen, ermangeln und sich kaum über die Stufe des bloss associativen Wissens erheben, so fehlt ihnen auch der Blick des Geistes, durch den allein das Wesentliche erfasst werden kann. Eines solchen Blickes bedarf es nun auch, um den Gedanken zu erfassen, der in einem Kunstwerke ausgedrückt ist. Aber für den Künstler selbst, der den Gedanken in dem Stoffe verwirklicht, genügt dieser Blick nicht. Ihm muss der Gedanke gegeben werden. Und das geschieht eben durch die Eingebung oder [pg 78] Inspiration. Sie ist, wie ersichtlich, von dem Blicke des Geistes, durch den wir das Wesen, den Kern der Sache erfassen, verschieden. Dieser Blick orientiert sich an der äussern Erscheinung des Wesens, er ist durch sie bedingt und wird durch sie bestimmt, obgleich er sozusagen durch sie hindurchdringt und über sie hinausgeht. Die Inspiration oder Eingebung hingegen ist ein objektiver Zustand, der ohne unser Zuthun zustande kommt, dem gegenüber wir uns leidend verhalten. Sie setzt natürlich in uns eine Empfänglichkeit voraus, die mannigfach vermittelt ist; ihre Auffassung hängt darum von einer bestimmten Entwicklung des Bewusstseins ab. Man kann die Inspiration mit dem Einleuchten der Zusammengehörigkeit vergleichen und muss dann die Auffassung der Inspiration mit der Einsicht zusammenstellen. Auch bei der Eingebung handelt es sich um Zusammenhänge, um Zusammengehörigkeiten, freilich andrer, höherer Art als bei dem Einleuchten, wie sie beispielsweise das Motto der Goetheschen Iphigenie darstellt: Alles irdische Gebrechen sühnet reine Menschlichkeit. In der schaffenden Thätigkeit des Künstlers nun spielt vor allem die Inspiration oder Eingebung eine Rolle, sie macht sich die Phantasie des Künstlers dienstbar und lässt sie an seiner Schöpferkraft teilnehmen. Die so schöpferisch gewordene Phantasie schaltet und waltet mit ihrem sinnlichen Stoff gemäss der Eingebung, ihn formend und gestaltend.
Natürlich sagen wir nicht, dass alle Ideen, die unsren Kunstwerken zugrunde liegen oder die in ihnen verkörpert sind, auf einer Eingebung beruhen. Oft ist das Kunstwerk ja nur eine Darstellung des in Erfahrung und Geschichte Gegebenen, freilich so, wie es sich im Geiste des Künstlers spiegelt, wie es seiner Auffassung entspricht. Diese Spiegelung oder Auffassung hängt natürlich, wie die Auswahl der darzustellenden Gegenstände, von der Individualität des Künstlers ab. Man wird demgegenüber schwerlich von einer auf Eingebung beruhenden Idee reden können, wenn man nicht etwa für diese Individualität, wie überhaupt für die Bedeutung des Individuums in der Geschichte etwas der Eingebung Analoges in Anspruch nehmen will, das nicht bloss Gedanken im menschlichen Bewusstsein sondern Wirklichkeiten erzeugt. Abgesehen davon [pg 79] wird man nicht leugnen können, dass vielen Kunstwerken, insbesondere Werken der redenden Kunst, Ideen zugrunde liegen, die auf einer Eingebung beruhen, die mit andren Worten aus dem in Erfahrung und Geschichte Gegebenen nicht erklärt werden können. Das Motto der Goetheschen Iphigenie ist unzweifelhaft eine solche Idee, wenn auch für Goethe diese Idee keine eigentliche Eingebung war, sondern dem reichen Schatze der Eingebungen entnommen wurde, die in der christlichen Religion gegeben sind und deren Mittelpunkt eben diese Idee bildet.
Können wir auch von einer wissenschaftlichen Inspiration reden? Ohne Zweifel müssen wir es! Wird das Forschungsergebnis, zu dem man nur mühsam durch langwierige Arbeit gelangt, nicht meistens schon mit vorausschauendem Blicke vorweggenommen, und ist nicht dieser vorausschauende, das Ergebnis vorwegnehmende Blick der Ansporn, der uns zur Forschungsarbeit drängt, und das Licht, das uns hierbei leitet? Alle grossen wissenschaftlichen Entdeckungen, wie alle Entdeckungen überhaupt, scheinen so auf ursprünglichen Intuitionen zu beruhen, die vielfach Eingebungen sind. Das Ergebnis wird oft erst auf sehr verwickelten und verschlungenen Wegen gewonnen, und doch steht es uns von Anfang an deutlich vor der Seele. Wie ist das zu erklären, wenn das Ergebnis nicht eine Eingebung, Inspiration ist? Wir sprechen davon, dass uns Gedanken einfallen, wodurch der Fortschritt im Denken vielfach bedingt ist. Oft sind das freilich nur Reminiscenzen aus der Lektüre, aus den Gesprächen mit andren, oft nur mehr oder minder berechtigte Verallgemeinerungen, oft blosse Associationen. Aber wir wissen auch, dass das keineswegs immer der Fall ist. Nicht selten tritt uns ein Gedanke, der gleichsam aus der verborgenen Tiefe unsres Innern auftaucht, als etwas durchaus Neues entgegen, für das wir in unsrem bisherigen Geistesleben vergebens nach Anknüpfungspunkten suchen. Solche Gedanken werden wir doch Eingebungen nennen müssen. Das Ergreifen, Erfassen derselben im Bewusstsein ist von dem Blicke für das Wesentliche, der durch die Erscheinung der Dinge und Vorgänge im Bewusstsein bedingt und bestimmt ist, verschieden. Solche Gedanken drängen sich uns auf, werden uns [pg 80] so aufgenötigt, wie wir von den Empfindungen sagen, dass sie uns aufgedrängt, aufgenötigt werden. Von unsrem Bewusstsein scheinen sie nicht hervorgerufen oder erzeugt zu werden; aus ihm scheinen sie nicht hervorzugehen oder zu entstehen, vielleicht aus den uns selbst verborgenen Tiefen unseres Wesens. Durch dieses Sichaufdrängen und Sichaufnötigen, das die auf Eingebung beruhenden Gedanken mit den Empfindungen gemein haben, unterscheiden sie sich insbesondere von dem Wesentlichen, das wir durch einen einfachen Blick des Geistes erfassen, bei dem von einer innren Nötigung, einem innren Zwange nichts zu verspüren ist.
Natürlich bilden auch die eingegebenen Gedanken Zusammenhänge, Zusammengehörigkeiten, sie treten in der Form von Urteilen auf; aber das Einleuchten dieser Zusammengehörigkeit und das mit ihr verbundene Einsehen, der Blick für das Wesentliche verbindet sich nicht ohne weiteres mit den eingegebenen Gedanken, ist auch grundverschieden von dem Sichaufdrängen, das die eingegebenen Gedanken wie die Empfindungen charakterisiert. Wie bei dem Blicke des Geistes für das Wesentliche, so ist auch bei dem ihm folgenden Einleuchten und Einsehen der Zusammengehörigkeit von irgendwelcher Nötigung, irgendwelchem Zwange nichts zu entdecken. Die auf Eingebung beruhenden Gedanken stellen sich meistens dann ein, wenn der Blick für das Wesentliche versagt, sodass ihr Aufleuchten gleichsam einen Ersatz, eine Ergänzung für diesen Blick bildet. Wir kennen das Wesen des Körperlichen nicht, können es vielmehr nur nach seiner Erscheinung in unsrem Bewusstsein charakterisieren und näher bestimmen. Wenn man das Körperliche für den Gegensatz des Geistigen erklärt, so geschieht das auf Grund einer Eingebung in unsrem Sinne; der Erfahrung folgend würde es eher als eine Stufenleiter zum Geistigen hin betrachtet werden müssen. Aber auch diese Betrachtung findet in der Erfahrung keine ausreichende Stütze und muss insofern ebenfalls als Eingebung bezeichnet werden. Natürlich sind solche Eingebungen keine Erkenntnisse; es kommt darauf an, sie zu verifizieren. Die wissenschaftliche Arbeit hat in ihnen wohl einen Ansporn und ein Licht, aber sie beginnt erst mit der Eingebung und muss so lange fortgesetzt [pg 81] werden, bis die Zusammengehörigkeit der Eingebung mit dem Wirklichen einleuchtet und eingesehen wird. Dann erst wird die Eingebung zur Erkenntnis.
