Project Gutenberg's Berlin--Panorama einer Weltstadt, by Karl Gutzkow Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email--and one in 8-bit format, which includes higher order characters--which requires a binary transfer, or sent as email attachment and may require more specialized programs to display the accents. This is the 7-bit version. This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. BERLIN--Panorama einer Weltstadt von KARL GUTZKOW Inhaltsverzeichnis I. "Weltstadt"-Panorama Cafe Stehely (1831) Cholera in Berlin (1831) Alte Bauten-neue Bauten (1832) Dom, Schauspielhaus-"Sechserbruecke" (1840) Blumenausstellung in Stralow (1840) Notizen (1841) Berlins sittliche Verwahrlosung (1843) Der Geist der Oeffentlichkeit (1844) Mysteres de Berlin? (1844) Impressionen-z.B.: Borsig (1854) Quatsch, Kroll und "Satanella" (1854) Neues Museum-Schlosskapelle-Bethanien (1854) Zur Aesthetik des Haesslichen (1873) II. Fuer und wider Preussens Politik Ueber die historischen Bedingungen einer preussischen Verfassung (1832) Drei preussische Koenige (1840) Das Barrikadenlied (1848) Landtag oder Nicht-Landtag (1848) Preussen und die deutsche Krone (1848) Abwehr einer Verleumdung (1850) Varnhagens Tagebuecher (1861) Vorlaeufiger Abschluss der Varnhagenschen Tagebuecher (1862) III. Drei Berliner Theatergroessen Ernst Raupach (1840) Ludwig Tieck und seine Berliner Buehnenexperimente (1843) Madame Birch-Pfeiffer und die drei Musketiere (1846) IV. Aus dem literarischen Berlin Der Sonntagsverein (1833) Cypressen fuer Charlotte Stieglitz (1835) Diese Kritik gehoert Bettinen (1843) Ein preussischer Roman (1849) Eine naechtliche Unterkunft (1870) Zum Gedaechtnis Wilhelm Haerings (Willibald Alexis) (1872) Lyrisches aus dem Zeitungsviertel (1873) Louise Muehlbach und die moderne Romanindustrie (1873) I. "Weltstadt"--Panorama Cafe Stehely (1831) Ob man bei Stehely einen Begriff von der Verberlinerung der Literatur bekommen kann--ganz gewiss, oder man muesste sich taeuschen in dieser stummen Bewegungssprache, die einen Haufen von Zeitschriften mit wilder Begier und neidischem Blick zusammentraegt, ihn mit der Linken sichert und mit der Rechten eine nach der andern vor die starren, teilnahmslosen Gesichtszuege haelt. Die Eisenstange und das Schloss des Journals scheint mit schwerer Gewalt auch seine Zunge zu fesseln--wer wuerde hier seinen Nachbar auf eine interessante Notiz aufmerksam machen? Ein feindliches Heer koennte eine Meile von Berlin entfernt sein, kein Mensch wuerde die Geschichte vortragen, man wuerde auf den Druck warten und auch dann noch ein Exemplar durch aller Haende wandern lassen--fast in der Weise, wie in Stralow die honetten Leute vor jeder lebhafteren Gruppe vorbeigehen mit dem troestenden Zuruf, man wuerd' es ja morgen gedruckt lesen. Stehelys Besucher bilden natuerlich zwei Klassen, die Jungen und die Alten, mit der naeheren Bezeichnung, dass die Jungen ans Alter, die Alten an die Jugend denken. Jene sind Literaten in der guten Hoffnung, einst sich so zu sehen, wie man jetzt die Klassiker sieht, weihrauchumnebelt; diese sind Beamte, alte Offiziers, die in einem Atem von den politischen Stellungen des preussischen Staats, den Fuessen der Elsler, den Koloraturen der Sontag, dem Spiel der Schechner sprechen! Nichts Unerbaulicheres! Vor dem Gespraech dieser alten Gecken moechte man sich die Ohren zuhalten, oder in die einsamere Klause des letzten Zimmers fluechten. Schon wenn sie angestiegen kommen, zumal jetzt im Winter; diese dummen, loyalen Gesichter, diese Socken und Pelzschuhe, deren Tritt nicht das leiseste Ohr erspaehen koennte. Triumphierend rufen sie um die "Staatszeitung", forschen nach den privatoffiziellen Erklaerungen eines H., v. R., v. Wsn. Hierauf lesen sie die Berliner Korrespondenzen in der "Allgemeinen Zeitung", die ja wohl der Ausdruck der Berliner oeffentlichen Meinung, als wenn es eine solche gaebe, sein sollen, und wenn sie sich dann noch an den logischen Demonstrationen der Mitteilungen aus der "Posener Zeitung" gestaerkt haben, fallen sie uebers Theater her und man muss sie verlassen. Ihnen am naechsten stehen einige langgestreckte Gardeleutnants und Referendare, die sich dadurch unterscheiden, dass die einen viel sprechen und wenig denken, die andern wenig denken und viel sprechen. Diese geben den Uebergang zu den schon vorhin bezeichneten Juengeren, auf die wir unten des breiteren zurueckkommen muessen. Es fehlt hier also durchaus nicht an den Mitteln und Elementen, sich ein Bild der Berlinerei vorzufuehren. Man verlasse das Lokal und bei jeder Aussicht wird man fuer sein Bild noch immer treffendere und bezeichnendere Zuege finden. Sogleich die Ansicht einer Kirche, die ausserdem, dass sie eine Kirche ist, auch keine ist. Wie ein Luftball, der unten einen Fallschirm zur Sicherheit traegt, erhebt sich die stolze Vorderseite dieses Domes, leere Steinmassen und hohler Prunk, und hinten dann das geschmackloseste Anhaengsel einer kappenfoermigen Kuppel, die doch das Wahre an dem ganzen Laerm ist in ihrer sonntaeglichen Bestimmung. Wiederum vom Opernplatz aus furchtbare Steinmassen, Urkunden des Ungeschmacks aus dem 16ten und 17ten Saekulum, Hunderte von Fenstern erinnern an die Zeiten der Aufklaerung und der Illuminaten, die kahlen Kulturversuche finden sich wieder in diesen leeren Waenden, die sich ohne Unterbrechung 80-90 Fuss in die Hoehe glaetten. Gilt dies freilich mehr gegen eine vergangene Zeit, so haelt es doch nicht schwer, das alles wiederzufinden in der Galanteriewarenmanier der neuesten Bauten, wo der Ernst nur ein uebertuenchter ist ... Cholera in Berlin (1831) ... Im gegenwaertigen Augenblick beschaeftigt uns am meisten die seit dem ersten d. M. hier wirklich angekommene Cholera: Auf der Frankfurter Journaliere erwartet und auf die Kontumazanstalt verwiesen, hat sie einen anderen Weg genommen, durch den Finowkanal. Die naeheren Umstaende des ersten Cholerafalles sind in der Tat tragikomisch, der Schluss fast balladenartig. An die Moeglichkeit, dass die Cholera nach Charlottenburg (eine halbe Meile von Berlin) kaeme, hatte man nicht gedacht, der Hof hatte sich im dortigen Schlosse absperren wollen und eine Anzahl Proviantwagen war schon dahin abgegangen. Da erscholl ploetzlich von dorther die Kunde von einem an der Cholera gestorbenen Schiffer. Polizeibeamte und die wachslinnenen, steifen Harnischmaenner, die zur Wartung der Cholerakranken eigens errichtete Garde, eilen hinaus und in dem stolzen Bewusstsein, im Kampfe die ersten zu sein, tun sie sich ein wenig zu Gute. Der Tote wird eingesargt, und des Nachts sollen ihn die Waerter auf einem Kahne vom Schiffe abholen; doch am andern Morgen erfuhr man, dass bis auf einen ans Ufer getriebenen Mann alle untergegangen, und die Fischer bei Spandau einen Sarg im Netze gefangen hatten. Da nun dieser mit der Spree in Beruehrung gekommen ist, will man weder Fische noch Krebse essen. Jene Proviantwagen sind auch wieder zurueckgekehrt, und soviel man weiss, wird sich der Koenig auf die Pfaueninsel bei Potsdam begeben. Der erste Erkrankungsfall in Berlin selbst war der eines Schiffers, gerade in der Mitte der Stadt. Bis jetzt sollen 29 erkrankt und 21 gestorben sein. Man klagt ueber die Mutlosigkeit und Unbeholfenheit der hiesigen Aerzte: Wir hatten gehofft, erfahrene Maenner aus den infizierten Gegenden hieher gezogen zu sehen; doch ist von einer solchen Sorgfalt noch nichts bekannt geworden. Die oeffentliche Stimmung ist bis jetzt noch so ziemlich gemaessigt, doch sind Vergnuegungsoerter gegenwaertig weniger besucht, und das Raffen nach Praeservativen, Leibbinden, Harzpflastern ist allgemein; Dienstboten werden entlassen, manche Nahrungszweige stocken gaenzlich. Es lassen sich die Folgen des kommenden Elends noch nicht berechnen. Alte Bauten--neue Bauten (1832) ... In den langweiligen Zeiten der Restauration, vor den militaerischen Ruestungen und den Verheerungen der Cholera, waren die Kassen des Staats reicher gefuellt als gegenwaertig. Berlin war in zunehmender Verschoenerung begriffen; die Auffuehrung vieler oeffentlicher Gebaeude liess ebensosehr den Geschmack bewundern, in dem sie angelegt und vollendet wurden, als die Vorsicht loben, die einem grossen Teile unserer Proletairs eine reichliche Nahrungsquelle sicherte. Diese Baulust ging damals auch auf Privatleute ueber, deren Geld und Unternehmungsgeist Berlin um ein prachtvoll gebautes Stadtquartier vergroesserte. Aber auch von dieser Seite stehen alle Plane gegenwaertig still. Die beiden oeffentlichen Bauten, an die in diesem Augenblick allein gedacht wird, sind die voellige Umgestaltung des sogenannten Packhofes, eines Stapelplatzes und Warenlagers fuer die ankommenden Kaufmannsgueter, und ein kuenftiger Neubau der Bauakademie. Wer in Berlin gewesen ist, weiss, dass er, um vom Schlossplatze nach der Jaegerstrasse zu kommen, sich durch die lebhafteste, aber zugleich auch engste Passage, die Werderschen Muehlen, die Schleusenbruecken, die Verbindung unserer Alt- und Neustadt, durchwinden muss. Spaeter wird diese unbequeme Gegend gelichtet werden. Dicht an der genannten Bruecke wird rechts ein freier Platz beginnen, der die Aussicht nach dem Packhofgebaeude und der Werderschen Kirche frei macht. Gewinnen werden bei einem solchen Projekt die Besitzer jenes Haeuserwinkels von der Niederlagstrasse bis zur Bruecke, verlieren aber muss die kleine, winzige Werdersche Kirche, deren Unbedeutendheit bei einer grossartigern und freiern Umgebung nur deutlicher hervortreten wird. Der Bau der obengenannten Akademie hat noch nicht begonnen, aber es kann auch noch lang mit ihm anstehen, da der gegenwaertige Zustand dieses Instituts einen so bedeutenden Kostenaufwand nicht vergilt. Diese einst so bluehende Anstalt ist gegenwaertig durch die Eroeffnung neuer Provinzialbauschulen und die Gewerbeakademie, die sich unter der Leitung des Hrn. Beuth, unsers kuenftigen Handels- und Gewerbeministers, immer mehr hebt, in die tiefste Zerruettung gesunken, so dass die Zahl der an ihr angestellten Lehrer der der Schueler gleichkommen mag. Darum bleibt vielleicht dieses Bauprojekt einstweilen noch unausgefuehrt.... Dom, Schauspielhaus--"Sechserbruecke" (1840) Von meiner Wohnung aus ist mir ein Blick auf die Umgebungen des Schlosses gewaehrt, auf eine Ueberfuelle von grossen Gebaeuden, die die Gegend von dem Anfang der Linden bis zum Dom zu einem der merkwuerdigsten Plaetze Europas machen. Stoerten mich nur nicht am Dom die beiden Zwillingsableger des grossen Turms! Neben einer grossen Kuppel, die schon an sich unwesentlich ist, da sie fuer das Innere der Kirche gar keinen Wert hat, sondern nur als blosse architektonische Verzierung dient, haben sich noch zwei kleine Schwalbennester wie zwei Major-Epauletts niedergelassen. Man hatte dabei wahrscheinlich die Isaakskirche in Petersburg vor Augen; aber dort gehoeren diese kleinen Tuerme zum Kultus, indem sie auf einzelne Kapellen Licht fallen lassen, sie sind so zahlreich bei den russischen Kirchen angebracht, dass sie schon dadurch etwas fuer die dortige heilige Architektur Wesentliches vorstellen. Hier in Berlin, wo man so viel Russisches in der Politik und den Militaeruniformen nachahmte, wollte man auch der Hauptkirche der Stadt eine russische Perspektive geben und Schinkel war schwach genug, die beiden kleinen Vogelbauer neben den groessern Turm der Kirche zwecklos und unschoen hinzustellen. Ueberhaupt wuerden die Gebaeude der Residenz mehr kuenstlerischen Wert haben, wenn Schinkel, ein so reicher, erfinderischer, sinniger Kopf, jenen echten Kuenstlerstolz besaesse, der ihn verhindert haette, Aenderungen seiner urspruenglichen Bauplaene hinzunehmen. Eine hoehere Hand, deren Munifizenz allerdings ruhmvoll anerkannt werden muss, strich ihm bei vielen seiner vorgelegten Bauplaene meist immer das Charakteristische und Kecke weg. Alles Hohe, Hinausspringende, Hinausragende (z.B. dreist aufschiessende Tuerme an den Kirchen) wird von einem an sich ganz achtbaren, aber in Kunstsachen unbequemen Sinn fuer das Bequeme, Bescheidene, Zurueckhaltende weggewuenscht. Es ist nicht ruehmlich fuer Schinkel, dass er bei seinen zahlreichen Baugrundrissen dem Kuenstlerstolz so viel vergeben hat. Schinkel hat in seinen geistvoll geschriebenen Erlaeuterungen zu seinen Bauten auch alle die Umstaende angefuehrt, die ihn bewogen, dem Schauspielhause seine jetzige Gestalt zu geben. Wenn an einem oeffentlichen Gebaeude die Fassade nicht einmal als Ein- und Ausgang benutzt wird, wenn man auf einer grossen Freitreppe Gras wachsen sieht, so regt sich unwillkuerlich das Gefuehl, das Unbenutzte auch fuer eine Ueberladung zu halten. Doch moegen die Kenner ueber den aeussern architektonischen Wert des Schauspielhauses entscheiden! Das Innere dieses Theaters, wiederum nicht ausgehend von der speziellen Ansicht Schinkels, hat ganz jenen gedrueckten Miniatur- und Privatcharakter, den ein Haus, das frueher Nationaltheater hiess, nicht haben sollte. Es waere vielleicht nicht noetig gewesen, dies Theater groesser, als fuer 1200 Menschen zu bauen; aber warum dieser wunderliche Charakter der Isolierung in der Anlage des Ganzen? Ein Rang ist dem andern unsichtbar. Das Parterre und die Parkettlogen sehen nichts von den Raengen. Man weiss an einer Stelle des Hauses nicht, ob es an der andern besetzt ist. Eine Uebersicht des Ganzen ist nur auf dem Proszenium und Podium moeglich, so dass man, um zu wissen, ob das Haus besetzt war, die Schauspieler fragen muss. Jedenfalls geht durch dieses Privatliche, das dem Hause aufgedrueckt ist, zweierlei verloren. Einmal eine groessere gesellschaftliche Annehmlichkeit. Da sich das ganze Publikum nicht beisammen sieht, da der eine dem Auge des andern entzogen ist, so faellt der Charakter einer geselligen Zusammenkunft, der so oft fuer eine schlechte Vorstellung Ersatz geben koennte, in diesem Theater gaenzlich weg. Man kann Bruder und Schwester im Theater haben und sieht sie nicht. Das zweite Unangenehme dieser winkeligen Bauart ist, dass sich das Publikum nicht als solches bildet. Publikum heisst eine Masse, die sich ihrer Kraft ansichtig ist und das Bewusstsein einer Korporation dem Spiel gegenueber zu behaupten weiss. Wo man im Parterre nicht sehen kann, welche Mienen der zweite Rang macht, wo ein Besucher des Theaters nur immer auf den Ruecken des andern angewiesen ist, da kann auch keine Totalitaet des Urteils stattfinden; jeder ist auf sich angewiesen und der Schauspieler bleibt ohne die richtige Wuerdigung seiner Leistung. Mir haben viele Schauspieler gesagt, dass Berlin kein Publikum mehr hat. Der Grund liegt darin, dass die Lokalitaet dieses Publikum verhindert, sich als solches kennenzulernen und auszubilden.... Noch eine Bemerkung will ich hier machen. Von meinem Gasthofe fuehrt eine Bruecke auf den Schlossplatz. Diese Passage ist nur fuer ein kleines Brueckengeld gestattet, welches von einer Gesellschaft, die diese Verbindung auf eigene Kosten anlegte, erhoben wird. Jeder Buergerliche zahlt am Ende der Bruecke eine Kleinigkeit. Das Militaer ist frei. Warum? Ich denke, weil die gemeinen Soldaten in Berlin herumzuschlendern pflegen und von der Bedeutung dieses Brueckengeldes schwerlich eine Vorstellung haben. Es wuerde ein ewiges Zurueckweisen sein, Haendel geben und deshalb laesst man Soldaten frei passieren. Wie aber nun die Offiziere? Wird man nicht annehmen, dass diese eine so kleine Verguenstigung verschmaehen und mit echtem point d'honneur da nicht frei voruebergehen werden, wo eben eine arme alte Frau oder ein Handwerker seinen Sechser bezahlt? Nein, ein General geht mit einem Buergerlichen hinueber: Der Buergerliche bezahlt, der General nicht. Ich denke nun jeden Morgen und Abend nach, wie ein so achtbarer, auf das Feinste seines Ehrgefuehls wahrender Stand, das preussische Garde-Offizier-Korps, sich daran gewoehnen kann, von einer winzigen Steuer, die ihm allerdings erlassen ist, sich so loszusagen, dass er in der Tat von jener Verguenstigung Gebrauch macht. Waer' ich Offizier, ich wuerde es fuer beleidigend halten, wollte man mir zumuten, von einer Steuer dieser Art, die den Aermsten trifft, mich zu befreien. Ich schliesse daraus, wie wenig das, was wir Ehre nennen, doch als etwas Urspruengliches im Menschen ausgebildet ist; denn sehen wir hier nicht, dass eine in diesem Punkte sehr zartfuehlende Menschenklasse dennoch in einer Ehrensache ganz von der Sitte und der Gewoehnung abhaengen kann und wie leicht wir ueber etwas, das sich der Einzelne nicht gestatten wuerde, hinweggehen, wenn es von allen angenommen wird? Blumenausstellung in Stralow (1840) Was rennt das Volk? Was stroemt es durch die Gassen? Alles eilt hinaus in die Gegend des lieblichen Stralow: In die Blumenausstellung, nach dem Hyazinthen-Flor. Eine halbe Stunde musst' ich mit meinem Wagen Queue machen, eh' ich vor dem Eingang zu Faust und Moewes aussteigen konnte. Schon aus weiter Entfernung, mehre Strassen vorher, riecht man die von Hyazinthen parfuemierte Luft. Tausende von Menschen draengen sich in grossen, feldaehnlichen Gaerten und bewundern ungeheure Anlagen von Hyazinthenbeeten, die auf den Effekt hin gepflanzt sind, sich in den buntesten Schattierungen abloesen, ja sogar grosse, riesige Figuren zu bilden, z.B. einen Floratempel, ein "eisernes Kreuz" und dergleichen Zusammenstellungen. In Harlem koennen nicht groessere Blumenmassen beisammenstehen. Indessen gerade dies Hollaendische ist abstossend. Man wird gegen den Reiz der Blumen unempfindlich, wenn man sie in Massen versammelt sieht. Nun gar zur Bildung von allerhand Symbolen missbraucht, hat die Blume nur noch den Wert der Farbe, und das Freie, Selbstaendige, das Duftige derselben geht mit dieser Bestimmung verloren. Hier sind meine Berliner recht in ihrem Element. Eine Anlage ohne Schatten schreckt sie bei der gluehendsten Hitze nicht ab. Ein dumpfes Musikgedudel nennen sie musikalische Unterhaltung. Vorn an der Kasse zieht man ein Los, zahlt dafuer 5 Silbergroschen und gewinnt gewoehnlich nur einen Strauss, den man auf dem Gensdarmenmarkt fuer 4 Pfennige kauft. Was liesse sich unter dem Titel "Die Blumenverlosung" nicht fuer eine huebsche Lokalposse schreiben. Hier laufen in Berlin soviel "volkswitzige" Schriftsteller herum, warum erfinden diese Leute nicht dergleichen Spaesse fuer die Koenigsstaedter Buehne? Herr Glassbrenner schreibt kleine Broschueren, worin er Berliner sogenannte Volkscharaktere sich im geschraubtesten und gemeinsten Berliner Jargon ueber das Hundertste und Tausendste unterhalten laesst; nein; auf der Buehne, im sinnigen Arrangement solcher Lokalscherze bewaehrt sich der Beruf zum Volksschriftsteller. Beckmann z.B. ist ein so willkommnes Menschengeruest, auf welches man die drolligsten Erfindungen haengen kann. In der Blumenverlosung denk ich mir ihn mit der gruenen Gaertnerschuerze am Eingang eines Treibhauses und die Gewinste austeilend. Er entfaltet die Nummer: "Sie erhalten, Madame, einen kleinen Ableger einer neuerfundenen Pflanze, die erst kuerzlich auf der Pfaueninsel entdeckt und aus Amerika hier eingefuehrt wurde." Die Dame sagt: "Mein Gott, das ist ja nichts als eine Maiblume mit einem Salatblatt." Darauf muesste Beckmann replizieren und seine botanischen Kenntnisse entwickeln. Zum Schluss koennte durch die Blume noch eine Heirat zustande kommen. Warum schreibt Herr Cerf keine Konkurrenzpreise aus? Notizen (1841) Ein Pietist Unter den Linden Nach einigen sehr staubigen, schwuelen Tagen hatte es endlich geregnet. Der schoenste Sonntagmorgen lockte unabsehbare Menschenscharen unter die Linden. Am Palais des verstorbenen Koenigs tritt mich ein Mann mit einem Orden im Knopfloche an: "Schoenes Wetter." "Schoenes Wetter." "Das macht Gott mit einem Wort. Unser Menschenwitz haette das nicht machen koennen." "Schwerlich." "Und der Herr ist allerwegs maechtig und gross ist sein Name, ja gross in Ewigkeit." "Amen!" Der Fremde begann hierauf mit kraeftiger Stimme und vielem Redetalent eine Auseinandersetzung ueber die angeborne Suendhaftigkeit des Menschen. Da ich ruhig und fast teilnahmslos neben dem mir gaenzlich unbekannten Manne herging, frug er mich mit fast zorniger Ungeduld: "Ich weiss nicht, ob Sie mich verstehen?" "Vollkommen!" "Halten Sie mich fuer einen Schwaermer?" "Ich hoere den Laerm, sehe aber kein Licht." Diese Antwort von dem schlichten Spaziergaenger war dem Bekehrer unerwartet. Er sah mich gross an und ging. Zu Hause fand ich in der Rocktasche einen Busstraktat. (Gedruckt bei Wohlgemuth.) Die Kandidaten der vakanten Aemter Einen ruehrend-komischen Anblick gewaehrt an jedem Morgen in den ersten Fruehstunden ein Spaziergang durch die oberen Linden und die Wilhelmstrasse bis zur Leipziger Strasse hin. Das ist naemlich die Zeit, wo die Kandidaten aller vakanten und nicht vakanten Aemter, die Kandidaten aus allen moeglichen geistlichen, Schul-, Justiz- und Regierungsfaechern den maechtigen Ministern und Raeten ihre Aufwartung machen. Schwarz gekleidet, mit weisser Binde um den Hals, schiessen sie an dir vorueber, ploetzlich stehen sie still, ueberlegen eine erhaltene Antwort oder ein zu stellendes Gesuch, probieren die eingelernte Rede noch einmal, naehern sich der verhaengnisvollen Tuer, haben nicht das Herz, kehren noch einmal um, um sich zu erholen, und wagen es erst dann mit einem mutigen Entschluss. Andere wollen eben von der Rechten an die Tuer eines Hotels treten, da begegnet ihnen ein anderer von der Linken. Und doch ist nur eine Stelle vakant! Jeder bildet sich ein, so frueh zu kommen, dass er den maechtigen Mann, der sie vergibt, allein trifft, aber--entsetzliche Taeuschung--schon ist das ganze Vorzimmer gefuellt und die eine Lebensfrage, auf deren Loesung eine seit sieben Jahren verlobte Braut und ein nachgerade ungeduldig werdendes Schwiegerelternpaar harrt, verschwimmt in den Lebensfragen von dreissig anderen Menschen, in den Hoffnungen von ebensoviel anderweitigen Braeuten! Geoeffnet ist hier die geheime Werkstatt unserer Existenz, offen liegen sie da, die Gruben und Gaenge, die der Fuchs oft schneller durchgraebt, als der still arbeitende Bergmann--ein Anblick, zugleich komisch und zum Weinen! Sommertheater in Steglitz Wie weit bleibt das Sommertheater in Steglitz hinter den Anpreisungen der Journale und den maessigsten Erwartungen zurueck! Ref. hoffte, ein niedliches, von Holz und Backsteinen aufgefuehrtes, der Wuerde Berlins entsprechendes Theater zu finden und fand eine Bretterbude, nicht besser als eine Scheune, mit langen hoelzernen Baenken und einem Rang, der nichts als eine Galeriebruestung ist. Die Hitze in dem kleinen Raume ist unertraeglich und verlaesst man ihn, so wandelt man, wilden Tieren gleich, in einem abgeschlossenen sandigen Vorplatze umher, nichts sehend als Luft und Flaeche. Wer dies Theater einmal gesehen hat, besucht es nicht wieder. Wenn hier eine Befriedigung der Schaulust geschaffen werden sollte, so haette man etwas geben sollen nach dem Vorbilde des Hamburger Tivoli. Ein Sommertheater ist nur unter freiem Himmel geniessbar oder es sei denn, dass ein steinerner Bau die ersehnte Kuehlung spendet. Dass eine so armselige Umgebung nur nachteilig auf das Interesse wirken kann, welches die Schauspieler selbst in Anspruch nehmen, versteht sich von selbst. Sie werden vom Publikum verspottet, ihr Ernst wird ironisiert. Berliner Volkscharakter Berlin macht von Jahr zu Jahr bedeutendere Fortschritte nach dem Ziele einer seinem aeussern Umfange auch innerlich entsprechenden Grossstaedtigkeit. Anlagen jeder Art, merkantilische, industrielle, gesellige, werden in groesserem Stile als frueher ausgefuehrt. Manches, was noch vor drei Jahren das hiesige Publikum beschaeftigen konnte, wird jetzt verachtet, z.B. die Trivialitaet der sogenannten Berliner Volksliteratur, die in "Herrn Buffey auf der Kunstausstellung" den Gipfel des Unsinns und der widerlichsten Geschmacklosigkeit erreicht hatte. Die Koenigstaedtschen Theaterwitze sind im Abnehmen und aus der luegenhaften Verballhornisierung des Berliner Volks-Charakters, wie dieser sich in "Berlin--wie es isst und trinkt" gezeichnet findet, tritt allmaehlich wieder das urspruengliche Grundelement des Berliners heraus: Harmloseste Gutmuetigkeit, Freude am neckenden, geselligen Scherz, hohe Achtung vor jeder geistigen Auszeichnung, sinniger Genuss der sparsamen, aber oft anmutigen Schoenheiten, die die Natur, im Bund mit der Kunst, dieser gewiss noch einer bedeutenden Zukunft entgegensehenden Hauptstadt geschenkt hat. Berlins sittliche Verwahrlosung (1843) Im vergangenen Winter brachte jeder Tag die Kunde eines neuen, in Berlin veruebten Diebstahls. Die dortigen Zeitungen machen aus dem ungesicherten Zustand der Hauptstadt kein Geheimnis mehr. Die Berliner Diebe erfreuen sich einer so originellen Organisation, dass die Polizei manchen Bewohnern anzeigen kann, sie wuerden in kurzem bestohlen werden. Vierzehn Tage wachen die Gewarnten: Am fuenfzehnten wird richtig bei ihnen eingebrochen. Ein Artikel der "Vossischen Zeitung" erzaehlt, dass nachts in den besuchtesten Strassen durch Leiteranlegung sogar die Beletagen bestohlen werden. Wenn man diese sich taeglich wiederholenden kriminalgerichtlichen Anzeigen liest, muss man glauben, Berlin wuerde zum grossen Teil von einer ungebesserten Verbrecherkolonie bewohnt. Ehe man aus diesem Gefuehl gaenzlicher Unsicherheit, das gegenwaertig in Berlin allgemein herrschen soll, einen Schluss auf die sittlichen Zustaende der norddeutschen Hauptstadt macht, muss man so gerecht sein, einige Umstaende mit anzuschlagen, die in Berlin dem Diebswesen ganz besonders zu Hilfe kommen. Geboren in Berlin und selbst einmal durch Einbruch dort bestohlen, glaub' ich ueber diesen Gegenstand, der nachgerade die Aufmerksamkeit jedes Sitten- und Volksfreundes beschaeftigen muss, eine Stimme zu haben. Den Diebstahl erleichtert in Berlin der Mangel an Aufsicht und die Einrichtung der Haeuser. Die Zahl der Nachtwaechter ist viel zu klein. Diese "Schnurren" sind alte ausgediente Militaers oder sonstige Exspektanten, die aus Verzweiflung einen Dienst ergreifen, den sie fast nur pro forma versehen. Die Nachtwaechter in Berlin sind oft hinfaellige Greise. Mit einem spaerlichen Gehalt versehen, sind sie auf die Sporteln ihres Dienstes angewiesen. Diese bestehen in den Ertraegnissen eines Privilegiums, das man in fremden Staedten kaum fuer moeglich halten moechte. Der Berliner Nachtwaechter hat ein Bund von hundert Hausschluesseln am Leib haengen und schliesst jedem auf, der des Abends nach zehn Uhr in das erste beste Haus einzutreten wuenscht. Die Trinkgelder sind seine Revenuen. Man sieht, dass es die Diebe an keinem Ort der Welt so bequem haben, als in Berlin. Das Revier des Nachtwaechters ist zu geraeumig. Er hat mehr Strassen unter sich, als er beaufsichtigen kann. Mit seinen Trinkgeldern beschaeftigt, kuemmert ihn das Strassenleben sehr wenig. Er horcht nur, dass man ihn ruft, um in ein Haus eingelassen zu werden. Gegen Morgen weckt er die Baecker, die Brot zu backen haben. Die Rundgaenge durch die Strassen werden ohne Aufmerksamkeit abgemacht. Der schuetzende "Kellerhals", hinter dem er ausruht, ist sein bequemer Sorgenstuhl. Macht er seinen Rundgang, so kuendigt ihn seine Pfeife schon an und die Diebe haben Zeit, sich waehrend seines Voruebergehens zu zerstreuen. Berlin muss die Zahl der Waechter verdreifachen und sie unter eine militaerische Disziplin stellen wie Hamburg. Die Hamburger Waechter sind eine wirkliche Schutzwache gegen die Feinde der Ordnung und des Eigentums. Hat man schon aus dem Vorigen gesehen, dass die Berliner Haeuser sich des Nachts jedem beliebigen Besucher oeffnen, so ist der Hausfriede am Tage nicht gesicherter. In Paris hoert man viel von Betruegereien in den Kauflaeden, von Betruegereien in hunderterlei Manieren, wie sie Vidocq in seinem Lexikon auffuehrt, aber wenig von Diebstahl oder gar naechtlichem Einbruch. Berlin ist eine grosse Stadt geworden und war urspruenglich nur auf eine Mitte1stadt angelegt. Die Strassen sind weitlaeufig, die Reviere entlegen, die Haeuser sind meist zweistoeckig und nur von einigen Familien bewohnt. Das Institut des Portiers (Hausmeister in Wien) kennt man nicht, da dafuer die Haeuser zu klein sind. Hier gibt es keine Kontrolle der Ein- und Ausgehenden. Jeder Hof ist frei, jede Treppe den Bettlern zugaenglich. Den ganzen Tag reisst das Klopfen und Klingeln nicht ab. Jeder Mieter ist froh, sich auf seine Zimmer abschliessen zu duerfen und kuemmert sich nicht um den Nachbar, bei dem man, waehrend nebenan Gesellschaft ist, alles ausraeumen kann. Waehrend mir vor Jahren in Berlin mein ganzes Zimmer ausgeraeumt wurde, sass meine Wirtin ruhig im Zimmer nebenan, las den "Beobachter an der Spree" und strickte Struempfe. Laesst sich nun auch hierin, da Berlin nicht umgebaut werden kann, keine Veraenderung treffen, so wird doch darum die erhoehte Wachsamkeit der Behoerden um so dringender. Ohne eine neue Waechter- und Patrouillen- Organisation wird in Berlin die Gefahr des Eigentums immer mehr zunehmen. Dieser Gegenstand laesst aber noch tiefere Betrachtungen zu. Ist in Berlin den Dieben ihr Handwerk erleichtert, wo kommen all die Diebe her? Woher diese sittliche Verwahrlosung, von der wir taegliche Belege erfahren? Woher gerade in Berlin diese immer mehr zunehmende Verworfenheit? Harun Al Raschid, der verkleidet des Nachts durch die Strassen ging, Harun Al Raschid wuerde darueber sehr tief nachgedacht haben, wenn er diese Beobachtung an Bagdad gemacht haette. Es ist wohl moeglich, dass nach Berlin, wo die Diebe eine so bequeme Waechter- und Haeuserordnung antreffen, viel fremdes Gesindel zieht, und doch steht es fest, dass Berlins Unsicherheit groesstenteils aus seinem eignen Schosse entspringt. Die Entdeckungen und Signalemente weisen dies aus. Es ist ein betruebendes Gestaendnis, das man sich nicht ersparen darf: In Berlin ist die Wurzel des Volkes faul. Die Immoralitaet frisst wie ein Krebs um sich. Die Familien sind zerruettet, zu der Armut und Brotlosigkeit gesellt sich die Neigung zum Verbrechen; die dem Berliner eigene Keckheit und Verwegenheit steigert das Geluest zum Entschluss, den einmaligen Entschluss zum immerwaehrenden Handwerk; die Zuchthaeuser liefern die Verbrecher nicht gebessert zurueck, sondern in kurzem sieht sich die richterliche Gewalt genoetigt, den Verbrecher aufs neue einzuziehen und ihn auf zwanzig Jahre dorthin zu schicken, wo er bereits fuenf Jahre umsonst gesessen. Es gibt eine moralische Erziehung und eine moralische Unerzogenheit des Volkes. Die Fruechte derselben reifen erst in spaetern Jahren. Man wird fuer Berlins gegenwaertige Verwilderung die Ursachen in vorangegangenen Fehlern suchen duerfen. Eine richtige Erkenntnis dieser Fehler muss zu den Mitteln fuehren, sie kuenftig zu vermeiden. Mein Versuch, diese Erkenntnis zu befoerdern, wird Widerspruch finden. Ich will aber offen meine Meinung sagen. Aus dem Mangel an edlem geistigen Stoff, aus dem Mangel wuerdiger oeffentlicher Tatsachen ist der zweite Grund dieser sittlichen Verwahrlosung herzuleiten, die isolierte Vergnuegungssucht. Auch Wien ist ohne oeffentliche Tatsachen, aber Wien hat kombinierte, nicht isolierte Vergnuegungen. Es ist dies keine Wortantithese, sondern ein wirkliches Sachverhaeltnis, dessen schaedlichen Einfluss auf die Sittlichkeit ich beweisen will. Der Wiener erholt sich an der allgemeinen Freude, an der Freude, die alle teilen. Seine Natur lockt alle, befriedigt alle. Sein Vergnuegen ist durch Ueberlieferung seit Jahrzehnten vorgezeichnet. Musik, Tanz, Theater, heitere Ausfluege in die schoenen Umgebungen. In Berlin isoliert sich alles. Keine oeffentliche Vergnuegung befriedigt und so entstehen diese Ressourcen, diese Picknicks, diese geschlossenen Gesellschaften, diese Kraenzchen, dies Jagen nach "Privatvergnuegen", dies Spelunkenwesen der Weinstuben, Konditoreien, Tabagien. Die Kraefte der Familien ueberbieten sich, diese Subskriptionsessen und Ressourcenbaelle verursachen Ausgaben, die den Handwerker in Schulden stuerzen, die Leihhaeuser fuellen sich, der geweckte Libertinismus der Frauen reisst die Maenner in Strudel, wo sie nicht mehr ihrer Sinne, bald auch nicht mehr ihres Gewissens maechtig sind. Hat man nicht in Berlin eine Diebs- und Hehlerbande entdeckt in dem Augenblick, als sie sich in einer Reihe von Kellerstuben zu einem glaenzenden Ball vereinigt hatte? Boz kann nichts Grelleres erfinden und Madame Birch-Pfeiffer nichts Drastischeres in Szene setzen. Muss man nicht hier ein spezielles schlechtes Regierungssystem, so muss man vielleicht den ganzen modernen Staat anklagen. In meinen Pariser Briefen hab' ich von unserer Politik gesprochen, die nur den Menschen ausbeutet, nicht ihm hilft, das Genommene zu ersetzen. Ich habe ein Ministerium der oeffentlichen Wohlfahrt vorgeschlagen, das sich mit positiven Schoepfungen beschaeftigen muesse, um das Individuum vor dem Staate zu sichern, den Acker, den man beernten will, auch zu besaeen. Hier ist ein neues Ziel, das eine solche Institution sich stecken muesste. Zerstoert diesen Isolierungstrieb! Bindet die Menschen fuer ihre Vergnuegungen aneinander! Erfindet etwas im Zeitalter der Erfindungen! Erfindet etwas Geistiges, etwas Moralisches, neben dem vielen Technischen und Materiellen! Was koennte Berlin Ersatz geben fuer den Mangel einer heiteren und zerstreuenden Natur? Was koennte diese Tausende von gedankenlos zum Tor hinauswandelnden Sonntagsspaziergaengern vereinigen? Was kann das Innere der Stadt abends bieten, wenn die Sonne untergegangen ist und man heimkehrt und nicht in seine vier Pfaehle rueckkehren will? Denkt doch darueber nach, ihr philosophischen Staatsmaenner, die ihr jetzt in Berlin das Ruder in Haenden habt! Gebt dem Volke nicht etwa polizeilich angeordnete Spektakel, sondern weckt den Trieb des Volkes, selbst dergleichen zu erfinden oder sich an dem von fremdher gegebenen Anstoss zu beteiligen. Ehrt die Neigung zur Oeffentlichkeit! Verbietet nicht, wie das noch vor vier Jahren in Berlin beim Buchdruckerfest so gehaessig war, oeffentliche Aufzuege; lasst die Menschen sich menschlich austoben, dann werden sie nicht in die Kellerloecher kriechen und es tierisch tun. Eines der sichersten Mittel zur Volksveredelung sind die Theater. Ich erinnere an die wahren Worte, die ich von Guizot in meinen Pariser Briefen mitteilte: "Ein starker Theaterbesuch leitet alle schlechten Gelueste der niedern Volksklassen ab." Berlins Opernhaus wirkt wenig auf die Moralitaet, das Schauspielhaus erhielt durch den vorigen Koenig ganz jenen Privatcharakter, der in allem die Grundlage so vielen Verderbens fuer Berlin ist, das Koenigsstaedter Theater hat zwischen Nestroys Possen und der glaenzenden italienischen Oper, wo Rubini per Abend 800 Taler bekommt und die Preise der Plaetze verdreifacht sind, keinen Mittelweg. Das Theater, in Wien und Paris ein so harmloser Hebel der Sittlichkeit, ist in Berlin eine kuenstliche Anstalt, die mit dem Volke in keiner anregenden Verbindung steht. Entweder muss man in Berlin die Hofbuehne entschieden zur Volksbuehne umwandeln, oder Vorstadttheater gestatten, eines fuer die Gegend nach dem Koepenicker Felde zu und ein anderes