Der Ausdruck Eingebung ist insofern ein vorläufiger. Zu einer wirklichen, von der Einbildung sich unterscheidenden Eingebung wird ein Gedanke erst dadurch, dass wir ihn zu einer wirklichen Erkenntnis erheben. Von den beiden Gedanken über das Wesen des Körperlichen, die wir erwähnten, scheint sicher zu sein, dass sie zu wirklichen Erkenntnissen nicht erhoben werden können. Nach dem ersteren Gedanken, der die Natur als Gegensatz zum Bewusstsein fasst, müsste man die Natur etwa als Schranke des Bewusstseins, als symbolischen Ausdruck seiner Endlichkeit auffassen, dem sich dann die scheinbar unendliche Ausdehnung der Natur im Raume als symbolischer Ausdruck ihrer vorgeblichen Unendlichkeit zur Seite stellt. Nach dem letzteren Gedanken müsste man etwa annehmen, dass die Natur in einer stufenweisen Entwicklung allmählich zu einem geistigen Dasein verklärt würde, wie es die Anschauung des neuen Testamentes ist oder zu sein scheint. Aber was in beiden Fällen die Wirklichkeit der Natur eigentlich sein soll, bleibt völlig dunkel.
Wenn wir an dem wirklichen Bestehen von Eingebungen nicht zweifeln können, so fragt es sich, woher sie kommen. Wir haben gesehen, dass das Wesen der Dinge in ihrer Wahrheit besteht und dass sie nur dadurch, dass sie wahr sind, wirklich sein können. Ihre Wahrheit ist Bedingung ihrer Wirklichkeit und ihr gegenüber das Massgebende und Entscheidende. Alle Dinge hängen so mit dem Reiche der Wahrheit, mit dem System der Wahrheit zusammen – eine einzelne Wahrheit giebt es streng genommen nicht – sind von ihm durchdrungen oder in dasselbe eingegliedert. Das gilt natürlich auch von unsrem Bewusstsein, von unsrem Erkennen und allen dasselbe vorbereitenden Vorgängen. Sie sind aufs engste mit dem Reiche oder System der Wahrheit verbunden, und aus dieser Verbindung erklärt es sich, dass scheinbar unvermittelt in uns Gedanken auftreten oder, wie wir gewöhnlich sagen, uns eingegeben werden.
Es giebt sicher zwei Erkenntnisquellen, das Wort im [pg 82] weitesten Sinne genommen: nicht Quellen, aus denen wir die Erkenntnisse schöpfen, sondern Ausgangspunkte, zwei verschiedene Ausgangspunkte für unser Erkennen, die dasselbe bedingen und seinem Inhalte nach bestimmen. Das sind einerseits die Empfindungen als Erkenntnismittel der Aussenwelt und die Bewusstseinsvorgänge als Erkenntnismittel der Innenwelt, beide zusammen das ausmachend, was wir als Erfahrung bezeichnen können, wenn wir darunter eben den Ausgangspunkt für das Erkennen verstehen. Diesen stehen anderseits die Eingebungen gegenüber. Die Erkenntnis ist natürlich von beiden verschieden. Sie ist Sache des Denkens, der Vernunft, und besteht weder in einer blossen Umformung der Empfindungen, wie Condillac und die Sensualisten meinen, noch in einer blossen Umformung der Bewusstseinsvorgänge. Dass uns die Eingebungen, die nur dem hochentwickelten Bewusstsein zuteilwerden können, in den an die Erfahrung sich anschliessenden Formen des Denkens gegeben werden, hindert natürlich nicht, sie als Ausgangspunkt für das Erkennen in dem erörterten Sinne zu betrachten.
Religiöse Erkenntnisse.
Nimmt man an, dass es künstlerische und wissenschaftliche Inspirationen giebt, so wird man auch den religiösen Inspirationen seine Anerkennung nicht versagen können. Die Religion ist, ganz allgemein gefasst, das Bewusstsein von der Verbindung des Menschen mit Gott und ein auf Grund dieses Bewusstseins eingeleiteter Verkehr des Menschen mit Gott, der in der rückhaltlosen Hingabe des Willens, der Person, des ganzen Wesens an Gott seinen Grund hat und in einer persönlichen Beziehung zu Gott besteht. Wird nun unter Gott, wie es in der Religion der Fall ist, das über der Welt der Erscheinungen erhabene Wesen verstanden, in dem alles wirkliche Sein und alle Wahrheit ihren Grund hat, so ist begreiflich, dass gerade auf religiösem Gebiete die Inspirationen die grösste Rolle spielen. Sie sind von der Religion ihrem wahren Wesen nach unabtrennbar. Das kann man nur leugnen, wenn man dieses Wesen völlig verkennt oder in sein Gegenteil verkehrt. In allen weltbewegenden [pg 83] Religionen treten Seher, Propheten auf, die sich solcher von Gott empfangener Inspirationen rühmen. Sofern sie eine neue religiöse Bewegung herbeiführen, nennen wir sie Gründer, Stifter der Religionen oder Verbesserer, Reformatoren. Der Inhalt ihrer Inspirationen sind keineswegs, nicht einmal grösstenteils, Zukunftsbilder, sondern die ganze Natur und Menschenwelt umspannende Gedanken, die über das eigentliche Wesen und die Wahrheit der Dinge, d. h. über ihre Stellung und Bedeutung für die Gesamtheit des Wirklichen oder im System der Wahrheit Licht verbreiten. Sie haben deshalb zu allen Zeiten das lebhafte Interesse des Philosophen geweckt, dem es um die Erkenntnis des Wesens und der Wahrheit der Dinge zu thun ist.
Allerdings sind diese Gedanken in erster Linie praktischer Natur, denn die Religion ist zunächst eine praktische, das Gefühl und den Willen angehende Angelegenheit. Aber sie schliessen die umfassendsten und bestimmtesten theoretischen Voraussetzungen ein, ohne die sie Halt und Bestand verlieren und bei deren Veränderung sie selbst völlig verändert werden. Und diese theoretischen Voraussetzungen sind nicht etwa darum wahr, weil sie sich praktisch für das Gefühl und den Willen bewähren. Der Wert der Praxis liegt gerade darin, dass diese Voraussetzungen wahr sind. Wie alles in der Welt, so erhält auch sie ihren Wert nur durch die Wahrheit, die sie natürlich nicht verbürgen und garantieren kann. Es ist eine den Religionsbegriff verflachende und entleerende Auffassung, wenn man erklärt, die Religion bestehe in blossen Gefühlen, und wenn man sie in diesem Sinne mit Gesinnungen verselbigt. Als ob Gesinnungen ohne theoretische Grundlagen denkbar wären! Gewiss, das Wesen der Religion, ihr Herz und ihre Seele besteht nicht in theoretischen Anschauungen, nicht in Lehren, sondern in der persönlichen Hingabe der Menschen an Gott, in dem Opfer seiner selbst. Aber wie verschieden ist doch die stoische Hingabe an den Weltlauf, die auch von den Stoikern als Gehorsam gegen Gott bezeichnet wird, und die christliche Ergebung in den Willen Gottes! Worin liegt die Verschiedenheit? Nun darin, weil die diesen Gesinnungen zugrunde liegende Lehre eine andere ist. Heilswahrheiten sind nicht wahr, weil [pg 84] sie uns Heil bringen, sondern weil sie wahr sind, deshalb bringen sie uns Heil. Der Glaube als rückhaltlose Hingabe an Gott setzt die Erkenntnis Gottes als der rückhaltlosen Hingabe an uns voraus. Er soll den Frieden des Innern und die Kraft zum sittlichen Handeln bringen. Aber man kann nicht auf Probe glauben, abgesehen davon, dass das keine rückhaltlose Hingabe wäre. Mit andren Worten: die Erkenntnis, auf der der Glaube beruht und die uns seine Wirkung verbürgt, ist nicht um dieser Wirkung willen wahr, und der diese Erkenntnisse einschliessende Glaube erhält nicht durch diese seine Wirkung seine Wahrheit. Dass der Glaube seine Wahrheit nicht erhält durch seine Wirkungen, geht schon daraus hervor, dass die Wirkungen rein psychologisch auch eintreten, wenn der Glaube falsch ist, d. h. wenn die in ihm enthaltene Annahme, also das intellektuelle Element in ihm, nicht wahr ist. Ohne dieses intellektuelle Element, dass Gott ist, dass er die Liebe ist, kommt kein Glaube zustande, ohne dasselbe kann er keinen Augenblick bestehen. Ist es nicht wahr, so ist er Trug, Täuschung, Einbildung, also völlig wertlos, trotz seiner guten Wirkungen.
Aber hat das intellektuelle Element, von dessen Wahrheit wir reden, in der Religion nur Bedeutung als Voraussetzung, als bedingender Bestandteil? Muss man nicht vielmehr sagen, die Wahrheit sei das Einzige, was um seiner selbst willen geschätzt werden müsse, alles andere könne nur darum geschätzt werden, weil es wahr ist (nur weil es wahr ist, ist es ja auch wirklich)? Wir sprechen von wahrer, wirklicher Liebe, von wahrer, wirklicher Sittlichkeit, von wahrem, wirklichem Menschsein und meinen damit eine Liebe, wie sie sein soll, eine Sittlichkeit, wie sie sein soll, einen Menschen, wie er sein soll. Das ist natürlich Wahrheit in andrem Sinne; Wahrheit als Übereinstimmung mit einem Ideal. Aber im höchsten Sinne ist Liebe, Sittlichkeit, Mensch nur wahr, insofern sie eine Stellung in der Gesamtheit des Wirklichen haben, die durch das System der Wahrheit bestimmt wird, also als Glieder des Reiches der Wahrheit – nur insofern haben sie eine ewige Bedeutung und einen unvergänglichen Wert. Insofern ist dann die Wahrheit alles in allem, das einzige, das wahrhaft höchste Gut. Dieser [pg 85] höchste Sinn der Wahrheit muss auch für die Religion gelten. Als einzelne Wahrheit oder Teilwahrheit ist sie blosse Voraussetzung, bedingender Bestandteil der Religion; als Wahrheit im höchsten Sinn ist sie auch für die Religion alles. Was Voraussetzung, bedingender Bestandteil und insofern Anfang für Glaube, Liebe, Sittlichkeit, Religion ist, dass muss auch das Ende, das höchste Ziel sein. In diesem höchsten Sinne wird in der christlichen Religion Gott als die Wahrheit bezeichnet und die Erkenntnis mit dem ewigen Leben verselbigt, oder das ewige Leben auf die Erkenntnis zurückgeführt. »Das ist das ewige Leben, das sie Dich erkennen und den Du gesandt hast, Jesum Christum.« In diesem höchsten Sinne des Wortes Wahrheit wird dann auch in der christlichen Religion alles auf Gott, den König im Reiche der Wahrheit, bezogen, alles sub specie aeternitatis betrachtet, alles nach seiner ewigen Bedeutung im Gegensatze zu dem vergänglichen Scheine ins Auge gefasst und gewertet. In diesem höchsten Sinne des Wortes Wahrheit endlich wird alle Wahrheit in der christlichen Religion als auf Eingebung, Inspiration, Offenbarung beruhend betrachtet.
Für die Erkenntnis der Wahrheit in diesem höchsten Sinne gilt dann freilich auch wieder Glaube, Liebe und Sittlichkeit als Bedingung. »Wer meine Worte hält und danach thut, der wird erkennen, dass sie wahr sind«. Insofern muss zugestanden werden, dass die Wahrheit wohl an sich, nicht aber für uns das höchste Gut ist. Für uns ist die Sittlichkeit ein höheres Gut als die Wahrheit und hinwiederum die Seligkeit, der Friede, ein höheres Gut als die Sittlichkeit. Denn nur wenn wir die Seligkeit oder den Frieden erlangt haben, können wir sittlich leben, und das sittliche Leben hinwiederum ist Bedingung der Erkenntnis der Wahrheit im vollen Sinne des Wortes. Insofern gilt der Primat des Willens, nicht der Primat des Intellekts; insofern können wir auch die beiden letzten Glieder der für das Zustandekommen des Glaubens wichtigen Reihe notitia assensus (Einsicht) fiducia umkehren und sagen notitia fiducia assensus, was übrigens auf den alten Satz von der fides quaerens intellectum hinauskommt.
Man unterscheidet Eingebung und Offenbarung. Eingebungen, [pg 86] Inspirationen werden einem Einzelnen zuteil, und wenn dieser sie andren mitteilt als von Gott stammend oder auf Inspiration beruhend, so werden sie Offenbarungen genannt. Kann der, dem die Eingebung zuteil wird, diese wirklich als Eingebung erkennen? Will man das bezüglich der künstlerischen und wissenschaftlichen Eingebungen nicht leugnen, so ist kein Grund vorhanden, es für die religiösen Eingebungen zu bestreiten. Dass der religiös Inspirierte seine Eingebungen auf Gott zurückführt, spricht nicht dagegen. Gott ist ihm der König und Herrscher im Reiche der Wahrheit, und vom Gläubigen wie von dem Künstler und Gelehrten gilt, dass er sein ganzes Sein und Wesen von diesem Reiche der Wahrheit zu Lehen trägt und nur als Glied dieses Reiches ein Sein und Wesen besitzt. Wie alle Dinge, so stehen auch die bevorzugten Menschen, die Künstler, Gelehrten und religiös Inspirierten unter dem unmittelbaren Einflusse dieses Reiches und werden von ihm unmittelbar berührt. Warum sollten sie nicht eine Einsicht und darum eine wirkliche Erkenntnis davon gewinnen können, dass ein in ihnen auftauchender Gedanke nicht das Ergebnis ihres Nachdenkens, noch weniger das Endglied einer rein mechanisch sich vollziehenden Association, sondern etwas wirklich Neues ist, das nur jenem geheimnisvollen Reiche der Wahrheit entstammen kann, das wir um des überzeitlichen Charakters aller Wahrheit willen annehmen mussten?
Können auch diejenigen, denen die Eingebung als von Gott stammend verkündigt wird, eine Einsicht davon gewinnen, dass sie wahr ist, können sie mit andren Worten eine Einsicht davon gewinnen, dass der Verkündende die Wahrheit sagen kann und sagen will? Denn diese Einsicht ist der einzige Weg, auf dem wir uns von der Wahrheit einer Mitteilung durch andre, sofern sie eben eine Mitteilung ist und bleibt, überzeugen können. Massgebend hierfür und entscheidend ist einzig und allein der Eindruck der Persönlichkeit des Verkündigers nach seiner sittlichen und religiösen Seite. Es giebt und gab zu allen Zeiten Persönlichkeiten, die in beider Hinsicht einen überwältigenden Eindruck auf uns ausüben, solange wir uns gegen solche Eindrücke nicht verhärtet und abgestumpft [pg 87] haben, wie wir ja auch gegenüber dem Eindrucke der Wahrheit, dem Einleuchten oder der Evidenz blind und gleichgültig werden können. Wenn wir jenen überwältigenden Eindruck erfahren, dann ist es einfach konsequent, jedenfalls einzig vernünftig, dass wir ihren auf Religion und Sittlichkeit sich beziehenden Aussagen rückhaltlosen Glauben schenken oder sie auf Grund dieser mittelbaren Einsicht für wahr halten – was auch immer geschieht, wenn nicht die eigenen Neigungen und Interessen jenen Aussagen widerstreiten. Ob wir unmittelbar von der Wahrheit dieser Aussagen eine Einsicht oder Erkenntnis gewinnen können, ist eine andere Frage, die aber für den Religiösen nur eine untergeordnete Bedeutung hat. Jener überwältigende Eindruck wird bei ihm ein Ergriffensein des Gemüts und Sichunterwerfen des Willens zur unmittelbaren Folge haben, das eine Verstärkung durch die unmittelbare Einsicht in die Wahrheit jener Aussagen schwerlich und nie, sehr häufig und leicht aber eine Abschwächung erfährt, da die unmittelbare Einsicht in die Wahrheit selbst die Gefahr mit sich bringt, die Wahrheit zu einer blossen Verstandes- oder Kopfwahrheit herabzusetzen. Darum begnügt sich der Religiöse gern und freudig mit der äusseren Einsicht in die Wahrheit der Offenbarung, die sich darauf stützt, dass der die Offenbarung Verkündigende die Wahrheit sagen konnte und sagen wollte.