nach der Richtung des neuen Hamburger Tores. Nur vorlaeufig zwei solcher Theater, gut beaufsichtigt, in Hinsicht der vorzustellenden Stuecke voellig freigegeben, mit niedrigen Eingangspreisen. Zwei solcher Volkstheater, natuerlich mit Aufhebung der bestehenden sogenannten Liebhabertheater, koennten den auffallendsten Einfluss auf die Sittenverbesserung Berlins haben. Endlich ist der dritte Punkt die Volksbildung selbst und die Religion. Fuer die erste, insoweit sie durch Schulen erreicht wird, ist wohl in Berlin hinlaenglich gesorgt. Nicht umsonst hat man vielleicht der vorigen Regierung ihr Schulwesen nachgeruehmt. Aber es ist eine bekannte Tatsache, dass Kenntnisse an und fuer sich noch nicht die Sitten reinigen. Sie befoerdern zuweilen eher die Verschlagenheit und machen nur geschickter zu den Verbrechen. Aus Rechnen, Lesen und Schreiben wird noch kein sittlicher Mensch. Der Konfirmandenunterricht wird in Berlin nicht eben sehr ernst betrieben. Das "Eingesegnetwerden" ist ein mehr buergerlicher, als geistlicher Akt. Die Zahl der Konfirmanden ist zu gross und dem Geistlichen fehlt in allem, so auch hier die durchgreifende Beaufsichtigung seiner Gemeinde. Sie ist bei einer so grossen Stadt und der Freiheit vom Beicht- zwange schwer oder ganz unmoeglich. Tun nun die Kirchen ihre Pflicht? Wird die Religion so gepredigt, dass sie veredelnd und tief in die Sittlichkeit des Volkes eingreifen kann? Das ist denn wiederum ein wichtiger und ausserordentlich schlagender Punkt, wo sich die Gebrechen der vorigen Regierung offen zur Schau geben. Nein, das Christentum hat in Berlin die Wirkung nicht, die es haben koennte und haben sollte. Christus wird in Berlin in einer Weise gepredigt, die hoechst beseligend, hoechst beglueckend auf einen Einzelnen wirken kann. Es gibt wahre Froemmigkeit in Berlin. Es gibt Versammlungen, in denen man sich mehr erbaut als in den Kirchen, es gibt Kirchen, in denen ein warmes, fuer den Himmel laeuterndes Christentum sicher mit dem trostreichsten Erfolge fuer das Glueck vieler Familien gepredigt wird. Aber was kann auf unsere Zeit der Pietismus im grossen und ganzen wirken? Ein Lamm rettet man; was geschieht aber, um die tausend Raeudigen anzulocken? Haben wir gesehen, dass in Berlin alles Privatsache geworden war, so ist auch das Christentum dort Privatsache geworden. Einzelne Prediger, wie Couard, Strauss, Arndt haben einen grossen Zulauf, aber nur von glaeubigen Seelen, von solchen, die sich im Christentum befestigen, nicht von solchen, die erst fuer seine Wahrheiten gewonnen werden. Die Masse geht nicht in diese Kirchen. Sie wuerde gehen, wenn dieser theologische Radikalismus ihr die Tugend nicht gar zu schwer machte. Man soll dort einen ganz neuen Menschen anziehen, nicht neue Lappen auf das alte Kleid flicken, nicht jungen Wein in alte Schlaeuche fuellen, sondern ein ganz neugeborener Mensch werden. Dies Christentum kann nie auf die Masse wirken, diese Besserungsmethode der Menschheit setzt einen religioesen Heroismus voraus, der sich nur bei wenig Auserwaehlten findet und so ist in Berlin auch die Religion, die erste Springfeder des sittlichen Volkslebens, aus Ueberreligion ohne durchgreifende Wirkung. Um dem Christentume Allgemeinheit und Einfluss auf die Sittlichkeit einer Nation zu geben, muss es entweder auf den Aberglauben wirken, wie durch die mystischen Zauber des Formendienstes im Katholizismus, oder es muss mit schlichter Einfachheit und ueberzeugender Waerme auf die moralischen Grundwahrheiten zurueckgefuehrt werden. Ein protestantischer Staat kann fuer seinen sittlichen Zweck auf die mitwirkende Kraft des Christentums nur dann rechnen, wenn er den Predigern einen klaren, gefuehlvoll und beredsam vorgetragenen Rationalismus zur Bedingung macht. Es ist mit der Religion gerade wie mit der Poesie. Dem Gebildeten moegen Koerner, Tiedge und aehnliche Talente sehr tief stehen, aber die Masse findet ihre Rhetorik sehr schoen und begreift nicht, was uns an Novalis, Brentano und selbst an Goethe mehr anziehen kann. Ein geistvoller Gedanke geht der Menge verloren, waehrend sie einem Gemeinplatze zujubelt. So moegen die Denker und Gefuehlsmenschen im Christentum die tieferen Bezuege ansprechen und beschaeftigen: Als Religion, als sittliche Hilfsmacht wirkt das Christentum nur durch eine talentvolle, mit Geschmack und Beredsamkeit vorgetragene Ausbeute seiner moralischen und gefuehligen Grundwahrheiten. Wer mir Prediger sein wollte, duerfte mir mit seiner Rechtfertigungstheorie, mit der Wiedergeburt, der Genugtuungslehre und der ueblichen pietistischen Polemik nicht auf die Kanzel kommen. Haette man in Berlin geistvolle und beredte nationalistische Geistliche wie Schmaltz in Hamburg, Boeckel in Oldenburg, Friedrich in Frankfurt, Goldhorn in Leipzig, Bretschneider in Gotha, haette man statt einer Clique junger Kopfhaenger eine Schule wahrhaft menschheitsveredelnder, talentvoller junger Kanzelredner gestiftet, die Kirchen wuerden ueberfuellter und die Gefaengnisse leerer sein. Man mag gegen Friedrich Wilhelm IV. gestimmt sein, wie man will, soviel ist gewiss, er will seine Laender im grossen Stil regieren. Hier waere denn Gelegenheit genug zu den glorreichsten Schoepfungen. [Nachtrag:] In dem Aufsatz: "Berlins sittliche Verwahrlosung" hat man es auffallend gefunden, dass von einem zweiten und dritten Grunde dieses Uebels die Rede ist, ohne dass des ersten erwaehnt wird. Der erste Grund war aus der Politik und der mangelnden Oeffentlichkeit unter dem vorigen Koenige hergeleitet, doch musste die naehere Ausfuehrung aus unmittelbar vor dem Druck des Blattes geltend gemachten Ruecksichten wegbleiben, deren Natur jeder Kundige erraten wird. So viel, um wenigstens die logische Ordnung des Artikels herzustellen. Geist der Oeffentlichkeit (1844) Berlin ist eine Weltstadt geworden. Frueher war Berlin nur eine grosse Stadt. Berlin hat an Bewohnerzahl und Umfang unglaublich zugenommen, aber in dieser aeussern Vergroesserung liegt der auffallende Fortschritt nicht allein. Er liegt im erweiterten Anschauungs-Horizont, im Durchbruch nicht allein von Strassen und neuen Toren, sondern im Durchbruch alter Vorurteile und Gewohnheiten, im vermehrten geistigen Betriebskapital, in der Zunahme eines Selbstbewusstseins, das sich mit einem grossen sittlichen Nationalleben in Zusammenhang zu setzen verstanden hat. Es ist ueberraschend, wie sich die schlummernden Kraefte allmaehlich entwickelt haben. Von unten faengt das an und hoert oben, in idea1ster Hoehe, auf. Der Eisenbahnverkehr hat Berlin endlich in jenen unmittelbaren Zusammenhang mit andern grossen Staedte-Entwickelungen gebracht, der ihm frueher fehlte. Frueher bezogen sich nur Potsdam, Brandenburg, Treuenbrietzen, Bernau auf Berlin, jetzt Leipzig, Magdeburg, die Ostsee und bald Hamburg und Schlesien. Der fruehere kleinstaedtische Geist ist gewichen, grosse Gasthoefe sind entstanden, die Basis aller gemeinschaftlichen Unternehmungen beruht auf breiteren Dimensionen. Man sieht das, bewundert es, oder muss wenigstens seine Freude daran haben. Was man in auswaertigen Zeitungen als die laufende Tagesordnung von Berlin besprochen findet, das ist alles keineswegs Erfindung, sondern Tatsache, durchgesprochene, lebendige Tatsache. Es stehen sich hier wirklich Parteien und Parteien, Menschen und Menschen gegenueber. Es hat sich hier wirklich ein Geist der Oeffentlichkeit entwickelt, dem bis zur Stunde zwar edle und wuerdige sowohl, wie dauernde und belebende Organe fehlen, ich meine die Organe faktischer Institutionen, dessen Ringen und Draengen aber so maechtig ist, dass es Augenblicke geben kann, wo wir uns im Anschauen dieser Strebungen nach Paris versetzt glauben. So wie jetzt in Berlin muss es zur Zeit der Restauration in Paris gewesen sein. Das Katheder ist die vorlaeufige Volkstribuene, die Wissenschaft die vorlaeufige Politik. Wie das wogt und treibt! Keine Meinung will mehr allein stehen, eine Bestrebung lehnt sich an die andere. In Berlin wohnen und nichts wirken, nichts vorstellen, nichts vertreten, ist der geistige Tod, ist Nullitaet, heisst wenigstens Nullitaet, und jeder fuerchtet sie. Man hat angefangen, die Bedeutung eines oeffentlichen Charakters zu fuehlen. Die ruhmvol1sten Namen aus der alten Schule sieht man im Verkehr mit den erst sich machenden aus der jungen. Unpopulaer zu sein, wagt niemand. Jeder muss einen Kreis von Gleichgesinnten um sich haben, er muss sich nach Anlehnungen umsehen. Kann er nicht selbst einen Mittelpunkt bilden, so ordnet er sich unter und wird Stammgast im Salon eines andern. Berlin hat seine Salons, in der Tat Salons im franzoesischen Wortsinne. Ich muss sogar so weit gehen, zu behaupten, dass es mit Geldkosten verknuepft ist, in Berlin eine eigene Meinung zu haben. Man muss seinen offenen Mittwoch, seinen offenen Freitag, seinen Dienstag haben, um hier ein durchgreifender, oeffentlicher Charakter zu sein. Das ist kostspielig, hier mit Tieck, mit den Grimms, mit Herrn von Savigny zu rivalisieren. Man muss wuenschen, dass sich diesen Gasstroemungen von Ehrgeiz, Tendenz, Zorn, Begeisterung, Rache, ehe es eine Explosion gibt, bald ein luftreiner Zylinder darbieten moechte, ein Abzug ins oeffentliche, grosse Volksleben, durch irgendeine Tatsache, durch irgendein Ereignis, durch irgendeinen Schritt weiter auf der betretenen Bahn besonders des Ausbaues der staendischen Institutionen. Dies oder irgend etwas anderes muss erfunden werden, um diesem Wettkampf von Meinungen und Leidenschaften eine schoene hoehere Wahrheit zu geben und solchen Zerruettungen vorzubeugen, wie sie z.B. jetzt infolge der traurigen Grimmschen Erklaerung, durch welche sich zwei beruehmte Namen um alte Liebe und Hingebung gebracht haben, schon eingetreten sind. Einige der auf der Reise empfangenen Eindruecke moegen in bunter Reihe hier wiedergegeben werden. Am 29. Maerz beschloss Dr. Mundt seine vor einem gemischten Publikum gehaltenen Vorlesungen ueber die Gesellschaftsfrage unserer Zeit. Es war fuenf Uhr. Im Saale des Jagorschen Hauses Unter den Linden versammelte sich so ziemlich der groesste Teil des aesthetisch- produktiven Berlins, Dichter, Gelehrte, Musiker, Glaeubige und Pruefende, Hingegebene und Zweifelnde, wie dies um so mehr bei einem Gegenstande der Fall sein musste, dessen oeffentliche Behandlung in gewissen Regionen bedenklich erschienen war. Als sich etwa 150 Personen eingefunden hatten, erschien der Redner. Ich fuehlte mich an die Vortraege von Edgar Quinet im College de France erinnert. Nur schade, dass sich Mundt zu sehr auf sein Heft verliess und einen Gegenstand, der so tief in Herz und Nieren greift, nicht mit freier Rede um so ueberzeugender darstellte. Die Waerme der Begeisterung fehlte dem Redner nicht, eine jeweilige Handbewegung verriet selbst seine Absicht, das, was er vorlas, als entquollen seinem innersten Gefuehle darzustellen; doch kann ich die Bemerkung nicht unterdruecken, dass ein selbst ungeregelter Vortrag mit Anakoluthen, Wiederholungen und allen Klippen eines ungewohnten oratorischen Versuches dennoch eindringlicher spricht, als ein geschriebenes Heft. Der Inhalt der Rede erweckte die waermste Teilnahme. Bot ihr Anfang demjenigen, der sich mit der Sozialwissenschaft unserer Tage beschaeftigt hat, auch nichts Neues, so erhob sie sich doch in ihrem weitern Verlauf zu einem hoeheren Aufschwunge, in welchem sich zum ernsten Denker der sinnige Dichter gesellte. Der Redner sprach von den Rechten der Armen und den Pflichten der Reichen. Er behandelte jenen ergreifenden Gegenstand des Pauperismus, der jetzt nur noch alle Federn, bald aber auch hoffentlich alle Herzen in Bewegung setzen wird. Jene ruehrende Humanitaet, welche sich in den Schriften derjenigen Franzosen findet, die sich mit sozialistischen Fragen beschaeftigten, hatte, man sah es, in des Redners Herzen ein Echo gefunden. Er sprach mild und sanft von den Proletariern der Gesellschaft, und ein gewisses kaltes Phlegma, eine gewisse doktrinaere Selbstzufriedenheit hinderte doch nicht, dass in einigen weihevollen Momenten ein schoener Abglanz von Gemuet und Wehmut auf seinen Gesichtszuegen hervorbrach. Besonders war die Bemerkung, dass jetzt bei den Fortschritten der Volksbildung der Vater beschaemt von seinem aus der Schule heimkehrenden unterrichteteren Kinde lernen koenne, ebenso geistreich aufgegriffen, wie zart und innig durchgefuehrt. Ueber manches teile ich nicht des Redners Meinung. Er sprach von Owen und wuerdigte ihn nicht genug, trotzdem, dass er mit Achtung von ihm sprach. Er kam zu oft auf den Mangel an Poesie in Owens System zurueck. Poesie ist in der Sozialfrage ein gefaehrliches Wort. Braucht man es zu oft, so kann man dahin kommen, dass am Ende nichts poetischer als die Armut ist, und der Armut soll doch abgeholfen werden. Wer vom Leben zu viel bunten Effekt verlangt, dem wird freilich das Ziel einer allgemeinen Glueckseligkeit unpoetisch erscheinen. So manches andere in des ehrenwerten Redners Aeusserungen liessen mich fast besorgen, er haette das Thema der materiellen Gesellschaftsfrage nur zum Kanevas von allerhand auf anderm Gebiet spielenden Anmerkungen gemacht, von Anmerkungen, die ich sehr treffend, sehr zeitgemaess, ja sehr freimuetig und gegebenen Umstaenden gegenueber kuehn fand, die aber doch nur mehr dem idealen Gebiet angehoerten und die Ansicht vorauszusetzen schienen, man koenne Hungernde mit Sonnenlicht saettigen und Duerstende mit den Farben der Blumen traenken. Der Redner kannte die praktischen Schaeden, wollte sie heilen und wich wiederum dem praktischen materiellen Gebiete aus. Doch abgesehen von diesem Einwurf, der ohnehin auf einem Missverstaendnis beruhen kann, hat sich Mundt ein grosses Verdienst erworben, dass er in jener unmittelbaren Form, in der Form der Rede, einen Gegenstand zur Sprache brachte, der immer mehr in den Vordergrund der Debatten treten und jene welt- und gottweise Philosophie beschaemen wird, die im Webstuhl ihrer Abstraktionen nur Leichentuecher fuer das Leben spinnt ... Mysteres de Berlin? (1844) Das ist gewiss charakteristisch! Mein erster Blick auf eine der hiesigen Zeitungen fiel auf den Vorschlag eines Fruehgottesdienstes fuer Droschkenfuhrleute. Wahrlich, dieser Vorschlag verleugnet seinen Ursprung nicht! Zwar ist derjenige, der ihn zunaechst machte, ein Jude (der Besitzer der Haupt-Droschkenanstalt), aber auch das ist bezeichnend; die spekulativen Juden, die Juden, die den Geist der Zeit verstehen, bestreben sich hier, dem Ueberchristentum in die Haende zu arbeiten. Ein Fruehgottesdienst fuer Droschkenfuhrleute! Man mache sich recht klar, was darunter zu verstehen ist. Man hat naemlich gefunden, dass die Droschkenfuehrer von frueh bis Mitternacht ihrem Herrn und Lohngeber dienen muessen. Auch den Sonntag heiligen sie nicht. Um sie nun der Kirche nicht gaenzlich verloren zu geben, laesst man ihnen jetzt morgens, wenn sie ihre Wagen reinigen, wenn sie ihre Pferde anschirren, rasch von einem eigens bestellten "Droschkenprediger" eine kurze geistliche Rede halten. Man glaubt, wenn man so etwas erfaehrt, in England oder Pennsylvanien zu sein. Diesem Fruehgottesdienst fuer Droschkenfuehrer muessen, wenn man konsequent sein will, noch diese Einrichtungen folgen: Ein Fruehgottesdienst fuer Brieftraeger. Ein Nachmittagsgottesdienst fuer Milchkarrenschieber; denn auch diese Fuhrleute bringen ja jeden Sonntag die Milch zur Stadt. Gut, ich glaube, dass es wuenschenswert ist, auch die Droschkenfuhrleute an die Kirche zu gewoehnen; aber haette die gesunde Vernunft und die Billigkeit jenes ueberchristlichen Juden, wahrscheinlich eines Kommerzienrates, nicht einen andern Ausweg finden koennen? Wie nun, wenn man bei den Droschkenstaellen keinen Gottesdienst errichtet, wohl aber jedem Droschkenfuehrer es moeglich gemacht haette, alle vierzehn Tage oder wenigstens alle vier Wochen einen halben Sonntag frei zu haben, einen halben Sonntag, wo er die Kirche besuchen kann? Erlaubte das die Dividende des Kommerzienrates nicht? Ihr habt ein so grosses Mitleid mit der Seele des Droschkenfuhrmanns und sorgt fuer seinen Kirchgang, schenkt ihr ihm dann auch, dem geplagten, an seine Karre gebundenen Menschen, einen Erholungstag? Spannt ihr ihn einmal aus seinem Joche aus und errichtet einen Aktienverein zu einer Mittagsfreude, zu einer Nachmittags-Belustigung? Statt dass also die hiesigen Ueberchristen den Kommerzienrat zwingen sollten, jedem Droschkenfuhrmann alle vierzehn Tage oder alle drei Wochen, die Reihe herum, einen freien Sonntag zu geben, den er als freier Mensch, Christ und Staatsbuerger anwenden kann, wie er will, schluepfen sie ueber den Missbrauch des privilegierten Droschkenregenten hinweg, sanktionieren die Tatsache, dass kein Droschkenfuhrmann einen freien Sonntag hat, und sorgen nur einzig dafuer, dass ihm morgens vor Ausfahren aus dem Stall das Evangelium gepredigt wird! O ueber den frommen Kommerzienrat! Wenn dem religioesen Fanatismus keine Grenzen gesteckt werden, so erleben wir noch die krankhaftesten Erscheinungen. Die uebertriebene Heiligung des Sonntags kann foermlich alttestamentarisch werden. Wenn sich z.B. Jemand in den Gedanken vertieft, dass die Eisenbahnen an Sonntagen befahren werden und das Bahnpersonal und die Lokomotivfuehrer deshalb nicht die Kirche besuchen koennen, wuerde man einem solchen Gemuet nicht zurufen muessen: Behuete dich der Himmel vor Wahnsinn! Der religioese Fanatismus, der sich ferner der Armen und Kranken annimmt, hat Ansprueche auf unsere vollkommenste Hochachtung, er steht den Geboten der reinen Humanitaet so nahe, dass man nicht untersuchen mag, welches die Quelle seiner Hingebung, Aufopferung und Liebe ist; wenn aber die Pflege der Armen strafend, die Wartung der Kranken laestig und beaengstigend wird, dann muss man selbst gegen so an sich ehrenwerte Aeusserungen des ueberchristlichen Sinnes kalt werden. Strafend aber ist die Armenpflege, welche nur dem gibt, den sie als rechten Glaubens erkennt; laestig und beaengstigend ist die Krankenwartung, die uns zwischen den Schmerzen des Koerpers von der Verworfenheit unserer Seele redet. Es bereitet sich hier eine Menge praktischer Anwendungen des mildtaetigen Christentums vor. Die meisten davon stehen noch auf dem Papiere, einige sind schon ins Leben getreten, z.B. ein Magdalenenstift zur Rettung gefallener Maedchen. Was man von letzterem hoert, laesst auf eine gesunde und tatkraeftige Ausfuehrung dieser an sich loeblichen Absicht nicht schliessen. Schon dass diese ungluecklichen Personen durch eine eigene Tracht kenntlich gemacht werden, ist einer jener finstern Nebengedanken, die wir strafende Armenpflege nannten. Wenn es einen Weg geben kann, um solche Personen einer sichern Besserung entgegen zu fuehren, so kann es nur der sein, sie auf eine moeglichst geraeuschlose, stillschweigend liebevolle Weise der Gesellschaft wiederzugeben. Eine schwarze Tracht mag allerdings bewirken, dass der, der sich dem Magdalenenstift in die Arme wirft, gleichsam die Tuer hinter sich auf immer zuwirft und eine fast kartaeuserartige Resignation zeigen muss, aber wie wenig Gemueter werden einer solchen Abtoetung des letzten Restes von Stolz faehig sein! Gerade das, was Ihr zuerst brechen wollt, diesen letzten Rest von Stolz, gerade das ist nur das Samenkorn, aus dem sich eine neue Bluete des sittlichen Menschen erheben kann. Was wird das Ende dieses Beginnens sein? Dass eine solche Anstalt hinter ihrer guten Absicht zurueckbleibt und, statt gebesserter, dem Leben wieder gewonnener Verirrten, Heuchlerinnen erzeugt, die, wie es der Fall ist, beim geringsten verfuehrenden Anlass wieder in ihre alten Lasterwege zurueckfallen. Nach allem, was sich hier beobachten laesst, sieht man, dass man die Uebel, an welchen die heutige Gesellschaft krankt, hier mehr als irgendwo erkannt hat. Man hat sie erkannt, weil man sie fuehlt, weil sie sich zu unabweislich von selbst aufdraengen. Aber in den Mitteln, den gesellschaftlichen Schaeden abzuhelfen, vergreift man sich. Man will den Schaeden unmittelbar begegnen, statt dass sie nur da wahrhaft zu heilen sind, wo man ihrem ersten Grunde auf die Spur gekommen ist. Die Wurzel muss man entdecken und den Wurm toeten, der an der Wurzel nagt. Das Begiessen des welken Blattes an dem verkrueppelten Stamme fristet ihm eine Weile das frische Ansehen des Lebens, dann aber faellt es ersterbend ab, weil der aus der Wurzel quellende Balsam des Lebens, der Saft der Gesundheit ihm staerkend nicht zustroemt. Theodor Mundt sprach in seiner kuerzlich erwaehnten Vorlesung von dem durchgreifenden Streben unserer Zeit nach "Glueckseligkeit und Vergnuegen". Ich erschrak, wie er diese Tatsache so ohne weiteres als einen feststehenden Satz, wahrscheinlich als die Praemisse seiner fruehern Entwickelungen einwerfen und voraussetzen konnte. Und doch stellt sich diesem Satze, um ihn zu widerlegen, wenig gegenueber. Er ist wahr, er ist bewiesen; bewiesen nicht nur durch den Luxus der Reichen, sondern auch durch die brennende Sehnsucht und Entsagungsunfaehigkeit der Armen. Am unersaettlichsten aber in Zerstreuungen ist der Mitte1stand. Glueckseligkeit und Vergnuegen ist mehr denn je die Devise des Berliners geworden. Die oeffentlichen und Privatgelegenheiten zu Erholungen aller Art haben sich reissend vermehrt. Die Strassenecken sind taeglich mit mehr als einem Dutzend Zettel beklebt, um zu Zerstreuungen einzuladen. Dabei ist der Zudrang zu solchen Nahrungszweigen, welche wenig Anstrengung erfordern, unverhaeltnismaessig. Wer frueher nicht wusste, welches Gewerbe er treiben sollte, eroeffnete einen Tabakshandel. Jetzt haben sich dazu Anlagen von Kaffeehaeusern, Vergnuegungsgaerten, Konditoreien gesellt, die mit derselben Schnelligkeit aufschiessen, wie hier Mode-, Schnittwaren-, Kleiderhandlungen und Gewerbelaeden von solchen eroeffnet werden, die diese Gewerbe nicht selber treiben, sondern nur von andern treiben lassen. Und mitten in diesem Sausen und Brausen von Vergnuegungen dann jene Zustaende der Not und des Elends, die Bettina jenen menschenfreundlichen Schweizer im Anhange ihres Koenigsbuches hat schildern lassen--der Gegensatz ist schneidend. Auswaerts fuehlt man diesen Gegensatz fast noch mehr als hier. Auswaerts hat man sich verwundert, wie mitten in diesen Tatsachen des dringendsten Beduerfens, mitten in diesen beredten Schilderungen der hiesigen Verarmung ploetzlich das Krollsche Etablissement hat auftauchen koennen. Ich gestehe, als ich diesen von allen Zeitungen fuer einen Feenpalast ausgegebenen Ort besuchte, konnte ich den stoerenden Gedanken, dass diese Schoepfung sehr mal a propos gekommen, nicht unterdruecken. Zum Glueck bleibt auch dieser "Feenpalast" hinter seinem Rufe zurueck. Schon in der Ferne, wenn man durch Staubwolken durchzudringen vermag, sieht das Ganze wie eine grosse Ziegelhuette aus. Man sieht ein Konglomerat von Schornsteinen und hervorspringenden Hausecken und fuehlt sich durch den ersten Eindruck eher abgestossen als angezogen. Dabei aergert man sich ueber die Idee, ein solches von allen Fremden zu besuchendes Lokal auf die Achillesferse Berlins, die Sandwueste Sahara, auf den Exerzierplatz zu bauen. Der Berliner Staub, vergessen gemacht durch die freundlichen Anlagen des Tiergartens, tritt wieder beizend, augenverderbend, unausstehlich in den Vordergrund; denn recht in den Mutterschoss dieses Staubes ist das neue Gebaeude gelegt worden. Man betritt es. Alles erscheint daran lueckenhaft, hoelzern, durchsichtig, leichte Ware, berechnet auf einen kurzen Effekt. Mit einem Blick uebersieht man die gewaltige Reitbahn des Vergnuegens. Keine Abwechslung, kein lauschiges Versteck, keine Moeglichkeit des Alleinseins. Die nackten weissen Holzwaende, mit Goldleisten zwar verziert und hier und da bemalt, aber keine Draperien, keine Vorhaenge, das ganze Lokal auf einen Blick in die flache Hand gegeben. Das Unterhaltende an den Maskenbaellen in der grossen Oper zu Paris ist nicht der grosse Tanzraum, sondern das bunte Gewuehl auf den Treppen, Korridoren, in den Foyers, in Einrichtungen, die hier, bis auf einige wenige Logen, nicht getroffen sind. Man kann allerdings sagen, Paris besitzt ein solches Etablissement nicht; aber man muss hinzufuegen: Wenn man in Paris so oberflaechlich waere, zum blossen Dasitzen, Gaffen und Begafftwerden eine solche Unterhaltungsanstalt zu begruenden, so wuerde sie grossartiger, geschmackvoller, charakteristischer sein. Im Kellergeschoss dieses Tempels der Langeweile befindet sich ein so genannter "Tunnel", eine Lokalitaet zum Rauchen, wie sie finsterer, schmutziger, erstickender kaum in London gefunden werden kann. Man glaubt, dass die "Mysteres de Paris" hier ihren Anfang haetten nehmen koennen. Man glaubt den tapis franc zu betreten und sieht sich unwillkuerlich nach der Ogresse um. Aber auch die "Mysteres de Berlin" koennten hier anfangen. Gibt es solche? Gedruckt schon eine grosse Anzahl, und die zuerst kamen, von Schubar, schon in dritter Auflage ... Schade, dass sich originelle Koepfe nicht leicht entschliessen werden, in die Fussstapfen eines andern zu treten; wohl aber bliebe es wuenschenswert, dass sich jemand der deutschen Zustaende so bemaechtigen koennte, wie Eugene Sue der franzoesischen. Hat nicht am Ende auch Sue den Boz nachgeahmt, und Boz wieder die alten humoristischen Romane der vorigen Jahrhunderte? Mysterien von Berlin muessten grelle Schlaglichter auf Deutschlands sittliche, gesellschaftliche und intellektuelle Zustaende fallen lassen, muessten die Fackel der Aufklaerung nicht nur in die Kellergewoelbe der Armut und des Verbrechens tragen, sondern auch in die truebe Daemmersphaere der Schein- und Ueberbildung, der Luege und Heuchelei.... Impressionen--z.B.: Borsig (1854) Berlin waechst an Strassen, mehrt sich an Menschen, aber man kann des Abends um neun Uhr doch im Anhaltischen Bahnhofe ankommen und wird, mit einer Droschke von der Wilhelmstrasse zu den Linden fahrend, glauben, in Herculaneum und Pompeji zu sein; denn selbst die grosse Friedrichstrasse gleicht dann schon einer verlaengerten Graeberstrasse. Auf fuenf von der Eisenbahn herwackelnde Droschken zwei Menschen zu Fuss, einer auf dem Trottoir rechts, einer auf dem Trottoir links. Doch es ist eigen mit der Stille einer grossen Stadt. Am Gensdarmenmarkt feierliche Ruhe und in dem so gespenstisch einsam daliegenden Schauspielhause stuermte vielleicht eben ein vielhundertstimmiges da capo. In seinem Konzertsaale sang wenigstens Jenny Goldschmidt-Lind. Wenn man nicht in der Lage ist, seine Ankunft in Berlin vermittels telegraphischer Depesche irgendeinem Hotelier Unter den Linden anzeigen und sich eine Suite Zimmer im ersten Stock zweckmaessig vorrichten zu lassen, so wird man in der Hauptstadt der Intelligenz immer einige Muehe haben, sich in seinem Absteigequartier mit dem Wahlspruche auszusoehnen: Laendlich, sittlich. Die Rechnungen der Hotels bleiben gewiss hinter den Fortschritten der Zeit nicht zurueck, aber die Aermlichkeit der Zimmerausstattungen, das Gepraege der auf allen moeglichen Auktionen zusammengekauften Moeblierung und die scheinbare Halbeleganz gewisser, durch uebermaessige Ausnutzung halbverwitterter Verzierungen, z.B. des unvermeidlichen Wachstuchs auf den Fussboeden, stellt immer wieder die Aermlichkeit des Berliner Komforts heraus, von den Betten, ihrer Enge, ihren zentnerschweren Federpfuehlen nicht zu reden. Von Doppelfenstern ist in der lichtliebenden Stadt wenig die Rede. Man erkennt auf diesem Gebiete immer wieder in Berlin seine alten Pappenheimer und laesst sich's an ihnen genuegen, wenn nur dafuer die Ausbeute an geistiger Anregung desto belohnender zu werden verspricht. Regen und Schnee, Sturm und Kaelte lassen die grossen Schmutzflaechen der Berliner Plaetze und Strassen doppelt schauerlich erscheinen. Unabsehbar sind diese Wasserspiegel. Unter den Linden fegen die Strassenkehrer eine ganz eigentuemliche breiige Masse zusammen, ein fuenftes Element, das bekanntlich auch nur in oder doch bei Berlin die Erfindung einer gewissen Plastik aus Strassenkot moeglich gemacht hat. Ob sich nicht auch aus der fluessigen und kaltgewordenen Lava, die von Kranzler bis zum Victoriahotel stuendlich zusammengekehrt wird, wie aus Chausseestaub eine Terra cotta fuer Eichlers plastisches Kabinett bilden liesse? An Ordnung in der Handhabung der das Eis, den Schnee und den Schmutz betreffenden polizeilichen Vorschriften fehlt es nicht. An jeder Strassenecke der belebten Gegenden steht ein Konstabler, der nach dem Charakter der preussischen Monarchie, als einer vorzugsweise spartanischen, auch nur im Helme des Kriegers fuer den oeffentlichen Frieden sorgt. Man haette aber die Neuerung des Helms nicht zu weit sollen um sich greifen lassen. Von der Ehre, ihn tragen zu duerfen, hat man jetzt die Droschkenkutscher gluecklicherweise wieder ausgeschlossen. Eine in die Augen springende Verschoenerung der Stadt, die sie seit einigen Jahren gewonnen, sind die nun endlich fertiggewordenen Standbilder auf den grossen Granitwuerfeln der Schlossbruecke. Wohl ueber zwanzig Jahre schon standen diese blanken Quadersteine und harrten ihrer kuenftigen Bestimmung. Was hatte man nicht anfangs auf ihnen einst zu erblicken gehofft? Heilige und Propheten, Panther und Loewen, beruehmte Divisionsgenerale und bewaehrte wachsame Residenz-Kommandanten. Jetzt ist "Das Leben des Kriegers" daraus geworden in griechischer Auffassung. Ob die vielen Klagen ueber allzu grosse Natuerlichkeit dieser Gruppen einen Grund haben, laesst sich noch nicht recht von dem heutigen Wanderer beurteilen. Das Schneegestoeber verdeckt alle Aussicht, der durch die einfache Trottoirreihe ohnehin beengte Fussboden ist zu nass, um irgendwo bequem nach dem ionischen Himmel aufblicken zu koennen, der sich ueber diesen weissen Marmorgruppen ausspannen sollte. Die armen Krieger, wie es scheint gewoehnt an die Ebenen von Griechenland, wo sie als Ringkaempfer bei den Nemeischen Spielen den Preis gewannen, haben heute dicke Epaulettes von Schnee auf ihren Achseln liegen. Man darf mit ihnen einiges Mitleid haben, man darf annehmen, dass sie frieren; denn zu ersichtlich sind sie nach Modellen der schoensten Grenadiere vom ersten Garderegiment gemeisselt; zu ersichtlich ist ihre Nacktheit keine gewohnte, sondern nur ein zufaelliges Ausgezogensein bei einem gutgeheizten Berliner Atelierofen; zu ersichtlich ist ihre nur auf die allgemeine Militaerpflicht, die ein- und dreijaehrige Dienstzeit, die Manoeverzeit und ein mobilisiertes Ausruecken nebst endlicher Errungenschaft eines ehrenvollen Ordens oder einer Anstellung gehende Allegorie. Die uebergrossen Fluegel der Viktorien sind schon fuer die Harmlosigkeit einer Beziehung auf Griechenland zu verdaechtig. Man hat diese Fluegel der Viktorien hier in neuerer Zeit schon zu stereotyp neupreussisch, d.h. als Cherubimsschmuck, ausgebildet: Es sind dieselben christlichen Viktorien, die auf Wachschen Bildern das Grab des Heilands hueten, die den Eingang in die Kuppeldachkapelle des Schlosses bewachen und auch sonst schon in die gewoehnlichen Verzierungen der Stadt uebergegangen sind, selbst bei gewerblichen Zwecken. Diese mehr christlichen als antiken Cherubim wecken in der Bekraenzung der Krieger immer nur die Vorstellung eines seine Pflicht erfuellenden modernen jungen Landesverteidigers, und darum scheint das Berliner Mitleid um die erfrierenden jungen Konskriptionspflichtigen und der mehrfach geaeusserte Wunsch, ihnen warmhaltende Maentel und Beinkleider zu schenken, nicht ganz unmotiviert. Nur ueber die allzu natuerliche Wiedergabe der Natur hat man sich mit Unrecht beklagt. Die jungen Grenadiere stehen so hoch, die Granitwuerfel haben erst noch einen so ansehnlichen Ueberbau erhalten, dass eine junge Dame schon sehr neugierig sein muss, wenn sie, aus einer Predigt im Dom kommend, an dem modernen Griechentum auf der Schlossbruecke ein Aergernis nehmen will ... Die Zunahme Berlins an Strassen, Haeusern, Menschen, industriellen Unternehmungen aller Art ist ausserordentlich. Auf Stellen, wo ich mich entsinne, mit Gespielen im Grase gelegen und an einer Drachenschnur gebaendelt zu haben, sitzt man jetzt mit irgendeiner Dame des Hauses, trinkt Tee und unterhaelt sich ueber eine wissenschaftliche Vorlesung aus der Singakademie. Wo sonst die blaue Kornblume im Felde bluehte, stehen jetzt grossmaechtige Haeuser mit himmelhohen geschwaerzten Schornsteinen. Die Fabrik- und Gewerbstaetigkeit Berlins ist unglaublich. Bewunderung erregt es z.B., einen von der Natur und vom Glueck beguenstigten Kopf, den Maschinenbauer Borsig, eine imponierende, behaebige Gestalt, in seinem runden Quaekerhut in einer kleinen Droschke hin und her fahren zu sehen, um seine drei grossen, an entgegengesetzten Enden der Stadt liegenden Etablissements zu gleicher Zeit zu regieren. Borsig beschaeftigt 3000 Menschen in drei verschiedenen Anstalten, von denen das grosse Eisenwalzwerk bei Moabit eine Riesenwerkstatt des Vulkan zu sein scheint. Es kommen dort Walzen von 120 Pferdekraft vor. Borsig baut gegenwaertig an der fuenfhundertsten Lokomotive. Man berechnet ein Kapital von sechs Millionen Talern, das allein durch Borsigs Lokomotivenbau in Umsatz gekommen ist. Es macht dem reichen Mann Ehre, dass er sich von den gluecklichen Erfolgen seiner Unternehmungen auch zu derjenigen Foerderung der Kunst gedrungen gefuehlt hat, die im Geschmacke Berlins liegt und dem Koenige in seinen artistischen Unternehmungen sekundiert. Er hat sich eine praechtige Villa gebaut und pflegt einen Kunstgarten, der schon ganz Berlin einladen konnte, die Viktoria regia in ihm bluehen zu sehen. Fuer gewisse industrielle Spezialitaeten gibt es in Berlin Betriebsformen, die wenigstens auf dem Kontinente ihresgleichen suchen. Vor dem Schlesischen Tore liegen die Kupferwerke von Heckmann. Hier werden jene riesigen Vakuumpfannen geschmiedet, die man in den Ruebenzuckerfabriken noetig hat; hier werden die Kupferdraehte fuer die elektrischen Telegraphen gezogen. Heckmann bezieht sein Material direkt aus England, Schweden und vorzugsweise Russland. Ebenso grossartig ist Ravenes Handel mit Schmiedeeisen, Blei, Messing, Zinn und allen metallischen Rohprodukten. Es charakterisiert den Berliner Grosskaufmann, der seine urspruenglichen naiv-buergerlichen Triebe nicht lassen kann, dass Ravene in einem Anfall guter Laune saemtliche verkaeufliche Weine in Bordeaux aufkaufte und sich das Privatvergnuegen machte, das Modell einer grossartigen, aber soliden Weinhandlung aufzustellen, an der es ihm in Berlin sehr noetig schien. Goldschmidt und Dannenberger haben Kattunfabriken im Gange, die Tausende von Menschen, die Bevoelkerung kleiner Stadtbezirke, beschaeftigen, ueberdies ein pauperistisches Element enthalten, das eine umsichtige Behandlung erfordert ... Quatsch, Kroll und "Satanella" (1854) Es gibt ein Wort, das man nur in Berlin versteht. Aber auch nur in Berlin finden sich Erscheinungen, die man damit bezeichnen muss. Es ist dies der Ausdruck: Quatsch. Quatsch ist der Anlauf zum Witz, der, auf dem halben Wege stehen bleibend, dann natuerlich noch hinter dem halben Verstande zurueckbleibt. Denn man kann eine halbwegs vernuenftige Meinung, ein halbwegs ernstes