Schluss.
Man wird sagen, unsere Darlegung sei Metaphysik. Gewiss mit Recht! Wir kennen keine andren Wahrheiten als die einen überzeitlichen Charakter haben, und Wahrheit in diesem Sinne ist Metaphysik, auch wenn man sie durch ihre unlösbare Verbindung mit dem Erkennen davor schützt, Ding an sich zu sein. Wer die Metaphysik in diesem Sinne leugnet, für den giebt es keine Wahrheit mehr. Er ist unrettbar dem Skepticismus verfallen. Oder nicht? Man sagt, Wahrnehmungen, die sich bewähren, sind wahr, wie die Wahrnehmung, dass Digitalis den Puls herabsetzt, Chinin Fieber beseitigt. Oder Wahrnehmungen, die sich als Teil einem widerspruchslosen System von Sätzen einordnen lassen, sind wahr. In [pg 88] beiden Fällen werden aus den Wahrnehmungen Erfahrungen. Das erstere ist die empiristische Wahrheitstheorie, das letztere die rationalistische. Aber es fragt sich, woher wir wissen, dass etwas sich bewährt, das etwas sich einem widerspruchslosen System von Sätzen einordnen lässt. Doch nur daraus, dass es uns einleuchtet und wir es einsehen. Was immer uns aber einleuchtet und was immer wir einsehen, das leuchtet uns ein, oder das sehen wir ein als eine Wahrheit, die für alle Zeiten und darum auch für alle Denkenden gilt. Das Sichbewährende ist, wie alles induktiv Erschlossene, nur wahrscheinlich, das Widerspruchslose nur möglicherweise wahr. Oft wenn die Verhältnisse einfach überschaubar sind, haben wir schon bei der einzelnen Wahrnehmung eine Einsicht in die Wahrheit. Wir erkennen z. B. sofort, dass der glühende Ofen verbrennt, dass Wasser aus Wasser- und Sauerstoff besteht; ebenso dass gleichseitige Dreiecke gleiche Winkel haben, dass Peripheriewinkel die Hälfte der Centriwinkel ausmachen. Dort bedarf es nur Einer Wahrnehmung, hier nur einer beliebig gewählten Figur. Das Probieren, Versuchen der Wiederholung einer Wahrnehmung oder ihrer Einordnung in ein System hat seinen Wert: die Wiederholung, um unsere Lebenszwecke zu sichern und zu fördern, die Einordnung, um ein Erkenntnisideal zu verwirklichen; aber beides ist kein Prüfstein der Wahrheit.
A.
Abhängigkeit völlige aller Dinge von Gott S. 51.
Absehen nicht das Wesen der Abstraktion S. 21, – von dem in den Sinnenbildern der Ausdehnung und Bewegung und den entsprechenden Kategorien enthaltenen irrationalen Element S. 49, 57–58.
Abstraktion, worin sie besteht S. 21–22, – geht der Generalisation voran, durch sie gewinnen wir unter anderm auch die wesentlichen Merkmale S. 9, – sie schafft neue Einzelgebilde des Denkens, ist verschieden von den negativen Urteilen S. 21–22.
actio in distans S. 68.
Allgemein nicht dasselbe mit wesentlich S. 8.
Allgemeingültigkeit Folge der überzeitlichen Geltung S. V, 5.
Analyse und analytisches Verfahren nur die Kehrseite des Zieles des Erkennens, seine bloss formale Folgeerscheinung S. 24, – thut dem Erkennen, nicht Genüge S. 27, 29; warum man alle Urteile für analytische halten könnte S. 26 und 27.
Analogieschluss, ob notwendig für die Erkenntnis fremder Bewusstseine S. 67.
Animismus S. 12.
Ansteckende Wirkung der Gefühlsäusserungen und Gefühle S. 67–68.
Anerkennen der erkannten Wahrheit Pflicht S. 43–44.
Anfang und Vorhandensein in der Zeit S. 50.
Aperçu und Intuition, inwiefern dem Blick für das Wesentliche ähnlich S. 10, – inwiefern von ihm verschieden S. 80.
Aphaireisthai, abstrahere s. Abstraktion.
Aristokratisches Prinzip in der Natur: das Vollkommnere nicht das Stärkere siegt S. 75–76.
Aristoteles gegen die Trennung des Erkennens vom Gegenstand S. 1, – gegen die Trennung von Leib und Seele S. 54, – seine Kategorienlehre, in der das sinnfällige Wirkliche die erste Rolle spielt S. 45, 47, – unbewegter Beweger S. 30, – kein Begriff ohne Phantasievorstellung S. 55, 59.
Aristoteliker: Prädikat der allgemeinere Begriff S. 27.
Art, inwiefern sie zu den Prädikabilien gehört S. 46.
Assensus, inwiefern ihm die fiducia vorangeht S. 85.
Associatives Wissen S. 65.
Association der Willensimpulse mit den Sinnenbildern S. 12.
Aufgenötigt, aufgedrängt, Empfindungen, Gedanken, auch Eingebungen; aber nicht das Einleuchten, die Einsicht S. 22, 38, 78, 80.
Augustins veritates aeternae S. 7.
Ausdehnung, Sinnenbild und Begriff derselben S. 11, irrationales Element in der Ausdehnung S. 48.
[pg 90]Aussenwelt, was darunter nicht zu verstehen ist S. 52, 57; wir haben von ihrer Existenz, nicht von ihrer Beschaffenheit eine unmittelbare Einsicht S. 53; warum wir bezüglich der Aussenwelt nicht leicht von einer Einsicht sprechen S. 61, 62 und 55; sie steht mit unserm Bewusstsein in untrennbarem Zusammenhang S. 56 und 63.
Ausgangspunkte zwei verschiedene für unser Erkennen, Erkenntnismittel nicht eigentliche Erkenntnisquellen S. 81–82.
Ausserwesentlich das Zufällige, das Notwendige zum Teil, ob es zum Seienden gehört oder nicht S. 46.
B.
Bacon und die Methode der Naturwissenschaften S. 9.
Bedeutung der überzeitlichen Geltung der Wahrheit S. 4, – von Raum und Zeit für das Reich der Wahrheit S. 30, 50, – der Zeit S. 5, 62.
Begriff von Ausdehnung und Bewegung verschieden von den entsprechenden Sinnenbildern und Vorstellungen S. 11–12, – von Punkt, Linie, Fläche, Geist desgleichen S. 14; – umfasst die wesentlichen Merkmale S. 21, 7–8, – umfasst nicht alle Merkmale, die einem Ding und nur ihm zukommen S. 8, 46, – der Religion S. 69, 82; – der Philosophie S. 15–17. Der Eine Begriff, welcher die Stellung der Dinge im System der Wahrheit bestimmt, und unsere Begriffe S. 15, 18, 21.
Begriffsworte enthalten eine Wissensdisposition, die betreffenden Urteile fällen zu können S. 11.
Believe Dafürhalten, S. 71.
Berkeley über die Dinge als Gedanken Gottes S. 53, 54.
Berührung enthält ein irrationales Element a) als Bestandteil der Ausdehnung, b) als Bestandteil der Substanz S. 48–49.
Beschränktheit als seiendes Nichtsein S. 47.
Bewegung, Sinnenbild und Begriff derselben S. 11; irrationales Element in der Bewegung S. 48.
Beweis für die Existenz der Aussenwelt S. 54–56.
Bewusstheit Wissen des Bewusstseinsvorgangs um sich selbst S. 58, – uneigentliches, nicht namentliches, nicht begriffliches Wissen, keine Einsicht oder Erkenntnis S. 59, – hat einen übergreifenden Charakter S. 60–61, – analog dem Bewusstsein des Ich und Selbst von sich S. 63, – ist die Erscheinung der Bewusstseinsvorgänge im Bewusstsein, die sich in der Reflexion wiederholt S. 64, – kommt bei der Übertragung der sinnlichen Vorstellungen auf die Bewusstseinsvorgänge zur Geltung S. 59.
Bewusstsein der Wahrheit S. 6; unser Bewusstsein und die fremden Bewusstseine S. 61; Ich- und Selbstbewusstsein S. 63.
Beziehung auf die Objektivität gleich Bewusstsein der Wahrheit S. 6–7, – setzt zwei Glieder voraus S. 28, – eine Kategorie S. 28.
Bild, was ihm eigentümlich ist S. 17.
Bildliche Vorstellungen S. 59.
Blick des Geistes für das Wesentliche, eine Abstraktion (s. d.) S. 9; – schafft, erzeugt ein neues Gebilde des Denkens, ist Voraussetzung der Urteile der zergliedernden, der verbindenden, der negativen S. 13, 21, 14, – vermittelt die Übertragung der sinnlichen Vorstellungen auf die Bewusstseinsvorgänge S. 60, – [pg 91] erste Stufe des Erkenntnisvorgangs, noch keine Erkenntnis S. 20, 21; doppelte Funktion dieses Blickes: Vereinzelung, Zusammenfassung, Trennen, Zusammenschauen S. 13, 21.
Blinde Überzeugung, worauf sie sich gründet S. 34, – Gewissheit, wodurch von der einsichtigen verschieden S. 36, – Wissensinhalte sehr zahlreich S. 65, 25.
Brentano über äussere und innere Wahrnehmung S. 58.
C.
Caput mortuum das Ding an sich, ein toter Punkt S. VI.
Cartesius Trennung von Leib und Seele S. 1, 54.
Causari hervorgebracht werden, verschieden von sequi folgen S. 32.
Christliche Ergebung und stoischer Gehorsam S. 83, – Religion, Mittelpunkt derselben S. 79; inwiefern sie Gott als die Wahrheit erklärt S. 85.
Commercium immediatum animarum unmittelbare, gegenseitige Beeinflussung der Bewusstseine S. 68.
Condillac S. 82.
Criterium quo cognoscitur – das, wodurch wir erkennen, die Einsicht, Kennzeichen der Wahrheit im uneigentlichen Sinne S. 24.
Criterium secundum quod cognoscitur – das, gemäss dem wir erkennen, das Einleuchten Kennzeichen der Wahrheiten im eigentlichen Sinne S. 24.
Cues Nikolaus v., ideelle Existenz der Dinge wahrer als die zeiträumliche S. 7.
D.
Definition der Empfindung unmöglich ohne Zuhülfenahme körperlicher Vorgänge S. 54, – der Wahrheit gewöhnliche, a) falsche Auffassung b) richtige Auffassung S. 1, 2. Was gehört in die Definition? S. 8.
Denken, inwiefern Gegenstand der Logik S. IV.
Denkgesetze Formalgesetze: das Gesetz des Enthaltenseins und des Grundes S. 33.
Denknotwendigkeit oft nur Folgerung aus der Gewissheit S. 39, – in keinem Falle Grund unserer Einsicht in die Wahrheit S. 40, 41, 42.
Descartes s. Cartesius.
Ding an sich ein ungereimter Begriff S. VI, – führt zu einer Auffassung der Definition der Wahrheit, die alle Erkenntnis unmöglich macht S. 1, die Wahrheit nicht Ding an sich S. 5, 6, 31.
Dinge im Allgemeinen S. 50.
E.
Eckhart S. 7.
Eigenschaft, das Eigentümliche derselben S. 28, warum sie ein Selbstständiges voraussetzt S. 41, und Proprietät S. 46.
Einbildung und Eingebung S. 81.
Einbildungskraft schöpferische verschieden von Eingebung S. 77, 78.
Eingebung verglichen mit dem Einleuchten, dem Blick für das Wesentliche, der Einsicht S. 10, 78, 80, – noch kein Erkennen, vielmehr Ausgangspunkt (zweiter) für das Erkennen S. 81, 82, wann Gedanken Eingebungen sind S. 79, 81, worin die Eingebungen ihren Grund haben S. 81.
Einheit Gesetz der Einheit S. 30, 31, – Kategorie S. 47; – gebrochene in der Natur S. 57, 73 – des Bewusstseins S. 61.
Einleuchten und Einsicht, Verschiedenheit beider S. 22, 23, 24, Einleuchten keinerlei Zwang S. 22, 34, 38, [pg 92] 43, 80, – verglichen mit Inspiration und Auffassen der Inspiration S. 78, – wirklich oder bloss vermeintlich S. 35, 36, 37, 38; Schein des Einleuchtens, wie beseitigt S. 37; Einleuchten unmittelbar oder mittelbar S. 37, 38. Einsicht innere und äussere S. 71, 87. Einleuchten keine Erkenntnis, Grund der Erkenntnis S. 22, 34, 38, Einleuchten Massstab, Kennzeichen der Wahrheit; das, nach dem wir über Wahrheit und Falschheit urteilen S. 24.
Einsicht Erkenntnis S. 23, Sehen, Wahrnehmen der Zusammengehörigkeit S. 34, – verschieden von Urteil, Bewusstsein der Wahrheit, Gewissheit S. 23, keine wahrscheinliche oder zweifelhafte Einsicht möglich S. 35, 36 – hat keine Grade S. 36, – unmittelbare in die Existenz der Aussenwelt S. 53 – in die religiös-sittliche Beschaffenheit eines Andern S. 70, diese der Grund, dass wir seinen Aussagen über Religion und Sittlichkeit Glauben schenken S. 87, – subjektiv wie die Gewissheit S. 23; inwiefern kann die unmittelbare Einsicht grundlos, inwiefern der Grund der Einsicht, das Einleuchten, als subjektiv bezeichnet werden? S. 31, die vorausgehende Einsicht für die nachfolgende Reflexion eigentliches Kennzeichen der Wahrheit (criterium secundum quod), Einsicht an sich genommen nur uneigentlich sogenanntes Kennzeichen der Wahrheit (criterium quo) S. 24.
Einzelwirklichkeit – Gegensatz Gesamtwirklichkeit S. 4, Gesamtheit des Wirklichen S. 15. Gesetze für das Einzelwirkliche; auch das Gesetz des ausgeschlossenen Dritten gilt nur für das Einzelwirkliche S. 29.
Empfindungen a) als Gegenstand der Reflexion S. 60, b) als Erkenntnismittel S. 55, 59, c) isoliert vom Körper bei Cartesius und in der Psychologie S. 54, Definition der Empfindungen S. 54.
Enargein Einleuchten S. 24.
Einzelgebilde des Denkens, die wesentlichen Merkmale S. 13, – überhaupt das durch Abstraktion Geschaffene S. 21; das Urteil kein Einzelgebilde, vom Denken geschaffene Verbindung S. 23.
Enthaltensein, Gesetz des Enthaltenseins für Begriffe S. 26; Gesetz des Enthaltenseins für Urteile – das Gesetz des Grundes S. 32; im Enthaltensein eine Denknotwendigkeit vorhanden S. 40.
Entwicklung fortschreitende in der Natur S. 76, 81, 74.
Entwicklungstheorie führt den Zweckbegriff wieder ein S. 75.