Urteil noch immer als eine leidliche Manifestation gesunder Vernunft gelten lassen. Der halbe Verstand gehoert oft der Mystik an, die bis auf einen gewissen Punkt auch gewoehnlich eine Art Logik fuer sich hat. Der halbe Witz aber ist schrecklich. Er ist das absolut Leere. Er macht die Voraussetzung, etwas Apartes bringen zu wollen und bleibt in der Grimasse stecken. Er schneidet ein pfiffiges Gesicht und sagt eine Dummheit. Quatsch ist nicht etwa der Unsinn. Es lebe unter Umstaenden der Unsinn! Den Unsinn haben Aesthetiker goettlich genannt, den echten, wahren, natuerlichen Unsinn, der die Haelfte z.B. des Wiener Witzes ausmacht. "Ein vollkommener Widerspruch fesselt Weise und Toren", sagt Goethe; aber der relative Widerspruch ist das ewig Gesuchte, das niemals Zutreffende, das herren- und ziellos Herumtaumelnde und Faselnde, mit einem Wort das Quatsche. Berlin ist gross im Quatschen. Es kichert ueber jede Grimasse zum Witz, wenn auch der Witz ausbleibt. Irgendeine zweimal wiederholte absonderliche Redensart findet unverzueglich ihr Publikum. Man findet hier Menschen, die fuer witzig gelten, weil sie keinen Satz enden wie andere Menschen, jedes Ding mit einem andern Namen nennen, Begriffe verwechseln und das Ernsteste im Tone der Ironie sagen. Es herrscht bei ihnen ein ewiges Vermeiden der geraden Linie, die andere Menschen gehen; sie fallen, sie stolpern ueber sich selbst; die Berliner nennen das alles witzig, waehrend ein Vernuenftiger es Quatsch nennen muss. Ich sah "Mueller und Schultze bei den Zulu-Kaffern". Der Gegensatz war burlesk genug. Die wilden Hottentotten mit ihrem rasenden Tanze, ihrem Kriegsgeschrei, ihrem gellenden Pfeifen, mit Gebaerden, die eine Hetze wahnsinniger Affen zu zeigen schienen und im Grunde Furcht und Entsetzen, Grauen und Mitleid, solches Gebaren menschlich nennen zu muessen, einfloesste, und unter ihnen die beiden Stereotypen des "Kladderadatsch", zwar ziemlich treu im Aeussern, aber in jedem Worte, das sie sprachen, Vertreter des absolut Quatschen bis zum Ekel. "Schultze!" "Mueller!" "Mueller!" "Schultze!" "Bist du et?" "Ja, ik bin et." "Hurrjeh!" usw. Man denke sich einen solchen Scherz auf dem Palais-Royal-Theatre in Paris, wir wollen nicht einmal sagen mit Levassor und Ravel, sondern nur mit Sainville und Kalekaire! Das Krollsche Theater mag die Mittel nicht besitzen, gute Komiker zu bezahlen, aber der Text von Cormon, Clairville, Dennery und wie die Fabrikanten solcher Gelegenheitsscherze in den kleinern Pariser Theatern heissen, wuerde nicht so unbedingt nur fade sein. Man muss das Pariser Oh! Oh! gehoert haben bei jedem abblitzenden Einfall eines solchen Unsinn-Textes, um zu verstehen, wie die Franzosen auch bei solchen Veranlassungen witzig und geistreich sein koennen. Diese Berliner Dramatisierung der Zulu-Kaffern war aber so widerwaertig, als wenn man sich vorstellen wollte, der Naturgeist selbst erhuebe einmal seine gewaltige Stimme, finge zu reden an und verwechselte dabei mir und mich. Das Quatsche ist doch wohl in den Berliner dadurch gekommen, dass sein urspruenglich einfacher, sogar naiver und kindlicher Sinn den Anforderungen einer immer mehr anwachsenden und ueber seine geistige Kraft hinausgehenden Stadt nicht gleichkommt. Schon das verdorbene Plattdeutsch, das den Volksjargon bildet, traegt den Stempel der Unzulaenglichkeit an sich. Es ist die absolute Sprache der Unterordnung, der Beschraenktheit; es ist die Sprache der Hausknechte, Hoekerinnen, kleinen Rentiers, der Kinder, des in die Stadt versetzten Bauers. Die Sprechweise der Gebildeten traegt so sehr noch die Spuren vom Tonfall des Volksdialekts, dass es zu einer ganz freien Sprachbehandlung im Sinne des reinen Oberdeutschen hier nur bei sehr wenigen kommt. Wird nun ein so beschraenktes und in seiner Art doch wieder sehr scharf ausgepraegtes Sprachmaterial bestimmt, dem grossen Ideenkreise einer Stadt, die eine Hauptstadt der deutschen Intelligenz sein will, zum Ausdruck zu dienen, so entsteht dadurch jenes absolut Alberne, das man eine Art Geistespatois nennen moechte. Diese Missgeburt entstand erst mit der Zeit, wo Berlins Trieb nach oeffentlicher Bewaehrung wuchs. Seine Bevoelkerung emanzipierte sich zum Grossstaedtischen. Die Schusterjungen machten wohl die oeffentliche Meinung schon zu Friedrichs des Grossen Zeit; der Koenig sagte den Katholiken, die das Fronleichnamsfest oeffentlich feiern wollten: Er haette nichts dagegen, wenn die Schusterjungen es nicht hinderten. Allein die literarische Vertretung des Schusterjungentums ist neu und schreibt sich von den bekannten Eckensteherwitzen her. Dieser Fortschritt war an sich nicht unwichtig. Es ist mit diesem Neu-Berlinertum viel gesunde Vernunft zur Geltung gekommen und wer wuerde verkennen, dass "Kladderadatsch" ganz Deutschland, von Saarlouis bis Tilsit, vorm Einschlafen geschuetzt hat? Aber die "Gelehrten des Kladderadatsch" sind witzige Auslaender, die sich nur berlinischer Formen bedienen. Ohne die Schaerfe dieses Blattes wuerden diese Formen, wie die Erfahrungen auf den neueroeffneten hiesigen Buehnen zeigen, ganz ins Quatsche zurueckfallen. Die Art, wie hier in neuerer Zeit Buehnen eroeffnet worden sind (um diese Faehrte des Geschmacklosen weiter zu verfolgen), ist eine der unglaublichsten Inkonsequenzen einer Regierung, die in allen andern geistigen Faechern so ausserordentlich schwierig ist. Das Ministerium Ladenberg ging auf eine so gewissenhafte Revision der Theaterkonzessionen aus, und in Berlin durften Kaffeehaeuser und Tanzlokale sich in Theater verwandeln! Es ist noch ein wahres Glueck, dass unser Schauspielerstand durch die sogenannten Tivolitheater nicht ganz verwildert ist, was freilich in einigen Jahren immer mehr der Fall sein wird; es finden sich immer noch einzelne Darsteller, die den Ehrgeiz besitzen, mit ihrer Kunst nicht ganz zugrunde zu gehen. Kaum ist die naechste materielle Not befriedigt, so werden sie bestrebt sein, den gluecklicher gestellten Kollegen an den Hof- und grossen Stadttheatern gleichzukommen und Besseres und Edleres zu spielen. So hat sich das hiesige Friedrich-Wilhelmstaedtische Theater, besonders durch die Bemuehungen der trefflichen HH. Goerner und Ascher, zu einer ueberraschenden Geschmacksrichtung, die sich in den schwierigsten aesthetischen Aufgaben versucht, emporgearbeitet, allein im Sommer verwandelt es sich wieder in ein Parktheater und noch ist die Bevoelkerung zu sehr geneigt, an dem Ton Freude zu haben, der auf einigen andern Theatern im Sinne des Quatsch angeschlagen wird. Theater ueber Theater! Hier gehen Menschen herum, die, ohne die geringste geistige Bildung, ohne Geldmittel sogar, eine Theaterkonzession in der Tasche haben; andere glauben sie ohne weiteres durch ein geeignetes Fuerwort an hoher Stelle erlangen zu koennen. Einen Zirkus zu eroeffnen oder eine Buehne scheint nach den Gesetzen der Gewerbefreiheit einerlei und allerdings hat jeder Spekulant recht, wenn er sich auf seine Vorgaenger beruft und z.B. fragt: Wie kommt der Cafetier Kroll zu einer Buehne, wie kommen zwei Gebrueder Cerf, Handlungsbeflissene, dazu, wie kommt jener einst zum Gespoett der Vorstaedte deklamatorische Vorstellungen gebende Rhetor Graebert dazu? Wer ist Herr Carli Callenbach, der auch ein Theater besitzt? Diese Anarchie auf dem dramatischen Gebiete macht dem Freunde der Literatur ganz denselben Eindruck, wie es dem Freunde militaerischer Ordnung peinlich war, sogenannte Buergerwehr in rundem Hut und Ueberrock die Armatur der koeniglichen Zeughaeuser tragen zu sehen. Nicht dass die Buergerwehr als solche zu verwerfen war, aber sie bedurfte der Organisation, sie bedurfte jener Haltung, die dem Waffendienste geziemt; ebenso verletzt wendet sich die dramatische Muse ab, wenn man ihr opfert wie dem Gambrinus in bayrischen Bierstuben. Man kann die treffliche Organisation der Pariser Theater mit diesen Polkawirtschaften Thaliens in keine Vergleichung bringen, man vergleiche wenigstens die Theater der Wiener Vorstaedte. Die Josephstaedter Buehne ist vielleicht diejenige unter ihnen, die am tiefsten steht und doch hat sie eine bestimmte Spezialitaet; manches Talent, z.B. Mosenthals, entwickelte sich zuerst auf ihr, "Deborah" erschien zuerst auf der Josephstaedter Buehne. Das Repertoire des Koeniglichen Theaters fand ich im Schauspiel sehr wenig anziehend, "Waise von Lowood", "Deutsche Kleinstaedter", "Geheimer Agent" usw. Es herrscht hier eine Unsitte, mit der sich kein noch so wohlmeinender aesthetischer Sinn vereinbaren laesst, naemlich die Befolgung der Spezialbefehle, welche die einheimischen und fremden hoechsten Herrschaften ueber die Stuecke aussprechen duerfen, die sie zu sehen wuenschen. Es ist dies eine Form des Royalismus, die in der Tat etwas auffallend Veraltetes hat und in dieser Form in keiner Monarchie der Welt vorkommt. Bald heisst es: "Auf hoechstes Begehren", bald: "Auf hohes Begehren", bald: "Auf Allerhoechsten Befehl", bald nur einfach: "Auf Befehl", unter welcher bescheidenem und auch seltener vorkommenden Form sich die Wuensche des Koenigs zu erkennen geben. Was ist das aber fuer eine Unsitte, dass die Kammerherren auch jeder durchreisenden, prinzlichen Herrschaft die Stuecke bestellen, welche diese zu sehen wuenschen! Die geistigen Armutszeugnisse, die sich Prinzen, Prinzessinnen, ab- und zureisende kleine Dynasten und Dynastinnen mit ihren Wuenschen um dieses Ballet, um jene Oper, um eine kleine Posse geben duerfen, sind schon an sich klaeglich und fallen ganz aus der Rolle, welche die Monarchie heutigen Tages zu spielen hat; aber der Gang der Geschaefte wird dadurch auch auf eine Art unterbrochen, unter welcher Kunst und Publikum leiden. Hat eine Prinzessin eine Empfehlung von auswaerts bekommen, die ihr eine Schauspielerin oder Saengerin ueberbrachte, so bestellt sie die Stuecke, in denen sie auftreten soll. Kommt der Hof aus Mecklenburg-Strelitz, so legt man ihm die Stuecke vor, die gerade leicht anzurichten sind, er streicht sich einige an und man liest: "Auf hoechstes Begehren: 'Der geheime Agent'", ein Stueck, das jetzt auf jedem Liebhabertheater gesehen werden kann. Der Koenig besitzt so viel Geist, dass ihm diese Manifestationen des Privatgeschmacks seiner Brueder oder Neffen oder Vettern ohne Zweifel viel Heiterkeit verursachen; er sollte aber einen Schritt weitergehen und diesen Missbrauch der von den Kammerherren veraenderten Repertoires im Interesse der Kunst und des Publikums verbieten. Es macht sich dies oeffentlich kundgegebene Denken und Mitreden der "Herrschaften" in einem Staate, der ja doch wohl ein konstitutioneller sein soll, sehr wenig nach dem Geiste der in ihm allein anstaendigen Oeffentlichkeit. Natuerlich ergibt sich unter solchen Umstaenden, wo die Grossen und Maechtigen oeffentliche Fingerzeige ueber ihren eigenen Geschmack geben duerfen, die Foerderung des Gedankenvollen und Notwendigen an einer Buehne weit schwieriger. Wenn sich die Grossen "Satanella" oder "Aladins Wunderlampe" kommandieren, wenn Pferde auf dem Koenigsstaedter Theater agieren, Klischnigg, der Affenspieler, und die Zulu-Kaffern auf dem Krollschen Theater ihr Wesen treiben, kann eine erste Auffuehrung eines neuen Dramas im Schauspielhause nur ein kleines Publikum finden; vor einem halbbesetzten Hause sah ich die erste Auffuehrung des "Demetrius" von Hermann Grimm. Es war ein kleines Geheimratspublikum aus der Gothaer Richtung; ein paar Offiziere, einige Professoren, wenig Studenten, auf zehn Menschen immer ein bestallter Rezensent. Die Darstellung war ebenso warm wie die Ausstattung glaenzend. Das funkelte von Farbenpracht, Frische und Neuheit der Kostuemstoffe, ueberall, in den kleinsten Ausschmueckungen der Waende zeigte sich ein vorhergegangenes Studium der betreffenden Geschichte, Sitten und Kleidertrachten der Zeit, in welcher die Handlung spielte. Das Stueck war eine Anfaengerarbeit, die kaum Talent verriet (nur aus Ueberfuelle sprudelt der Quell einer geistigen Zukunft, nicht aus einer Duerftigkeit, wo sich Armut den Schein der Einfachheit geben will), aber die Darstellung ging von einem schoenen Glauben an den Wert des Stueckes aus; nirgends sah man ihr eine Missstimmung ueber die aufgebuerdete, undankbare und fuer die Zeit der besten Saison verlorene Aufgabe an und mit dem halbunbewussten Pflichtgefuehl verband sich die noch immer ausserordentlich ansprechende Natuerlichkeit der Hendrichsschen Spielweise. Rollen, die keine Schwierigkeiten der Dialektik bieten, wird Hendrichs immer vorzueglich spielen. Dieser Kuenstler ist ein schwacher Hamlet, aber ein liebenswuerdiger und ueberredender Romeo. In seiner Passivitaet liegt Poesie und da er nur die Konturen ausfuellt, die der Dichter ihm vorzeichnet, so nimmt er durch die Treue und Einfachheit, mit der er sich seinen Aufgaben unterzieht, ueberall fuer sich ein, wo einmal die Macht der Gewoehnung ein Publikum fuer ihn gewonnen hat, wie in Berlin, Frankfurt und Hamburg, wo er gewohnte Triumphe feiert. Ich bedauerte, Dessoir nicht beschaeftigter zu finden. Dieser geistvolle Schauspieler leidet hier an der ueblichen Abgrenzung unserer Rollenfaecher. Der Begriff eines Charakterspielers, den er zu vertreten hat, ist so vieldeutig. Man kann Hamlet als Liebhaber spielen, man kann ihn aber auch, wie Dawison und Dessoir tun, als Charakterzeichnung geben. Dessoir ist einer jener Schauspieler, die zwar in jedem Ensemble eine Zierde sein werden, selbst wenn sie nur zweite Rollen spielen, aber Dessoir hat den ganzen Beruf, eine Stellung einzunehmen, die ihn zum Matador einer Buehne macht und jede bedeutende Aufgabe, die nicht ganz dem Liebhaberfache angehoert, ihm zuweist. Alle die Rollen indessen, auf die ihn sein kuenstlerischer Trieb hinfuehren muss, sind noch im Besitze der Herren Rott und Doering. Es spricht fuer die geistige Anregung, die Berlin bietet, fuer die Belohnung, die man im Beifall eines natuerlich sich hingebenden Publikums findet, dass Dessoir darum doch seinen hiesigen, hoechst ehrenvoll behaupteten Platz mit keinem andern vertauschen moechte. Vom Schauspiel sagt man an der Verwaltungsstelle, es wuerde keineswegs vernachlaessigt und es hat sich seit Dueringers Mitwirkung sehr gehoben; dennoch muss man bei dem Vergleiche der unverhaeltnismaessigen Pracht, die das Opernhaus umgibt, wuenschen, es wuerde doch endlich ganz von der Musik und dem Ballett getrennt, es verfolgte seine ernste und schwierige Aufgabe fuer sich allein. Das Schauspiel kann nur ein Stiefkind erscheinen gegen die Art, wie die Leistungen des Opernhauses nicht etwa von der Verwaltung geboten, sondern vom Publikum empfangen werden. Neun glaenzende Proszeniumslogen ziehen fast ebensoviel Aufmerksamkeit auf sich wie die Leistungen der Szene. Das Opernhaus ist das Stelldichein der hoehern und mittlern Gesellschaft, der stete Besuchsort der Fremden, die Sehnsucht der allgemeinen Schaulust und ein Tempel des Genusses. Nicht Paris und Wien finden im Ballett ihre speziel1sten sinnlichen Beduerfnisse so befriedigt wie Berlin. "Satanella" und "Aladins Wunderlampe" sind die Ballette des Tages, die jeder gesehen haben muss und die derjenige, der die Mittel besitzt, nicht oft genug sehen kann. Welche Fuelle von Licht, Farbe, Glanz aller Art, von Jugend, Schoenheit und Gefallsucht! Die musikalischen Kraefte sind hier so gross, dass z.B. an einem Abend im Opernhause der "Prophet" gegeben werden kann, im Schauspielhause die Zwischenaktmusik zu "Egmont" vol1staendig da ist und noch in der Singakademie ein Konzert mit der koenigl. Kapelle begleitet werden kann. Es ist dies nur moeglich durch die Unzahl von Akzessisten und Exspektanten, die zwar nicht die Leistungen vorzueglich, aber alle Faecher, auch die des Chors und des Ballettkorps so vol1staendig machen. Auf dreissig Taenzerinnen, welche die Verwaltung besoldet, kommen ebensoviel junge, huebsche, talentvolle Maedchen, die unentgeltlich mitwirken, nur um der Anstalt anzugehoeren und vielleicht einmal in die besoldeten Stellen einzuruecken. Vor der Auswahl von jungen Leuten, die Eltern und Angehoerige "um Gotteswillen" der Verwaltung zu Gebote stellen, kann diese sich kaum retten. Daher auf der Szene die ueberraschendste Massenentfaltung. Die Kunst der Beleuchtung, der Glanz der Kostueme, der Geschmack der Dekorationen ist aufs hoechste getrieben. Da steigen Feentempel aus der Erde, da senken sich Wolkenthrone mit allen Heerscharen des orientalischen Himmels nieder, da leuchten und blitzen unterirdische Grotten von Ede1steinen, da sprudeln natuerliche Springbrunnen im Mondenschein und fallen, vielfach gebrochen, in Bassins herab, an deren Raendern die lieblichsten Gestalten schlummern. Jede Demonstration der Szene ist ganz und vol1staendig. Nirgendwo erblickt man die Hilfsmittel der blossen Andeutung, die an andern Buehnen die Illusion vorzugsweise in die ergaenzende Phantasie der Zuschauer legt; hier ist die Schere der Oekonomie verbannt, die aus Amazonenroecken von heute fuer morgen Pantalons fuer Verschnittene macht. Hier fangen alle Schoepfungen immer wieder von vorn an. Kein Kostuemier und Dekorateur ist an die Wiederaufstutzung alter Vorraete gewiesen; hier regieren jene Warenmagazine, wo es immer wieder neue Seide, neuen Sammet und fuer die geschmackvol1sten Maler neue Leinwand gibt. Ein Ballett in Berlin zu sehen wie "Satanella" ist in vieler Hinsicht lehrreich. Dem Aesthetiker macht vielleicht die Grazie und herausfordernde Keckheit z.B. der jungen Marie Taglioni eine besondere Freude, aber die Vorstellung im grossen und ganzen mit allem, was dazu auch von Seiten des Publikums gehoert, ist kulturgeschichtlich merkwuerdig. Dieser Marie Taglioni sollte man eine Denktafel von Marmor mit goldenen Buchstaben und mitten in Berlin aufstellen. Sie tanzt die Hoelle, aber sie ist der wahre Himmel des Publikums; sie tanzt die Luege, aber sie verdient ein Standbild als Goettin der Wahrheit. Denn man denke sich nur dies junge, reizende, uebermuetige Maedchen mit ihren beiden Teufelshoernchen an der Stirn, mit dem durchsichtigen Trikot, mit den allerliebsten behenden Fuesschen, mit den tausend Schelmereien und Neckereien der Koketterie, wie nimmt sie sich unter den ehrwuerdigen Tatsachen des gegenwaertigen Berlins aus! Dieser kleine Teufel da, im rosaseidenen, kurzen Flatterroeckchen, ist sie etwa die in der Vorstadt tanzende Pepita? Nein, sie ist das enfant cherie der Berliner Balletts, und das Berliner Ballett ist das enfant cherie der Stadt, des Hofs, ist die Kehrseite der frommen Medaillen, die hier auf der Brust der Heuchelei von Tausenden getragen werden. Buechsel, Krummacher, Bethanien, Diakonissen, Campo-Santo, Sonntagsfeier, Innere Mission--was ist das alles gegen einen Sonntagabend, wenn Berlin in "Satanella" seine wahre Physiognomie zeigt! Die Prinzen und Prinzessinnen sind anwesend. Hinten auf der Szene funkelt ein Ordensstern neben dem andern, jede Kulisse ist von einem Prinzen besetzt, der sich mit den kleinen Teufelchen des Corps de ballet unterhaelt. Der erste Rang zeigt die Generale und Minister, das Parkett den reichen Buergerstand, die Tribuene und der zweite Rang die Fremden, die den Geist der Residenz in der Provinz verkuenden werden, die obern Regionen beherbergen die arbeitenden Mittelklassen und selbst die halbe Armut, der man sonst nur Traktaetchen in die Hand gibt, hat hier das Frivo1ste aller Textbuecher muehsam nachzustudieren, um die stumme Handlung der Szene zu verstehen. Welche Wahrheit deckst du doch auf, du echte Berliner, in der Treibhauswaerme der speziel1sten, koeniglich preussischen Haus-Traditionen grossgezogene Pflanze, Marie Taglioni geheissen! O so werft doch, ihr besternten Herren, eure Masken ab! Verratet doch nur, dass euer Privatglaube nichts mehr liebt als die Goetter Griechenlands und dass nicht etwa hier der Kultus des Schoenen, sondern draussen euer offizielles System eine Komoedie ist. Satanella verfuehrt einen jungen Studenten, dem das Repetieren seiner Collegia bei Stahl und Keller zu langweilig scheint. Er hat eine Verlobte, die vielleicht Geibel und "Amaranth" liest, aber niemand wird zweifelhaft sein, dass der junge, kuenftige Referendar besser tut, sich an Heinrich Heine, an die schoene Loreley und die Taglioni zu halten. Wie kalt und nuechtern ist auch die Liebe eines Fraeulein Forti gegen die Liebe einer Satanella! Es geht mit letzterer allerdings bergab und geradewegs in die Hoelle, aber welcher Zuschauer wird der Narr sein und nicht einsehen, dass der Satan den jungen Lebemann nur anstandshalber holt! Kann das eine echte Hoelle sein, in der sogar schon kleine Kinder tanzen, schon kleine Kinder mit Satanshoernern umherspringen und, wie von Selma Bloch geschieht, ein recht widerliches Solo tanzen? Kann das die echte Hoelle sein, deren Vorhof die wunderbarste Mondscheinnacht von Gropius mit dem reizendsten Chateau d'eau und der stillschlummernden antiken Marmorwelt ist? Wird irgend ein Vernuenftiger einraeumen, dass die Konsistorialraete Recht haben, wenn sie die Venus von Milo eine schoene "Teufelinne", die Antiken des Vatikan ueberhaupt, wie Tholuck getan, "schoene Goetzen" nennen? Verwandelt sich all' diese Lust und Liebe, all' diese Freude und Behaglichkeit nicht vielmehr nur rein "anstandshalber", d.h. um dem Vorurteil zu genuegen, in Pech und Schwefel, und wird irgend jemand eine solche Vorstellung, wo besternte Prinzen jede Attituede der Solotaenzerinnen beklatschen, mit einer andern Meinung verlassen als der: Ich fuehle wohl, es muss einen Mittelweg zwischen Elisabeth Fry und Marie Taglioni, einen Mittelweg zwischen Bethanien und dem Opernhause, einen Mittelweg zwischen den Konzerten des Domchors und Satanella geben? Diese Berliner Ballettabende wecken einen ebenso grossen Abscheu vor der maetressenhaften Sinnlichkeit, die durch sie hindurchblickt, wie vor der Kasteiung des Fleisches in der neuen Lehre vom Gefangengeben der Vernunft und dem fashionablen Buessertum, dessen neupreussische Fruechte wir hinlaenglich kennen. Beide Extreme gehen in Berlin auf eine erschreckende Art nebeneinander. Sie gehen nicht etwa getrennt nebeneinander, sondern im Durchschnitt in denselben Personen. Die Heuchelei und die Ruecksicht auf Karriere mietet sich einen "Stuhl" in der Matthaeuskirche, nur damit an dem Schilde desselben zu lesen ist: "Herr Assessor N. N." und die stille Sehnsucht des wahren innern Menschen ist hier doch allein--der Genuss. Dem Genuss bauen auch andere Staedte Altaere; die buntesten, mit Rosen geschmueckten Altaere baut z.B. Wien. Aber Berlin ergibt sich immer mehr einer Form des Genusses, die nur ihm ganz allein angehoert. Es ist dies die Genusssucht eines Fremden, der in vierzehn Tagen durch seine gefuellte Boerse alles bezahlt, was man in einer Residenz, die er vielleicht in Jahren nicht wiedersieht, fuer Geld bekommen kann. Es ist die Genusssucht des Gutsbesitzers, der seine Wolle in die Stadt faehrt und sich mit vierzehn Tagen Ausgelassenheit fuer ein Jahr der Entbehrung auf seiner Scholle entschaedigt. Dies Berliner Lecken und Schlecken hat die Bevoelkerung so angesteckt, dass man mit Austernschalen die Strassen pflastern koennte. Wohlleben und Vergnuegen ist die Devise des hiesigen Vegetierens geworden, nirgend wird man z. B. den Begriff "Bowle machen" jetzt so schleckerhaft ausgesprochen finden. Die Betriebsamkeit wird durch den Luxus wohl eine Weile gestachelt werden, an Grossstaedtigkeit der Unternehmungen fehlt es nicht; aber wenn die natuerlichen Kraefte versagen, tritt das Raffinement ein und das Raffinement des Verkehrs, gewoehnlich Schwindel genannt, soll hier in einem Grade herrschen, der keine Grenzen mehr kennt. Denn was ist die Grenze, die man Bankrott nennt? Aus Nichts werden die glaenzendsten Unternehmungen hervorgerufen. Mit einem Besitze von einigen tausend Talern mutet man sich die Stellung eines Kapitalisten zu. Der Kredit gibt nicht dem Redlichen mehr Vorschub, sondern dem Mutigen. Die Entschlossenheit des industriellen Waghalses leistet das Unglaublichste. Wo die groessten Spiegel glaenzen, wo die goldenen Rahmen tief bis zur Erde niedergehen, wo in den Schaufenstern der Butiken die fabelhafteste Scheinfuelle des Vorrats mit dem Geschmack der Anordnung zu wetteifern scheint, kann man gewiss sein, auf hundert Faelle bei neunzig nur eine Grundlage anzutreffen von eitel Luft und windiger Leere. Es ist mannigfach schon eine Aufgabe der neuern Poesie, der sozialen Romantik geworden, den Lebenswirren, die sich aus solchen Zustaenden ergeben muessen, nachzuspueren. Der Totenwagen rasselt still und ernst durch dies glaenzende Gewuehl. Rauschende Baelle, in der Faschingsnacht ein Wagendonner bis zum fruehen Morgen und die Chronik der Verbrechen, die Statistik der Selbstmorde gibt dem heitern Gemaelde doch eine daemonische Beleuchtung. Erschuetternd war mir z.B. die Nachricht, dass der Philosoph Beneke von der Universitaet ploetzlich vermisst wurde und wahrscheinlich sich entleibt hat. Erst jetzt kam zur Sprache, dass dieser redliche Forscher, der sich in der Erfahrungsseelenkunde einen Namen erworben und besonders auf die neuere Paedagogik einen nuetzlichen Einfluss gehabt hat, seit laenger als zwanzig Jahren nicht endlich ordentlicher Professor werden konnte und sich mit einem jaehrlichen Gehalte von 200 Talern begnuegen musste! Zweihundert Taler jaehrlich fuer einen Denker, waehrend es hier Geistliche gibt, die es auf jaehrlich 5000 Taler bringen! Beneke war ein Opfer des Ehrtriebes, der hier noch zuweilen einen edeln Menschen ergreift, nicht auf der allgemeinen Bahn des Schwindels gehen zu wollen. Des Mannes Erscheinen war einfach, war fast pedantisch. Er hatte vor zwanzig Jahren die etwas steifen Manieren eines Goettinger Professors nach Berlin gebracht. Seine Vortraege waren etwas aengstlich, seine Perioden allzu gewissenhaft, sein System knuepfte wieder an Hume und Kant an, er ging ueber die endlichen Bedingungen unsers Denkens nicht tollkuehn in die Unendlichkeit; was sind Kennzeichen solcher altbackenen Soliditaet in einer Stadt wie Berlin, wo nur die glaenzende Phrase, der saillante Witz und Esprit, das kecke Paradoxon und jener doktrinaere Schwindel etwas gilt, den Hegel aufbrachte, Hegel, der jahrelang die trivia1sten Koepfe, die nur in seiner Tonart zu reden wussten oder die es verstanden, ihrem sogenannten Denken eine praktische Anwendung auf beliebte Religions- und Staatsauffassungen zu geben, zu ordentlichen Professoren befoerdern konnte! Hamlet ist auch darin das grosse und Shakespearen auf den Knien zu dankende Vorbild aller mit der Welt verfallenen Geistesfreiheit, dass er auf des Koenigs Frage, wie es ihm ginge, antwortet: "Ich leide am Mangel der Befoerderung." --Wer ertruege Den Uebermut der Aemter und den Kummer Den Unwert (schweigendem Verdienst erweist!) Neues Museum--Schlosskapelle--Bethanien (1854) Eine derjenigen Schoepfungen des Koenigs, in denen man unbehindert von irgendeiner drueckenden Nebenempfindung atmet, ist und bleibt das Neue Museum. Der Fremde wird es bei jedem Besuche wiederzusehen sich beeilen, er wird sich der Fortschritte freuen, die die Vollendung des Ganzen inzwischen gemacht hat, er wird sich in diesen Raeumen aller laestigen Beziehungen auf lokale Absichten und Einbildungen erwehrt fuehlen und im Zusammenhange wissen nur mit jenen allgemeinen deutschen Kunstbestrebungen, die uns die Schoenheit und Pracht von Muenchen, die Ausschmueckung des koeniglichen Schlosses in Dresden, die neuen Plaene fuer Weimar und Eisenach, unsere neuen Denkmaeler, Kunstausstellungen, Kunstvereine und den Aufschwung unserer Akademien geschaffen haben. Das Neue Museum liegt in einem versteckten, zur Stunde noch beengten, unfreundlichen Winkel der Stadt, aber es ist die traulichste Staette der Begruessung, das heiterste Stelldichein des Geschmacks und der pruefenden, immer mehr wachsenden Neugier der Einheimischen und der Fremden, die sogleich hierher eilen. Es entwickelt sich langsam, aber reich und gefaellig. Es entwickelt sich unter Auffassungen, die uns wahlverwandt sind. Wir sind in Italien und in Muenchen vorbereitet auf das, was wir hier wiederfinden. Diese Raeume hat mit den Eingebungen seines Genius vorzugsweise eine grosse, freie Kuenstlernatur zu beleben, ein Dichter mit dem Pinsel, ein Denker nach Voraussetzungen, die nicht aus dem maerkischen Sande stammen. So stoert uns denn auch hier kein beliebter byzantinischer Schwu1st, keine russischen Pferdebaendiger, oder Athleten oder Amazonen erfuellen uns, waehrend wir an Athen denken wollen, mit lakedaemonischen Vorstellungen; selbst die hier in Berlin ueberall aushaengende Devise: "Nach einem Schinkelschen Entwurf", stoert uns nicht. Man muss Schinkel einen erfindungsreichen und sinnigen Formendichter nennen, aber er schuf doch wahrlich zu viel auf dem Papiere, er zeichnete zu viel abends bei der Lampe; es waren geniale Studien und Ideen, die er ersann von Palastentwuerfen an bis zu Verzierungen von Feilnerschen Oefen; aber es fehlte ihm doch wohl eine gewisse Kraft, Reinheit und Einfachheit des Stils.... Eine zweite grosse Schoepfung des Koenigs ist die (Kuppeldachkapelle des Schlosses). Sie hat eine halbe Million gekostet und ist unstreitig eine Zierde des Schlosses nach dem ihm eigentuemlichen Geschmack, wenn auch eben keine Bereicherung der Kunst. Der Baumeister Schadow errichtete die gewaltige Woelbung auf einem Platze, der bisher im Schlosse unbeachtet gewesen war, verfallene Wasserwerke enthielt, altem Geruempel, freilich aber auch den vortrefflichen Schlueterschen Basreliefs, die jetzt die Treppe zieren, als Aufbewahrungsort diente. Die Spannung des mehr ovalen als runden Bogens ist meisterhaft ausgefuehrt. Einen ueberraschenden Eindruck wird der Eintritt in diesen Tempel jedem gewaehren, der sich erst im Weissen Saale an den schoenen Formen der Rauchschen Viktoria geweidet hat und zu ihm dann auf Stiegen emporsteigt, die mit lebenden Blumen geschmueckt sind und mit Kronleuchtern, die nur etwas zu salonmaessig durch Milchglasglocken ihre Flammen daempfen sollen. Man erwartet in der Kapelle weder diese Groesse noch diese Pracht. Bei laengerer Betrachtung schwindet freilich der erste Eindruck. Das steinerne, mit Marmor und Bildern auf Goldgrund ueberladene Gebaeude wird dem Auge kaelter und kaelter. Der Altar, wenn auch mit einem aus den kostbarsten Ede1steinen zusammengesetzten Kreuze geziert, die Kanzel, der Fussboden, alles erscheint dann ploetzlich so nur fuer die Schwuele der suedlichen Luft berechnet, dass man das lebendige Wort Gottes hier weder recht innerlich vorgetragen noch recht innerlich empfangen sich denken kann. Das Auge ist zerstreut durch das Spiel aller hier zur Verzierung der Waende aufgebrachten Marmorarten. Da gibt es keine Farbe, keine Zeichnung des kostbarsten Bausteins, von der nicht eine Platte sich hier vorfaende wie in einer mineralogischen Sammlung. Zu dieser durch die Steine hervorgerufenen Unruhe gesellt sich die Ungleichartigkeit der Bilder. Sie scheinen alle nach dem Gedanken zusammengestellt, die Foerderer der Religion und des Christentums zu feiern. Aber auch dies ist ein Galerie- oder Museumsgedanke, kein reiner Kirchengedanke. Huss, Luther, die Kurfuersten von Brandenburg stehen vis-a-vis den Patriarchen und den Evangelisten. Da muss es an der einigen Stimmung fehlen, die Andacht hebt sich nicht auf reinen Schwingen, man kann in einem solchen Salon nur einen konventionellen Gottesdienst halten. Ach, und dieser Fanatismus fuer das konventionell Religioese sitzt ja wie Mehltau auf all' unsern Geistesblueten! Man denkt nicht mehr, man prueft nicht mehr, man uebt Religion nur um der Religion willen. Man ehrt sie um ihrer Ehrwuerdigkeit, man ehrt sie wie man Eltern ehrt, deren graues Haar unsere Kritik ueber die Schwaechen, die sie besitzen, entwaffnen soll. Das ist der Standpunkt der Salon-Religion. Man will nicht pruefen, man will nicht forschen, man umrahmt mit Gold und Ede1stein die Tradition, die man auf sich beruhen laesst. Man schlaegt sein rauschendes Seidenkleid in kuenstlerische Falten, wenn man im Gebetstuhl niederkniet; man schlaegt sein goldenes Gebetbuch auf, liest halb gedankenlos, was alte Zeiten dachten, denkt vielleicht mit Ruehrung dieser Zeiten, wo der Glaube von so vielem Blute musste besiegelt werden, gesteht wohl auch seine eigenen suendigen Einfaelle und Neigungen ein, gibt sich den Klaengen einer vom Chor einfallenden Musik mit einigen quellenden Traenen der Nervenschwaeche und Ruehrung hin und verlaesst die Staette der Andacht mit dem Gefuehl, doch dem Alten Rechnung getragen, doch eine Demonstration gegeben zu haben gegen die anstoessige und in allen Stuecken gefaehrliche neue Welt! Das ist die Religions-Mode des Tags. Fuer diese Richtung eines vornehmen Dilettierens auf Religion kann man sich keinen zweckentsprechendern Tempel denken als die neue Berliner Schlosskapelle. Sie erleichtert vollkommen die manchmal auch wohl laestig werdenden Ruecksichten einer solchen Art von Pietaet. Weitentlegen vom Geraeusch der Stadt und nur leider in einer zu kahlen, baumlosen Gegend liegt Bethanien, die seit einigen Jahren errichtete Diakonissenanstalt. Man faehrt an einer neuen, im Bau begriffenen katholischen Kirche vorueber und bewundert die grossartige Anlage dieses vielbesprochenen Krankenhauses, das sich bekanntlich hoher Protektion zu erfreuen hat. Dennoch soll die Stiftung eine staedtische sein und ab und zu wird man von Bitten in den Zeitungen ueberrascht, die Bethanien zu unterstuetzen auffordern, Bitten, die wiederum dies Institut fast wie ein privates hinstellen. Zweihundert Kranke ist die gewoehnliche Zahl, fuer welche die noetigen Einrichtungen vorhanden sind. Dem fast zu luxurioes gespendeten Raume nach koennten noch einmal soviel untergebracht werden. Man hat hier ein Vorhaus, eine Kirche, einen Speisesaal, Wohnungen der Diakonissen und Korridore von einer Ausdehnung, die fast den Glauben erweckt, als waere die naechste Bestimmung der Anstalt die, eine Art Pensionat, oder Stift oder Kloster zu sein, das sich nebenbei mit Krankenpflege beschaeftigt. Ohne Zweifel ist auch die Anlage des Unternehmens auf eine aehnliche Voraussetzung begruendet. Bethanien soll eine Demonstration der werktaetigen christlichen Liebe sein; die Kranken, mag auch fuer sie noch so vortrefflich gesorgt werden, nehmen gewissermassen die zweite Stelle ein. Die Oberin der Diakonissen ist ein Fraeulein von Rantzau. Unter ihr stehen etwa zwanzig "ordinierte" Diakonissen und eine vielleicht gleiche Anzahl von Schwestern, die erst in der Vorbereitung sind. Einige der ordinierten sind auf Reisen begriffen, um auswaerts aehnliche Anstalten begruenden zu helfen. Die Tracht der groesstenteils jungen und dem gebildeten Stande angehoerigen Damen ist blau, mit einem Haeubchen und einer weissen, ueber die Schulter gehenden Schuerze. Wie gruendliche Vorkenntnisse hier vorausgesetzt werden, ersah ich in der Apotheke, die von zwei Diakonissen allein bedient wird. Auch ein Lehrzimmer findet sich zu theoretischen Anleitungen. Die groben Arbeiten verrichten gemietete Maegde, die im Souterrain an den hoechst entsprechenden praktischen Waschhaus- und Kuechenvorrichtungen beschaeftigt sind. Auch Maenner fehlen nicht. Die Diakonissen sind ueberhaupt mehr bei den weiblichen Kranken beschaeftigt und muessen die schwerere Dienstleistung, die besonders im Heben und Umbetten der Kranken besteht, dem staerkern Geschlechte ueberlassen. Man bekommt auch hierdurch wieder die Vorstellung von einem gewissen Luxus, der im Charakter der ganzen Anstalt zu liegen scheint. Man kann den damit verbundenen Tendenzbeigeschmack nicht gut offen bekaempfen, da unfehlbar ein zwangloses Behagen in der Naehe von Kranken und Sterbenden die ganze Stimmung unsers Herzens fuer sich hat. Die Sauberkeit der Erhaltung, die reine Luft, das Gefuehl von Komfort und Eleganz kommt doch auch den Kranken selbst zugute. Einen Freund der Diakonissenanstalten frug ich: Aus welchem Geiste erklaeren diese Frauen und Maedchen sich bereit, den Leidenden mit ihrer Pflege beizustehen? Er erwiderte: Um der Liebe Gottes willen. Unstreitig bedarf der Mensch, um sich zu seltenen Taten anzuspornen, des Hinblicks auf einen hoehern sittlichen Zweck. Dennoch haett' ich lieber gehoert: Diese Institution waere von der Menschenliebe hervorgerufen. Ich glaube, der Ton wuerde inniger, die Haltung weniger kaltvornehm sein. Ein Zusammenhalt bei gemeinschaftlichem Wirken ist noetig, eine gleiche Stimmung muss alle verbinden. Ob aber dazu eine Kirche, ob Gesang und Gebet beim Essen, ob das Herrnhuter, in "Gnadau" gedruckte Liederbuch, das ich auf dem Piano aufgeschlagen fand, dazu gehoert, moecht' ich bezweifeln. Ein anderes ist der katholische Kultus von Barmherzigen Schwestern, die sich fuer Lebenszeit diesem Berufe hingeben und von der Welt fuer immer getrennt haben; ein anderes diese voruebergehende Wirksamkeit einer Diakonissin, die nach vorhergegangener rechtzeitiger Anzeige ihren Beruf wieder aufgeben und immer noch eine Frau Professorin oder Assessorin werden kann. Fuer einen solchen Beruf reicht Herzensguete, Menschenliebe und eine, durch aeussere Umstaende hervorgerufene Neigung einen so schwierigen Platz anzutreten, vollkommen aus. Und sollte denn wirklich im 19. Jahrhundert die Bildung der Gesellschaft, die Humanitaet der Gesinnung, die Liebe zum Gemeinwohl, die Sorge fuer die gemeinschaftlichen Glieder einer Stadt, eines Staats und einer Nation noch nicht so weit als werktaetiges (Prinzip) durchgedrungen sein, dass man, um hier dreissig Frauen in einem Geiste der Hingebung und Liebe zu verbinden, noetig hat, nach dem Gnadauer Herrnhuter Gesangbuche zu greifen? Man wird ein jedes Krankenhaus mit Ruehrung verlassen. Auch in Bethanien sieht man des Wehmuetigen genug. Ich trat in ein Krankenzimmer von Kindern. Abgezehrte oder aufgedunsene kleine Gestalten lagen in ihren Bettchen und spielten auf einem vor ihnen aufgelegten Brette mit bleiernen Soldaten und hoelzernen Haeuserchen. Ein blasser Knabe, der an der Zehrung litt und vielleicht in einigen Wochen stirbt, reichte freundlich gruessend die Hand. Einen andern hatt' ich gut auf den Sonnenschein, der lachend in die Fenster fiel, auf die Lerchen, die schon draussen wirbelten, auf ein baldiges freies Tummeln im erwachenden Fruehling vertroesten, der Kleine litt am Rueckenmark und wird nie wieder gehen koennen. Ein Krankenhausbesuch ist eine Lehre, die nach "Satanella" und Aladins "Wunderlampe" sehr nuetzlich, sehr heilsam sein kann. Aber Bethanien verlaesst man doch mit dem Gefuehl, dass hier, wie in unserer Zeit ueberhaupt, noch mehr Menschen krank sind, als die da offen eingestehen, des Arztes beduerftig zu sein. Zur Aesthetik des Haesslichen (1873) Himmel! Berlin sei unschoen? hoere ich einen nationalliberalen Enthusiasten ausrufen, wie kann man einen so unzeitgemaessen Begriff aufstellen! Sie machen sich ja Treitschke, Wehrenpfennig und wen nicht alles zu unerbittlichen Feinden! Jetzt, wo in Berlin alles vollendet, gross, selbst die Zukunftsgaerten von Steglitz und Lichterfelde arkadisch sein muessen! Die Opportunitaet, die grosse deutsche Reichs- und deutsche Zentralisations- frage bedingt den Satz: Berlin ist die Stadt der Staedte! Die Stadt auch der Schoenheit! Hoechstens im Sommer, wenn der Staub auch in Leipzig zu arg wird und die Sauergurkenzeit eintritt, dann gehoert ja Graubuenden und die Schweiz auch zu Berlin! Beginnen wir bei alledem und umso zuversichtlicher, als die Pointe unserer pessimistischen Klagen eben auch das Deutsche Reich sein wird. (Paris), nach den Verheerungen der Kommune, habe ich nicht wiedergesehen. Aber das alte Paris steht mir in seinem innern Strassengewuehl, wenn es gerade geregnet hatte oder noch das Strassenpflaster vom Morgentau beschlagen war und Menschen und fabelhaft geformte Gefaehrte aller Art sich zum Markte draengten, vollkommen als die alte Lutetia, die Kotstadt, in der Erinnerung. Keineswegs aber findet dies statt von dem Bilde in Paris in der maechtig ausgedehnten Peripherie des innern Kerns! Da ist es auf Plaetzen, Bruecken, Verbindungswegen, Toren, Triumphboegen, selbst Magazinen und Warenschuppen wie auf Beduerfnis nur nach dem Schoenen angelegt und konsequent durchgefuehrt! Berlin dagegen (ich spreche gar nicht von der Schoenheit Wiens) war die Zentra1stadt eines kleinen Staates, der sich schon ein Jahrhundert lang sehr fuehlte. Er konnte zwar nicht wie Frankreich Millionen, den Schweiss der Untertanen, auf seine Hauptstadt verwenden. Aber Herrscherlaune hat auch an Berlin gearbeitet, geflickt, herumgeputzt, hat Waelder abgehauen und kommandiert: Hier wird jetzt ein neues Stadtviertel angelegt! Alle Mittel schienen dafuer gerecht. Ja das Prinz Albrechtsche Palais in der Wilhelmstrasse entstand geradezu aus einem--verweigerten Heiratskonsense des Despoten, den man gewoehnlich Friedrich den Grossen nennt. Kolonisten mussten nach dem Lineal bauen. Man sieht denn auch noch jetzt, teilweise einstoeckig, diese Huetten neben den neuerdings errichteten Prachtzinshaeusern auf der Friedrichstadt. Kurzum, es haben seit dem Grossen Kurfuersten immer in Berlin leitende Ideen gewartet, um Berlin zu einem, dem Ehrgeiz der Hohenzollern wuerdigen Schemel an ihrem Throne zu machen. Schlueter, Eosander von Goethe, Knobelsdorff mussten sich an Holland, Versailles und Rom Muster nehmen. Potsdam schadete dann spaeter Berlin. Friedrich der Grosse, Egoist wie er war, baute lieber Palaeste fuer sich ganz allein. Die Kirchen, die er auf dem Gensdarmenmarkt erbaute, waren gleichsam nur "ungern gegeben", halb Marzipan, halb Kommissbrot. Friedrich Wilhelm III. hatte Schinkels Begeisterung neben sich. Der Monarch war in Paris und hatte sich in Petersburg verliebt, in Petersburg, wo man auf die kuppelreichen Kirchen und langen prachtvollen Strassenprospekte stolz sein durfte. Seinen Sohn wuerde die Geschichte am besten Friedrich Wilhelm IV., den Kirchenerbauer nennen. Der gekroente Romantiker hat um seine zahlreichen neuen Berliner Kirchen herum sogar trauliche Stellen geschaffen, die uns an San Ambrogio in Mailand, an eine entlegene Votivkirche Roms erinnern koennten. Seitdem stockt die Verschoenerung Berlins. Die konstitutionellen Regenten tun nicht mehr, als was ihre naechste Schuldigkeit ist. Was sich neuerdings an Verschoenerung Berlins geregt hat, wird ueberholt durch die riesenmaessig gesteigerte Privat-Bauwut, deren Konsequenz denn auch der haesslichste Abbruch, Schutt, ein trauriger Anblick wie Strassburg nach der Belagerung geworden ist. Grossartigkeit und in ihrer Art auch--Schoenheit liegt in der Avenue vom Brandenburger Tor bis zum Schloss; aber man koennte noch hundert Jahre so fortbauen wie jetzt und braechte doch nicht den Eindruck permanenter Unschoenheit von Berlin fort, wenn nicht das Auge im grossen und ganzen, in der Naehe und in der Perspektive, durch einen groesseren diktatorisch befohlenen Schoenheitskultus befriedigt wird. Freilich liegt hier der Schaden. Berlin ist eine demokratische Stadt! Nirgends macht sich das kleine Gewerbe so ausgedehnt geltend, wie hier! Eine Strasse, wo nur allein elegante Welt sichtbar wuerde, gibt es in ganz Berlin nicht! Ueberall stemmt sich der vom Bau kommende Arbeiter, der Marktkorb der Koechin, das Produkt des Handwerkers oder die Buerde des Lasttraegers zwischen die Eleganz hindurch. Das nur aus wenigen Fuss Breite bestehende Granit-Trottoir, das vor jedem Hause gelegt ist, laesst einen am anderen dicht vorueberstreifen. Der Gebildete kommt nirgends souveraen auf, selbst auf dem Asphalt-Trottoir der Linden nicht. Schon freiwillig weicht er den Volksgestalten, die sich hier so frei bewegen, wie die Helden der Boerse oder des Kriegsheeres, aus, nur um eine Szene zu vermeiden. Fast jedes neue Prachtzinshaus hat Kellergeschosse zu Kneipen, zu Lebensmittel- Betriebslokalen, zu Werkstaetten. So ist ganz Berlin durchzogen von einem immerdar werkeltaetigen Eindruck. Vorstadt und innere Stadt, die ueberall geschieden sind, sind in Berlin eine Gesamt-Anschauung in eins. Die Partie vom Brandenburger Tore bis zum Schloss ist ein Prospekt, der, wir wiederholen es, seinesgleichen sucht. Bewundernd wird der Fremde bis zum Dom gelangen und sich von dem Totaleindruck aufs maechtigste gehoben fuehlen. Selbst der Eindruck des Concordienplatzes und seiner Umgebung in Paris moechte dagegen zurueckstehen. Ploetzlich aber am Dome sieht der Wanderer eine kleine Bruecke, die in die innere Stadt fuehrt. Noch eben denkt er an Paris, an die vom Quai des Louvre aus so zierlich geschwungenen Brueckchen, die ueber die Seine fuehren. Welcher Anblick wird ihm aber hier in Berlin zuteil! Eine Holzbruecke, frueher um sechs Pfennige passierbar und jetzt dem Publikum freigegeben und schwerlich auf demnaechstigen Abbruch wartend, steht augenverletzend hinter den Grabstaetten der Koenige, ein Pendant zu den faulenden Fischerkaesten, die in dem trueben Flusse vom Fusse des Schlosses nur allmaehlich weichen zu wollen scheinen, ebenso wie die Torf- und Aepfelkaehne. Besonders unschoen wird Berlin durch die ueber alle Beschreibung grosse Ausdehnung, die man dem Holz-, Kohlen-, Steinhandel bis ins innerste Zentrum der Stadt freigelassen hat. Dieser Handel bedarf der umfassendsten Raeumlichkeiten. Meist besitzen alte Geschaefte solche in Gegenden, die inzwischen durch die Baulust zur fashionablen Stadt gezogen sind. Nun hat man keineswegs die haesslichklaffenden Luecken von Holz-, Kohlen- und Steinhandlungen etwa verdeckt und mit der Strasse in Harmonie gebracht durch hohe gemauerte Einfriedungen, nein, die einfache, verwetterte, schwarze Bohlen-Planke, manchmal geflickt, lueckenhaft, verhaesslicht durchweg die Stadt, wie denn ueberhaupt der offne Kohlenverkauf selbst an Orten sichtbar ist, wo ihn geradezu polizeilicher Befehl entfernen sollte. Er kann, wie z.B. am Schoeneberger Ufer, eine ganze elegante Strasse entstellen. Endlich ist der ordinaere Bretterzaun doch auch von dem koeniglichen Lustschlosse in Bellevue gewichen! "Aber das Reich! Das Reich!" Ruhe, lieber Streber! An eine partie honteuse Berlins werden wir bei Gelegenheit des Suchens nach Reichstagspalaststaetten erinnert. Man hat daran gedacht, Raczynski oder Kroll zu rasieren und ging dabei wahrscheinlich von der Absicht aus, den Stadtteil, wo die Roon- und Bismarckstrassen liegen, mehr in Schwung zu bringen. Oder wollte man, in Erinnerung an 1848, wo so manche staatumwaelzende Proklamation von einem Staendehause herab verlesen wurde, das deutsche Kapitol aus strategischen Gruenden isolieren? Die Architekten scheinen durchaus auf eine Akropolis, eine Nachahmung des Bundespalastes von Washington, bedacht zu sein. Aber bitte, bewahrt doch die Menschheit vor diesen grossen Plaetzen, wo man in der Sonne keuchen muss, bis man endlich die Stufen eines solchen Tempels erreicht hat! Und die Entfernung von dem grossen Meilenzeiger am Doenhofsplatz, um welchen herum doch die meisten Reichsboten wohnen, ist sie keiner Erwaegung wert? Schreckte nicht die Erinnerung an die Grausamkeit Koenig Ludwigs I. von Bayern, der die neue Muenchener Universitaet an die aeusserste Grenze der Stadt baute und die Studenten zwang, taeglich drei-, viermal den anstrengendsten Weg durch seine endlose, in der Hitze unertraegliche Ludwigstrasse zu machen? Nun gut, Kroll scheint gerettet. Aber wenn fuer einen anderen Plan, den etwa mit der Koeniggraetzer Strasse, Gaerten zerstoert werden muessen, alte ehrwuerdige Linden abgesaegt oder im Deckerschen Garten Baeume, die zu den Wundern Nordeutschlands gehoeren, wenn Millionen fuer Grund und Boden gezahlt werden sollen, so lasse man doch die Gaerten dem Privatbesitz oder der Oeffentlichkeit und im letzteren Falle zum Schmuck der Stadt. Setzt Statuen auf diese freigelegten Gaerten! Mehr als jetzt Berlin aufweist! Man kann auch Fontaenen dazu springen lassen, Ruhebaenke anlegen, goldbronzierte Kandelaber aufstellen. Die Gold-Bronzierung des Gusseisens bei Laternen und Gittern, die in Paris an fast allen oeffentlichen Gebaeuden angebracht ist, macht besonders den Effekt eines Strebens nach Eleganz, das dann auch die Umgebung nach sich zieht. Eine partie honteuse Berlins ist jene Gegend vom frueheren "Katzenstiege", jetziger Georgenstrasse, rechts von der Friedrichstrasse bis zum Gegenueber des Monbijou. In unmittelbarer Naehe eines der schoensten Prospekte der Welt findet sich der Fremde, der mit Staunen von der Koenigswache oder vom Friedrichsdenkmal die Akademie entlang ein wenig weiter wandert, ploetzlich an der Georgen- und Universitaetsstrassenecke wie unter die Bedienten-, Kuechen- und Remisengebaeude einer fuerstlichen Hofhaltung versetzt. Ein ganzer Stadtteil, die naechste Nachbarschaft des Kaisers, sein vis a vis sogar, gleicht einem--"Wo die letzten Haeuser stehen". In der Tat hiess auch frueher die vorherliegende, jetzt noch leidlich gefaellige Dorotheenstrasse die "Letzte Strasse". Wahrlich, hier faengt die Vorstadt schon an! Links das ehemalige Gropius-Diorama, ein Holzbau, zum Gewerbe-Museum erhoben, dann Trockenplaetze, Milltaermontierung-Aufbewah- rungen, Kavalleriestaelle und das ungeheure schiefwinklige Gebaeude der Artilleriekaserne, das an den Waenden vor undenklich fehlendem Kalkbewurf grauenhaft anzusehen, durch und durch verfallen und zum Abbruch mahnend ist. Es ist ein Terrain, dessen jetzige Bewohnung auf die grossen Flaechen vor den Toren verwiesen werden muss, die schon Kasernen genug aufgenommen haben. Gefaellig liesse sich hier der Quai regulieren, die hoelzerne Ebertsbruecke in eine steinerne oder hochgespannte eiserne verwandeln, das gewaltige Terrain durch ein Reichstagsgebaeude in Einklang bringen mit der Boerse, dem Museum, dem Schloss, der Universitaet und dem gruenen Baumkranze, der drueben jenseits der Spree vom Schloss Monbijou herueber winkt. Wer jetzt diese Gegend durchwandert, muss sich sagen, dass hier alles den Charakter entweder des nur momentan Aushelfenden oder des Ueberlebten traegt. Alles ist arm, unschoen, unkaiserlich. An einigen Punkten Neuberlins, wo dasselbe gleichsam aus einem Gusse entstanden ist, finden sich, man darf der Wahrheit nichts vergeben, Eindruecke von einem so erhebenden Reize, als befaende man sich in Genf im neuen Viertel des Bergues oder in Lyon. Leider sind es Gegenden der Stadt, die vom Residenztreiben, sogar von den sonst ueberall unvermeidlichen "Theatern" zu sehr entlegen sind. Das Luisenufer mit dem Prospekt auf das Engelbecken, auf die neue katholische Kirche, Bethanien, im Hintergrunde die neue Thomaskirche--man wuenschte, dieser Charakter waere allgemein festgehalten und fuer das Ganze massgebend. Hier bildet der Kanal den Mittelpunkt eines wahrhaft schoenen Gemaeldes. Auch an anderen Stellen koennte es die volle Spree, wenn ein dekorativer Sinn--des Monarchen? Des Magistrats? Der Privaten?--den schon gebotenen Anfaengen zu Hilfe kaeme. So ist, z.B. wenn man von der Wal1strasse kommt und die Waisenhausbruecke betritt, der hier gebotene Rundblick vollkommen von jener Grossartigkeit, die in Wasserstaedten wie Hamburg, in den Seestaedten Hollands so maechtig ergreift. Aber leider fehlen alle Nebenbedingungen. Es fehlen Quais, Regulierungen der durch Haeuserabbruch offengelegten Hinterfronten einiger Strassen, die mit einer jahrhundertalten Kruste von Schmutz und Ungeniertheit bedeckt sind, es fehlen ausdrueckliche Gebote an die im Wasser arbeitenden Gewerbe, die Unterlage ihres Tuns und Treibens dem Auge etwas gefaelliger zu machen. Selbst der Blick vom durchbrochenen Kolonnadengang des Muehlendamms ueber die Spree hinweg links zur Stadtvoigtei koennte trotz des mehr als wuesten Gegenuebers fuer die vollere Wirkung einer belebten, echten Hafenstrasse gewonnen werden. Fuer solche und aehnliche Ideen schwaermten in alter Zeit die Kronprinzen! Jetzt, wo der Fiskus fuer ein Reichstags-Gebaeude im Tiergarten auf Grund und Boden mehr gefordert hat, als selbst die Gruender Unter den Linden gefordert haben wuerden, muss man sich schon begnuegen, wenn nur die staedtische Baukommission Kuenstler zu Referenten hat, die fuer Berlins Zunahme und Wachstum einen gewissen schoepferischen Plan im grossen und ganzen verfolgen, ohne dabei die Einzelheiten zu vergessen. Es handelt sich nicht darum, allmaehlich die Netze und Linien eines neuen Anbauungsentwurfes auszufuellen, nicht um die Frontenpracht der Neubauten, es handelt sich um die Wegschaffung und Milderung der entstehenden Luecken, um ein richtiges Erhalten und ein richtiges Zerstoeren. Freilich ist die Macht des Besitzes so gross, dass selbst eine in solchem Grade die Strasse entstellende Novantike wie der sogenannte "Eisbock" noch immer nicht den Mahnungen der Polizei und Stadtbehoerde gewichen ist! Das ist die Muehle von Sanssouci! Das soll nun gross sein! Begierig bin ich, was aus der grossen neuen Siegesallee im Tiergarten werden wird; noch steht dem Siegesdenkmal als Gegenpol an der Viktoriastrasse eine Litfasssaeule gegenueber. Auf das Haessliche in den Staffierungen der Strasse durch ihr gewohntes Leben, die Wagen, die Droschken, die Bierflaschentransporte, das Haessliche in Gewohnheiten und Manieren, im Sprechen, in der Geltendmachung seiner Ueberzeugungen selbst beim schoenen Geschlecht usw. einzugehen, ist sehr misslich. Habe ich doch ohnehin schon den Zorn zu fuerchten unserer alles im rosenroten Lichte sehenden Optimisten. * * * * * II. Fuer und Wider Preussens Politik Ueber die historischen Bedingungen einer preussischen Verfassung (1832) Waere Repraesentation das alleinige Element des Liberalismus, so koennte Preussen in einer fruehern oder spaetern Zukunft noch der Stimmfuehrer desselben werden. Aber es ist nicht so. Wir kaempfen nicht um Formen, sondern um den Geist, der sie beleben soll. Wir duerfen nur die Initiative der liberalen Ideen stellen und da, wo sie ins Leben eingefuehrt werden sollen, wachen, dass sich ihre urspruengliche Reinheit erhalte; dass sich nicht Eigennutz, sondern nur das wohlverstandene Interesse in sie mische, nicht die Willkuer sich zu ihrem Ausleger aufwerfe, sondern dass das Gesetz es sei, das entscheidet. Oder koennen wir uns mit dem Schwerte bewaffnen und Konzessionen ertrotzen? Die Geschichte weiss nur von Schwertern in der Hand des Eroberers oder des Richters. Die Voelker demonstrieren nur mit dem Worte und wenn sie das Schwert ergreifen, so strafen sie. Sie ertrotzen kein Gesetz, sondern strafen nur das uebertretene. Werden die Forderungen des Liberalismus dann befriedigt sein, wenn Preussen eine laengst versprochene Verfassung erhaelt? Nein, dann beginnen sie erst. Jetzt stehen wir noch ruhig versammelt um die langgestreckten Grenzen dieses Landes und sehen zu, wie der blankgeruestete Krieger seiner Ruhe pflegt, bald rechts, bald links sich wirft, ohne aufzustehen. Den ersten Ton, den wir in seinen Schild hineinriefen, hat das Echo noch nicht zurueckgetragen. Fuerchtend oder hoffend warten wir die Antwort ab, die der preussische Staat auf die Frage des Zeitgeistes geben muss. Weil noch nichts entschieden ist, so finden wir ueberall Gesinnungen gegen Preussen, keine Meinungen. Man verehrt es oder hasst es, fuehlt Sympathie oder Antipathie, aber die Gruende fuer das eine gegen das andre kann man nicht angeben. Wer fuer seinen Glauben an diesen Staat einen Beweis fuehren wollte, blieb noch immer in der Mitte stecken: Denn wo er alle seine Gruende gesichert glaubte, da waren sie ihm alle entflohen. Man steht vor dem preussischen Namen entweder mit gefalteten Haenden oder mit dem Ausdrucke eines moralischen Unbehagens, aber niemand spricht, jeder Mund ist geschlossen. Erst der Geist, der sich in der preussischen Verfassung offenbaren wird, kann den Widerspruch wecken, und wenn nicht alle Zeichen truegen, so wird dieser Widerspruch der lebhafteste werden, da er im Interesse der innersten Prinzipien des Liberalismus geltend gemacht werden muss. Die nachfolgenden Bemerkungen sollen diese Besorgnis rechtfertigen. Welches Beduerfnis hat den Wunsch nach Verfassungen veranlasst? Unstreitig das Beduerfnis eines gesicherten Rechtszustandes. Welches Recht ist unsrer Zeit angemessen? Die Tradition? Das alte Herkommen? Uebereinkuenfte ueber das, was man sich gegenseitig leisten und so fuer Recht ansehen wolle? Oder ein Recht, das auch das Ziel der alten Handvesten und Vertraege gewesen sein mag, das sich aber in der Feuerprobe der Zeit bewaehrt hat und auf die ewigen Gesetze der Vernunft begruendet ist? Die Voelker haben diese Frage laengst entschieden, ihre Fuersten sind noch andrer Meinung: Entweder wollen sie das, was rechtens ist, nach den Befehlen ihres Kabinetts feststellen, oder sie erklaeren sich bereitwillig zur Umgestaltung der alten Regierungsform (es gibt eine revolutionierende Reaktion), holen aber die neue nicht aus dem freien Raume der grossartigen Geschichte unsrer Zeit, sondern aus dem Staube der Archive, aus verwitterten Pergamentblaettern, aus den Heften moderner Doktrinaere. Machen wir die Anwendung auf Preussen. Wenn wir das gegenwaertig dort herrschende Regime despotisch nennen, so ist es uns natuerlich nur um einen Namen zu tun. Wir meinen jenen humanen Despotismus, der sich von Friedrichs II. Regierungsverfahren herschreibt. Die Menschen bilden sich ein, jeder ihrer Schritte sei ein Beispiel von Billigkeit und Gerechtigkeit, wenn sie andern das zukommen lassen, was sie ihnen zu beduerfen scheinen. Aber wir beduerfen immer mehr, als wir zu beduerfen scheinen. Und umgekehrt, soll man uns Recht widerfahren lassen, wenn wir nicht eingestehen, dass uns Unrecht geschehen sei? Wer darf uns heilen wollen, wenn wir behaupten, gesund zu sein? Das ist das Grunduebel der sogenannten humanen, weisen Regierungen, dass sie vor unaufhoerlichem Wohltun das rechte Beduerfnis gar nicht aufkommen lassen. Sie wissen schon alles im voraus, haben mit ihren guten Handlungen alle Haende voll zu tun und sind so eilig, dass sie nur dazu Atem finden, um sich zu loben. Daher das Vielregieren, die Beamtenherrschaft, die desto unertraeglicher ist, je gefaelliger sie sein will. Diese vaeterliche, ja muetterliche Sorgfalt ist bekanntlich die Art der preussischen Regierung. Da piepsen die Kleinen unter den Fluegeln der aengstlich wachenden Henne so zaertlich und sind so voll Ruehrung und Dankbarkeit fuer all das Gute, was ihnen ohne Verdienst und Wuerdigkeit erwiesen wird, dass man hier ordentlich von politischen Traenen sprechen kann. Aber dies Vertrauen soll gestoert werden. Der Koenig hat selbst den Grundsatz anerkannt, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei und die Zusammensetzung von "allgemeinen Reichsstaenden" in einem hoechsten Dekrete versprochen. Dass ein solches Versprechen dem Lande wird gehalten werden, ist unbezweifelt, nur soll die gegenwaertige Zeit dazu so ungeschickt sein. Man zoegert, man weist die Bitten der Provinzia1staende um endliche Gewaehrung zurueck; man will nicht, dass es den Anschein habe, als gaebe Furcht dem Drohenden, was Liebe dem Hoffenden schenken wird. Von dem dereinstigen Thronfolger ist allgemein die Ansicht verbreitet, er werde dem vaeterlichen Versprechen nicht treu bleiben, sondern sich ihm durch irgendeinen Gewaltstreich entziehen. Welche Annahme! Der Wille seines Vaters wird ihm heilig sein, durch seine Befolgung wird er ihn zu ehren wissen. Noch mehr! Sein erster Regierungsakt duerfte die Verfassung werden, aber damit zugleich ein Fehdehandschuh, dem ganzen zivilisierten Europa hingeworfen. Die Doktrin unterscheidet zwei Ansichten ueber den Staat. Nach einer ist er ein Kunstwerk, nach der andern ein Naturprodukt. Naeher bezeichnet sich dieser Gegensatz als politischer Mechanismus und Organismus. Es ist eine durchaus falsche Konsequenz, wenn man jenen zu einem notwendigen Eigentum des Liberalismus, diesen zu dem der entgegengesetzten Ansicht machen will. Die europaeischen Staaten bieten Beispiele fuer die eine Ansicht so gut, wie fuer die andere. England, Frankreich, Spanien, selbst Russland haben sich auf dem naturgemaessesten Wege entwickelt. Ihre politischen Institutionen sind nicht nur auf den Geist ihres Volkes berechnet, sondern auch durch diesen hervorgerufen. Deutschland bietet groesstenteils das Gegenteil dar. Hier, wo man sich so sehr gewoehnt hat, immer auf die Eigentuemlichkeit der Bewohner zu zeigen, wo man gern von Geistern der Vergangenheit spricht, die in die Gegenwart hineinragen, und noch immer nicht muede wird, Analogien zwischen sonst und jetzt aus unserm Gemuete, unsrer Geschichte zu suchen, hier ist gerade im Politischen ein toter Mechanismus aufgekommen. Wir haben ein Wuerttemberg ohne Wuerttemberger, ein Baden ohne Badener, ein Weimar ohne Weimarer, ein Hannover ohne Hannoveraner aus dem einfachen Grunde, weil wir umgekehrt wohl Deutsche, aber kein Deutschland haben. Preussen ist am meisten von der Geschichte ironisiert worden: Es repraesentiert den Zufall, das, was ist und auch nicht ist. Hegel kann den Anfang seines Systems statt in das abstrakte Sein auch in Preussen setzen, das Ende hat er auch wirklich darein gesetzt. Ja, diese Ironie wird durch die preussischen Doktrinaere in lebendiger Anschauung erhalten. Sie reden nach Preussen von keinem Staate lieber als von England, aus demselben Grunde, warum sie Nordamerika am meisten hassen. Dort sehen sie die Menschen gleichsam wie Naturerzeugnisse sich gestalten. (In der Tat haben die Sachsen die Sage, sie waeren auf den Baeumen gewachsen.) Dort entwickelt sich ein Keim aus dem andern: Da ist nichts Fremdartiges, nichts Neues in den alten Gang hineingetragen: Selbst die Reformation hat da englisiert werden muessen. Wer bewundert nicht diesen Vorzug der englischen Geschichte? Wer hat es nicht beklagt, dass Deutschland, das Mutterland, nicht diesen selben Weg der Entwicklung einschlagen konnte? Und doch--in Preussen ist jetzt Aehnliches entdeckt. Die Doktrinaere klagen hier Friedrich II. an, dass er in die Regierung seines Landes ein System gebracht habe, das die Verwandtschaft mit der einseitigen Aufklaerung seiner Zeit nicht verleugnen koenne; dass er den Adel des Verdienstes hoeher stellte, als den der Geburt; dass er ein Gesetzbuch gegruendet habe, was mit den Lehren eines Haller und Bonald in zu grellem Widerspruche liege. Preussen sei berufen, die historischen Interessen zu vertreten. Es gaebe keinen Fortschritt, als einen durch fruehere Zustaende bedingten. Nicht in dem Willen der leicht erregten Masse, noch weniger in den Deklamationen der heutigen Wortfuehrer und Tageshelden liege das Gesetz der Vernunft, sondern wir seien die Leibeigenen der Vernunft, seien ihr untertan. Weil sich nun diese Vernunft in dem offenbart, was die Geschichte bringt, so muessten wir uns auch andaechtig vor der Macht des Positiven beugen. Das sind die Zauberformeln, mit denen man in Preussen die Jugend alt macht und das Alte ("Alles Hohe und Edle der Vergangenheit!" ein bekannter auf Marienburg ausgebrachter Toast) wieder verjuengt. Auf solche sogenannte historische Bedingungen wird die Verfassung des Landes begruendet sein. Der Grundcharakter des germanischen Staatslebens ist die Repraesentation. Bei unsern Vorfahren wurde keine Gewalt anerkannt, die nicht ein foermlicher Vertrag als Recht festgestellt hatte. Was der eine dem andern zu leisten schuldete, war die Folge einer gegenseitigen Uebereinkunft. Die Zeit der Reformation machte diesem Verhaeltnisse ein Ende. Die Einfuehrung des roemischen Rechts, die mit dem erwachenden wissenschaftlichen Streben zusammenhing, zerstoerte im Volke sein urspruengliches Rechtsbewusstsein. Das Recht wurde Sache der Gelehrsamkeit, und diese konnte nur unter dem Schutze vermoegender Fuersten gedeihen. Die religioese Anregung band die Gemueter nur noch insofern an die Ereignisse im weltlichen Gebiete, als sie jener foerderlich oder hinderlich waren. Fuersten und Buerger hatten dasselbe Interesse, sich gegen die Anmassungen des Adels sicher zu stellen. Daraus bildete sich endlich der Begriff der fuerstlichen Souveraenitaet. Aus fuerstlichen Bedienten wurden Beamte des Staats. An die Stelle der Landtage traten Verwaltungen. Aus Rezessen und Abschieden wurden Kabinettsbefehle. Gegen diese moderne Ausbildung der Souveraenitaet reagiert unsre Zeit in zwiefacher Weise, als Revolution und Restauration. Beide kehren sich gegen das Bestehende, beide berufen sich auf die Geschichte, beide auf die Lehre. Aber die eine spricht von einer Vertretung der Intelligenz, die andere von der der Interessen. Jene hat eine Macht gewonnen, die oeffentliche Meinung; diese wird in Preussens naechster Zukunft mit Entschiedenheit auftreten; auch sie hat eine Macht, die Gewalt. Haben wir aber Grund, zu fuerchten? Ist es nicht der alte Kampf der Demokratie und Aristokratie? Es wird erlaubt sein, sich die Wege anzusehen, die die Verfasser der preussischen Konstitution einschlagen moegen. Die gegenwaertigen Provinzia1staende muessen die Grundlage derselben bilden. Man ruehmt die Liberalitaet dieses Instituts und preist die Gleichstellung der drei Staende, des Adel-, Buerger- und Bauern-, d.h. freien Grundbesitzerstandes. Woher aber das entschiedene Uebergewicht der Aristokratie in den Versammlungen? Welche Forderungen hat sie an die Regierungen gerichtet! Verjaehrte Rechte nimmt sie in Anspruch, Domstifte und deren Pfruenden, unverhaeltnismaessigen Erlass der Steuern u. dgl. Spricht man in diesem Sinne von einer Beachtung historischer Bedingungen bei den kuenftigen Reichsstaenden, so kann man nur wuenschen, diese nie ins Leben treten zu sehen. Der Bauernstand ist ungebildet und gibt daher seine Rechte den adeligen Grundbesitzern. Auch die Staedter koennen an Bildung z.B. mit den Buergern sueddeutscher Staedte nicht wetteifern und die sie zum Landtage schicken, sind meist staedtische Beamte, von der Regierung bestaetigt, also mittelbar Regierungsbeamte. Wollten sie auch eine Opposition bilden, so sind sie gegen den Adel in der Minoritaet und der Regierung gegenueber zu schwach, wie die Landstaende am Rhein und in Westfalen bewiesen haben. Die mittelalterlichen Staende haben ihre Freiheiten und Privilegien vertreten. Solche besitzen die preussischen nicht oder sollen sie ihnen noch erteilt werden? Sollen die Zuenfte wieder eingefuehrt werden? Wollen die preussischen Koenige wieder Schutzbriefe ausstellen und Urkunden auf ewige Zeiten? Auch ihre Beutel haben die alten Staende vertreten. Aber unsere Zeit verlangt eine Vertretung des Nationalvermoegens, nicht des zufaelligen Gutes, das der einzelne Stand besitzt. Eine Wiederherstellung jenes alten Zustandes waere ein vol1staendiger Umsturz des herrschenden Finanzsystems, das ohne eignes Verderben nicht aufgeopfert werden kann. Es ist wahr, dass die Fuersten in den Besitz der meisten Steuern nur durch ein Unrecht gekommen sind. Denn wenn ihnen die Staende bei dringenden Gelegenheiten statt Geld die Erlaubnis gaben, auf fuenf oder zehn Jahre Schlacht- oder Mahl- oder Tranksteuer zu erheben, so war diese Erlaubnis immer nur momentan, und erst der spaeter ausgebildete Begriff der Souveraenitaet nahm nach goettlichem Rechte von dem ewigen Besitz, was ihm menschliches nur auf eine bestimmte Zeit zugesagt hatte. Aber jetzt ist den Staenden mit der Zurueckgabe ihres alten Rechts sehr wenig mehr gedient, weil sie wohl wissen, dass jene verhassten Abgaben ihnen weniger bereitwillig wuerden gegeben werden, als der Regierung. Ehemals zahlten auch die Ritter nichts. Soll nun jetzt ein moderner Raubadel, der ohne offnen Angriff auf eine feine Weise pluendert, wieder organisiert werden? Soll die Litanei des armen Landvolkes wieder sein, der liebe Herrgott moege es behueten vor den Koeckeritz und Luederitz und vor den Kracht und Itzenplitz? Auch die Praelaten fanden sich auf den Landtagen ein, aber nur um Geld zu verzehren, keines zu geben. Die Geistlichkeit ist jetzt kein Stand mehr, obschon man in Preussen Bischoefe und Erzbischoefe nach englischem Muster angeordnet findet. Die Geistlichkeit vertrat frueher die Rechte ihrer Praebenden, solche hat sie aber nicht mehr: Sie vertrat das Interesse der Kirche, und wenn irgendwo durch die Bemuehungen der Regierung die Meinung, dass die Kirche in dem Staat aufgehe, verbreitet ist, so ist es in Preussen. Die Bauern wurden gar nicht vertreten, jetzt sind sie es aber als freie Grundbesitzer. Soll ihnen ihr Recht wieder genommen werden? Sollen Ritter, Staedte und Geistliche die heilige Dreizahl bilden? Die preussischen Bauernaufstaende gegen den Adel und Herzog Albrecht werden die Gesetzgeber vorsichtiger machen. Ueberall mag man nach historischen Anfaengen einer den gegenwaertigen Zeitforderungen nur einigermassen genuegenden Repraesentation forschen, im Preussischen finden sich solche am wenigsten. Die brandenburgischen Markgrafen und pommerschen Herzoege sind eigentlich nur zu den Staedten ihrer Territorien in staendischen Beziehungen gewesen und zwar in einer Art, die jetzt nicht mehr denkbar ist. Sie waren die aermsten Fuersten und die schwaechsten zugleich. Nackt und bloss, mussten die Staedte sie bekleiden, hungernd, von ihnen gesaettigt werden. Die maerkischen Staedte waren Republiken mit vol1staendigem Gemeinwesen. Da sie ihren Ursprung auf Kolonisation zurueckfuehrten, sich selbst konstituierten und Gesetze gaben, so waren es nicht einmal Privilegien, die ihnen die Fuersten garantierten, sondern was sie ihnen gaben war Dank und Entschaedigung fuer den Schutz, den ihnen die Markgrafen, urspruenglich eine militaerische Behoerde, angedeihen liessen. Noch anders war die Lage Preussens. Ein fast ganz unabhaengiger Staedtebund, bluehend durch Handel und Gewerbe, stand hier dem deutschen Ordenskapitel zur Seite, noch oefter gegenueber. Hier machte der Landadel mit den maechtigen Staedten Danzig, Thorn, Elbing, Kulm, Koenigsberg gemeinschaftliche Sache, und die deutschen Ritter, die als Herren des Landes gelten wollten, verloren ihr Ansehen und ihre Macht immer mehr und zuletzt auch gegen Polen ihre und des Landes Selbstaendigkeit. Alle diese Verhaeltnisse hat die Zeit anders gestaltet. Sie wieder herzustellen, ist unmoeglich. Jede Annaeherung an sie ist eine Halbheit, weil ein Zustand damals den andern bedingte. Endlich fehlen auch in den neu erworbenen Teilen der preussischen Monarchie in Sitte und Leben ueberall die Anklaenge der Vergangenheit. Die Rheinprovinzen und Westfalen sind nicht nur in neuerer Zeit einem ewigen Wechsel von