Erfahrung Ausgangspunkt des Erkennens a) die Empfindungen als Erkenntnismittel der Aussenwelt, b) die Bewusstseinsvorgänge als Erkenntnismittel der Innenwelt, – keine Erkenntnis S. 82.
Erinnerung, was sie ist S. 61; warum wir bei ihr nicht leicht von Einsicht reden S. 61–62, unter welchen Vorbehalten es einsichtige Erinnerungen gibt S. 62.
Erkennen hat eine metaphysische Bedeutung S. V, VI; a) empiristischer Begriff, b) rationalistischer Begriff des Erkennens S. 2, – Lehre vom Erkennen erster Teil der Logik, Lehre vom Denken zweiter Teil S. IV; das Erkennen und die Wahrheit S. IV, 2; die Wahrheit unabtrennbar vom Erkennen S. VI, 2, 5, 31, – nicht Abdruck, Spiegelbild, müssige Wiederholung der Wirklichkeit, [pg 93] besitzt die Wirklichkeit selbst S. 6, 17. Erkennen gleich Einsicht verschieden vom Urteil S. 23, 6.
Erkenntnisideal S. 88
Erkenntniswert der Naturwissenschaften und Geschichte S. VI, 73, 76, – der Begriffs- und Thatsachenurteile S. 72.
Erklärung mechanische der Natur, wann möglich? S. 75, – psychologische der Entstehung und Zusammensetzung unserer Vorstellungen der Weltdinge S. 52, 12.
Ermöglichung der Empfindungen S. 52, Gesetz der Ermöglichung S. 32.
Evidenz evidentia Einleuchten S. 24.
Ewigkeitscharakter der Wahrheit S. V, 4.
Existenz der Aussenwelt unmittelbar erkannt S. 53, – des Ich desgleichen; keine Erkenntnis seiner Beschaffenheit S. 63–64.
F.
Faith Glaube in religiösem Sinne S. 71.
Fiducia religiöser Glaube, der dem assensus der Zustimmung des Verstandes oder dem einsichtigen Urteil vorangeht, ein und dasselbe mit
Fides quaerens intellectum religiöser Glaube, der die einsichtige Erkenntnis erstrebt d. h. die mit ihr verbundene äussere Einsicht durch die innere zu ergänzen sucht S. 85.
Farbe, Wesen der Farbe S. 16, unsere Auffassung der Farben Grund der Objektivationstheorie S. 54, 55.
Formalgesetze Denkgesetze, das des Enthaltenseins und des Grundes S. 33.
Formalkategorien Raum und Zeit S. 50.
Formen (3) des Gesetzes des Widerspruchs S. 33.
Formulierung falsche des Kausalitätsgesetzes S. 31–32.
Fragen, ihr Wert S. 16–17, Philosophie Wissenschaft der Fragen S. 16, – ob die Dinge so sind, wie wir sie wahrnehmen, thöricht, ungereimt S. 34, 52.
G.
Gattung, wann Proprietät S. 46, 8, verglichen mit der Zahl S. 46.
Gebiet das sinnliche konstituiert von den Empfindungen, inwiefern? S. 59.
Gedanken aufgedrängte S. 80, 22, – Gottes die Dinge der Welt S. 53, 54, 56.
Gefühle Grund der blinden Überzeugung S. 34; die Religion besteht nicht in blossen Gefühlen S. 83.
Gegenstand Unbestimmtheit des Wortes S. 2; einziger Gegenstand des Erkennens die Wahrheit S. 2; im eigentlichen Sinne giebt es nur auf Grund des Urteils Gegenstände S. 12.
Gegenständlicher Charakter der Vorstellungen, wie kommt er zu Stande S. 12.
Geist, Blick des Geistes S. 9, 13–14, 20–21, 60; – und Körper S. 16, Begriff und Sinnenbild des Geistes S. 14.
Gelten mehr als Existieren S. 4, vergl. ideelle Existenz in Gott wahrer als zeiträumliche Existenz S. 7.
Gemüt, Ergriffensein des Gemüts von der Wahrheit S. 43, 87.
Generalisation S. 8–9.
Geschichte, Erkenntniswert der Geschichte S. VI, 73, 76, Bedeutung des Individuums in der Geschichte S. 73, 77, Fortschritt in der Geschichte S. 76, Gedanken in der Geschichte S. 73, 76.
Gesamtheit des Wirklichen s. Einzelwirklichkeit.
Gesetze als Ausdruck des Wesens der Dinge S. 14; – des Erkennens: Grundgesetz, Urteilsgesetze S. 25 [pg 94] u. 29, Schlussgesetze S. 30 ff., Gesetz der Gleichförmigkeit des Naturlaufs S. 38.
Gewissheit einsichtige und blinde, ihr Unterschied S. 35–36.
Glaube in religiösem Sinne S. 84, 71, 72; als Fürwahrhalten der Mitteilungen andrer S. 70.
Glaubensüberzeugungen geschichtliche Erkenntnisse S. V, Kant über Glauben S. V.
Gleichheit und Verschiedenheit Prädikabilien S. 46.
Goethe über das Allgemeine und Besondere S. 9; Motto seiner Iphigenie S. 78, 79.
Gravitation zeitlos S. 68, Gesetz der – S. 5
Gott als Bewusstsein überhaupt S. 5, 53, – der Eine Erkennende vom System der Wahrheit vorausgesetzt S. 30–31, 85, seinem Wesen nach Selbstentäusserung, rückhaltlose Hingabe S. 51, 84.
Grund, Gesetz des Grundes S. 32–33; subjektiver, objektiver Grund der Wahrheit S. 30–31, 7.
Gut, die Wahrheit an sich das höchste Gut S. 18, 44, 84–85, nicht für uns S. 85, ein sittliches Gut, ein Gemeinschaftsgut S. 44.
H.
Hegel und die Evidenz des Gesetzes des Widerspruchs S. 38.
Heraklit und die Evidenz des Gesetzes des Widerspruchs S. 38.
Homoiosis Verähnlichung S. 6.
Horror vacui kein leerer Raum S. 56.
Humes Irrtum über das Ich S. 63.
I.
Ich, inwiefern erkennbar S. 63–64.
Ideal der Erkenntnis S. 88.
Ideelle Existenz wahrer als zeiträumliche S. 7.
Ideen, Persönlichkeiten in der Geschichte, ihre Träger S. 76.
Ideenwelt Platons dasselbe mit dem System der Wahrheit S. 7.
Immediatum commercium animarum s. Commercium.
Inhaltsmerkmal der Wahrheit S. 2; die negativen Begriffe keine Inhaltsmerkmale S. 28.
Individualität des Künstlers S. 78.
Individuation Prinzip der – S. 50.
Intellectus s. Fides quaerens intellectum.
Irrational vom Erkennen nicht aufzuhellen S. 48.
Inkommensurabel vom Erkennen nicht aufzuhellen S. 48.
Intuitionen s. Aperçu.
Inspirationen s. Eingebung.
Isolierung der Teile des Ausgedehnten und Bewegten durch die Abstraktion S. 13, 21, der Empfindungen und körperlichen Vorgänge S. 54, der Bewusstseinsvorgänge S. 60.
K.
Kant über Glauben und Wissen S. V, sein Einfluss auf die Logik S. I; Trennung des Gegenstandes vom Erkennen – Ding an sich S. VI und S. 1, – vom guten Willen S. 44.
Kategorien des Aristoteles S. 45, – vier: Ding, Eigenschaft, Vorgang, Beziehung S. 28, Formalkategorien: Raum und Zeit; Realkategorien: Substanz und Kausalität S. 50, Wesen und Einheit sind Kategorien S. 46–47; Wirklichkeit eine Realkategorie S. 51.
Kausalität Verursachung; Ursprung des Begriffs S. 12–13, 49, Ursache und Vorgang S. 28, Gesetz der Kausalität S. 31–32; irrationales Element S. 49; – die Ermöglichung nicht hervorbringende Ursache S. 31, 50, – als symbolischer Ausdruck für die völlige Abhängigkeit der Dinge von Gott S. 51. Siehe Substanz.