gesellschaftlichen und rechtlichen Formen unterworfen gewesen, sondern selbst in jener Zeit, die man neu beleben will, waren gerade diese Gegenden ein Schauplatz der unsaeglichsten Verwirrungen, in denen sich nichts Altes rein und urspruenglich erhalten konnte. Man denke an die Stuerme, die jene Gegenden am Niederrhein, die Laender Juelich, Cleve, Berg erschuettert haben! Neben den politischen Umwaelzungen, die sich hier ohne Aufhoeren folgten, haben auch die kirchlichen und reformatorischen Zwistig- keiten diese Laender so zerrissen, dass an eine Wiedergeburt hier nur durch Animpfung einer neuen Bildung zu denken ist. Vielleicht sind aber die historischen Bedingungen in einem andern Sinne verstanden worden. Man wird keine Landschaft errichten, sondern wiederum nach englischem Vorbilde ein Parlament mit zwei Kammern und dazu eine dreifache Initiative. Die zweite Kammer wuerde dann die materiellen, vielleicht auch intelligenten Kraefte vertreten, die erste aber das Ewige, das Unveraenderliche, das Unvergessliche oder was weiss ich. Man denkt an eine preussische Pairie mit dem Rechte der Erblichkeit. Ich erschrecke vor den Maennern, die in ihr sitzen werden, vor den Urteilen, die sie faellen wird. Welche Theorien werden hier zum Vorscheine kommen! Waehrend in der zweiten Kammer die Aristokratie des Geldes herrscht, prangt in der ersten die Aristokratie der Geburt im Vereine mit der der Doktrin. Wenn dann einmal, etwa bei einer Verhandlung ueber die Erblichkeit, Friedrich der Grosse in die Sitzung traete und anhoerte, wie z.B. die neuliche Erklaerung der "Staatszeitung", nicht jedem sei es gegeben, die Majestaet des Koenigtums zu begreifen, interpretiert wird, koennte er noch glauben, in der Hauptstadt eines von ihm gegruendeten Staates zu sein? Wir gehoeren nicht zu jenen Toren, die die ehrwuerdigen Truemmer frueherer Zeiten zum Gegenstand ihres salzlosen Spottes machen. Wir bewundern die Vergangenheit, aber wir lassen sie in ihren Graebern, da auch unsre Zeit einen so schoenen Fruehling von neuen Ideen und Hoffnungen keimen laesst. O wir fuerchten den Kampf mit jenen vornehmen Meinungen nicht, die sich in Preussen so gern mit Purpurmantel, Krone und Szepter bekleiden! Unsre Zeit zittert vor keinem Gedanken mehr. Schon viele Raetsel hat sie geloest und auch jene nordischen Mysterien werden ihr nicht verborgen bleiben. Das ist aber das Herrliche dieser Zeit, dass, wer die Ansicht widerlegt, auch die Macht ueberwunden hat, die sie verteidigen wollte. Wenn ein Oedipus kommt, stuerzt sich die Sphinx in den Abgrund. Drei preussische Koenige (1840) Indem ich an diese auch in der Form anspruchslosen kleinen Umrisse die letzte Hand lege, kommt die Trauerkunde vom Tode Friedrich Wilhelms III. Diese Botschaft musste mich, da ich in Berlin den Volksglauben, der Koenig muesse in diesem Jahre sterben, allgemein verbreitet fand, doppelt erschuettern. Die haeusliche Zurueckgezogenheit, in der der Verstorbene lebte, hatte es unmoeglich gemacht, seit Jahren ueber seinen Gesundheitszustand etwas Gewisses zu erfahren: Zeigte er sich oeffentlich, so erschrak man zwar ueber die in letzter Zeit ausserordentlich gealterten Zuege, aber die Haltung des Koenigs war von jeher so grad und ritterlich gewesen, dass ihn diese auch in der letzten Zeit nicht verliess, und man an eine noch ausgedehntere Lebensdauer glauben durfte. Umso betroffener musste man ueber den Volksglauben sein. Man machte geltend, dass in jedem Jahrhundert das vierzigste Jahr den Preussen einen Thronwechsel oder irgend ein wichtiges Ereignis bringe, man sprach von den naechtlichen Umgaengen der weissen Ahnfrau des Hohenzollerschen Hauses. Noch oft erschien der Koenig hinter dem roten Vorhange seiner Proszeniumloge im Theater. Nur die aengstliche Einfuehrung Schoenleins in die innern Gemaecher des ab und zu als kraenkelnd Gemeldeten verriet ein tiefer gewurzeltes Leiden, dem der Monarch denn am ersten Pfingsttage wirklich erlegen ist. Laesst sich eine ergreifendere Situation denken, als ein sterbender Koenig und ein neuer, der ihm folgt, in dem Augenblick, als der Donner des Geschuetzes die Grundsteinlegung zu einem Denkmal Friedrichs des Grossen verkuendete? Wie draengen sich hier in eine kurze Spanne Raum und Zeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen! Wuensche und Hoffnungen muessen lebendig werden, Besorgnisse sterben, andre koennen erwachen, Gedanken aus den entgegengesetztesten Richtungen muessen sich durchkreuzen. Wer hat den Schluessel, um zu erraten, was der jetzt Tote dachte, das Volk glaubte, der neue Herrscher ahnte? Wie kommt es, dass gerade die Erinnerung an den Begruender der preussischen Monarchie in ihrer Stellung zu Europa die letzte oeffentliche Tatsache im Leben Friedrich Wilhelms III. sein musste? Ist dies eine Suehne der Vergangenheit oder ein Fingerzeig fuer die Zukunft? Den Ratschluss des Weltgeistes umhuellen noch tiefe Nebel und erst die Geschichtsschreibung ferner Zeiten wird die Sonne sein, die sie erhellt. Bei den Aegyptern sprach man ueber die toten Koenige Gericht. Man wird in oeffentlichen langen Reden und in kurzen Inschriften viel Unwahres ueber Friedrich Wilhelm III. sagen, man wird seinem Geiste das zuschreiben, dessen sein Herz, man wird dem Herzen zuschreiben, dessen sein Verstand sich ruehmen durfte. Man wird in dem seine Demut finden, was vielleicht sein Stolz war, und wird ihn vielleicht fuer das loben, wofuer er sich selbst getadelt hat. Koenige sind wie die Phaenomene der Luft. Sie werden von Tausenden ihres Volkes fuer dasselbe verwuenscht, wofuer sie andern Tausenden die Heissersehnten sind. Ein Gewitter raubt der Mutter ihr Kind, das der Blitz erschlaegt, und traenkt die duerstende Erde, die nach ihm schmachtete. Mag man nun mit Montaigne glauben, dass "herrschen" le plus aspre et difficile metier ist, oder mit einem italienischen Sprichworte (von Oxenstierna einst ironisch angewandt), dass zum Herrschen gerade das wenigste Hirn gehoert (der Leipziger Professor Adam Rechenberg hat es uebrigens schon 1676 in einem eignen Werke widerlegt), mag man auch von dem, was ueber den Verstorbenen gesagt werden wird, abziehen, was der ruehrende Moment oder persoenliches Interesse ueberfluessig hinzufuegt, so viel wird selbst die Nachwelt nicht umstossen koennen, dass der innige Zusammenhang der Schicksale, die die preussische Monarchie trafen, mit der Person Friedrich Wilhelms III. ein in der Erinnerung nie erloeschendes Licht auf ihn geworfen hat. Eine freudenlose, umflorte Jugend machte ihn schon frueh fuer eine stillere Ergebung in das Unglueck reif. Die Maessigung, die ihn in seinen Leidenschaften und Gefuehlen beherrschte, lehrte ihn auch, das spaetere Glueck ohne Ueberhebung ertragen. Er nahm die Gaben des Geschicks mit einem Gefuehl an, das ihn auf alles gefasst machte, wenn es nur nicht ueberraschend und ohne Voraussicht kam. Heftigere Aufregungen vermeidend beaengstigte ihn jede leidenschaftliche Anmutung und so erhielt auch seine letzte Regierungsperiode jenen Charakter bescheidener Selbstbeschraenkung, den Preussen, ein innerlich so kraftvoller und nach aussen hin nicht ungedeckter Staat wohl aufgeben durfte, ohne fuer seine Erhaltung besorgt zu sein. Friedrich Wilhelm III. war durch sein Temperament vor uebereilten Entschliessungen geschuetzt und diese Tatsache war vielleicht die gluecklichste Erfahrung fuer das Wohl des Staates in einer Zeit, wo der Zeitgeist so viel leidenschaftliche Faktoren in Bewegung setzte und es Staatsmaenner gab, die so gern neue Manifeste des Herzogs von Braunschweig in die Welt gestreut haetten und dem Weltlauf mit kecker Hand in die Zuegel gefallen waeren. Friedrich Wilhelm III. war nicht so gross in dem, was er tat, als in dem, was er vermied. Dass man sich in Preussen, da die Zeit des Zuwartens vielleicht vorueber ist und den Horizont keine Kriegswolken trueben, nach positiven Schoepfungen sehnt und das Feld fuer einen grossartigem Anlauf zur Staatenlenkung nun geoeffnet sieht, beweist die aengstliche Spannung Preussens, Deutschlands, Europas auf den Geist, in welchem Friedrich Wilhelm IV. regieren werde. Der neue Regierungsantritt hat das vor andern Thronwechseln voraus, dass wir hier nicht einen Juengling auftreten sehen, dessen politische Ideen noch von dem Unterricht seiner Lehrer befangen sind, sondern einen gereiften Mann, der jahrelang den Zeitlauf und das Terrain der ihm nun anvertrauten Regierung gruendlich beobachten konnte. Das neue Herrscheramt wird ihm wie ein bekanntes Buch sein, bei dessen Lektuere er sich Stellen unterstrich und hier und dort Merkzeichen einlegte. Und dass es solcher Stellen und Merkzeichen viele geben muesse, beweist der allgemein selbst in Berlin verbreitete Glaube an ein neues, durchdachtes, laengst angelegtes und bald hervortretendes System. Man erschoepft sich in Vermutungen ueber das politische Glaubensbekenntnis des neuen Koenigs. Man nennt ihn aristokratisch; aber verdanken nicht gerade einige talentvolle Buergerliche ihre Berufung zum Ministerium der Empfehlung des ehemaligen Kronprinzen? Verwechselt man nicht die vornehmimponierende und doch gefaellige Haltung des neuen Herrschers mit Sympathien, die durch nichts bewiesen sind? Man nennt ihn einen Freund der Richtungen, in welchen Steffens und aehnliche reaktionaere Geister geschrieben haben. Aber wenn der ehemalige Kronprinz Steffens persoenlich kannte, so wird er bald gefunden haben, dass die naive Lebensunsicherheit dieses geistvollen, aber unpraktischen Mischdenkers am wenigsten zu seinen politischen Phantasmen und Traeumereien Vertrauen einfloessen kann. Wie wuerde auch die grosse Vorliebe, die der ehemalige Kronprinz fuer seinen ruhmgekroenten Ahn Friedrich II. empfinden soll, mit der Hinneigung zu politischen Theorien stimmen, deren Vertreter, wie Haller, Leo, Steffens und ihnen aehnliche, in Friedrich dem Grossen nur einen gekroenten Jakobiner sehen? Man ruehmt von jeher den Geist des neuen Herrschers. Man schreibt ihm Verstandesschaerfe und Witz zu. Er ist kein Freund des Gamaschendienstes und hat mehr Sinn fuer das Zivile als Militaerische. Er liebt den Umgang mit Gelehrten und Kuenstlern, von denen viele sich seiner naehern Bekanntschaft erfreuen. Wie harmlos er gewohnt ist, sich dem Talente hinzugeben, bezeugt der gemuetvolle, anspruchslose Brief, den er an Chamisso schrieb. (Siehe Hitzigs "Leben Chamissos" Bd. 2, S. 93.) Der ehemalige Kronprinz ist ein talentvoller Zeichner und dass ihm selbst der schriftstellerische Ausdruck nicht fremd sein duerfte, beweist der Umstand, dass man ihn oft zum Verfasser anonymer Flugschriften machen wollte! Von sogenannten noblen Passionen, die man Grossen eher nachzusehen pflegt, als Kleinen, weiss man nichts. Seine Sittlichkeit wird geruehmt. Er besucht die Kirchen anerkannt pietistischer Geistlicher; ob aus Neigung fuer ihr theologisches System, oder aus Achtung vor ihrer oft ausgezeichneten Rednergabe, weiss ich nicht. Jedenfalls wuerde eine religioese Stimmung dieser Art bei ihm nicht aus einem Minus, sondern einem Plus der Bildung entstehen; d.h. es ist moeglich, dass sie die Frucht einer entweder gemuetlichen oder philosophischen Abneigung gegen einseitige Verstandesreligiositaet waere. Es ist kein Zweifel, dass der neue Herrscher historische Tatsachen den Abstraktionen vorzieht, aber es ist wahr, dass ihm die Hegelsche Philosophie nicht unbekannt geblieben, so wird ihm das Progressive in der Geschichte nichts Befremdendes und der Einfluss des Verstandes auf die Gestaltung der neuen Zeit nichts Feindseliges sein. Friedrich Wilhelm IV. wird keinen Schritt ins Ungewisse tun. Ein Ziel hat er gewiss im Auge, wenn auch die Zeit erst lehren muss, wo es liegt. Fuer gedankenlos halte man keine seiner Unternehmungen. Ratgeber wird er hoeren, ihnen aber nicht immer folgen. Reue wird ihm, trotz seines christlichen Sinnes, fuer oeffentliche Schritte fremd sein. Er wird vielleicht bei einem Unternehmen seine Richtung aendern, nie aber einen Schritt wieder zuruecktun. Es lodert viel Feuer in ihm und sein Geist wird oft in den schoenen Fall kommen, heftigere Regungen des Gemuets zu zuegeln. Der goettlichste Triumph, den uns der Himmel schenkte, Beherrscher unserer Leidenschaften zu sein, kann ihn oft begluecken. So urteilt die Sage und urteilt vielleicht falsch. Man kann darnach den Versuch machen, ein Portraet zu zeichnen und muss sich zuletzt doch eingestehen, dass der--Versuch eine Pfuscherei ist. Es haben sich, von Herrn Varnhagen von Ense ausgebruetet, so viel kleine Gentze jetzt aus dem Ei gepickt, dass ich wohl begierig waere, was einer von ihnen, dem Beispiel des ehemaligen Kriegsrats Gentz folgend (der eine Adresse an Friedrich Wilhelm III. bei seiner Thronbesteigung herausgab), dem neuen Herrscher ans Herz legen wuerde. Mit guten Lehren aus dem frommen Telemach, der ad usum delphini geschrieben ward, wuerde es wohl ebensowenig getan sein, wie mit dem Macchiavell. Ein Fuerst soll keinem Schmeichler trauen, sagt Mentor alle Augenblicke; baendige eine Regierungsgewalt durch die andre, sagt der Florentiner; aber wir leben nicht in Versailles und nicht in Florenz. O der guten Lehren, die man Koenigen gegeben hat! Sie werden fast alle laecherlich, wenn man sie auf bestimmte Faelle anwendet, oder sie setzen an Fuersten dasjenige als lobenswert voraus, was sich an einem zivilisierten Menschen des 19. Jahrhunderts wahrhaftig von selbst versteht. Weit schwieriger sind Ratschlaege, die einen schwebenden Status quo betreffen. Was wuerde wohl mit der katholischen Frage, was mit der kommerziellen Stellung Preussens zu Russland; was mit dem Wunsch nach einer Verfassung zu beginnen sein? Dem neuen Herrscher raten wollen? Er hat seit einer langen Reihe von Jahren den Geschaeftsgang in der Regierung seines Vaters beobachtet: Er wird sich laengst auf seinen eignen Antritt des Regimentes vorbereitet haben. Wer die Entwuerfe kennte, die schon alle im Pulte harren! Es ist leicht moeglich, dass Friedrich Wilhelm IV. fuer Europa einige Ueberraschungen im Sinne hat. Man spricht jetzt soviel ueber Friedrich II. Was ist es, das an ihm so ausserordentlich gerade jetzt in die Augen spraenge? Will man einen schlesischen Krieg? Will man eine straffgezogene Regierungssouveraenitaet? Nein. Es ist das Persoenliche, das an Friedrich II. gerade jetzt so bewundert wird. Preuss und andere haben so herrliche Zuege von der freien, unabhaengigen, entschlossenen Denkungsart dieses Koenigs mitgeteilt. Man hat in Friedrichs Schriften Ansichten gefunden, die jetzt wuerden fuer staatsgefaehrlich erklaert werden. Es ist kein Zweifel, dass man mit dieser Vergoetterung Friedrichs des Grossen einen Wunsch fuer seine Nachfolger aussprechen will; denn das Lob der Vergangenheit ist immer eine Polemik gegen die Gegenwart. Was koennte wohl ein heutiger Monarch an Friedrich dem Grossen lernen? Vieles fuer die Personen, weniger fuer die Sachen. Nicht alles wuerde jetzt so am besten geschlichtet, wie es Friedrich II. geschlichtet haben wuerde. Wohl aber wuerde man fuer die Mittel und fuer die Ratgeber lernen koennen. Theoretiker am Staatsruder wuerde er mit Recht fuer Schwindler erklaeren und das Naechste wuerde ihm lieber als das Entfernte sein. Was Friedrich ueber die Religion dachte, war nicht gut fuer die Schule, besser schon fuer die Kirche, vortrefflich fuer die Wissenschaft. Der Voltairesche Verstand, der ihn beseelte, war schlecht fuer den Aufbau des Neuen, aber gut zum Niederreissen des Veralteten. Man darf diesen endlichen, witzelnden Verstand nie zum Feldzugsplan erheben, kann ihn aber gut als Waffe benutzen. Das klare, unbestochene, vorurteilsfreie Wesen ist an Friedrich II. bewundrungswuerdig. Man fuehlt, wenn man seine Antworten und Resolutionen liest, dass man fuer jedes Leiden bei seinem Gemuet wohl eben keinen Trost, bei seinem Verstande aber Abhuelfe wuerde gefunden haben. Seine Phantasie und sein Geschaeftseifer machten ihm das Verstaendnis jedes ihm vorgelegten Falles sogleich klar und man hatte nicht noetig, wenn man einen Minister verklagte, zu fuerchten, dass man an eben diesen Minister wuerde verwiesen werden. Die Erwartungen auf Friedrich Wilhelm IV. sind gespannt. Die erste Zeit seiner Regierung gebuehrt der Trauer. In dem dunklen melancholischen Gruen des Fichtenhains, der die sterblichen Ueberreste seines Vaters und seiner Mutter beschattet, wird man ihn noch zu oft sehen, als dass man aus seinem Auge etwas andres erraten koennte, als Traenen. Er wird nicht damit beginnen, Schoepfungen seines Vaters umzustuerzen, er wird niemanden, der des Seligen Vertrauen besass, aus seiner Naehe entfernen. Aber die Aufforderung zu Taten wird nicht ausbleiben. Die Besetzung der bekannten erledigten Ministerstelle duerfte vielleicht das erste Symptom des Kommenden sein. Klio spitzt ihren Griffel, sinnend lehnt sie den Arm auf das neue Blatt im Buche der Geschichte und lauscht mit laechelndernster, mit bangfroher Erwartung. Das Barrikadenlied (1848) Barrikaden! Barrikaden! Eine Wehr der Buergerbrust! Jeder Freie ist geladen, Auf zum Kampfe, Kameraden! Freiheitstod ist Himmelslust! Lasst uns graben, lasst uns schanzen! Faesser her und Steine drauf! Trottoire, glatt zum Tanzen, Wagen mit und ohne Franzen, Alles haelt die Kugeln auf. Ha! Sie kommen! Nicht gezittert! Nicht den Blick zurueckgewandt! Lasst sie schiessen! Glas zersplittert! Hinterm Wall sind wir vergittert. Freie Brueder, haltet Stand! Fasst mit scharfem Blick die Rechten! Zielt und drueckt die Buechse los! Offiziere, koennt Ihr fechten? Kommandieren nur den Knechten! Fallt-in Eures Koenigs Schoss. Dann bedacht, auf kurzem Pfade, Bricht die erste, ziehn wir dicht In die zweite Barrikade, In die dritte, vierte-schade, An die fuenfte folgt Ihr nicht! So auf Barrikadenbahnen Nur drei Tage sich gewehrt, Und beim vierten Ruf des Hahnen Unter schwarz-rot-goldnen Fahnen Hat das Volk, was es begehrt! Landtag oder Nicht-Landtag (1848) Die Frage, welche jetzt so lebhaft die Gemueter bewegt, fing klein an. Der Unterzeichnete wollte sich am Abend nach der Beerdigung die Anschauung einer Berliner Volksversammlung verschaffen und begab sich in die Zelte, wohin eine solche ausgeschrieben war. Er fand etwa tausend Menschen, die in verworrenem Durcheinander ueber Wahlgesetz und Landtag sprachen. Einige von dem Unterzeichneten zwischen die gehaltenen Vortraege geworfene Bemerkungen erregten die Aufmerksamkeit der Umstehenden. Man machte ihn zum Praesidenten der Versammlung, ein an sich unerquickliches Amt, das er aber nicht zurueckwies, weil wir in einer Zeit leben, wo die Anteilnahme am gemeinen Wesen ede1ste Buergerpflicht ist. Eine auf Grund der ferneren Debatte verfasste und von den HH. Assessor Jung, Dr. Oppenheim und Fabrikanten Lipke mitunterzeichnete Adresse gegen Berufung des Landtags wurde Freitag den 24. dem Minister Arnim ueberreicht. Inzwischen ist die Frage zur Parole des Tages geworden und gleichsam das Symbol der Parteien. Diejenigen, welche in den Begebenheiten des 18. u. 19. Maerz eine Revolution sehen, wollen keinen Vereinigten Landtag mehr, die, welche nur eine Revolte erblicken, verlangen ihn. Die Gruende, mit denen man sich bekaempft, sind nicht immer redlich. Ich finde es unredlich, sophistisch wenigstens, wenn man der grossen Masse sagt: Wollt Ihr einen konstitutionellen Koenig? Wollt Ihr eine Kabinettsordre ohne Beirat der Staende? usw. Man formuliert die illiberale Frage liberal, und die Leute, so angeredet, antworten blindlings: Wir wollen einen konstitutionellen Koenig, wir wollen nichts ohne die Staende usw. Der Koenig ist konstitutionell, aber nur durch eine Konstitution, die wir noch nicht haben. Der Koenig hat sich mit dem Vereinigten Landtag frueher als absoluten Fuersten proklamiert, der Vereinigte Landtag bestand neben diesem absoluten Fuersten, folglich kann er jetzt nicht mehr neben dem konstitutionellen bestehen. Es ist ein Sophisma, wenn man die Konstitutionalitaet des Koenigs durch die Berufung des Vereinigten Landtags beweisen will. Der Vereinigte Landtag ist ein Berliner Kind, ein Jahr alt; er war etwas neues, er wirkte vorteilhaft auf unsere politische Atmosphaere, vorteilhaft auch auf Lokal-Interessen. Diese letzteren verdaechtigen etwas die Sympathie, die sich fuer ihn zu erkennen gibt. Die Buchhaendler haben noch so viel Bildnisse und Reden-Sammlungen vom vorigen Jahre auf dem Lager: Man denkt, das alles wird jetzt flott; man hofft eine gewisse Beruhigung, eine Konsolidierung der Verhaeltnisse, die Boerse will endlich Kurse notieren. Die frueheren Abgeordneten, die da merken, dass ihre Stunde gekommen ist, regen sich auch. Sie moechten gern, das wittern wir in der Luft, Roemertaten von Entsagung auffuehren, recht flatternd den Mantel nach dem Winde haengen und die Luege noch mehren helfen, die uns so schon verdaechtig genug umspinnt. Das alles sind schlimme Aussichten und vermehren das Misstrauen in diesen alle Zeit ja rein prekaer und von der koeniglichen Gnade abhaengig gewesenen Staatskoerper. Man sagt, man koenne eine moralische Versammlung nicht toeten. Und doch verlangt Ihr, dass sie sich selber toeten soll? Ich gestehe, ich moechte nicht auf den Baenken dieses Landtags sitzen mit dem Bewusstsein, dass ich mich ueberlebt haette, dass ich mich hinfort begraben lassen, mich ferner unmoeglich machen soll. Viele Mitglieder des Landtags werden so denken, vielleicht alle. Sie werden zusammenkommen, sich anblicken und die Augen niederschlagen. Sie werden sagen: Wie kommen wir hieher? Wir sind Provinzia1staende, wurden vereinigt ohne konstitutionellen Grundsatz, ohne Befugnis der Gesetzgebung, ohne Macht und Auctoritaet, ja sogar erst die Periodizitaet ist uns als Geschenk, durch den Augenblick, verliehen. Wir haben uns immer unbehaglich und unheimlich zusammengefuehlt, wir haben immer dahin protestiert, dass wir nicht die Staende, die 1815 versprochen sind, vorstellen, und so koennen wir nichts anderes tun, als uns in Provinzia1staende, was wir sind, aufloesen, nach Duesseldorf, Muenster, Koenigsberg, Breslau gehen, fuer das Wohl der Provinzen sorgen und uns der kleinen Freiheiten, die uns das Patent vom 3. Febr. gewaehrte, freiwillig begeben. Die Politik sollte diesen Fall voraussetzen, sie sollte sich ruesten darauf: 1. dass dieser Vereinigte Landtag sehr unvol1staendig erscheinen, 2. sich fuer inkompetent erklaeren und 3. von der noch gaerenden Aufregung vielleicht sogar gewaltsam beanstandet werden wird. Wuenschen das die Minister? Koennen es die Freunde des Friedens und der Ordnung wuenschen? Ferner: Aus dem Vereinigten Landtag soll das deutsche Parlament beschickt werden. Und ueberall regt sich in Deutschland der Protest gegen diese Idee. Die Frankfurter Versammlung wird erklaeren, sie wuerde von diesen Provinzia1staenden nimmermehr Deputierte, die das preussische Volk zu vertreten haetten, empfangen. Neue Verwirrung nach einer so wichtigen Seite hin, der nationalen! Neue Aufforderung, bei Zeiten vorzubeugen und solchen Verwickelungen dadurch zu entgehen, dass man den Vereinigten Landtag, als solchen, fallen laesst. Preussen bedarf in diesem Augenblick so dringend der allgemeindeutschen Sympathie. Wir haben noetig erstens eine konstituierende Versammlung, welche die Konstitution bespricht, und dann erst moegen die neuen Staende kommen, die vielleicht wesentlich modifiziert werden durch das (National-Parlament). Vielleicht ist das letztere wichtiger, als unsere Staende. Wenn das deutsche National-Parlament ueber vier der wichtigsten Lebensfragen eines Volkes zu entscheiden hat, werden die Staendekammern aller deutschen Staaten ohnehin nur gewissermassen zu Provinzia1staenden herabsinken. Warum streiten wir uns ueber das kuenftige Wahlgesetz? Im Augenblick handelt es sich nur um eine konstituierende Versammlung fuer Preussen, und diese muss allerdings auf der breitesten Unterlage angelegt sein, nicht ganz abstrakt-numerisch, aber doch so viel wie moeglich. (Dahlmann) hat gewiss Kenntnisse preussischer Verhaeltnisse genug, um rasch ein solches Wahlgesetz zur konstituierenden Versammlung zu entwerfen. Er wird vorurteilslos genug sein, sich dabei an die gegebenen Zustaende des historischen Augenblickes, nicht an seine Goettinger Diktate zu halten. Ich komme nochmals auf das obige Sophisma zurueck von einem konstitutionellen Koenig, der nichts ohne den Vereinigten Landtag tun koenne. Ich find' es geradezu machiavellistisch. Unser konstitutioneller Koenig ist sehr jung. Er ist es vor allen Dingen durch die Konstitution, die wir erst bekommen sollen. Ein Pressgesetz war rasch erlassen, ohne die Staende. Da besorgte man, die Freiheit der Presse muesse doch gleich eine beruhigende Form haben. Jetzt berufe der Koenig eine konstituierende Versammlung durch einen Aufruf an sein ganzes Volk! Die Wahlen, so oder so modifiziert, wenn nur ueberwiegend dem Grundsatz der Allgemeinheit ehrlich entsprechend, werden ihm die Maenner bringen, die allein die Gegenwart und Zukunft organisieren koennen. Es ist sophistisch, hier von einem "Gewaltstreich" zu sprechen. Der Koenig ist in diesem Augenblick der Ausdruck der Zeit, er will, was (wir) wollen, er gibt Gesetze, die ihm die (Lage der Dinge) diktiert. Er kann einfach sagen: Ich habe Euch dies und das in diesen Tagen versprochen, garantiert ohne die Staende, Inneres, Aeusseres, Deutsches, Preussisches, Berlinisches, kein Mensch hat gesagt: Der Koenig darf die Buergerwehr nicht ohne die Staende geben, die deutsche Kokarde nicht aufstecken usw., und nur in der Wahlangelegenheit, da wollt Ihr von staendischer (Zustimmung) sprechen? In der gefaehrlichsten Frage, wo der meiste Egoismus zu fuerchten steht? Der Vereinigte Landtag enthaelt Elemente, die uns sehr (lieb) und (wert) sind. Seid gewiss, die werden wir alle wiederfinden in den neuen Wahlen! Die alten Stadtverordneten aber, Gemeinderaete usw., die durch Vorrechte gewaehlt wurden und die laermendste Agitation (fuer) den Landtag machen, die wohl nicht, und das ist gut. Eine Beleidigung des Vereinigten Landtags erblick' ich auch nicht. Kraeftig gesprochen kann man sagen: Es fiel so vieles, warum nicht er? Milder gesprochen muss man sagen: Der Vereinigte Landtag ist nur ein aus Gnade eines (absoluten) Koenigs geschenktes (Rendezvous). Die Provinzia1staende sollen nicht sogleich vernichtet werden. Sie moegen in ihre Provinzen gehen, dort das allgemeine Wahlgesetz, das die konstituierende Versammlung gegeben hat, sich mitteilen lassen und sich dort, wo sie geboren sind, auch in der Stille aufloesen oder, waere es der Fall, dass das deutsche National-Parlament nur Provinzia1staende um sich sehen will, einer neuen Organisation entgegenharren. Das in (Berlin) Vereinigtsein dieser Staende ist etwas rein Arbitraeres, Zufaelliges gewesen, und keinen Landstand kann es beleidigen, wenn man gegen diese Vereinigung protestiert. Also, lasst Euch nichts vorreden von Rechtsverletzung, Gewaltstreich, einseitiger Willkuer. Das sind Gruben, die man Eurer guten, ehrlichen, freien Gesinnung graebt. Wenn wir eine Konstitution haben und darauf gebaute wahre Staende des Volkes, dann erst sollen die einseitigen Befehle von oben aufhoeren. Jetzt aber, solange nichts rechtlich Bindendes da ist, wollen wir froh sein, wenn die stuermisch gewesenen Vorboten des angebrochenen Voelker-Fruehlings uns noch recht viel solcher Blueten vom Baume der Majestaet schuetteln, wie diejenigen waren, welche wir in den juengst vergangenen Tagen als Gesetze und Verheissungen empfingen. Ein Wahlgesetz gibt jetzt nicht der Koenig sondern das Volk, die Zeit, der Sieg des Augenblicks. Dr. Karl Gutzkow Preussen und die deutsche Krone (1848) Man kann es vom hoeheren, vaterlaendischen Standpunkte aus nicht billigen, dass sich Sueddeutschland aus den hiesigen Begebenheiten, die den gewaltigen Umschwung unserer Verhaeltnisse hervorriefen, nur die Ereignisse vom 18. und 19. Maerz herausgreift und auf diese schmerzlichen Tatsachen hin bei der Wiedergeburt Deutschlands Preussen desavouiert. Denn was man gegen die Person des Koenigs sagt, trifft in diesem Falle das Land, trifft Preussen und viel empfindlicher Deutschland selbst. Man beraet eine Einigung Deutschlands auf den Grund eines zu waehlenden kuerzeren oder laengeren Oberhauptes. Seit Pfizers "Briefwechsel zweier Deutscher" steht es fest, dass selbst die freisinnige, deutsche, hochherzige Bewegungspartei fuer die Idee einer preussischen Hegemonie ist. Die sueddeutschen Deputierten, die mit einem Doppelplane der Organisation, einem monarchischen und einem republikanischen, hierher kamen, vertraten anfangs denselben Geist, dieselbe Meinung, und noch am 18. und 19. Maerz soll Preussen ploetzlich "unmoeglich" geworden sein? Darin liegt eine politische Unklugheit und eine doppelte Ungerechtigkeit. Um es ganz offen zu sagen, wonach streben wir? Wir moechten saemtliche deutsche Fuersten auf eine Art Standesherrenschaft zurueckfuehren, ihnen in Frankfurt (einem nicht gut gewaehlten Orte; Leipzig, Gotha, Weimar, Nuernberg waeren besser) eine ehrenvolle und wuerdige Vertretung ihrer Interessen und Erinnerungen geben und das ganze Reich durch ein temporaeres oder dauerndes, erbliches oder nichterbliches Bundesoberhaupt regieren lassen. Ohne eine sehr bedeutende Nullifikation unserer Fuersten ginge es dabei nicht ab. Die kleineren scheinen nicht abgeneigt, solchen Wuenschen sich zu fuegen; ja sogar groessere Fuersten, die Koenige heissen, ob sie gleich wegen ihres Gebietes nur Herzoege oder Landgrafen heissen sollten, ich sage, selbst groessere haben Waerme und Gefuehl fuer das Gemeinsame genug, dass sie freiwillig ihre Souveraenitaet angeboten und auf den Altar des Vaterlandes niederzulegen versprochen haben. Ein Koenig sogar, der sich gegen diese Richtung anzustemmen nicht mehr kraeftig genug fuehlte, entsagte seinem Throne und trat ihn seinem Erben ab, der dieser idealen Richtung sich verwandter fuehlt. Von Oesterreich wuerde man immer nur einzelne Teile seines Gebietes haben vertreten wissen wollen und wenn auch die Wiener Bewegung, der Sturz Metternichs eine augenblickliche Hingabe an das alte Kaiserhaus in uns erwachen liess, sie kann nur voruebergehend sein. Warum nur voruebergehend? Weil einmal die Persoenlichkeit des gegenwaertigen Kaisers keine ausreichende ist, zweitens der Wiener Aufschwung der rechten freiheitsgeduengten Grundlage im ganzen Reich ermangelt und drittens in Frankfurt nimmermehr gewuenscht werden kann, dass Deutschland wieder in das Schlepptau der europaeischen Politik des Hauses Habsburg genommen wird. Was man fuer [die] Reorganisation Deutschlands tut, muss ohne organische Aufnahme oesterreichischer Elemente geschehen. Oesterreich kann nur ehrenhalber dabei beteiligt sein. So bliebe immer nur die preussische Anlehnung als die hauptsaechlichste und entscheidendste uebrig. Das schlechte Preussische ist ja im Innern zerstoert und wird noch mehr zerstoert werden durch Amalgamierung mit dem uebrigen deutschen Stoff; das gute Preussische aber ist fuer Deutschland so wesentlich, dass es Torheit und Verblendung waere, sollte sich auf ein einzelnes Faktum, ueber das wir noch spaeter sprechen werden, auf eine einzige dem Koenigtume gegebene Lehre hin diese Idee der vol1sten Aufnahme Preussens in die deutsche Sache zerschlagen. Welchen Ersatz wollt Ihr in Heidelberg und Mannheim bieten? Es ist sehr leicht, in tausendfacher Anzahl Versammlungen ausschreiben, sich in Drohungen und Verwuenschungen ergehen, Lieder singen usw., aber die nuechterne Erwaegung der Tatsachen sollte Euch zwingen, Euren Unmut zu beherrschen und ueber die Personen nicht die Sache zu verlieren! Isoliert man Preussen, isoliert man die Empfindung seines jetzt sich zwar konstitutionell bindenden Koenigs, dessen Persoenlichkeit indessen nicht so nach Gefallen zu beseitigen ist, so koennte der deutschen Wiedergeburt eine grosse Gefahr erwachsen. Der Provinzialgeist reagiert jetzt gegen die Hauptstadt Preussens, pommersche und uckermaerkische Bayards wiegeln die unzurechnungsfaehige altfraenkische Loyalitaet der Bauern und den Aerger des Adels auf, das Heer ist verstimmt, viele seiner Fuehrer sind geradezu verdaechtig, die ganze Maschine der Verwaltung laeuft noch in den alten Wellen und Raedern, Polen hofft auf friedliche, unblutige Wiederherstellung und laesst im Adressenrauschen und Fraternitaetspredigen vielleicht den Moment der Tat voruebergehen, Russland, das geruestete, einige, feste weiss, was es will, es trifft, ungehindert von Polen, Preussen unvorbereitet, uneins, zoegernd, den Koenig verstimmt, abgekuehlt durch Eure Proteste, der Strom von Osten flutet heran ... und was dann? Sued- und Westdeutschland haben nur noch eine Einigkeit auf dem Papier und die Erinnerungen an die militaerische Kraft des Reiches sind eben nicht erhebender und vertrauenerweckender Art. Preussens historische Bestimmung ist die des Werdens, des Fliessens, Wallens, sich Gestaltens und Ausdehnens. Deutschland, Preussen in sich aufnehmend, wird allein stark sein. Was weist Ihr Preussen zurueck? Ist es nicht ein neues, das sich mit Euch verschmelzen will? Habt Ihr noch Misstrauen in das von Euch bespoettelte Berlin, dem Ihr in diesem Augenblick allein den kraeftigsten Beweis einer in Deutschland doch moeglichen Auflehnung gegen Uebergriffe und Anmassungen der Gewalt verdankt? Berlin hat sich nicht nur durch seinen persoenlichen Mut zur geistigen Hauptstadt Deutschlands gemacht, sondern auch durch die Fuelle von Fragen, die sich in politischer und sozialer Ruecksicht hier allein aufgeworfen haben. Man kam fast nirgends ueber die patriotischen und liberalen Abstraktionen hinaus, in Berlin lodert es radikal vom Herd des Volkes auf. Nenn' ich die Isolierung Preussens in diesem Augenblicke unpolitisch, so ist sie auch ungerecht und zwar in doppelter Hinsicht. Ungerecht gegen das preussische Volk, ungerecht sogar gegen den Fuersten. Was am 18. Maerz verbrochen wurde, ist das Verbrechen aller deutschen Fuersten. In Wien ist auf das Volk geschossen worden wie in Berlin, und das Blutbad wuerde ebenso gross geworden sein wie hier, wenn man dort nicht sogleich in der Absetzung Metternichs eine rasch ausfuehrbare Konzession gehabt haette. Metternich stand schon so schwankend, dass er durch eine Strassenbewegung fiel. In Berlin war der Kampf rein eine Schlacht, die man dem Militaer als solchem lieferte, dem Militaerstaat, dem Land der Polizeityrannei, kurz, es war ein fast persoenlicher Vernichtungskampf. Jeder deutsche Fuerst, umgeben von solchen Generaelen, solchen militaerisch gesinnten Prinzen, solchen militaerischen jahrhundertalten Arroganzen, haette ebenfalls feuern lassen. Der Koenig braucht darum gar nicht persoenlich der "Wuerger" und Schlaechter zu sein, fuer den ihn die Heidelberger Adresse erklaert. Er ist ganz einfach der Ausdruck seiner Standesvorurteile, seiner militaerischen Erziehung, das Echo seiner Ratgeber, das weiche Wachs seiner Brueder und sogenannten Jugendfreunde, der Froemmlinge, der Volksveraechter jeden Grades. Rechnet man noch hinzu, wieviel Unruhe und Unselbstaendigkeit er in sich selbst besitzt in dem Gefuehl seiner nunmehr achtjaehrigen widerspruchsvollen Regierung, wo ihn, den romantisch gestimmten Epigonen vergangener Zeitrichtungen, der Sturmwind des Tages ewig im Kreise umherwirbelte und er bei dem unleugbaren Willen, gut, gerecht, weise, edel sein zu wollen, und dem Bewusstsein, gut, gerecht, weise, edel sich selbst zu erscheinen, doch der Welt gegenueber immer als das Gegenteil davon hervortrat: so ist es im hoechsten Grade ungerecht, die voellige Umkehr und neue Geburt, zu der er am 20. Maerz die Lust bezeugte, das Emporhalten des Reichsbanners und den Enthusiasmus eines neuen ihn innerlichst ergreifenden Menschen abzuweisen und seine warme Hingabe an die deutsche Sache zu erkaelten. Noch beduerfen wir, um das, was in Frankfurt bezweckt wird, auszufuehren, der Persoenlichkeit unserer Fuersten. Noch kann die Reue, das Beduerfnis nach Popularitaet, der geweckte Enthusiasmus des preussischen Koenigs in die Waagschale der Frankfurter Entschluesse das Gewicht der Entscheidung legen; warum festhalten an dem, was am 19. in Berlin geschah und wie es in Muenchen, Kassel, Karlsruhe, Hannover geschehen sein wuerde, wenn nicht das Volk gleich anfangs eine kraeftige Miene gezeigt haette! Mit Worten ist in Staedten, die ich nicht nennen will, von unseren Fuersten mehr gemordet worden, als hier in Berlin mit Waffen. Deutschlands Wiedergeburt unter dem preussischen Banner ist, so lange wir in der konstitutionellen Monarchie uns bewegen wollen, die einzige kraftvolle und Zukunft versprechende Loesung des Augenblicks. Wollt Ihr die Einigung Deutschlands in wahrer Vollendung, so koennt Ihr nur den Maechtigsten an die Spitze stellen und das, was Ihr an seiner Person vermissen wollt, durch den Genius seines Volks ersetzen! Dringen diese Ansichten nicht durch, scheitern sie an einer unueberwindlichen persoenlichen Abneigung, so treten folgende Faelle ein: Erstens werden wir um die Russland in Schach haltende polnische Insurrektion betrogen, da ein unter den Auspizien des Panslawismus friedlich geschaffenes Koenigreich Polen leicht mit dem Zaren friedlich sich abfinden duerfte. Zweitens haetten wir die russische Invasion, die ein innerlich zerworfenes, militaerisch unorganisiertes Deutschland, ein fuer den Augenblick an sich selbst irrgewordenes Preussen vorfaende. Drittens endlich, wer schuetzt uns--vor Verrat, vor einer tief angelegten, grauenerregenden.... Intrige? All' diese Lose schlummern im Schoss der naechsten Zukunft, wenn Sueddeutschland in seinen Ablehnungen und Protesten so fortfaehrt, wie es begonnen, es sei denn, dass der Koenig von Preussen, der grossen Mission seines Volkes sich unterordnend, den Wink verstaende, den ihm Gervinus im neuesten Bulletin der "Deutschen Zeitung" gegeben hat. Abwehr einer Verleumdung (1850) In N deg.. 43 dieser Zeitung sagt ein Anonymus, dem die Redaktion sogar die Ehre erweist, seine boesen Verdaechtigungen in den Grossdruck des politischen Textes aufzunehmen, der Unterzeichnete koennte schon deshalb als "technischer Direktor" des K. Hoftheaters nicht berufen werden, weil--ihm etwa die noetigen dramaturgischen Kenntnisse mangelten? Nein. Oder weil von ihm bekannt waere, dass er zwar kein republikanischer, aber doch sonst ein gar schlimmer und bedenklicher Autor waere? Auch das nicht! Nun, warum denn sonst nicht? Er hat etwas viel, viel Aergeres begangen. Er waere im Jahre 1848 von Dresden ganz besonders zu den "Maerzereignissen" heruebergekommen. Zwar setzt der wohlwollende "Zuschauer" schuechtern hinzu: "Wie es scheint." Verzwicktes "wie es scheint"! Warum nicht sogleich dreister? Warum nicht sogleich geradezu gesagt, ich haette Barrikaden befehligt? Im Mai 1849 hab' ich in Dresden, wohin ich nicht erst zu reisen brauchte, wirklich eine Barrikade bauen sollen. Fuenf Maenner in Sensen hielten mir Steine entgegen und wollten mich zwingen, Hand anzulegen. Lasst mich! Ich bin kein Baumeister! musst' ich ihnen sagen. Es half nichts: "die Sense sollte michs schon lehren!" Erst als ich etwas unsanft sagte: Leute, ich habe fuer die deutsche Einheit mehr mit dem Wort getan, als ich hier mit Steinen tun kann! liess mich die damals souveraene Insurrektion meines Weges ziehen. Freilich! Warum sass ich nicht, wird mein "Zuschauer" fragen, auch hier versteckt in irgendeinem Keller? Warum war ich an jenem Maerzsonntage 1848 vor dem Schlosse in Berlin und sah mir dies Wogen und Wueten einer ungebundenen Menschenmasse an? Der schlimme "Zuschauer" sagt, Herr Polizeipraesident v. Minutoli muesste darueber auch noch erst Bericht erstatten. Niemand kann im geschichtlichen Interesse mehr wuenschen als ich, dass der freundliche und um den milderen Verlauf jener Tage vielfach verdiente Herr v. Minutoli seine damaligen Erlebnisse erzaehlte. Aber ich wuenschte doch, Felix Lichnowski lebte noch und bestaetigte mir's, dass er mich aufforderte: "Freund, Sie muessen reden! Sie muessen! Ich lasse Sie nicht!" "Worueber?" "Ueber was Sie wollen! Ich bin heiser, ich kann nicht mehr! Nur reden, nur beruhigen!--Nun denn, sagt' ich, ich habe in jenem patriotischen, angeborenen, mark-brandenburgischen, vaterstaedtischen Drange, von dem man damals noch nicht ahnte, dass man ihn spaeter fuer revolutionaeren Fuerwitz erklaeren koennte, das Wort des Koenigs: Kommt und ratet mir! so aufgefasst, dass ich ihm einen Brief uebergeben liess, worin ich ihn bat, in die aufgeloeste Ordnung irgendeinen, die Massen nur legal zusammenziehenden, die Gemueter zerstreuenden neuen Gedanken zu werfen, am liebsten den der Buergerbewaffnung! "Sprechen Sie darueber! Sogleich! Hier! Heran! Ich lasse Sie nicht mehr fort!" Ich sprach, und die Massen, die zu allen Konzessionen, die sie kaum verstanden, noch etwas Neues, Handgreifliches, leicht Verstaendliches hinzuempfingen, zerstreuten sich. Es ist bekannt, dass der Koenig denen gedankt hat, die an jenem Sonntagmorgen zum Schlosse hielten. Freilich, sehr exaltiert, sich ohne Portefeuille fuer einen Politiker zu halten! Sehr exaltiert, nicht wie jener Feigling im "reisenden Studenten" in den Mehlkasten zu springen und zu rufen: Brennt's noch? Wer damals in den Mehlkasten sprang, der kam freilich fuer immer sehr weiss heraus. Einige Tage gaerte das, alle ergreifend, noch so fort. Und wenn mein "Zuschauer" sagt: Vor dem 18. Maerz schon haett' ich "Taetigkeit entwickelt", so will ich ihm sagen, was ich vor und nach dem 18. Maerz fuer "Taetigkeit entwickelte." Am 6. kam ich mit Weib und Kind nach Berlin, um meinen Urlaub dort zu verleben. Von da bis zum 18. schrieb ich im Hotel de Russie mein Schauspiel: Ottfried. Und vom 22. Maerz bis 22. April, also waehrend der vollen Bluete der Revolution, sass ich am Krankenbette eines Kindes, am Sterbebette einer Frau. O Du leidiger "Zuschauer"! Ich beantworte Deine boese Anklage so ausfuehrlich nicht wegen des "technischen Direktors" (der nicht mir, nur jener Anstalt fehlt), sondern deshalb, weil diese in Berlin eingerissene Enthuellungssprache, dies mystische: Der war gestern in der und der Strasse! Man hat ihn da und dort mit dem und dem verkehren sehen usw. eine wahre Schmach unserer Zeit ist und an die truebsten Tage roemischer Delatorenwirtschaft erinnert. Wenn man von mir sagt, dass ich bei dem mir mannigfach eingeraeumten Berufe, fuer die deutsche Schaubuehne theoretisch und praktisch zu wirken und an jedem Hoftheater die aesthetische Initiative ergreifen zu koennen, doch immer noch so "taktlos" bin, in politischen Dingen mehr links als rechts zu stehen, so kann ich mich dagegen nicht verteidigen und werd' es nicht. Aber den Vorwurf, dass ich in meinem Leben je gewuehlt, agitiert oder konspiriert haette, weis' ich mit Verachtung zurueck. Dresden, 23. Februar 1850. Dr. Karl Gutzkow Varnhagens Tagebuecher (1861) Wir moegen nicht das Schlimme wiederholen, das sich schon reichlich in manchen Blaettern ueber Ludmilla Assings neue Mitteilungen aus dem Nachlass ihres Oheims (zwei Baende, Leipzig, F. A. Brockhaus, 1861) gesagt findet. Die Ausdruecke der Anfeindung und Verachtung kommen meist aus der Region, wo man sich durch die guten Seiten dieser Tagebuchnotizen getroffen fuehlt. Wer die Zeit von 1835-43 (dies die Jahre, die die vorliegenden zwei ersten Baende treffen) mit all dem Unmut und dem Druck persoenlichster Benachteiligung durchlebt hat, dem Varnhagen in seinen Aufzeichnungen Worte leiht, der entschuldigt das meiste von dem, was andere hier verurteilen wollen. Ihm bleibt es eine Erquickung, noch einmal bis in die kleinsten Details jenen traurigen Zeiten der Verfolgung und endlich zu Fall gekommenen Tyrannei nachzuleben. Ihm gewaehrt es einen hohen Genuss, sich sagen zu koennen: An alledem warst auch du mit den tiefsten Atemzuegen deines Lebens beteiligt, fuehltest dieselben Gewaltschlaege der Schergen, hofftest auf dieselben Sonnenblicke der bessern Zeit! Bis ins einzelnste lebt sich ein aelteres Geschlecht in diesen Varnhagenschen Mitteilungen noch einmal wieder sein eigenes Leben durch. Und auch das ist eine der guten Seiten dieser Veroeffentlichungen, sie lehren Hingebung an Zeit und Menschen, Verehrung und Pietaet vor der gemessenen Stunde, auch vor fremder Bildung, fremdem Lebensschicksal und vollends vor dem eigenen, soweit wir nur zu oft geneigt sind, immer nur in hastiger Erwartung des Zukuenftigen unsere Befriedigung zu finden. Je massenhafter die Zeit ihre Strebungen ansetzt, je verallgemeinerter die Wirkungen des Zeitgeistes sind, desto erhebender diese Beachtung des Einzellebens, diese sinnige Beobachtung des Individuellen und Persoenlichen. Letztere Beobachtung ist bei Varnhagen nicht ganz von der Neugier, noch weniger lediglich vom Gefallen an dem medisanten Gefluester der Goettin Fama eingegeben; sie entspringt aus einem Persoenlichkeitskultus, den wir nicht verwerfen oder um seiner etwaigen Abnormitaeten willen verurteilen wollen. Welche Fuelle von interessanten Mitteilungen diese beiden Baende enthalten, ist in allen Zeitungen schon gesagt worden. Wir koennen allerdings den verstehen, der die Moeglichkeit, solche Tagebuecher zu fuehren, in mehr bedenklichen als guten Charaktereigentuemlichkeiten finden will; das vor uns liegende Endergebnis solcher Art oder Unart ist jedoch lehrreich und nuetzlich. So viel laesst sich bei jedem einigermassen Urteilsfaehigen voraussetzen, dass ihm nicht jede dieser fluechtig hingeworfenen Aeusserungen massgebend sein wird--es kann in ihnen getadelt werden, was vielleicht alles Lobes wert ist--aber luftreinigend wirken diese Explosionen; Behutsamkeit werden sie nach allen Seiten hin verbreiten. Wie gut tut es nur allein schon den Hochgestellten und Maechtigen, dass sie ueberall sich eingestehen muessen: Hier ist zwar nicht durch Anschlag vor Fussangeln gewarnt, aber huete dich bei jedem Schritt, unvorsichtig und unbedacht zu sein! Auch darin muessen wir eine hoechst interessante Wirkung dieser Veroeffentlichungen sehen, dass wir die ausserordentliche und fast unglaublich scheinende (Natuerlichkeit) kennenlernen, die in gewissen hoehern Regionen waltet. Moeglich, dass zwei Dritteile dieser hier vom Hofe, den Prinzen, den Staatsmaennern Preussens aus den oben genannten Jahren mitgeteilten Anekdoten unrichtig erzaehlt oder leere Erfindungen des Geruechts sind; dennoch bleibt immer noch genug zurueck, um uns ein Bild dieser steten Agitation zu geben, die um die hervorragenden Erscheinungen der Erdenmacht sich auf- und abbewegt. So stuermt der Zugwind am meisten um grosse, alleinstehende Kirchen und laesst schon in der Legende den Teufel da sein lustigstes Spiel treiben. Varnhagen hat Fuersten und Regierende genug selbst gesprochen, teilt Aeusserungen von erlauchten Lippen genug selbst mit, die sein eigenes Ohr vernommen, um die Vorstellung zu erwecken: So also beaengstigt euch Herrschende doch die Zeit und die tausendfache Verpflichtung, die gerade euch stets mahnend zur Seite steht! So jagen euch die unfertigen Gestaltungen dieser irdischen Welt hin und her; so bringt der Vorwitz und die Torheit und welche Leidenschaft der Menschen nicht--! unablaessig Wirkungen hervor, deren Ursachen wir Fernstehenden kaum ahnten! In den Zeitungen stand das alles so kalt und so abgeschlossen fertig da, was sich hier hinter den Kulissen so heiss siedend und wallend erst formte, so unfertig, so nur wie vorlaeufig! Diese Haende konnten maechtige Fahrzeuge zimmern und doch nicht dem Sturm und den Wellen gebieten! Wir haben seit langem nicht so auf den Sieg des Wahren und Gerechten vertraut wie nach der Lektuere dieser Tagebuchmitteilungen, die uns die Gewalthaber der Erde als ebenso hilfsbeduerftige Menschen schildern, wie wir selbst sind. Vorlaeufiger Abschluss der Varnhagenschen Tagebuecher (1862) Es wuerde ueberfluessig sein, das Erstaunen und die mannigfachen Bedenken ueber die Existenz und die fruehzeitige Herausgabe der Varnhagenschen Tagebuecher zu wiederholen. Ihr oeffentliches Vorhandensein ist nun einmal ein Begegnis wie ein Naturphaenomen, das sich aller Berechnung entzieht. Selbst eine Anklage und vor allem die gerichtliche Verfolgung erscheint uns im vorliegenden Falle wenig angebracht, da man nur einfach zugeben sollte, dass es sich hier um ein literarhistorisches Ereignis, ein psychologisches Raetsel, um eine in dem Leben eines ausgezeichneten Mannes uns bis jetzt noch unvermittelt erscheinende Anomalie handelt. Die Entwaffnung dessen, der durchaus entruestet sein und bleiben will, sollte in den Vorzuegen des Schriftstellers selbst liegen, der uns so lange Jahre hindurch ein Muster der Maessigung und des Strebens nach dem Kerngehalt der Zeit und Welt erschien. Ihn jetzt ploetzlich so ganz abirren zu sehen von derjenigen Bahn, in welcher von ihm so viel Bedeutendes und Bleibendes geleistet worden ist, das ist eine Erscheinung von so fragwuerdiger Seltsamkeit, dass sie uns nur psychologisch, biographisch, zeitgeschicht- lich beschaeftigen, am wenigsten Anlass geben sollte, die Herausgabe des Buches zu einem Vergehen zu stempeln. Selbst noch das Irrgewordensein eines bedeutenden Mannes kann ein Schauspiel bieten, das interessant und lehrreich ist. Bis nahe an die Grenze der Unzurechnungsfaehigkeit sind allerdings diese Aufzeichnungen aus den Jahren 1848 und 1849 vorgerueckt. Aber waren wir denn alle, die wir jene Tage miterlebten, frei von einer krankhaften Exaltation unsers Empfindens und Denkens? Wer haette nicht damals sich mitten auf die Strasse stellen und seine Stimme laut erschallen lassen moegen, um vor hereinbrechenden Gefahren zu warnen? Falsche Volksfuehrer zu entlarven, Abtruennige mit feierlichem Protest dem Fluch aller Zeiten preiszugeben? Beim Rollen und Donnern der Kanonen, bei den Salven, die auf Volkshaufen abgefeuert wurden, beim Krachen des beginnenden Barrikadenbaues trieb die aufgeregte Phantasie, die Liebe zum Vaterland, zur Freiheit, ja wohl auch nur die Vorstellung von unbesonnenen, falschen, der naechsten Klugheit widersprechenden Massregeln die sonst ruhigsten Gemueter in die Vorzimmer der Minister, in die Kabinette der Fuersten, um ihre Meinungen geltend zu machen. Jeder Tag brachte neuen Zuendstoff, um die Gemueter in Flammen zu setzen; und was Varnhagen hier oft nur mit kurzen Worten niederschrieb: "Es sind Schurken, Halunken, Boesewichter!" das alles wurde oft genug von uns selbst ausgerufen oder zwischen den Zaehnen gemurmelt. Es liegt uns die treueste, die lebendigste Vergegenwaertigung einer Zeit vor, die leider fuer die Wiederaufnahme dessen, was sie uns haette bringen sollen, mit einem unfruchtbar und nutzlos voruebergehenden Jahr nach dem andern sich uns schon zu weit zu entruecken droht. Eine junge Generation tritt immer mehr in den Vordergrund, ohne jene Zeit erlebt, ihre Erfahrungen benutzt zu haben. Es waere ein unermessliches Unglueck fuer unser Vaterland, wenn die Stunde der Erloesung von unsern gegenwaertigen, von den Regierungen ja selbst fuer unhaltbar erklaerten Zustaenden zu einer Zeit schluege, wo die Lehren der Jahre 1848 und 1849 bereits vergessen waeren. Deshalb schon und um dieser nuetzlichen Vergegenwaertigung der Lage willen, in welche Deutschland bei einer verhaengnisvollen Krisis immer wieder aufs neue wird geraten koennen, sollte man das Exzentrische dieser Publikationen mit Ruhe hinnehmen. Manche von denen, die hier als "Schurken" und "Halunken" bezeichnet werden, leben allerdings noch, aber sie moegen doch nicht glauben, dass man sie um deshalb, weil sie hier so genannt worden sind, nun wirklich dafuer halten und in der Geschichte als solche stempeln wird. Viele davon moegen ernsthaft genug ihr Teil verschuldet haben, aber auch diese moegen annehmen, dass die oeffentliche Meinung an ihre Reue und an manche bessere Besinnung glaubt. Vor allem verraet der Ton dieser beiden neuerschienenen Baende, dass der Verfasser der "Tagebuecher" wirklich an der Zeit krank war und ueber die Taeuschung seiner Hoffnungen oft sein Herz brechen fuehlte. Die Wahrheit, mit welcher dieser Schmerz empfunden und geschildert wird, ist in der Tat erschuetternd und versoehnt uns nicht nur mit der Herbheit seiner Aufzeichnungen selbst, sondern ueberhaupt mit manchen Zuegen in Varnhagens Charakter, mit welchen wir uns frueher nicht hatten befreunden koennen. Wir begegnen hier einem Glauben an die Rechte der neuen Zeit und an den letztlichen Sieg der Freiheit, einem Glauben an den Wert und den Adel des Volks, wie er sich schoener nicht in den Werken der beruehmtesten Freiheitshelden, nicht reiner bei Franklin findet. Auch diese neuen Baende werden vielen Federn Anlass bieten, in mannigfacher Weise auf ihren interessanten Inhalt einzugehen. Unserer Zeitschrift fehlt dazu der Raum. Nur eine Bemerkung wollen wir nicht unterdruecken, die auf den politischen Charakter Preussens und Berlins geht. Jene Jahre waren allerdings die der allgemeinen Verwirrung, aber am verworrensten sah es doch wohl in Berlin aus. Wir denken hierbei nicht an die Bassermannschen Gestalten, nicht an die ratlose, hin und her geaeffte Buergerwehr, nicht an den zu allen Zeiten schwer zu bewaeltigenden Strassengeist Berlins, sondern an die Sphaere der Intelligenz und der privilegierten Politiker. Letztere rekrutierten sich eigentuemlicherweise aus frondierenden Beamten und pensionierten oder auf Disposition gestellten Militaers, wie denn Varnhagen selbst ein solcher zur Disposition gestellter Diplomat war. Das Hin und Her, das Zutragen, Besserwissen, die Medisance, das Klatschen gerade dieser Sphaere ist so hoechst auffallend, dass man die Gefahren des Throns weit weniger versucht wird in der demokratischen Sphaere zu suchen als da, wo der Thron seine Stuetzen zu suchen pflegt. Eitelkeit, Unzuverlaessigkeit, Rachsucht, haemische Schadenfreude verbinden sich hier mit einer muessiggaengerischen Phantasie, die unausgesetzt sich selbst und andere alarmiert und an einen Nachen denken laesst, der im Sturm nur durch die Unruhe und das Hin- und Herlaufen seiner Passagiere untergeht. Dies ist ein bedenklicher Charakterzug jener Menschen und Gegenden, welche bekanntlich die deutsche Hegemonie und im Fall der Gefahr unsere Kriegsfuehrung anstreben. Denkt man sich diese spezifisch berlinisch-preussischen Elemente beim Beginn eines Feldzugs oder am Vorabend einer Schlacht, so darf uns so ausserordentlich viel Weisheit, so ausserordentlich viel (nur durch die Furcht!) aufgeregte Phantasie, verbunden mit der im schwatzhaftesten Dreiachteltakt gehenden Suada, die niemanden zu Worte kommen laesst, ernstliche Besorgnisse einfloessen. * * * * * III. Drei Berliner Theatergroessen Ernst Raupach (1840) Raupach scheint jetzt Berlin gegenueber einen schweren Stand zu haben. Selbst seine Freunde fuehlen sich in der Teilnahme, die sie ihm sonst zu schenken pflegten, erschoepft. Und doch find' ich, dass seine neuern Sachen nicht schlechter sind, als die frueheren, dass sie denselben Zuschnitt haben und dieselbe Kenntnis der Buehneneffekte verraten. Sollte vielleicht die sehr glueckliche Stellung dieses Mannes beneidet werden? Raupach hat von der koenigl. Buehne einen jaehrlichen Gehalt von 600 Talern und bezieht fuer jeden Akt seiner Dramen ausserdem noch 50 Taler. Seine Dramen (muessen) zwar nicht angenommen werden, aber sie werden es fast immer, jedenfalls wird jedes angenommene Stueck ausserordentlich beguenstigt und kann auf schnel1ste Erledigung rechnen. Wie schoene Kraefte koennten nicht fuer die Buehne gewonnen werden, wenn man andern dramatischen Talenten nur einen Teil dieser Beguenstigungen zuwendete! Denn nur aus einem intimen Anschliessen an eine Buehne, die willfaehrig selbst schwaechere Versuche darstellte, kann Lust und Kraft fuers Theater gezeitigt werden. Wird man seiner Fehler nicht ansichtig, so lernt man niemals, sie vermeiden. Dass Raupachs Stellung fuer die in der dramatischen Literatur aufkeimende Bewegung hemmend ist, liegt auf der Hand. Seine weitbauschigen Dramen werden an der hiesigen Buehne nach alten eingegangenen Verpflichtungen bevorzugt und jaehrlich nur vier solcher Dramen--und den andern ist die Haelfte der Theater-Abende und Memorial-Vormittage entzogen. Eine Frage ist auch die: (Was treibt Raupach, Dramen zu schreiben?) Der Ehrgeiz, sich als Theater-Dichter zu bewaehren? Nein, er ist dafuer anerkannt. Eine innere Notwendigkeit, ein Drang des Nichtlassenkoennen? Das schon eher: Ich glaube sogar, dass Raupach nach dem Mass seiner Kraefte von seinen Stoffen begeistert ist. Nun wird man ihm doch gewiss noch zehn Jahre goennen muessen: auf jedes Jahr vier Dramen: macht die Aussicht, aus seinem unverwuestlichen Schaffenstrieb noch 40 Dramen zu erhalten! Sollt' es nicht da eine Grenze geben? Besaesse Raupach die Vielseitigkeit eines Kotzebue, dann waere die Aussicht minder abschreckend. Allein immer derselbe Stelzengang Schillerscher Geschichtsauffassung, immer dieselben den Schauspielern desselben Theaters auf den Leib zugeschnittenen Charaktere--man muss das Publikum bedauern, weil es bei aller Mannig- faltigkeit doch im Grunde nichts Neues sieht, und die Schauspieler, weil sie die Kraft ihres Gedaechtnisses an das nur allzuleicht Vergaengliche verschwenden ... Ludwig Tieck und seine Berliner Buehnenexperimente (1843) Es bestaetigt sich denn wirklich, dass nach des Sophokles "Antigone" nun des Euripides "Medea" die Ehre hat, vom Koenigl. Hoftheater in Berlin zur Darstellung angenommen und zu demnaechstiger Auffuehrung bestimmt zu sein. Als den Urheber dieses Planes bezeichnet man ziemlich einstimmig den geh. Hofrat Tieck. Mendelssohn ist bereits daran, die Choere zu instrumentieren. Die Philologen freuen sich schon auf die gelehrten Abhandlungen, mit denen sie die Spalten der Berliner Zeitungen werden fuellen koennen. Die aesthetische, lebendige, durch und fuer die Zeit lebende Kritik kann aber in diese Freude nicht einstimmen. Im Gegenteil muss sie dieses pseudoartistische Treiben mit gerechtem Unwillen erfuellen. Sie muss es unerschrocken aussprechen, dass die Vergeudung der Kraefte, die eine solche scheinbare Wiederbelebung des verfallenen Staubes alter Zeiten kostet, eine unverantwortliche Beeintraechtigung der Gegenwart ist. Ja, nicht nur eine Beeintraechtigung, sondern eine Beleidigung der Gegenwart. Tieck missachtet unsere Zeit. Er mag sich in dieser gehaessigen Gesinnung gegen sein Jahrhundert gefallen, wo er will, in seinen Dresdener Leseabenden, unter den Eichen von Sanssouci, ueberall, nur nicht da, wo er durch seinen Einfluss der Gegenwart ihr lebendiges Recht, das Recht des Lebens, entzieht. Ja er mag auf einem Privattheater alle Dramen von Aeschylus bis Holberg nach seinen Angaben vorfuehren lassen, nur eine dem Volk, eine der Zeit und ihren Rechten angehoerende Buehne sollte vor dem Schicksal bewahrt sein, das Opfer dilettantischer Liebhabereien und literarhistorischer Proteste gegen die Mitwelt zu werden. Ist Herr v. Kuestner schwach genug, sich freiwillig, aus Kassenzweck, solchen Chimaeren, die seinem dramaturgischen Bildungsgange gaenzlich fremd, hinzugeben,--so ist dies schlimm. Ist sein Einfluss so gering, dass er unfreiwillig der gehorsame Diener der ihm angedeuteten Wuensche sein muss,--so ist es noch schlimmer. Das Mittel, welches Ludwig Tieck ergreift, um unserer Zeit seine gruendliche Verachtung zu erkennen zu geben, ist ein dilettantisches Experiment, welches, auf Sand gebaut, einen Nutzen fuer Kunst und Literatur nie und nirgends bringen kann. Wird uns "Antigone" bessere Liebhaberinnen, wird uns "Medea" bessere tragische Muetter bringen? Beduerfen wir in einer Zeit, wo es der Schauspielkunst gerade an der Wahrheit der Natur und den unmittelbaren Affekteingebungen gebricht, jambenkundige Verssprecher und Verssprecherinnen? Beduerfen wir zur Belebung des Sinnes fuer hoeheres Schauspiel solcher Hilfsmittel, die, ueberwiegend von der Musik unterstuetzt, durchaus ein fuer das rezitierte Drama nur zweideutiges Ergebnis erzielen koennen? Ist die Weltanschauung der antiken Tragoedie eine erhebende fuer das Christentum, eine belehrende fuer den modernen Dichter, der ein ganz anderes Fatum zu schildern hat, als das blinde, hoffnungslose, starre antike? Werden Dichter, Schauspieler und Publikum sich durch solche aus der Luft gegriffene Mittel bessern, vervollkommnen, veredeln? Ich hoere, ein derlei praktischer Nutzen wuerde auch mit den Zitierungen jener klassischen Gespenster gar nicht bezweckt. Nun denn, so sei es die Sache an sich, so sei es das reine Experiment des Literarhistorikers, der befriedigte Gusto des artistischen Gourmands. Dann muss man herzlich die Taeuschung bemitleiden, in welcher sich jeder befindet, der diese von Lampen erhellte, im Zimmerraum eingeschlossene und von moderner Musik unterstuetzte Tragoedie fuer die griechische der alten Welt halten kann. Deckt das Dach einer Reitbahn ab, hebt die Parkett- und Parterreplaetze fuer den tanzenden Chor auf, gebt etwas, das ungefaehr aussieht, wie die Ruinen alter Theater in Rom und Sizilien, und wir wollen unsere Gymnasiasten klassen- und coetusweise in eure antiquarischen Spielereien fuehren! Das, was uns da als des Sophokles "Antigone" und als des Euripides "Medea" gegeben wird, ist aber auch nicht die Sache an sich, ist nicht eure unschuldige Gelehrsamkeit, nicht eure harmlose Freude am Gewesenen. Nein, einen Wechselbalg schiebt ihr uns unter mit ganz offen polemischer Tendenz. Ihr luegt dem Publikum ein Kunstgenre vor, das nie existiert hat, als in eurer Eitelkeit, eurem Hasse gegen die Gegenwart, die das Unglueck hat, juenger zu sein als ihr! Um von den "Goetzen des Tages" abwendig zu machen, erfindet ihr falsche Goetter, Goetter, die nie existiert haben, Heroen bei Lampenlicht, Oelgoetzen, Oedipe mit Souffleur- kastenbegeisterung, Kreons, die auf Abgaenge spielen, Choere, die sich auf den Kontrapunkt verstehen! Luege ist euer Beginnen, Zwitterwesen, luftige Seifenblase, aus Tonpfeifen erzeugt! Schaemt euch, so eure Zeit zu betruegen und die Kunst zu hintergehen. Der Grundzug der ganzen literarischen Laufbahn Tiecks ist die Frivolitaet. Frivol nenn' ich alles, was Maschine ist und sich fuer Organismus ausgibt, alles, was Luft ist und Erde sein will, alles, was Willkuer ist und den Schein der Notwendigkeit annimmt. Nie ist Tieck ueber das belletristische Prinzip hinausgekommen, nie durchgedrungen zur sittlichen Idee aller Kunst. Nie war ihm etwas anderes heilig als die Form; Inhalt war ihm laestig, Ernst drueckend, das Erhabene nur willkommen, wenn es moeglicher- weise in den Scherz umschlagen konnte. Wer liesse ihn nicht in dieser seiner Art gewaehren? Er sei, er bleibe ironisch, aber die Ironie hat ihre Grenzen. Die Ironie hoert auf, wo die Tendenz beginnt. Wir meinen unter Tendenz nicht irgendeine Pedanterie der Wissenschaft oder eine Tyrannei der Kunst, wir meinen jene Tendenz vom Willen zur Tat, vom Mittel zum Zweck, vom Anfang zum Ende. Sei ironisch im Sommernachtstraum deiner Haeuslichkeit, deiner Novellen, sei ironisch unter den Puck- und Trollgeistern, die dich im gruenen Waldrevier deiner Talente bewundern und bedienen--aber lass vor den heiligen Raeumen des Ernstes deine Schelmenkappe zurueck: Geschichte, Moral, Volksbildung, Kritik und die Buehne, was sie jetzt ist, die Buehne als Traeger und Organ hoeherer Sittlichkeit: das sind Begriffe, in welcher die Ironie wenigstens nicht als Regulator auftreten darf. Blickt man auf Tiecks literarische Laufbahn zurueck, so muss sich unwillkuerlich die Stirne runzeln. Was sieht man? Einen regen, berufenen, reichausgestatteten Geist, der von seinen Gaben keinen Gebrauch zu machen weiss, wenigstens keinen, der ueber einige heitere und witzige Schriften hinausging. Das Theater schien sein naechster Beruf. Er waere gern Schauspieler geworden und wuerde in dieser Laufbahn, von der ihm Schroeder abriet, vielleicht Grosses geleistet haben. Er persiflierte in seinen unauffuehrbaren Komoedien Iffland, ohne auch nur die Spur eines Ersatzes fuer ihn geben zu koennen. Er und seine Genossen, die Schlegel, machten Richtungen laecherlich, von denen sie spaeter eingestehen mussten, dass sie noch lange nicht so verderblich waren, wie die ohnmaechtigen romantischen Produkte, ueber welche Tieck in seinen spaetern dramaturgischen Blaettern berichten musste. Aus Verzweiflung, dass "Ion", "Alarcos", "Oktavian" usw. fuer die persiflierte Richtung keinen Ersatz boten, warf man sich auf Calderon, Shakespeare, Goethe, die man wiederum so ueberpries, dass sich zwischen Altem und Neuem foermlich eine unueberschreitbare Kluft oeffnete und der Begriff des Klassischen ins Ungeheuerliche, schier Anbetungswuerdige erstarrte. Tieck, der das zu allen Perioden seines Lebens Neue nur immer tadeln, das Alte aber ueberschwenglich nur loben konnte, Tieck hat bei unleugbar reichen Mitteln, bei unleugbarer Buehnenkenntnis, nicht ein einziges Buehnenstueck schreiben koennen. Nicht ein Trauerspiel, nicht ein Lustspiel, vom Schauspiel zu schweigen, das diese romantische Koterie nicht auf die unbesonnenste und noch jetzt, fuer jeden Produzierenden gefaehrlichste Weise in Verruf gebracht hat. Bei so viel Witz, bei so viel dramatischer Routine nicht ein Lustspiel! Freilich muss das Bewusstsein solcher Ohnmacht an dem ehrgeizigen Manne nagen und ihn gegen seine Zeit so missstimmen, dass er sich lieber in die antike Buehne wirft, als frei und tuechtig der Gegenwart Rede zu stehen.... Madame Birch-Pfeiffer und die drei Musketiere (1846) Herr von Kuestner scheint sich als General-Intendant zu halten. Eine Einnahme von 220 000 Talern soll lebhafter fuer ihn gesprochen haben, als alle Verteidigungen der Presse, als saemtliche Paragraphen seines mit Unrecht angefeindeten "Theater Reglements". Ob diese Einnahme rein als eine Folge der guten Verwaltung oder nicht vielmehr ueberwiegend ein notwendiges Ergebnis der gesteigerten Theaterlust und des durch die Eisenbahnen vermittelten Fremdenzuflusses ist, steht dahin. Jedenfalls ist es gefaehrlich, bei Kunstinstituten, die doch die Berliner Hoftheater sein sollen, einen zu grossen Nachdruck auf Zahlen zu legen. Die Leidenschaft fuer "Ueberschuesse" ist eine der gefaehrlichsten Intendanten-Krankheiten. Sie kann sich in ein hitziges Fieber verwandeln, bei welchem sich alle Begriffe von Geschmack und Kunstsinn verwirren. Ich sagte, die neuen Berliner Theatergesetze waeren mit Unrecht angefeindet worden. Sie lesen sich streng, waren aber den eingerissenen alten und den zu verhuetenden neuen Missbraeuchen gegenueber eine Notwendigkeit. Bei ihrer Abfassung haette konstitutionell verfahren werden sollen, d.h. die Mitglieder der Koeniglichen Buehne haetten in die Gesetzgebungs-Kommission eine Anzahl Repraesentanten muessen waehlen duerfen. Aller Zeitungslaerm und Kulissenaerger waere durch dies konstitutionelle Verfahren vermieden worden. Die Gesetze jedoch, die nun da sind, flossen aus einem Bewusstsein, das offenbar nur das Gute wollte und denselben Willen bei jedem treufleissigen Kuenstler voraussetzte. Dagegen sich auflehnen und einen Laerm schlagen, als wenn dem redlichen Kuenstlerstreben das Palladium der Freiheit entwendet waere, verraet geringe Ueberlegung. Die Theatergesetze des Herrn von Kuestner sind nicht ohne Fehler, aber in den Hauptgrundsaetzen nur zu billigen. Auch Verbesserungen des Personals scheinen wenigstens im Schauspiel beabsichtigt zu werden. Dem Fraeulein von Hagn soll die Last, das ganze Repertoire auf ihrem schoenen griechischen Nacken zu tragen, endlich erleichtert werden. Sie fuehlt sich gewiss sehr gluecklich, einen Teil ihrer Rollen an andere abzugeben und, wenn sie verreist (was sie waehrend drei der besten Theatermonate darf), ihre Partien in andern Haenden zurueckzulassen als in denen ihrer Schwester Auguste. Fraeulein Viereck ist vom Wiener Burgtheater, das einen wahren Blumenflor der besten weiblichen Buehnenkraefte besitzt, nach Berlin uebergegangen, eine hohe, plastisch edle Erscheinung, von etwas herbem Ton und noch nicht taktfest in empfindungsvollen Modulationen des Vortrags, jedenfalls mehr die Rollen repraesentierend, als sie schaffend; doch wird das Talent dafuer sich schon mit den Rollen entwickeln. Was Fraeulein Viereck nicht besitzt, diesen unmittelbaren poetischen Ausbruch einer "freud- und leidvoll" bewegten weiblichen Natur, das wird Fraeulein Wilhelmi aus Hamburg bringen, ein Talent, das an der Elbe hochgeruehmt wird und, wie man vernimmt, gleichfalls von der grossmuetigen Entsagung des Fraeuleins von Hagn Vorteile ziehen wird. So bildete sich ja in Berlin ein Verein von Liebreiz und Talent, dessen Erwerbung Herrn von Kuestner alle Ehre macht. Clara Stich fuer die Naivitaet, Charlotte von Hagn fuer die keck gestaltende, geniale weibliche Charakterrolle, Fraeulein Viereck fuer die Salondamen, Fraeulein Wilhelmi fuer die schwungvollen jugendlichen Heldinnen der Tragoedie, Frau von Lavallade fuer duldende und zurueckgesetzte Gemueter, Madame Crelinger fuer die Medeen und Dr. Klein'schen Zenobien, Madame Birch-Pf---- Halt! Wir kommen aus der Sphaere des Personals in die des Repertoires; denn es scheint, als haette Herr von Kuestner die fruchtbare Buehnendichterin mehr aus Ruecksicht auf ihre Feder, als auf ihre Darstellungsgaben engagiert. Sie ist ihm als Schriftstellerin benoetigter, denn als Mimin. Er wuenschte ihre Stuecke gleich aus erster Hand zu haben und benutzte eine durch den Abgang der Madame Wolff entstandene, allerdings gewaltige Luecke, um diese mit Madame Birch-Pfeiffer auszufuellen. Ich habe die Verfasserin des "Hinko" in meinem Leben zweimal spielen sehen. Vor dreizehn Jahren in Muenchen die Maria Stuart und vor zwei Jahren in Frankfurt am Main Maria Theresia. Beide Male hinterliess sie mir einen sozusagen grossartigen Eindruck. Es war etwas Volles, Gerundetes in ihrer Leistung. Das klangvolle Organ sprach zwar etwas den bayrischen Dialekt, was fuer Maria Stuart eine eigentuemliche Nuance war; aber auf Maria Theresia passte ohne Zweifel die oberdeutsche Mundart; denn Maria Theresia hat schwerlich je so gesprochen, wie ein Mitglied der Koeniglichen Buehne in Berlin sprechen sollte. Madame Birch-Pfeiffer stattete die Kaiserin mit vielem Gemuet und mancher derben Gestikulation aus. Kenner wollten finden, dass sie uebertreibe, andere, dass sie monoton waere. Genug, ueber ihre Verdienste als Kuenstlerin gestehe ich, kein Urteil zu haben. Auch gegen ihre Stuecke wage ich, selbst Dramatiker, nichts zu sagen. Sie