[pg 95]Kausalzusammenhang S. 31.
Kenntnisnahme verschieden von Erkennen S. 65.
Kenntnisse keine Erkenntnisse S. 65–66, 71, – erster und zweiter Hand S. 72.
Kennzeichen der Wahrheit S. IV, 3, nicht die Einsicht sondern das Einleuchten S. 24.
Kinder Erfahrungen an – S. 67, – unmündige S. 55, wodurch belehrt über den Unterschied des eigenen von fremden Körpern S. 56.
Koinonia Teilnahme an einer Sache S. 6.
Körperwelt, unser Bewusstsein unabtrennbar mit ihr verbunden S. 56, 63, doppelte Auffassung ihres Wesens S. 74, 81, dreifache Auffassung ihres Verhältnisses zum Geiste S. 74–75.
Konstante Merkmale S. 9.
Kraft enthält wie die Zeit und Kausalität ein irrationales Element, gehört darum nur zur Erscheinung der Welt im Bewusstsein S. 57.
L.
Leben das ewige eine Erkenntnis S. 85.
Leib und Seele untrennbar S. 1, 54, vergl. S. 63.
Locke u. Aristoteles über die Schranken unserer Erkenntnis des Innenlebens anderer S. 69.
Logik als Denklehre in erster Linie Erkenntnislehre S. IV, – formale u. erkenntnistheoretische S. III–IV.
Logismus formalistischer S. VI.
Lückenhaftigkeit der Erinnerung, wie erkannt S. 62.
M.
Materie siehe Kraft.
Mathematik, ob für alle verständlich S. VII, warum und inwiefern ihre Lehrsätze durch- (ein-)sichtige Klarheit besitzen S. 58, 49.
Mensch, Begriff des Menschen S. 8, Wesen des Menschen S. 16.
Merkmale, Wertunterschiede unter den Merkmalen S. 8, – wesentliche und unwesentliche S. 6–7, 46, – begriffliche und sinnfällige S. 10 ff.
Metaphysik vermeintliche Grundvoraussetzung das Ding an sich S. VI, Scheu vor der Metaphysik S. VI, Begriff der Wahrheit ist Metaphysik S. 87.
Metaphysische Bedeutung des Erkennens S. VI.
Methode psychologische, Isolierung der Empfindungen vom Körper S. 54, der Bewusstseinsvorgänge von einander S. 60.
Mittelalterliche Philosophie S. 1, 54.
Mitgeteilte Urteile keine selbstgefällten S. 70–71.
Mitte zwischen Bejahen und Verneinen ausgeschlossen für das Einzelwirkliche S. 29.
N.
Nacheinander in der Zeit ausgeschlossen durch den Übergang S. 48.
Namenwissen blosse Kenntnis S. 65–66.
Namentliches begriffliches Wissen eigentliches Wissen S. 59.
Natur Wissenschaft der Natur S. 57–58, Erkenntniswert geringer als der der Geschichte S. VI, 73, 76, Auffassung der Natur mechanische S. 75, Auffassung der Natur doppelte unverifizierbare S. 74, 81.
Natura non facit saltus keine Sprünge in der Natur S. 56.
Nebeneinander, ausgeschlossen durch die Berührung S. 48.
Neues in Natur und Geschichte S. 77.
Newtons Gravitationsgesetz S. 5.
Negation nur im Urteil möglich, setzt [pg 96] aber den Blick für das, was anders ist, voraus S. 14, 28.
Nichtsein wirkliches S. 47.
Nichtseinsollendes ob wirklich S. 19, 47.
Nihil. Ex nihilo fit nihil. Aus Nichts wird Nichts S. 77.
Nötigung keinerlei – beim Einleuchten und der Einsicht. S. 22, 34, 38, 80.
Notwendigkeit des Denkens scheinbare als Folge der Gewissheit. S. 39, 42–43 wirkliche einsichtige im Verhältnis des Enthaltenseins S. 40, wirkliche einsichtige in den Unverträglichkeitsverhältnissen S. 41–42, wirkliche einsichtslose S. 41.
O.
Objektiver Grund aller Wahrheit S. 31.
Objektivationstheorie, Grund derselben S. 54, Ersatz derselben S. 55.
Offenbarung im allgemeinen Sinne die Inspiration mit einschliessend S. 77, im Unterschied von der Inspiration S. 85–86.
Ort der Dinge, Ursprung des Bewusstseins derselben S. 52.
Ortsbestimmung löst alles in Beziehungen auf, setzt darum ein Unräumliches voraus S. 30. Prinzip der Individuation S. 50.
P.
Parusia Gegenwart S. 6.
Pestalozzi über die Schranken unserer Erkenntnis des Innern anderer S. 69.
Phantasie schöpferische des Künstlers S. 78.
Phantasiebild als Begleiter der Begriffe S. 55, 59.
Persönliches Verhältnis das Wesen der Religiosität S. 69.
Persönlichkeiten in der Geschichte als Träger der Ideen S. 76.
Philosophie Wissenschaft vom Wesen der Dinge, Wissenschaft der Fragen S. 16.
Prinzip aristokratisches in der Natur S. 76, – der Individuation S. 50.
Platons Theätet S. VII, Ideenlehre S. 7, Ansicht vom Körper S. 16, 55.
Psychologische Methode Isolierung der Empfindungen vom Körper S. 51, der Bewusstseinsvorgänge von einander S. 60.
Primat des Intellekts, des Willens S. 85.
Probe auf Probe glauben in religiösem Sinne unmöglich S. 84.
Porphyrius über die Prädikabilien S. 45.
Proprietät und Eigenschaft S. 46.
R.
Rationalistischer Begriff des Erkennens S. 2, der Wahrheit S. 88.
Raum als Kategorie S. 48, als Begriff S. 49, Formalkategorie, Prinzip der Individuation S. 50, symbolischer Ausdruck der scheinbaren Selbstständigkeit der Dinge, der Unendlichkeit S. 51, 81, enthält ein irrationales Element, gehört darum nur zur Erscheinung der Welt in unserm Bewusstsein S. 57.
Realgesetze S. 33–34.
Realkategorien S. 50.
Religion, positive Seite der Moral S. 69, ihr Wesen S. 82, 83, ihre doppelte Wirkung S. 84, vergl. S. 85, Bedeutung der Erkenntnis in der Religion S. 84–85.
Reflexion verschieden von dem Bewusstheit genannten Wissen S. 59, Wiederholung desselben S. 64, Empfindung als Gegenstand der Reflexion S. 60.
S.
Scheinbar, inwiefern das Scheinbare wirklich S. 19, die geliehene Selbstständigkeit verschieden von der anmasslichen nicht etwas bloss Scheinbares S. 51, 19, scheinbare Selbstständigkeit, Symbol derselben S. 51, 81.
Schöpfung Akt der Selbstentäusserung S. 51.
[pg 97]Schranken unübersteigliche oder noch nicht überwundene für die Erkenntnis der Aussenwelt und unserer eigenen Innenwelt S. 64, für die Erkenntnis der Innenwelt anderer S. 69.
Schluss der Analogie S. 67, der Induktion S. 66, 9.
Selbstbewusstsein unmittelbare Einsicht in die Zusammengehörigkeit der Bewusstseinsvorgänge, die wir unsere nennen, mit dem Ich oder Selbst, S. 63, 61.
Selbsterkenntnis S. 69.
Selbstentäusserung s. Schöpfung.
Seligkeit als Friede, Voraussetzung der Sittlichkeit S. 85, 84.
Sinnfällige Wirklichkeit S. 48, – Eigenschaften S. 57.
Sinnliches Gebiet, wodurch konstituiert S. 59–60, sinnliche Merkmale S. 10.
Sinnenbilder, was sie sind S. 11; die Grundbestandteile des Sinnlichen, Sinnfälligen, die Sinnenbilder der Ausdehnung und Bewegung S. 10–11, einfache Sinnenbilder die genannten, aus ihnen entstehen erweiterte, neue, umfassendere S. 49, Sinnenbilder und Vorstellungen S. 11–12, Sinnenbilder und Begriffe S. 49.