ist weit mehr als unsere deutsche Madame Ancelot. In Paris wuerde sie wie der Koloss von Rhodos das ganze Repertoire vom Odeon jenseits der Seine bis zu den Delassements comiques am Boulevard du Temple beherrschen. Sie wuerde klassisch sein fuer das Theatre francais, romantisch fuer die Porte St. Martin. Sie wuerde sich bald von ihrer eigenen Phantasie, bald von deutschen und englischen Romanen (nicht von franzoesischen, denn dem franzoesischen Romandichter muss der Dramatiker sein Sujet abkaufen!) befruchten lassen. Die Buehnenkenntnis, die Kulissen-Phantasie, die Lampen-Rhetorik dieser Schriftstellerin ist selbst ueber eine kuehle Anerkennung erhaben. Ihr Talent lobt sich selbst. Dennoch ist es ein Unglueck, dass Herr von Kuestner in seiner Bewunderung von Madame Birch-Pfeiffer zu enthusiastisch ist. Er sollte sich darin maessigen. Er sollte einsehen, dass ein Stueck mit folgendem Titel: (Anna von Oesterreich. Schauspiel in vier Abteilungen und sechs Akten, nach dem Roman: Die drei Musketiere von Alex. Dumas, frei bearbeitet von Charl. Birch-Pfeiffer. Erste Abteilung. Ein Taschentuch. Zweite Abteilung. Der Musketier. Dritte Abteilung. Der Kardinal Vierte Abteilung. Zwoelf Tage spaeter.) mit oder ohne diese Titel-Aushaengeschilder nicht auf die Koenigliche Buehne gehoert. Herr von Kuestner sollte sich hueten, seinen Gegnern mit solchen Fehlgriffen die Waffen in die Hand zu geben. Aber in der Tat! Diese drei Musketiere haben sich vom Alexanderplatz auf den Gensdarmenmarkt verirrt und werden, statt ueber die Koenigsstaedter ueber die Koenigliche Buehne schreiten. Die Rollen sind ausgeteilt. Hendrichs, Doering, die Hagn, die Crelinger, die besten Truppen ruecken fuer Alexandre Dumas und seine in die Uniform der Madame Birch-Pfeiffer gesteckten drei Musketiere ins Feld. Herr von Kuestner glaubt die hohe Aufgabe, jaehrlich sich mit 220 000 Talern zu "rechtfertigen", nur durch ein solches Repertoire loesen zu koennen. Wenn auch Graf Bruehl sich im Grabe umdrehen sollte, wenn auch Graf Redern, auf dem Trottoir Unter den Linden einen Augenblick still stehend und den neuesten Theaterzettel an einer Strassenecke lesend, laecheln, hoechst ironisch laecheln sollte, Herr von Kuestner fuehrt doch die drei Musketiere der Madame Birch-Pfeiffer auf! Frueher war das Verhaeltnis so: Wenn Madame Birch-Pfeiffer ein Stueck gezeitigt hatte, so kam es an die General-Intendantur. Graf Redern sah, ob diese Arbeit von der fruchtbaren Schriftstellerin selbst herruehrte oder ob sie sich, wie Kuehne sagte, wieder einen Roman "eingeschlachtet" hatte. Die Originalversuche, z.B. "Rubens in Madrid", "Die Guenstlinge" usw. wurden mit Courtoisie angenommen und gegeben; die "Wuerste" aber gingen hinueber in die Koenigsstadt. Dort wohnten die Hinkos, die Pfefferroesels, die Scheibentonis und wie die edlen Gestalten alle heissen, die Madame Birch-Pfeiffer nicht selbst geschaffen hat, sondern aus den Romanen Storchs, Doerings, Spindlers, Bulwers usw. mit der daranhaengenden Handlung entlehnte. Auch die drei Musketiere wuerde Graf Redern (nicht als Kavalier, sondern als Kunstrichter!) in die Koenigsstadt geschickt haben. Herr von Kuestner, der noch kein einziges Drama von Julius Mosen gegeben hat, befolgt ein anderes System. Er wirbt die drei Musketiere bei sich an, stattet sie mit Glanz aus und wuerde auch "Den ewigen Juden", wenn ihn Mad. Birch-Pfeiffer "bearbeitet" haette, ohne Zweifel fuer sich behalten haben. Ich meine nun, dieses System waere sehr verwerflich und der allgemeinsten Entruestung wuerdig. Ich meine, die Vorgesetzten des Herrn von Kuestner muessten ihm entschieden andeuten, dass es dem preussischen Staate mit den 220 000 Talern oder, anders ausgedrueckt, mit dem Ueberschusse von einigen tausend Talern nicht so dringend waere. Ich meine, dass sogar Mad. Birch-Pfeiffer so bescheiden haette sein und sagen koennen: "General-Intendant, Sie revoltieren die Presse! Geben Sie die Stuecke, die schon zehn Jahr im Pulte der Regie liegen! Machen Sie mir keine Feinde!" Allein Macht und Uebermut gehen Hand in Hand. Die Leute dort denken: Solange wir im Rohre sitzen, schneiden wir uns unsere Pfeifen ... Deshalb weise Herr von Kuestner seinen ueber die Massen protegierten Guenstling in die Schranken, die ihm gebuehren! Vielleicht glaubt man mir's, vielleicht nicht, dass ich mit schwerem Herzen an die Abfassung dieser Zeilen gegangen bin. Ich achte jedes wahre Talent auf der Stufe seines Wertes. Ich habe noch nie gegen Mad. Birch-Pfeiffer geschrieben; ich goenne ihr alle nur erdenklichen Erfolge ihrer resoluten Feder; ich will mich am wenigsten auf eine Analyse ihrer Original-Dramen einlassen, ich will nicht spotten und selbst fuer die ironischen Stellen dieses Protestes um Nachsicht bitten. Aber die herbste Missbilligung treffe Herrn von Kuestner, der monatelang keine Neuigkeiten auffuehrt, in den Berliner Zeitungen offiziell das Publikum von dieser oder jener maskierten Vorbereitung unterhaelt und dann ploetzlich in aller Stille, zur guenstigsten Theaterzeit, mit einer Birch-Pfeifferiade, die in die Koenigsstadt gehoert, hervortritt! Werden die Berliner Zeitungen das in der Ordnung finden? Werden sie alle vor "den drei Musketieren" ins Gewehr treten? Ich fuer mein Teil, selbst wenn ich nie eine Zeile fuer die Buehne geschrieben haette, wuerde es unverantwortlich finden, dass die Berliner Hofbuehne diesen, aus schnoeder Gewinnsucht oft in nicht vierundzwanzig Arbeitsstunden zusammengeschriebenen Fabrikenkram in ihr Repertoire aufnehmen darf. * * * * * IV. Aus dem literarischen Berlin Der Sonntagsverein (1833) Wer kennt nicht den Berliner Sonntagsverein, den Rival der Mittwochsgesellschaft? Wenigstens ist es noch nicht vergessen, dass der wirkliche Geheime Intendanzrat Saphir vor vier, fuenf Jahren in Berlin jenen ersten Verein gruendete und ihn witzig nicht die sondern den Sonntagsgesellschaft nannte, um jede Beziehung auf die Sontag in diesem Namen zu unterdruecken und bei der Nachwelt der Vermutung zuvorzukommen, als sei Willibald Alexis, der Enthusiast, jenes Vereins Stifter gewesen. Saphir wusste diese Gesellschaft bald zu bevoelkern. Die Zahl seiner Schueler und Verehrer war beinahe ebenso gross als die seiner Feinde. Saphir zeigte, dass der Witz nichts gelernt zu haben brauchte, dass die Phantasie alle Luecken ausfuelle und der Goetterfunke auf keine Schulzeugnisse sehe. Das war das Signal zu einer Autorensaat, die aus den seinen Gegnern ausgeschlagenen Zaehnen aufwuchs und sich mit Begeisterung unter seine Fahne stellte. Die Seidenwarenhaendler in der Breiten Strasse tobten, dass ihre Ladendiener, statt die Waren richtig zu messen, Versfuesse massen, um Scharaden, Logogriphe und Raetsel zu machen, die sie am folgenden Tage mit klopfendem Herzen in Saphirs Blaettern abgedruckt sahen. Die Kopisten auf dem Stadtgerichte sollten Ehescheidungsdekrete, Verfuehrungsgeschichten und Schlaegereien ins Reine schreiben und uebten sich in der literarischen Polemik, mit der sie dem Satir in der Behrenstrasse immer willkommen waren. Die Studiosen, die bei Savigny die Pandekten hoerten, machten humoristische Ausfluege und beschwerten das Felleisen der "Schnellpost" und des "Couriers", dieser weltbekannten Institute ihres grossen Generalpostmeisters. Gar nicht zu erwaehnen, dass fuer die Juden ein ewiges Laubhuettenfest der Poesie angebrochen war, dass sie sich ihre satirischen Adern oeffnen liessen und unter dem Schutze ihres grossen Messias alles taten, wozu er selbst sie die Handgriffe lehrte. Damals bluehte die Sonntagsgesellschaft und trug herrliche Fruechte, von denen sie zum Besten der Ueberschwemmten vor Jahren einige Spenden bekannt machte. Spaeter kam die Gesellschaft unter den Vorsitz meines liebenswuerdigen Freundes Oettinger. Dann kam die Reihe an die Letzten, um die Ersten zu werden. Diese sind auch noch heute der Stamm, sie haben sich von Saphir emanzipiert und hoeren nicht gern, dass man sie an die Schule ihrer Talente erinnert. Die beiden vorliegenden Baende ["Rosetten und Arabesken. Novellen, poetische Gemaelde und satirische Skizzen der juengern Serapionsbrueder. "] fuehren den Nebentitel "Spenden aus dem Archive des Sonntagsvereins" und geben den Massstab fuer das, was dieser war, ist und sein koennte. Zwanzig Koepfe haben hier ihre Phantasien, ihre Ideen, ihre Einfaelle und Ausfaelle mitgeteilt. Jede Kunstform hat ihren Repraesentanten gefunden, und man ist zweifelhaft, nach welchem Gesichtspunkte man die grosse Zahl sondern soll. Darf ich nach den Vornamen gehen? Dann kaemen z.B. Ludwig Schneider und Ludwig Liber zusammen, die freilich auch zusammen gehoeren, weil sie kuerzlich mit zwei grossen goldnen Verdienstmedaillen belohnt worden sind, Ludwig Schneider (auch Both genannt), der das Glaubens- bekenntnis eines Landwehrmanns geschrieben hat, und Lieber Ludwig, wollt' ich sagen, Ludwig Liber, von dem "Herzensergiessungen ueber die richtige Mitte" ausgegangen sind. Doch, wie gesagt, das ist alles zu weitlaeufig und ich begnuege mich nur anzuzeigen, dass diese beiden Baendchen eine Musterkarte von Trivialitaeten, geistlosen Gedankenspaenen, kurz von literarischen Berolinismen sind, einzelne Sachen von Heinrich Smidt, W. Fischer und selbst Schneider ausgenommen. Und selbst der Mittlere sagt in einem Neujahrsliede zum Jahre 1832: Es schwand ein Jahr, und welch ein Jahr vorueber! Vergebens sucht Ihr es im Buch der Zeit! Wie billig, fragt man den Verfasser, wo es denn geblieben sei? Solcher Ungereimtheiten findet man zu Dutzenden. Die "satirischen Kleinigkeiten" von Wilhelm John erregen allerdings Gelaechter, weil sie bewunderungs- wuerdig fade sind. Man hoere: "Die Erfahrung der letzten Zeit hat gelehrt, dass Enthusiasten haeufig Esel, aber Esel niemals Enthusiasten sind. Hieraus koennte man schliessen, der Enthusiasmus sei eine solche Eselei, dass sich nur Enthusiasten, aber keine Esel dazu verstehen koennen." Wie dumm! Ferner: "Die groebsten Ausfaelle werden gewoehnlich am meisten gegen diejenigen gerichtet, welche die feinsten Einfaelle haben." Ich haette Lust, das erste Glied dieses Satzes wahr zu machen, wenn unser John Bull es nur mit dem zweiten koennte. Ferner: "Der Witz des Poebels gleicht mitunter dem rohen Metall, das nur der Politur bedarf, um zu glaenzen." Herr John, Sie werden doch nicht auf sich selbst sticheln? "Die Sucht, originell zu sein, hat das Originelle an sich, dass sie Narren bildet." Ach! Es ist genug. Die Metamorphose von Herrn Smidt ist eine geistvolle Phantasie, die dem Verfasser Ehre macht. Doch kommt von den Novellen keine ueber dies Mittelmass hinaus. Cypressen fuer Charlotte Stieglitz (1835) Heraus aus deinem Schneckenhause, du deutscher Gallert, Volk genannt! Heraus aus deinen ohnmaechtigen Zweideutigkeiten, du lederhaeutiger Eunuch! Was wollt Ihr mit Moral, mit dem Stolz auf Eure gesunde, rotbaeckige, laechelnde Vernunft? Wie weit kommt Ihr mit Eurem Achselzucken, Eurer Pruederie und Eurer sittlichen Traegheit, die sich gern auf die grossen Fragen der Weltgeschichte streckt und sich damit bruestet, die kleinste Pfeife der grossen Orgel zu sein? Eure Grundsaetze sind morsch geworden, da Ihr sie in den Boden der Geschichte nicht mit brennenden Spitzen eingepfaehlt habt. Zitternd muesst Ihr fuehlen, dass Ihr bei dem ewigen Sichhingeben, gleichviel ob an die Ordnung der Dinge, wie sie ist, oder wie sie veraendert werden soll, recht klein, zusammengeschrumpft, unbedeutend und nichts als eine Zahl zu andern Tausenden geworden seid! Ihr erschreckt, dass es noch Menschen gibt, welche den innern Prozess der Seele durchmachen; die mit blutigem Schweisse daran arbeiten, in den Geheimnissen des Geistes ein Gebaeude aufzubauen, und sich lieber unter seinen Truemmern begraben, als dass sie die Welt so hinnaehmen, wie sie auf der Strasse, in der Schule, in der Kirche, in der Konversation Euch geboten wird! Seit dem Tode des jungen Jerusalem und dem Morde Sands ist in Deutschland nichts Ergreifenderes geschehen, als der eigenhaendige Tod der Gattin des Dichters Heinrich Stieglitz. Wer das Genie Goethes besaesse und es schon aushalten koennte, dass man von Nachahmung sprechen wuerde, koennte hier ein unsterbliches Seitenstueck zum "Werther" geben. Denn es sind ganz moderne Kulturzustaende, welche sich hier durchkreuzen, und doch ist der Grabeshuegel, der aus ihnen hervorragt, wieder so sehr Original, dass die Phantasie des Dichters nicht lebendiger befruchtet werden kann. Ein Geistlicher hat an dem winterlichen Grabe dieses Weibes ueber ihr Beginnen den Fluch ausgesprochen. Es war seines Amtes. Aber wir sind nicht alle ordiniert und auf das Symbol geschworen, und doch hoert man rings von ungeheurer Verwirrung summen, von Nervenschwaeche, von falscher Lektuere und alles schlaegt sich stolz an seine Brust, die etwas aushalten kann, und kehrt pfiffig die Eingeweide seines Verstandes heraus, um zu zeigen, wie gesund, ohne Verknotung, ohne allen Mangel sie sind: Und sie zeigen lachend die Matrikel ihres Lebens, das sie in Gotha beim Geheimrat Arnoldi versichert haben, und furchtsame, aber kuehne Philosophen behaupten den alten elenden Satz, dass Selbstmord die unzulaenglichste Feigheit verrate. Wenige nur ahnen es, dass hier eine ungeheure Kulturtragoedie aufgefuehrt ist, und die Heldin des Stueckes bis auf den letzten Moment fuer zurechnungsfaehig erklaert werden muss vor dem Tribunal einer Meinung, die die Wehen unsrer Zeit versteht. Es gilt hier ueberhaupt nicht das Urteil, sondern die Erklaerung. Das erste Motiv des tragischen Aktes ist auch hier die Liebe; denn es war ein Opfer, das das hehre Weib ihrem Manne brachte. Aber diese Liebe war eine volle, gesaettigte; eine Liebe, die sich an grossen Tatsachen erwaermt, und welche allein imstande ist, Maenner zu begluecken. Es war nicht eine allgemeine, durch das Band der Gewohnheit zusammengehaltene Neigung, die bei den meisten Frauen sich zuletzt auf die Tatsache der Kinder wirft, und von diesen aus den Mann mit einem matten aber treuen Feuer umfaengt. Es war noch weniger jene egoistische Liebe der Schoenheit, die nur um ihrer selbst willen sich hingibt, wo sie Anbetung findet. Sondern das hoechste Ideal der Liebe lag hier vor; eine objektive, fundierte, angelegte Liebe; eine Liebe, die sich auf Tatsachen stuetzt, welche fuer beide Teile des Bandes gemeinschaftlich waren, auf eine Weltansicht, auf wechselseitige Zulaenglichkeit und auf das Lebensprinzip des Wachstums und des Erkenntnisses. Diese Liebe war erfuellt, sie hatte Staffage. Beide Teile standen sich gleich und Eins durfte fuer das Andre nicht verantwort- lich sein. Ideen vermittelten hier Kuss und Umarmung. Sinnlicher Platonismus wartete hier; und ich glaube, die jungen Maenner des Jahrhunderts werden nicht eher gluecklich sein, bis nicht die Liebe ueberall wieder diesen idealen Charakter angenommen hat, den sie sogar vor vierzig Jahren schon hatte. Charlotte hatte vor dem Todesstosse in Rahels Briefen gelesen. Rahel wuerde ihren Gemahl niemals haben so ungluecklich machen koennen, denn sie wollte keine Resultate, wie Charlotte; sie ergab sich nur dialektischen Umtrieben, dem Genuss, die Dinge von einem ihr nicht angebornen Standpunkt anzusehen: Rahel zog, wie Lessing, das Suchen der Wahrheit der Wahrheit selbst vor. Charlotte kannte diese Resignation des Gedankens nicht: sie war kein Zoegling der Frivolitaet, wie Rahel, zu deren Fuessen einst die Mirabeaus und Catilinas des preussischen Staates und der Periode 1806 gesessen hatten. Rahel war Negation, Brillantfeuer, Skeptizismus und immer Geist. Sie nahm keinen Gedanken auf, wie er ihr gegeben wurde; sondern wuehlte sich in ihn hinein und zerbroeckelte ihn in eine Menge von Gedankenspaenen, welche immer die Form des Geistreichen und ein Drittel von der Physiognomie der Wahrheit hatten. Rahel unterhandelte mit dem Gedanken: sie war kein Weib der Tat: wie kann sie Selbstmord lehren! Charlotte war Position, dichterisch, glaeubig und immer Seele. Sie beugte sich vor den Riesengedanken der Zeit und der Tatsache, und ihr Geist fing erst da an, wo es galt, sie zu ordnen. Charlotte war System: und weil sie nicht alles kombinieren konnte, was die Zeit brachte (koennen wir's?), so blieb ihr nichts uebrig, als ihr grosser, starker, goettlicher Wille. Charlotte konnte sterben auch ohne die Rahel. Wie aber und wodurch alles bis auf diese Hoehe kam, wird nur durch Heinrich Stieglitz einzusehen sein; denn wir sagten schon, dass hier nichts ohne die Liebe war. Heinrich Stieglitz, wie man ihn sieht im braunen Rock und Quaekerhut, luftdurchschneidend, in stolzer und berechneter Haltung, ging aus den Bildungselementen hervor, welche vorzugsweise die Berliner seit zehn Jahren charakterisiert haben. Er liebte Hegel, Goethe, die Griechen, die Philologie, die preussische Geschichte und die deutsche Freiheit, russisches Naturleben, polnische Begeisterung, alles ineinander und nebenbei musste er auf der Koenigl. Bibliothek in Berlin mit Bedienten und Dienstmaedchen verkehren, welche fuer ihre Herrschaft die entlehnten Buecher holten, ueber welche er das Register fuehrte. Himmel, Erde und Hoelle lagen hier ziemlich nahe. Wo Einheit? Wo Ziel und Ende? Stieglitz dichtete; man wollte nicht zugeben, dass er originell war. Es ist alles so oed und trist in Deutschland: die Dinge sind alle Geschmackssache geworden, und da, wo in der Restauration Geist, Leben oder meinetwegen auch nur das Aufsehen war und die Tonangabe, fand Stieglitz schneidenden Widerspruch. So geriet er, der mit Hafizen schwelgte und auf den asiatischen Gebirgsruecken sattelte, in Gefechte mit Saphir! Seine Ideale wurden profaniert. Menzel wies ihn kalt zurueck, weil er keine Originalitaet antraf. Die Julirevolution brach an und ergriff auch seine Muse, wie seine Meinung. Da erschienen die "Lieder eines Deutschen", vom Tiersparti vergoettert, und doch vom Repraesentanten des Tiersparti, von Menzel, wiederum nicht anerkannt. Wo ein Ausweg? Stieglitz liebte die Goethesche Poesie und die Freiheit und konnte keine Bruecke finden. Er fuehlte sich unheimlich in dem Systeme des Staates, der ihn besoldete; denn die Fragen der Welt fanden Eingang in sein empfaengliches Herz. Aber auch hier wieder soll alles Meinung, Wahrheit und die Prosa der Partei sein. Ist die Freiheit ohne Schoenheit? Kann man nicht mehr Dichter sein und Stolz der Nation, wie es frueher war, wo der alte Grenadier sang? Ach, der unglueckliche Dichter ging noch weiter in seiner Verzweiflung. Er sass im Schimmer der naechtlichen Lampe, Ruhe auf der Strasse, das weisse Papier, das Leichenhemde der Unsterblichkeit, durstig nach Worten der Unsterblichkeit vor ihm. Im Nebenzimmer schlug Charlotte zuweilen auf das Klavier an. Der Dichter weinte. Denn war ihm eine andere Leiter zum Himmel im Augenblicke sichtbar, als die, welche sich aus einem solchen zitternden Tone aufbaute? Wo Wahrheit? Wo Licht, Leben, Freiheit? Wo alles, was man haben muss, um ein grosser Dichter zu sein? Wo der Hass eines Dante, rechter, tiefer, ghibellinischer Hass; nicht jener Hass, den wir unglueckliche Kinder unsrer Zeit mit einer seltsamen Eiskruste unsrer von Natur weichen Herzen affektieren? Wo die Blindheit eines Milton? Wo der Bette1stab Homers? Wo die Situation eines Byron, geschaffen aus eignem Frevel und der rikoschettierenden Rache des Himmels? Wo Wahrheit und ein grosses, stachelndes, unglueckliches Leben? Ach, nichts als Luege, als heitrer Sonnenschein, reichliches Auskommen und der Bekanntschaft laestiger Besuch. Der arme Heinrich liegt krank an der Miselsucht, wo ist des Meyers Tochter, die sich fuer ihn opfre? Ich meine es treu mit diesen Worten und fuehle, welche tragische Wahrheit in ihm liegt. Sie drueckt den Schmerz unsrer poetischen Jugend aus, von der die altkluge oeffentliche Meinung verlangt, dass sie sich zusammenscharen solle und sich aneinanderreihe, um das zu besingen, was die Weltgeschichte dichtet. So fuehl' ich es wenigstens: vielleicht dachte Stieglitz anders. Vielleicht dachte er an seine Verse und abstrahierte vom Momente; vielleicht dachte er an die Stellung in der Literaturgeschichte und an die Sonderbarkeit, dass gerade Homer, Virgil, Ariost, Petrarca zu ihrer Zeit so viel gemacht haben; vielleicht dachte er nur an die Persoenlichkeit, wie sie zu allen Zeiten unabhaengig von den Zeiten, dichterisch sich ausgesprochen hat: er fand, dass man eine grossartige Staffage seines Schicksals haben muesse, um originell zu sein in der Lyrik, erhaben im Drama, interessant im Infanteristenausdruck, in der oratio pedestris; und lechzte nach einem Ereignis, das sein Inneres revolutionieren sollte. Toericht, wenn man Stieglitz den Vorwurf macht, dass er seine Gattin in diesen Strudel hineinriss. Sie musste wissen, was seine Stirn in Runzeln zog, und musste teilen, was an seinem Wesen nagte. Sie stand auf der Hoehe, sein Unglueck zu begreifen. Sie fuehlte wohl, dass dem Manne eine Staffage seiner Begeisterung fehlte. Das gewoehnliche Geschwaetz der Tanten, welche ein Interdikt legen auf Annaeherungen zwischen ihren Nichten und sogenannten Schoengeistern, Kraftgenies und Demagogen, die Philisterei grosser und patriotischer Staedte, welche ihren Toechtern nur angestellte und offizielle Juenglinge zu lieben erlaubt und jedem Manne, der Buecher macht, den Rat gibt, unbeweibt zu bleiben, der lieben Kinder, des Brotes und auch der Poesie selbst wegen, welche ja besser gedeihe ohne buergerliche Ruecksichten und Witwenkassen; diese ganze Misere kam nicht in Charlottens Seele. Es ist ganz falsch, ihr lieben geschwaetzigen Robberspielerinnen und Ehefrauen aus der gemaessigten Zone, wenn ihr glaubt, die naerrische Doktorin Stieglitz, das beklagenswerte Wesen, habe sich deshalb beendigt, um ihrem Manne Ruhe zu schaffen, aus dem Bereich der vierwoechentlichen Waesche zu bringen und ihm die Sorgen zu ersparen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Daran dachte sie nicht, die stolze Seele. Nicht Ruhe, sondern Verzweiflung goennte sie ihrem Manne. Sie gab sich als Opfer hin, nicht um ihn zu heilen, sondern in recht tiefe Krankheit zu werfen. Sie wollte seiner Melancholie einen grellen, blutroten, und ach! nur zu gewissen Grund geben. Sie wollte ihn von der Luege befreien und gab sich hin dem Tode, jung, liebreizend, mitten im Winter gleichgueltig gegen die Hoffnung des Fruehlings, resigniert auf den gewiss noch langen Faden der Parze, bereit, das fuerchterliche Geheimnis des Todes zu erproben, lange, lange vor dem Muessen, resigniert auf jede Freude und Anmut, welche in der Zukunft noch fuer sie liegen konnte. Die Tat ist geschehen. Das Grab ist still. Schnee bedeckt den Huegel. Die Neugier ist befriedigt. Was soll man schliessen? Ihr nichts: wir alle nichts. Was soll Heinrich Stieglitz? Armer Ueberlebender! Du bist ein ungluecklicher Rest. Aber dein Unglueck, das nun da ist, ist ohne Energie. Dein Unglueck ueberragt dich! Du bist ihm nicht gewachsen. Was wirst du tun? Die ungeheure Tat besingen? Gewiss, ein Totenopfer steht dir an. Dante haette dieser Anregung nicht bedurft; Goethe gar nicht. Wil1st du die Tatsache ueberwinden, sie aufnehmen in dein Blut und unterbringen in den Zusammenhang deiner Gedanken, so musst du so gross sein, wie dennoch Dante und Goethe. Wirst du oeffentlich von dem Opfer zehren, das im Geheimen dir die Liebe gebracht hat? Ich beschwoere dich, bring' an das Risiko deiner Verse nicht den gewaltigen Schmerz heran, den du empfindest! In dem Ganzen liegt zu viel Demuetigung, dass nicht das Ende eine Komoedie sein koennte. Wahrlich, Poesie ist nun hier nichts mehr; das Motiv und die Staffage ist groesser als das, was sich darauf bauen laesst. Es ist nicht mehr die Welt, in der hier etwas Seltnes vorgegangen ist, sondern ein enger Raum von vier Waenden, eine Buehne von drei Waenden; denn es ist eine Tragoedie. Aber noch ist die Tragoedie nicht vol1staendig. Ein Gedicht rundet sie nicht ab. Diese Kritik gehoert Bettinen (1843) (Nil divini a me alienum puto.) Wie man nach einem Mittagsmahle, wo man beizende Speisen zu sich genommen hat, die uns austrocknen und einen brennenden, kaum zu ertragenden Durst erzeugen, einen Trunk des reinsten, erquickendsten Quellwassers die verschmachtende Kehle hinunterschuettet und mit Wollust die benetzte Lunge zum Atmen ausdehnt, so erquickt, so erfrischt das neue Buch Bettinens. Im Kristallglase ihrer stilistischen Schoenheiten, mit all den wunderlichen, eingeschliffenen Blumen ihrer gewohnten Darstellungsweise kredenzt die anmutige Zauberin uns diesmal nicht etwa berauschenden Schaumreiz, der uns die Welt im phantastischen Rosenlichte zeigen soll, nicht suedliches Rebenblut, durchduftet von den Blueten des Orients oder gewuerzt von zerstossenen Perlen der Maerchenwelt, sondern diesmal nur reine, frische Quellflut, reines kristallhelles Nass vom Borne der Natur, aus der Zisterne der gesunden Vernunft. O welche Labung, dies herrliche, gedankenklare, gesinnungsfrische Buch! Nach so viel tausend gewuerzten Speisen, die uns die Philosophie dieser Tage aufgetischt hat, nach dieser taeglichen salzigen Heringskost unserer modernen Literatur, nach diesem ewigen Sauerkohl unserer philisterhaften Denk-, Schreib-, Lese- und Lebensmethode ein solches Buch! Ein solcher Trunk aus den Bergen, ein volles Glas, wo die Felsen-Kuehle mit tausend Tropfen die innere Wand beschlaegt! All ihr modernen Rheinweinpoeten und knallenden Champagnersaenger, das konntet ihr nicht geben, was Bettina gibt, Labung und Kuehlung, Erquickung und Staerkung, Trost fuer das Vergangene und Mut fuer das Werdende! Das neue Koenigsbuch dieser merkwuerdigen Frau ist kein Buch in dem Sinne, dass es wie herbstliches Geblaetter eine Weile raschele und unterm Winterschnee vergessen sein wird, sondern es ist ein Ereignis, eine Tat, die weit ueber den Begriff eines Buches hinausfliegt. "Dies Buch gehoert dem Koenig", es gehoert der Welt. Es gehoert der Geschichte an, wie Dantes "Komoedie", Macchiavellis "Fuerst", wie Kants "Kritik der reinen Vernunft". Es sagt Dinge, die noch niemand gesagt hat, die aber, weil sie von Millionen gefuehlt werden, gesagt werden mussten. Man wird diese Dinge bestreiten, man wird des Frauenmundes, der sie ausspricht, spotten und man bestreitet und spottet schon lustig in den Allgemeinen und gemeinen Zeitungen unserer Tage. Aber bei Erscheinungen dieser Art heisst es, das starke Ende kommt nach. Mit des kuehnen Strauss' "Leben Jesu" ging es ebenso. Vor dem wahrhaft Bedeutenden erschrickt man erst, ehe man vor ihm niederfaellt. Wer noch nicht nach den beiden kleinen Baenden gegriffen hat, wer noch schwankt, ob man ein Buch interessant finden soll, das man nicht wie einen Roman in einem Zuge, sondern in den "bekannten sieben Zuegen", wie die Studenten sagen, trinken und allmaehlich in sich aufnehmen muss, dem diene folgendes als Erlaeuterung: Das merkwuerdige Buch traegt seinen persischen Titel wirklich mit vollem Recht. Es ist keine Affektation in diesem Titel. Dies Buch gehoert wirklich dem Koenig und musste so heissen, durfte nicht anders. Es ist ein Brief, ein offener Brief, an den Koenig geschrieben und geradezu an Friedrich Wilhelm IV. Es ist eine Adresse der Zeit, von einem Weibe, einer mutigen Prophetin verfasst, und deshalb von Tausenden von Maennerunterschriften bedeckt, weil Bettina hier nur das Organ einer allgemeinen Ansicht, die kuehne Vorrednerin ist, die Jeanne d' Arc, die nicht mit ihrem Arme, sondern mit ihrer Begeisterung, mit ihrem Glauben das Vaterland retten will. Traurig genug, dass nur ein Weib das sagen durfte, was jeden Mann wuerde hinter Schloss und Riegel gebracht haben. In diesem wunderbaren Zusammentreffen von Umstaenden, in diesem Zufall, dass eine Frau, der man die "Wunderlichkeit" ihres Genies und ihrer gesellschaftlichen Stellung wegen nachsieht, aufsteht und eine Kritik unserer heutigen Politik, eine Kritik der Religion und der Gesellschaft veroeffentlicht, wie sie vor ihr Tausende gedacht, aber nicht einer so resolut, so heroisch, so reformatorisch-grossartig ausgesprochen hat, darin liegt etwas, was goettliche Vorsehung ist. Dem bedraengten Kampfe der Zeit ist ein Engel mit feurigem Schwerte zum Entsatz gekommen. Windet Euch, baut Buecher auf Buecher auf, sprecht Anathema ueber Anathema, die Macht einer Inspiration, die Macht einer Offenbarung, ausgesprochen in einem Weibe, das keine Professur, keine Ehre und irdische Anerkennung haben will, diese Glut einer Ueberzeugung, die sich wie ein feuriger Strom durch die Lande waelzen wird, ist nicht zu daempfen, nicht auszuloeschen. Den Handschuh fuer die Freiheit wirft hier die Poesie hin; die Poesie ist immer ein Ritter, gegen den alle Streiche in die Luft fahren. Bettina gehoert zu denen, die ohne Falsch wie die Tauben, aber auch klug wie Schlangen sind. Sie redet zunaechst nicht zum Koenig von Preussen. Sie malt zwar seine Politik, die Politik seiner Ratgeber, sie malt einen Minister nach dem Leben, aber, ihrer Poesie und dem "Anstand" gemaess, kleidet sie ihre Polemik in das Gewand der Allegorie. Sie spricht scheinbar von anno 7, scheinbar von Frankfurt am Main, scheinbar von Napoleon und laesst die Frau Rat, Goethes Mutter, statt ihrer reden. Sentimentale und Tartueffe-Gemueter, die immer wollen, dass man die Sachen von den Personen scheidet und deren steter Jammer die "Indiskretionen" sind, werden es schreckhaft finden, wie man der in geweihter christlicher Erde auf dem Frankfurter Friedhof schlummernden Frau Rat die Verantwortung so himme1stuermender Gedanken, wie Bettina ihr in den Mund legt, andichten kann. Wer aber zu Schleiermachers Fuessen gesessen, weiss, welche Rolle Sokrates in Platons Dialogen spielt. Xenophon, der auch vom Sokrates berichtet, mag den anregenden Lehrer nur die Dinge reden lassen, die er wirklich gesprochen hat, Plato aber machte aus Sokrates einen Begriff, eine poetische Individualitaet, wie sie der Dramatiker schafft. Sokrates spricht beim Plato, was Plato will. Und Sokrates wird dafuer im Jenseits nicht mit Plato zuernen. Der Vater ist verantwortlich fuer den Sohn, der Staat fuer den Buerger (Bettina fuehrt diese Pflicht mit besonderer Vorliebe aus), der Lehrer fuer den Schueler. Von grossen Menschen bleiben die Genien nachwirkend und leben fort in dem, was aus ihrem Geist geboren wird. Und so ist auch jenes Daemonion, jene hoehere Weihe und ploetzliche Offenbarung, was der Frau Rat innewohnte, wie dem Sokrates, nicht mit ihr verweht und verflogen, sondern hat mit geisterhaften Fittichen auch ihren Sohn Wolfgang umrauscht und umrauscht noch jetzt Bettinen, die es wagen darf, den kuehnen Heldengeist jener Frau mitten unter den Truggespenstern des Tages zu zitieren und sie von den Grimms, von Ranke, von Humboldt reden zu lassen, als wenn sie vom Pfarrer Stein und dem Buergermeister von Holzhausen redete. Der erste Band des Koenigsbuches ist der Religion, der zweite dem Staate gewidmet. Die Beweisfuehrung in beiden ist die des urspruenglichsten Radikalismus. Ein Geist, gefesselt seit Jahrhunderten an Vorurteil, Lug und Trug, ein Genius, niedergehalten von tausend Ruecksichten der Selbsttaeuschung und Denkohnmacht, scheint sich hier zu erheben, wie Pegasus aus dem Joche auffliegt mit seinen gefluegelten Hufen, der Bahn der Sonnenrosse zu. Wie die rosenfingrige Eos streut Bettina Morgenroete aus. Sie hat die Tafeln eines neuen Gesetzes in ihren kuehnen Haenden, noch sind sie leer, aber nicht ein Wort der Luegen, die darauf standen und die sie mit dem Hauche ihres Mundes von ihnen tilgte, wird wieder auf ihnen stehen duerfen. Sie gibt Negation, aber in der Negation die vol1ste Positivitaet des freien Menschengeistes. Diese Freiheit ist keine indische. Sie ist kein Behagen, keine traeumerische Wollust in sich selbst, sondern ringende, kaempfende Freiheit, griechische Freiheit, wie sie sich in der Palaestra, in der Akademie, auf den olympischen Spielen erprobte. Auch diese Freiheit baut, aber nicht lichtscheue Kapellen im Waldesdunkel, sondern freischwebende Warten und Tempel auf den luftigen Bergeshoehen. Die blinkende Art bahnt den Weg durch Gestruepp und Genist nicht ins blinde, wilde Ungefaehr hinein, sondern nach einem erhabenen, edlen Plane, nach einem Grundrisse, der das All umfasst, Gotteswuerde und Menschenwohl. Sie ist konservativ, diese Polemik im hoechsten, im majestaetischen Stil; denn was verdiente mehr konserviert zu werden als die Natur, die Vernunft und der freie Geist! Die uebliche, salarierte, verdammende und seligsprechende Theologie unserer Zeit wird ueber den ersten Band ihr schwarzes Kleid zerreissen und siebenmal Wehe! rufen. Dieser erste Band steht vom christlichen Standpunkte auf dem Fundament einer absoluten Glaubensunfaehigkeit. Bettina weist hier jede Vermittelung zwischen der Vernunft und dem Dogma ab. Kein mystisches Blinzeln mehr mit den geheimnisvollen Moeglichkeiten der Nachtseite des Lebens, keine Deutung mehr, keine Allegorie, sondern die einfache Frage: Kann Wein Wasser, kann Wasser Wein werden? Man sage nicht, dass sich Bettina durch diese absolute Negation des Christentums ganz aus den Voraussetzungen der modernen Welt hinauseskamotiert. Ein Blick auf unsere Zeit und ihre wissenschaftlichen Kaempfe lehrt, dass fuer die Freiheit schon unendlich viel gewonnen waere, koennten wir nur auf der Haelfte des Weges, den Bettina schon zuruecklegte, Huetten und Zelte bauen, geschweige Kirchen im Sinne dieser Haelfte. Der Erfolg dieses Buches, wie weit er der freisinnigen Theologie unserer Tage zu Hilfe kommen wird, laesst sich noch nicht ermessen. Erst muss die wilde Jagd der Gegner kommen. Warten wir die Gespenster der Wolfsschlucht ab! Eingreifender aber noch und unmittelbarer wirkend ist der zweite Band. Man hat diese Partie des Buches kommunistisch genannt. Man hoere, was er enthaelt, und erstaune ueber dies sonderbare Neuwort: Kommunismus. Ist die heisseste, gluehendste Menschenliebe Kommunismus, dann steht zu erwarten, dass der Kommunismus viele Anhaenger finden wird. Dieser zweite Band ist den Verbrechern und den Armen gewidmet. Man hat schon drucken lassen, Bettina wolle die Verbrecher zu Maertyrern stempeln und zoege die Diebe den ehrlichen Leuten vor. Das letzte ist kindisch, das erste ist wahr. Man schreibt so viel Baende ueber die Gefaengnisse, ueber die Verbrecher, ueber die Straftheorien, man stiftet auch Besserungsanstalten, und doch bleibt es unwiderleglich, dass die wahre Politik, die Politik im Lichte unserer Zeit, die sein sollte, den Verbrechen zuvorzukommen. Moegen wir nun an die urspruenglich gute oder urspruenglich boese Menschennatur glauben, so haben wir doch wenigstens von unserer Erziehung und Bildung einen so hohen Begriff, dass wir von ihrer Anwendung auf die Menschennatur Wunder voraussetzen. Warum verrichten wir diese Wunder so selten? Warum misslingen sie so oft? Unsere gewoehnlichen Quacksalbereien muessen doch wohl nicht ausreichen, um die immer garstiger werdenden Schaeden der Gesellschaft zu heilen. Die alte Leier von den Volksschulen usw. ist ganz verstimmt, sie lockt keinen Hund mehr vom Ofen, geschweige dass sie bezauberte und Menschen zu Menschen machte. Der Cholera gegenueber war es mit aller Medizin aus. Da schuf man neue Spitaeler, neue