Sittlichkeit in dem negativen Moment der Selbstlosigkeit bestehend, das einer Ergänzung bedarf S. 69, Kraft zum sittlichen Handeln S. 84; inwiefern für uns ein höheres Gut als die Wahrheit S. 85.
Skepticismus – Folge der Leugnung des metaphysischen Charakters der Wahrheit S. 87.
Stoiker S. 83.
Stoische Hingabe S. 83.
Stufen, Vorstufen und Stufen als Bestandteile des Erkenntnisvorgangs S. 20, 21, S. 21–23.
Subjektiv grundlos was unmittelbar einleuchtet, hat einen objektiven Grund S. 31.
Subjekt der Urteile das Einzelwirkliche S. 29, – Sinnenbilder oder Vorstellungen und wesentliche Merkmale S. 26.
Substanz entsteht aus dem Willensding S. 12, setzt ein umfassenderes Sinnenbild als die Ausdehnung voraus S. 49, begriffliche Bearbeitung, Begriff der Substanz S. 13, 49, enthält das irrationale Element in verdoppeltem Masse S. 49, gehört darum nur zur Erscheinung der Welt in unserm Bewusstsein S. 57, symbolischer Ausdruck für die scheinbare Selbständigkeit der Dinge S. 51.
Synthese Ziel des Erkennens, nicht Analyse S. 27, 29, 24.
Symbolischer Ausdruck für die scheinbare Selbständigkeit der Dinge Raum und Substanz, für ihre völlige Abhängigkeit Zeit und Kausalität S. 51, 81.
System der Wahrheit wesentlich S. 30, 24, 15, 4.
T.
Thatsachen, Urteile über Thatsachen überzeitlich S. 4, – und Gedanken, S. 3.
Trennung abstrakte von Leib und Seele, Gegenstand und Erkennen S. VI, VIII, 1, 54, Abstraktion ein Trennen, Isolieren S. 21, 13.
U.
Übereinstimmung, Gesetz der – S. 25.
Übergreifender Charakter der Bewusstheit, warum notwendig, S. 60, 61.
Übertragung der sinnlichen Vorstellungen auf geistige Vorgänge wie vermittelt? S. 59, 60.
[pg 98]Überzeugung, blinde, ihr Grund S. 34–35, auch als Gewissheit von der einsichtigen Gewissheit verschieden S. 36.
Unerkennbarkeit des Wesens der Dinge S. 16, 24–25.
Untrennbarkeit der Seele vom Leibe (seinem Wesen nach), des Gegenstandes vom Erkennen S. VI, 1, 2, 5, 6, 31, 54.
Unverträglichkeitsverhältnisse S. 41–42.
Urteil gedankliches Gebilde, Verbindung von gedanklichen Einzelgebilden S. 23, sein gedanklicher Ausdruck eine Analyse, schliesst bei allen synthetischen, nicht auf dem Enthaltensein beruhenden Urteilen eine Synthese als bedingenden Bestandteil ein, sprachlicher Ausdruck wieder Synthese S. 26–27.
V.
Verkündiger der Offenbarung, kann die Eingebung als solche erkennen S. 86, 79, wann glaubwürdig S. 86–87, 69–70.
Verstandesakt die Einsicht S. 43, 87.
Vorgefundenes Grundelement der Thatsachen S. 3, von doppelter Art: Sinnenbilder und Vorstellungen S. 20–21.
Vorstellungen, wie werden aus den Empfindungen Vorstellungen? S. 11–12, sinnliche und übertragene S. 59, 60, keine blossen Vorstellungen von den Bewusstseinsvorgängen S. 60.
W.
Wahrheit, metaphysischer immanenter empiristischer, rationalistischer Wahrheitsbegriff S. V, 48, 87–88, keine einzelne Wahrheit S. 81, 24, 20, 4, Wahrheit und Wirklichkeit S. 86, 84, 81, 19, 5–6, 4, V, Wahrheit und Wesen der Dinge S. 15, Wahrheit an sich höchstes Gut S. 18, 85, Wahrheit kein Ding an sich S. 2, 5, 6, 31, 81.
Wahrscheinlichkeit der Sätze der Induktion S. 66, das einzige, was die empiristische Wahrheitstheorie verbürgt S. 88, keine wahrscheinliche Einsicht sondern nur Einsicht in die Wahrscheinlichkeit S. 35–37.
Wesen s. Wahrheit – der Religiosität S. 69, – der Farbe, – des Menschen S. 16, – der Religion S. 83.
Wesentliche s. Blick für das Wesentliche; – Merkmale der Sinnenbilder noch keine Erkenntnis des Wesens S. 21; ob immer mit Einsicht verbunden? S. 25.
Wirklichkeit, ganz und gar abhängig von der Wahrheit S. V, 4, 5–6, 19, 81, 84, 86, Sinnfällige Wirklichkeit S. 48, Wirklichkeit Realkategorie S. 51, Was ist Wirklichkeit? S. 51, 4, VII.
Wissen, Wissens-Disposition S. 11, – uneigentliches nicht namentliches, nicht begriffliches S. 59, Namenwissen S. 65–66, – associatives S. 65, Wissen und Glauben S. 70–71.
Wissenschaft, Naturwissenschaft S. VI, beschreibende S. 57, erklärende S. 73, Geschichtswissenschaft S. 72–73.
Wissenschaftliche Inspiration S. 79–81.
Z.
Zeit vergl. Raum, – symbolischer Ausdruck der thatsächlichen Abhängigkeit und Beschränktheit S. 51, Zeitlichkeit des Erkenntnisvorganges S. 5–6.
Ziel des Erkennens, Synthese nicht Analyse S. 24.
Zielstrebigkeit in der Natur S. 75.
Zulänglichkeit des Kennzeichens der Wahrheit S. 3, 36–38.
Zusammengehörigkeit S. VIII, 24, 20, 22, siehe Einleuchten und Einsicht.
Zweckzusammenhang in der Natur S. 74.
A. W. Zickfeldt Osterwieck Harz
Von den Korrekturlesern des Project Gutenberg wurden mehrere Änderungen am Originaltext vorgenommen.
Seite 7 Zeile 13 lies statt Unveränderliche Veränderliche (Diese Anmerkung erscheint im Original auf Seite XVIII und wurde in der Gutenberg-Fassung berücksichtigt).
Auf den (Original-)Seiten XIII, 75, 90 und 91 wurden die Anfangsbuchstaben 'Ue' zu 'Ü' komprimiert.
Es folgen paarweise Textzeilen im Original und in der vorliegenden geänderten Fassung.
sondern auch allem Vergänglichen, Unveränderlichen so entgegengesetzte
sondern auch allem Vergänglichen, Veränderlichen so entgegengesetzte
nicht enbehren können. Um ihn zu vermeiden, mussten wir
nicht entbehren können. Um ihn zu vermeiden, mussten wir
einer vermeinlichen Einsicht und eines vermeintlichen Einleuchtens
einer vermeintlichen Einsicht und eines vermeintlichen Einleuchtens
ein solcher Notwendigkeitszusammenhang des Zusammengegehörigen
ein solcher Notwendigkeitszusammenhang des Zusammengehörigen
reden, aber man darf eben nur dies mit dem Enthaltensein gegegebene
reden, aber man darf eben nur dies mit dem Enthaltensein gegebene
auch zum Seienden? Gattung und Art sind oftenbar Prädikabilien,
auch zum Seienden? Gattung und Art sind offenbar Prädikabilien,
Bakon und die Methode der Naturwissenschaften S. 9.
Bacon und die Methode der Naturwissenschaften S. 9.
Subjektiv grundlos was ummittelbar
Subjektiv grundlos was unmittelbar
ohne dass wir darum wüssten. Unsre Erkenntniss von den Dingen
ohne dass wir darum wüssten. Unsre Erkenntnis von den Dingen
Persönliches Verhältnis das Wesen der Religiösität S. 69.
Persönliches Verhältnis das Wesen der Religiosität S. 69.