Quarantaenen, neue Gesundheitsdistrikte und behielt vom Alten nichts mehr, als hoechstens die sonst so verachteten Hausmittel. Nun, die moralische Cholera ist da: jeder Winter z.B. in Berlin bringt die sittliche Brechruhr, nicht etwa sporadisch, sondern so allgemein, dass die Gefaengnisse keinen Platz haben. Guter Gott, man vermehrt die Zahl der Nachtwaechter und Gensdarmen, die Buerger treten zusammen und bilden unter sich eine Sicherheitsgarde. Einer sperrt sich ab gegen den andern und der Stoerer dieses atomistischen Staates wird unschaedlich gemacht. Wenn eine solche Politik von der Not des naechsten Augenblicks geboten wird, so muss man sie gelten lassen; erhebt man aber ihren praktischen Wert zu einer theoretischen, dauernden Bedeutung, so fragt man billig, ist die christliche Welt darum achtzehnhundert Jahre alt geworden? Gibt es keinen Ausweg, die Verbrechen schon im Keime zu ersticken? Ist der Staat immer und ewig nur ein Konglomerat von Egoismus, in dem sich nur der lauter, rein und gluecklich erhaelt, den gleich bei der Wiege die holde Gunst des Zufalls angelaechelt hat? Neulich hat ein Geistlicher an einem vielbesprochenen Grabe ein herrliches Wort gesagt. Die Leiche des im Duell gefallenen Herrn von Goeler in Karlsruhe wurde bestattet und der Geistliche, der keinen Beruf hatte, dieser Leiche so zu schmeicheln, wie es die Zeitungen getan hatten, aeusserte in seiner wuerdigen Rede, als er vom Duell sprach: Er muesste fuer das Christentum erroeten, wenn er bedachte, dass der milde Geist der Christuslehre noch so wenig in die Menschheit eingedrungen waere, um nicht Vorkommnisse, wie jenen Streit, fuer immer unmoeglich zu machen. Er sagte: Erroeten! Der Geistliche, ein frommer Diener des Wortes, erroetete fuer die geringe Wirkung seiner Lehre. Erroetet wohl ein Beamter fuer den Staat, der ihn besoldet, ein Minister fuer die Lappalien, die er in seinem Portefeuille einschliesst, erroeten unsere Richter fuer die Verbrecher? Nein. Hoechstens der arme Knecht zittert, der die Delinquenten abtun muss. Was nennen sie denn noch im 19. Jahrhundert Politik? Was konservieren denn unsere grossen Staatsmaenner nur als sich? Wie ist es moeglich, dass durch diese Politik der Buerokratie, der Edikte, der Verbote, der Allianzen, Paraden, Gleichgewichtsinteressen usw. ein Lichtstrahl jener wahrhaft konservativen Politik dringen kann, die vor allen Dingen den Menschen dem Menschen bewahrt? Bettina erhebt sich, wenn sie auf dieses Gebiet kommt, zur Seherin, zur Prophetin. Sie richtet an den Koenig, dem sie ihr Buch gewidmet hat, so hinreissende, so feurige Apostrophen, dass es ruehrend ist, wenn man sich sagen muesste, der Brief ist unsterblich, aber er wird seine irdische Adresse verfehlen. Wer im zweiten Band jede Behauptung der Frau Rat woertlich verstehen wollte, bewiese nur, dass er zu den Langweiligen gehoert. Kein Langweiliger hat Sinn fuer den Humor. Humoristisch ist aber ein grosser Teil der sittlichen Revolutionen zu verstehen, die die kuehne Opponentin mit den Verbrechern zu stiften vorschlaegt. Es ist ihr wahrhaftig nicht darum zu tun, einen Raeuberhauptmann zum Feldherrn, einen Schinderhannes zum Kriegsminister zu machen, sondern sie beklagt in greller, ihr eigentuemlicher Ausdrucksweise, dass das Kapital von Mut, Schlauheit und Standhaftigkeit, was von den Verbrechern konsumiert wird, nicht auf edlere und dem Gesamtwohl nuetzliche Zwecke verwandt wird. Die Dialektik dieser Beweisfuehrung ist teils Ueberzeugung, teils Neckerei. Es ist durchaus ein platonisch-sokratischer Geist, der die kunstvollen Gespraeche belebt, mit dem Scharfsinn und dem hohen Fluge der Divination zugleich gepaart, jene sokratische Ironie, die scherzend die schon gefangenen Voegel der Gegenpartei wieder flattern laesst, um sie nach kurzer Freiheit wieder aufs neue einzufangen. Fast im schaeumenden Uebermass dieser Ironie sind die "Gespraeche mit einer franzoesischen Atzel" geschrieben. Hier ist selbst die Frau Rat die ueberfluegelte. Der schwarze Vogel auf dem Ofen mit seinen klugen Augen, seiner kecken Federhaube auf dem Kopfe, scheint ein verzauberter Hoellenbote zu sein. Der kleine Spitzbube wettert und schimpft wie ein Kapuziner, der nicht dem Himmel, sondern dem Teufel dient. Er moechte, dass die ganze Welt des Teufels waere und schwaetzt die Dinge, die oben stehen, kopfueber nach unten und umgekehrt. Es wird nicht an Leuten fehlen, die die E1ster beim Wort nehmen und ihre wilden Plaudereien als bare Blasphemie an die geistlich-weltliche Hermandad denunzieren werden. Bettina waere mit der phantastischen Lyrik ihrer Seele humoristisch genug, fuer die Atzel aufzutreten und sie zu verteidigen, wie einst auf einem Konzil sogar die Heuschrecken ihren Anwalt fanden. Verschluckte einst eine Ratte eine Hostie und verrichtete Wunder, warum soll der Teufel nicht in eine Atzel fahren? Die Polemik, die naechstens die evangelische Kirchenzeitung gegen diese Atzel eroeffnen wird, wird sehr komisch sein. Das ausgezeichnete Werk behandelt aber zu ernste Fragen, als dass es komisch schliessen duerfte. Es schliesst mit dem Septimenakkord des tiefsten Schmerzes, es schliesst erschuetternd, herzzerreissend, tragisch. Wessen Auge ueber dieser Schilderung des Elends im Berliner Voigtlande verweilen kann, ohne in Traenen zu schwimmen, der muss ein Herz von Marme1stein haben. Bettina teilt die Aufzeichnungen eines edlen Menschen mit, der in dem sogenannten Berliner Voigtlande die von der Armut bewohnten Haeuser durchwanderte, an die Tueren pochte, eintrat und sich nach den bittern Lebensumstaenden, die hier zusammengepfercht sind, gruendlich erkundigte. Die Namen sind genannt, die Tueren bezeichnet, hier hoert jede Fiktion auf. Tausende von Menschen leben hier in Hunger und Kummer, schlafen auf Stroh, stuendlich gewaertig, ausgepfaendet und auf die Strasse geworfen zu werden mit Greisen und Saeuglingen, im ewigen Kampf, entweder zu hungern oder zu betteln oder aus Verzweiflung zu stehlen, gehetzt von der Polizei und verlassen von jener Behoerde, die ihr naechster Schutz und Schirm sein sollte, der staedtischen Armendirektion. Fuer die Mitteilung dieses Gemaeldes verdient Bettina den Dank jedes fuehlenden Herzens. Jede Traene dieses Bildes wiegt die kostbarsten Brillanten einer stilistischen Phantasie auf; dieser echte, lebenswahre Murillo steht hoeher als jede idealische Transfiguration. Es kriecht Ungeziefer durch diese Farben, aber die Farben sind echt und der Fuerst, dem sie ihr Buch widmete, hat in dem Augenblick, als er diese Schilderung las, sicher einen Hofball abbestellt, sicher die Zuruestungen eines glaenzenden, nur Staub aufwuehlenden Manoevers auf die Haelfte des angesetzten Etats reduziert. Denn nicht die Armut allein durchschneidet hier unser Herz, nein, auch die Schilderung der Tugenden, die noch in der Verzweiflung dieser Menschen nicht erstorben sind, die Schilderung einer hochherzigen Anhaenglichkeit an das Vaterland und den Fuersten, die sich selbst in diesen Lumpen noch erhalten hat. Eine arme Bettlerin ueberbrachte der Ordenskommission (fuenf Orden), die ihr gestorbener Mann im Freiheitskriege erworben. Die Ordenskommission gab ihr ein fuer alle Mal fuenf Taler (kaum den aeussern Wert der Dekorationen) und nun hungert sie. Wenn auch die hohen freisinnigen Philosopheme der kuehnen Frau, die dieses Werk geschrieben, von den Menschen, die sie in dem (Pfarrer) und dem (Buergermeister) treffend charakterisiert hat, verworfen werden, von diesem Anhang kann man nicht glauben, dass er spurlos voruebergehen wird. Nicht nur, dass die Berliner Armendirektion, eines der unpopulaersten Institute der Residenz, einer gruendlichen Reorganisation unterworfen werden muss, auch die hoehere, den ganzen Staat umfassende, ja ich nenne sie die (kommunistische) Frage: was soll geschehen, um den Menschen dem Menschen zu retten, das Band der Bruderliebe wieder anzuknuepfen und einer unheilschwangern, furchtbar drohenden Zukunft vorzubeugen? Diese Frage wird um Antwort draengen und die Antwort wird nicht in Phrasen, nicht in Almosen, sondern in durchgreifenden Schoepfungen bestehen muessen. Und der edlen Frau, die diese Frage dicht an den Stufen des Throns aufwirft, auf dem Parkett der eximierten Gesellschaft, unter Luxus, sybaritischer Indolenz und transzendentaler, nichtsnutziger Nasen- und Bonzenweisheit, dieser edlen Frau steht der bescheidene Feldblumenkranz eines solchen Verdienstes prangender, als weiland ihre schoensten Blumenkronen aus der Periode ihrer romantischen Naturmystik. Mit beklommener Erwartung sehen alle die, welche von dem Buche ergriffen wurden, nun auf den, dem es gewidmet ist. Numa Pompilius hatte seine Egeria, eine geheimnisvolle Sybille, die ihm die Weisheit lehrte, mit der er Rom aus einem Raeuberstaate zu einem geordneten Gemeinwesen erhob. Der Koenig von Preussen wird Bettinen nicht zu seinem ersten Minister machen, aber er hat ihr Buch in der Handschrift durchblaettert, er hat die Widmung gestattet und es mit seinen tausend zensurwidrigen Freiheiten vorweg gegen die Verfolgung der Polizei in Schutz genommen. So darf Deutschland und Preussen insbesondere hoffen, dass von der maechtigen Beredsamkeit einer Feuerseele, die hier im Namen der Zeit wie eine Prophetin am Wege ihn angesprochen, wenn nicht ein begeisternder Funke, der zur Tat zuendet, doch eine warme Erregung, die Schonung und Duldung uebt, in ihm zurueckgeblieben ist. Ein preussischer Roman (1849) Die kluge und soviel man wusste ziemlich demokratisch gesinnte Fanny Lewald hat einen Roman ("Prinz Louis Ferdinand") geschrieben, der ihr die Ehre einbringen wird, Mitglied des Treubunds zu werden. Ich sehe ihre sonst so freiheitgluehende Brust schon mit einem Ordenszeichen geschmueckt, das ihr in feierlicher Sitzung unter allen Berliner Offiziers- und Beamtenfrauen Graf Schlippenbach anheften wird. Denn was auch vom Standpunkt der Hofdamen aus in diesem biographischen Roman gegen die Etikette und eine gewisse loyale Pietaet fuer hohe und hoechste Personen gesuendigt sein mag, die besonneneren Mitglieder der Preussenvereine wissen sehr wohl, dass man den Royalismus auf alte Art nicht mehr predigen kann. Dies edle Kern- und Grundgefuehl preussischer Herzen kann nicht mehr ueberall der Ausfluss unmittelbaren Instinktes sein wie weiland, als der Friedrich-Wilhelm-Staat noch in patriarchalischen Banden schlummerte, sondern dies Gefuehl muss jetzt "vermittelt" werden, in der Sprache der Neuzeit reden, gemischt und verquickt mit dem Neusilber der Mode. Das hat Fanny Lewald redlichst getan. Man kann nun doch wieder aufblicken zu jenen strahlenden Meteoren, die man Prinzen nennt. Man kann doch den Beweis fuehren, dass auch in jenen Regionen menschlich empfunden, liebenswuerdig geschwaermt, edel gedacht wird. Man hat doch endlich einmal den vol1sten Gegensatz gegen diese Irrgaenge der Literatur, die schon die Poesie nur noch bei den Handwerkern und Bauern suchen wollte. Die Graefin Hahn rettete der Poesie den Adel, Fanny Lewald, die strenge Richterin Diogenens, rettete ihr wieder die Koenige und die Prinzen. Wir erfahren in diesen drei mit grosser Gewandtheit geschriebenen Baenden, dass es an der Grenzscheide des Jahrhunderts einen Prinzen von Preussen gab, der ein wenig stark von der Geniesucht seiner Zeit angesteckt war, sich vom Zopf Friedrichs des Grossen und derer, die diesen Zopf fuer das Palladium des preussischen Staats hielten, emanzipieren wollte, Musik trieb, viel Schulden machte, Militaerexzesse beguenstigte, die Franzosen und ihre Republik hasste und um jeden Preis dem "Korsen" den Glanz preussischer Waffen fuehlbar machen wollte. Als ihm die Diplomatie 1806 seinen Willen tat und den Krieg erklaerte, fiel er in dem ersten Gefecht gegen eine Nation, die er liebte (denn er umgab sich mit Franzosen), aber deren liberale Grundsaetze er hasste. Es ist dieser Prinz Louis Ferdinand so oft als eine Heldengestalt, als ein junger tatendurstender Alexander geruehmt worden, dass man sein Leben wohl fuer beachtenswert, seinen Tod ruehrend finden kann. Wie aber sieht es mit einer naeheren Pruefung dieses Ruhmes aus? Wie muss sich der Biograph, der Dichter stellen, um diese aeusserlich blendende Erscheinung ihrem wahren Kern und Wesen naeher zu bringen? Wir gestehen, dass Fanny Lewald ihren Helden vom Gesichtspunkt des Weibes sehr wahr auffasste. Statt aller Kritik ueber ihn hat sie sich ganz einfach in ihn verliebt. Ich finde diesen Zug in ihrem Buche fuer den schoensten. Da ist kein nuechternes Raesonnement, da ist keine Pruefung, kein Abwaegen von Mehr oder Minder, sie liebt den Prinzen, wie ihn Rahel Levin geliebt hat. Und gerade das muss den Treubund entzuecken, gerade daraufhin kann Graf Schlippenbach sagen: Seht da eine Demokratin, eine Juedin, eine eifrige Verfechterin der Grundsaetze ihrer Freunde Simon und Jacoby, seht da eine Maerzheldin, die mitten im Zeitalter der Barrikaden Triumphpforten fuer preussische Prinzen baut! Wie wir mit Blumenkraenzen unsern Garderegimentern entgegenwallen und sie mit Treubundshuldigungen in den Bahnhoefen empfangen, wenn sie mit demokratenblutgefaerbten Bajonetten in ihre Kasernen heimziehen, so jauchzen in diesem Buche Maenner und Frauen einem Prinzen entgegen, der im Grunde nichts fuer die Menschheit leistete, sich aber als Hohenzoller fuehlte! Und eine Demokratin traegt uns hier die schwarzweisse Fahne voran! Eine Feindin der aristokratischen Literatur! Die beruehmte Gegnerin unserer unuebertrefflichen Ida! Fanny Lewald wird sich ueber den Grafen Schlippenbach, noch mehr aber ueber mich, der ihn so reden laesst, sehr erzuernen. Sie wird, ich seh' es, alle diese Konsequenzen ihrer Liebe und Begeisterung fuer einen preussischen Prinzen zurueckweisen, sie wird, ich hoer' es, ausrufen: Kleinliche Menschen die ihr seid, kann man denn nicht mehr dem Zuge seines Herzens folgen? Soll denn alles, alles Partei sein? Soll es denn nicht mehr moeglich bleiben, dass man jede bedeutende Erscheinung der Menschenwelt, sie tauche nun auf in einem Auerbachschen Schwarzwald-Dorfe oder einer George Sandschen Mare au Diablo oder auf dem Parkett der Ministerhotels und Prinzenpalaeste, mit Interesse, ja mit Liebe umfasst und das Schoene, Wahre, Strebsame auf allen Klimmstufen der Gesellschaft anerkennt? Das hat sich Fanny Lewald gedacht, als sie diesen Roman schreiben wollte. Sie hat sich ohne Zweifel noch groesseres gedacht. Sie hat das Bild eines zerfallenden Staates zeichnen wollen, sie hat geglaubt, einer sich jetzt unueberwindlich duenkenden Gegenwart den Spiegel der Vergangenheit vorhalten zu koennen, indem sie im Staat, der Gesellschaft, im Militaer und Zivil die Grundgebrechen schilderte, an welchen der Stolz und die Eitelkeit jener Tage krankte, ohne es zu wissen. Diese polemische Tendenz, der auch manche vortreffliche Seite ihres Werkes gewidmet ist, ermutigte sie, jenes Bild eines Prinzen als Mittelpunkt ihrer Dichtung festzuhalten und so den Vorwuerfen zu begegnen, gegen die sie als strenger demokratischer Charakter empfindlich sein musste. Wie dem aber sei, sie ist ihrem weiblichen Herzen zum Opfer gefallen. Sie hat, angeregt von Varnhagen von Ense, jene bedeutsam Zeit schildern wollen, wo sich in der Tat trotz Goethes Spott "Musen und Grazien in der Mark" begegneten und Schlegel, Gentz, Fichte, die Rahel und ihre "Kreise" mit einem liebenswuerdigen, genialen Prinzen des koenigl. Hauses in Beziehungen kamen. Es hatte sie das interessiert, besonders Rahels wegen, mit der sie sich in ihrem Roman auffallend identifiziert. Aber der Erfolg ist bei vielen vortrefflichen Eigenschaften ihres Werkes nicht gelungen. Statt, wie eine kuenstlerische Intuition ihr sagen musste, den Prinzen episodisch zu benutzen, stellte sie ihn in den Vordergrund. Statt ihren Roman z.B. durch eine Figur wie Karl Wegmann zu heben und zu tragen und alle jene bedeutenden Menschen nur zuweilen in ihr Werk hineinragen zu lassen, macht sie diese selbst zu Haupttraegern der Handlung und gibt eine romantische Biographie, statt eines Romans. Prinz Louis bleibt immer der Mittelpunkt. Sie dichtet ihm Empfindungen an, die zu beweisen sind, sie gruppiert Menschen um ihn, die sie als edel, mindestens bedeutungsvoll erscheinen laesst, waehrend sie doch meist nur frivol und sittenlos sind. Diese Pauline Wiesel, eine feine Berliner Kurtisane beruechtigten Andenkens, erscheint bei unserer Verfasserin so relativ wertvoll und interessant, so drapiert mit dem grossen Umschlagetuch grell-moderner Ideen und grossblumiger Empfindungen, dass man erstaunt, wenn man sich denken muss: Was wird Diogena zu diesem Buche sagen? Wenn sich bei dieser Dame die Schichten der aristokratischen Gesellschaft zerbroeckeln und in die ihr eigene grossstaffierte Salon- und Boudoir-Romantik zerblaettern, wo Liebe und Skandal bunt durcheinanderlaufen und parfuemierte Billetts, von galonierten Jockeys auf silbernen Tellern praesentiert, alle Schmerzen "unverstandener" Seelen aushauchen, so gesellt sich hier wenigstens Gleiches und Gleiches, und wir sind doch bewahrt vor der Fanny Lewaldschen Zumutung, jene Berliner Beamtentoechter interessant zu finden, die beim Blasen der Gardekuerassiere an die Fenster rennen, sich in Helme und Epauletten verlieben und Prinzen vollends alles gewaehren, was Prinzen nur von Buergerstoechtern fordern koennen. Henriette Fromm, Pauline Wiesel sind "Damen" dieses Berliner Schlages gewesen und verdienten nicht von der Poesie so ausstaffiert zu werden, wie dies in unserm Gedenkbuch geschieht. Welche grossen Worte sind da an Niederes verschwendet! Welche gemeinen Gesinnungen bunt aufgeputzt! Wer hat Berlin beobachtet und kennt nicht jene Buhlerei der Muetter und jungen Frauen um Prinzengunst, wie sie nach den Tagen der Lichtenau dort Mode war? Spaeter moegen die Opfer dieser Zustaende mehr gelernt haben als Madame Rietz wusste, sie moegen franzoesisch parliert, Goethe und Schiller gelesen haben und mit Gentz und Schlegel in Beruehrung gekommen sein; sie bleiben aber darum doch, was sie sind, mag auch Varnhagen von Ense noch so milde Lichter ueber sie ausgegossen haben. Die arme Lewald, in dem Drang das Judentum zu heben und eine Juedin Rahel Levin mit Prinzen von Preussen in Verbindung gebracht darzustellen, ist hier von ihrem Herzen und dessen kuehnsten Fluegen geblendet gewesen und hat eine Sphaere fuer dichtungswuerdig gehalten, die es nicht war. Mamsell Caesar, die Berliner Geheimsekretaerstochter, verdiente ebensowenig diesen Aufwand von Seelenmalerei wie Henriette Fromm, die am Tage nach der Verlobung an einen Oekonomen mit einem Prinzen auf- und davonging. Ein Prinz kann doch meist nur von oben herab lieben, von oben herab einer Buergerlichen schmeicheln, nur in aller Kuerze sie auffordern: Sei mein! Einen (Roman) von Gefuehl, Entwicklung, Herausstellung der ede1sten Triebe des Menschen gibt es da hoechst selten und im vorliegenden Fall gewiss nicht. Wer kann Fanny Lewald in dieser Verirrung anders folgen als bloss mit einem gewissen anekdotischen Interesse? Zu empfehlen, aufmerksam zu machen, zu bewundern gibt es da nichts. Man liest es mit Neugier, mit Spannung, wuerde aber erschrecken, wenn die Verfasserin verriete, sie haette beim Niederschreiben dieser Blaetter auch nur im entferntesten gedacht: (Entnehmt euch daraus etwas!) Einzelne Schilderungen sind der Verfasserin vortrefflich gelungen; unstreitig immer die, wo sie sich eines gedrueckten, leidenden Zustandes der Gesellschaft annehmen kann. Sie empfindet mit der Armut, mit dem gedemuetigten Stolze, mit der getretenen Menschenwuerde. Sie hat in ihrem reinen und aufrichtigen Bekenntnis des Judentums eine Schule der Beobachtung und des Mitgefuehls fuer die Nachtseiten der Gesellschaft durchgemacht. Warum erhob sie sich von dem strengen Gericht, das sie ueber die Militaerzustaende Preussens von 1806, das Kasernenleben, das Ghetto, die Bestechlichkeit der Beamten, die Ohnmacht und den Duenkel der Minister anstellte, nicht auch zur Wahrheit ueber ihren aristokratischen Helden selbst und noch mehr zur Wahrheit ueber das prahlende Zuschautragen des Herzens bei den Weibern, die in diesem Gemaelde aufrauschen? Warum wandeln diese so pomphaft daher und bringen uns den abgenutzten Gefuehlskram unserer blasierten Frauenromane von 1840 zum Kauf? Ist es nicht eitle Flitterware? Ist nicht selbst Rahels Liebesschmerz und entsagende Grossgefuehligkeit um die koenigliche Hoheit affektierter Kram? Erschliessen uns diese Verirrungen, wenn sie stattfanden (und sie muessen es wohl, da Varnhagen von Ense laut Widmung dieses Werkes Taufpate ist), irgendeine grosse Perspektive auf die Tiefe der Menschenbrust? Ich kann der Verfasserin ueberall folgen, wo sie praktisch und verstaendig ist. Wo sie aber Gefuehl geben will, Idealitaet in ihrem Sinn, da befinden wir uns doch eben nur in derselben Sphaere, die sie an der Graefin Hahn hat bekaempfen wollen: Hass gegen das Uebliche, Feindschaft gegen die gewoehnlichen Gleise der Liebe, die sich in ihrer suessen Monotonie Jahrtausende lang durch die Herzen der Menschheit ziehen. Sind euch denn die Muetter, die verheirateten Frauen ewig gleichgueltig und nur diese Rahelen, diese Henrietten und Paulinen der poetischen Betrachtung wuerdig? Es waere eine rechte Erquickung gewesen, wenn wir in diesem Buche neben den vielen Weibern mit starkem Herzen auch ein junges, schoenes und bedeutendes mit einem nur guten angetroffen haetten. Das Buch schliesst wie eine Symphonie mit unaufgeloester Dissonanz! Der Held stirbt, und--das Ganze ist zu Ende. Alle Faeden, welche die Verfasserin anspann, um uns zu unterhalten, sind zerrissen. Eben noch Licht, und ploetzlich Nacht. Dieser Schluss ist eine Kritik des Werkes. Er sagt, dass mit dem Tode des Helden der ganze Apparat des Romans in Nichts zusammensinkt, und es im Grunde nur ein Spuk war, der ihn umgab, kein wirkliches, daseinberechtigtes Leben. Fanny Lewald hat so den Trieb nach Wahrheit, so die schoene, oft grausame Leidenschaft aufrichtiger Ueberzeugung, dass sie unstreitig fuehlte: Die Menschen, die ich da mit dem Prinzen zusammenkettete, sind nach seinem Tod unnuetz, und keine Seele mehr wird nach ihnen fragen. Ein ernstes Drama soll wie ein Grab enden, ein ernster Roman aber wie ein Kirchhof. Das Auge soll mit Schmerz nach vielen Graebern sich umsehen und nicht wissen, welches von ihnen allen den Immortellenkranz verdient. Eine naechtliche Unterkunft (1870) In jenen, noch dem ersten Drittel unseres Jahrhunderts angehoerenden Tagen, wo Berlin rundum keine andere grosse Stadt in der Nachbarschaft hatte, als eine solche, die erst nach einer Postreise von zwanzig Meilen zu erreichen war, bildete sich jene noch jetzt nicht vollkommen ueberwundene eigentuemliche Naivitaet oder, nennen wir es beim richtigeren Namen kleinstaedtische Unzulaenglichkeit aus, die den Charakter des Berliner Pfahlbuergertums in manchem bezeichnen duerfte. Die Sperre gegen eine Welt, die damals dem Berliner schon hinter Potsdam fuer gleichsam wie "mit Brettern vernagelt" galt, war eine beinahe hermetische. Daher auch die Langsamkeit, womit sich der Zeitgeist, die freiheitliche Entwicklung Preussens erst allmaehlich, ja mit Beweisen voelliger Unbeholfenheit und Unreife anschickte, dem Fortschritt des uebrigen Europa zu folgen. Noch bis zur Maerzrevolution befand sich im koeniglichen Schlosse, dicht unter der Wohnung des Monarchen, in jenem Portal, das seit dem Jahre 1848 dem Publikum nicht mehr als Durchgang geoeffnet ist, ein alter Rumpelkasten, Portechaise genannt, an deren mit gruenem Kattun verhangenem Fenster unorthographisch zu lesen stand: "Wer sich dieser Portechaise bedienen will, melde sich in der Nagelgasse." Letztere, jetzt zur "Rathausstrasse" avanciert, begrenzt die suedoestliche Front des neuen Rathauses--gelegentlich bemerkt eines Baues, dessen Grossartigkeit den Stil, den kraeftigen Griffel des 19. Jahrhunderts in so ueberwaeltigendem Masse bezeichnet, dass bei allem Reiz, den ein alter Rest der Vergangenheit, die "Gerichtslaube", fuer die Tafeln der Chronik in Anspruch nehmen darf, ihn die Gegenwart doch fuer ihre Ueberlieferungen an die Zukunft wie einen sinnstoerenden--Druckfehler beseitigen darf. Und auf dem Gensdarmenmarkt, an derjenigen Seite des "franzoesischen Turms", die dem Wechselgeschaeft der Herren Brest und Gelpke gerade gegenueber liegt, wuchs nicht nur in den Winkeln, die von den duerftigen Anbauten der beiden stolzen "Gensdarmenmarkttuerme" gebildet werden, das helle, frische, gruene Gras, untermischt zuweilen mit "Butterblumen", sondern es war sogar moeglich, dass die damalige schutzmannlose, nur auf jene "Polizeikommissarien" mit den Dreimastern und karmoisinroten Kragen und Aufschlaegen am Rock angewiesene Zeit in einem dieser Winkel--einen alten ausgedienten Leichenwagen duldete, der entweder durch irgendein Missverstaendnis zur Ueberwinterung dort stehengeblieben oder sonst aus dem Inventar des Leichenfuhrwesens in der Georgenstrasse ausgestrichen war. Die Deichsel fuer die Rosse, die uns zum ewigen Frieden fahren, fehlte nicht. Aber die schwarze Draperie schillerte schon ins vollkommen Roetliche. Die Totengraeber Hamlets haetten hier Betrachtungen anstellen koennen ueber die Vergaenglichkeit alles Irdischen. Ludwig Devrient, drueben von Lutter und Wegener kommend und sich auf die Rolle besinnend, die der grosse Mime am Abend zu spielen hatte, mag manchen verstohlenen Blick hinuebergeworfen haben auf den alten Charonsnachen, der manchmal fehlte, nach kurzer Pause sich aber immer wieder einstellte unter den gewoelbten Tuermen, um deren Saeulen und Saeulchen die Spatzen und die Kraehen und die Habichte nisteten. Berlin, das gegenwaertig alles brauchen kann, selbst die Denkmaeler von den Graebern, Berlin, das jetzt die Bronzebilder der Toten von den Kirchhoefen stiehlt, liess diesen alten Leichenwagen unangetastet. Abends, wenn der Sturm brauste, die Laternen, ohne Gaslicht und manchmal quer ueber die Strassen hinweggezogen, in aechzenden Toenen hin und her schaukelten, die Wagen der Vornehmen und Reichen dumpf ueber ein noch naturwuechsiges Pflaster rollten, hier und da ein Leierkasten aus einem Keller wie ein ferner Unkenruf ertoente und in den Strassen jener gespenstische Mann umging, der ein Faesschen in der Hand tragend, aus einer bis zu seinen Ohren, ja bis zur Nase hinaufreichenden stolzen roten Kravatte mit einem gewissen wuerdevollen Anstand, aber geisterhaft hohl, den Ausruf hervorpresste: "Neunaugen! Neunaugen--!", da schlich sich froestelnd, die Haende in abgetragene, viel zu kurze, geflickte Beinkleider gesteckt, einen verschossenen Frack auf dem ausgehungerten Leibe, einen mannigfach bruechigen, beulenreichen Filzhut auf dem Haupte, eine verwitterte, magere, kleine Gestalt ueber den Markt, auf welchem oede Stille herrschte, nachdem sich eben die Zuschauer des Schauspielhauses, die vielleicht eine neue Posse von Raupach ausgezischt, verlaufen hatten. Der sich scheu Umblickende hatte keine Wohnung. Sein Name war von den Sternen hergekommen. Dort oben am blitzenden Nachthimmel stand die Konstellation, die ihm den Vornamen gegeben. Besonders zur Winterszeit leuchtete sein Stern hellauf in einem Licht, das alle andern Sterne ueberstrahlte. In den Sternen auch hatte er seine eigentliche Behausung, nicht in der Dorotheen-, nicht in der Friedrichstadt. Vorsichtig naehert er sich dem Leichenwagen ... Bist du heute wieder da, alter Freund--? Hat dich Charon heute Nacht nicht noetig, um vom "Tuermchen" im "Voigtland" eine Leiche auf die Anatomie zu fahren--? Schont der "Leichenkommissarius" seine Gaeule, wenn er sie erst hier einspannt, um einen Armen im "Nasenquetscher" auf Saturns grosses Brach- und Nivellierungsfeld, auf den Friedhof, zu fahren--?.... Und husch--! Die verwitterte Gestalt, herabgekommen wie der Apotheker von Mantua, der an Romeo Gift verkaufte, weil die Geschaefte der ueblichen Pharmakopoe so schlecht gingen, hebt die Vorhangsfetzen des Wagens auf und schiebt sich langsam hinein in ein damaliges--Asyl fuer Obdachlose. Fand sich wohl ein Stueck Holz, eine Planke darin vor--den Traegern mit den langen Floeren am Dreimaster benoetigt, um den Sarg in die Grube zu senken--so rueckt sie der lebende Tote so, dass sein Haupt mit den langen weissen Haaren eine Stuetze findet beim Sichausstrecken. Vielleicht achtet er auch die neue Beule nicht viel an seinem wettererprobten Zylinder, wenn er damit dem harten Holz einige Weiche gibt und die hohle, gefurchte Wange aufstuetzt. Ruhen wird er; er wird schlafen. An diesem schwarzen Wagen huscht die von einem Ball bei "Dalichows" in der Dorotheenstrasse kommende Schoene aus dem Volke, der Spieler, der im Hinterzimmer eines "Italieners"--wir meinen nicht gerade des damaligen Austern-Sala-Tarone --einen gluecklichen Wurf getan, der in der Nacht gerufene Arzt, der um Mitternacht sein Coupe nicht anspannen lassen kann, schnell und scheu vorueber. Selbst der Nachtwaechter haelt sich in der Ferne, dort, wo ein Ruf: "Waechter--!" ihm ein Trinkgeld fuers Einlassen in ein verschlossenes Haus, dessen Schluessel an seinem klirrenden Eisenbunde haengt, sicherer einbringt, als wenn er hier Posto fasste in der duester-unheimlichen Ecke an einer Kirche, wo vielleicht damals--der junge Fournier als feuriger Kandidat in franzoesischer Sprache predigte und sich nicht traeumen liess, wie uebel spaeter einem Konsistorialrat der Wetteifer mit dem leidenschaft- lichen Pathos eines Schauspielers bekommen konnte. Der Obdachlose war ein Dichter ohne Verleger. Er lebte in einer Zeit, wo die Journale Berlins unter Zensur standen. Ein Absatz von 500 Exemplaren war schon die allergluecklichste Chance fuer--"Belletristik". Ein Honorar von einem Taler zahlte man fuer ein Gedicht, von fuenfzehn Silbergroschen fuer eine Reihe von Lueckenbuessern, damals "Aphorismen", "Streckverse", "Sternschnuppen" oder aehnlich genannt. Ach ja, die Sterne, die hatten es dem halben Polen angetan. Er hatte sich die Sprache Schillers und Goethes angeeignet, sang Dithyramben, Oden, Bardenlieder--alles in einem Stil, der an Pindar erinnerte--seiner Unverstaendlichkeit wegen. Aber schon in jener Zeit war die Lektuere frivol. Lieber wollte man Clauren lesen, als Klopstock. Die Gebildeteren hatten gerade van der Velde. Sogar die Aesthetiker sprachen zwar von Goethe, nippten aber, wie in dem Hinterzimmer des "Italieners" Rosoglio, so an den "Teufelselexieren" von Hoffmann. Was war da der verkommene Traeumer, der noch bei Ossian stand und bei Jean Paul! Der einen Gedanken, der ihm aufgeblitzt bei seinem jeweiligen Erwachen in seinem dunkeln Leichenwagen (--und wo denken wir wahrer, fuehlen wir tiefer als in der Naehe der Toten!--) nur dadurch schlagend, zuendend, lapidar zu machen glaubte, dass er ihn immer enger und enger, immer epigrammatischer und epigrammatischer, zuletzt in zwei Zeilen draengte, wie bei Rochefoucauld und Montaigne, jedes Wort eine ganze Welt--aber--die Zeile laut Quartalsberechnung des Journals drei bis vier Pfennige! Dieser Obdachlose hiess Orion Julius. Seine Werke stehen nicht in den Katalogen der Leihbibliotheken. Wer sich aber die Muehe geben will, in alten Jahrgaengen des "Freimuetigen", des "Gesellschafters" zu blaettern, der wird dort--dem naechtlichen Bewohner des Leichenwagens am Gensdarmenmarkt zuweilen begegnen. Zum Gedaechtnis Wilhelm Haerings (Willibald Alexis') (1872) Einstimmig berichtete die deutsche Presse das im Dezember vorigen Jahres zu Arnstadt in Thueringen erfolgte Ableben Wilhelm Haerings, genannt Willibald Alexis, mit dem Ausdruck der innigsten Teilnahme. Die gewandtesten dichterischen Gaben, edle menschliche Eigenschaften, ein Charakter voll Gesinnung und ein herbes tragisches Schicksal hatten die Nachrufe, ganz in der ungeteilten Hingebung, wie sie in den Blaettern erschollen, verdient. Wenn die "Allgemeine Zeitung", diesmal spaeter kommend als andere Organe der Oeffentlichkeit, ihren Nachruf nicht ganz in dem Ton einer blossen Trauerrede am Grabe haelt, sondern persoenlicher auf den Verstorbenen eingeht, so wolle man darin ein Bestreben erblicken, uns das Bild des Dahingegangenen recht nahe zu ruecken. Schon die Wendung dieser Nachrufe, dass der Tod den Ungluecklichen, der fast fuenfzehn Jahre in geistiger und koerperlicher Paralyse gelebt hatte, "von seinen Leiden erloeste", ist nicht vollkommen zutreffend. Die liebevol1ste Hingebung einer erst in spaetern Jahren geheirateten Gattin, einer geborenen Englaenderin, die Pflege derselben, die an Geduld ihresgleichen suchte, diese war es, die erloest wurde. Der Gegenstand eines bewunderungswuerdigen Kultus der Liebe selbst fuehlte kaum sein Leid in ganzer Groesse. Die Stunden, die Tage, die Jahre schwanden an dem Beklagenswerten in seinem Rollsessel gleichmaessig dahin. Er glaubte, die volle Klarheit seiner Ideen zu besitzen und nur am Aussprechen derselben verhindert zu sein. Eine in Westermanns "Monatsheften" gegebene photographische Abbildung der aeusseren Erscheinung Haerings in den Tagen seines Leidens zeigt einen--lachenden Demokrit, der der Welt gegenueber sein besseres Teil gefunden zu haben scheint. In der Tat gibt das Bild den vollen Gegensatz der geistesklaren Zeit des edlen Toten, wo seine Mienen in der Regel den Ausdruck der Besorgnis, des aengstlich aufgeregten Beschaeftigtseins durch die Zeit, des baenglichen Erwartens duesterer oeffentlicher Erlebnisse trugen. Von "Leiden erloest"? Gewiss! Aber doch noch zu modifizieren. Die ganze Sehnsucht eines an die Bedingungen Norddeutschlands gebundenen Herzens ging bei Haering auf idyllisches "Am Land"-Wohnen. In seinen jungen Jahren suchte er einen ihm innewohnenden Trieb, irdische Hilfsquellen, die ihm zu Gebote standen, zu Spekulationen und sogar im Sinn unserer heutigen neuen grossstaedtischen Gruender-Ideen zu verwenden, mit seiner Liebe zur Natur zu vereinigen. Wie mit Ironie auf seinen Namen suchte er unter den alten Eichen und in den Fischerhuetten Heringsdorfs an der Ostsee den Besuch eines poetisch gelegenen Seebades zu foerdern. Spaeter gab er seine dortige Besitzung mit ihren nur relativen Schoenheiten auf und zog sich, seiner ganzen Kraft sich noch bewusst und mit literarischen Plaenen, deren einige auch dort noch ausgefuehrt wurden, nach Arnstadt, einer ohne Zweifel--ich kenne den altberuehmten Ort nicht--reizend gelegenen Stadt, die schon manchen Dichter angezogen hat. Da erzaehlt man von Haerings anmutiger Besitzung, von seiner Liebe zur Natur selbst trotz seiner geschwaechten Geisteskraefte. Wenn die Rosen bluehten, sammelten liebliche junge Maedchen, Verwandte seiner Gattin, die sich schon entblaetternden verbluehten Blumen und bewarfen damit den im Rol1stuhl Sitzenden. Anakreon wuenschte sich solche Spiele mit der Jugend. Auch unser Dulder lachte herzlich. Ist ihm also das demokritische Antlitz der Photographie bis zuletzt geblieben, so rief ihn der Tod aus einer Welt, die er bei alledem und alledem ungern verliess. Sein Lebensende war keineswegs das seines gekroenten Widersachers in Sanssouci, der ihm einst auf eine vertrauens- volle Uebersendung eines seiner "maerkischen Romane" oder bei einer sonstigen Annaeherung, welche Huld und Guete voraussetzte, die bekannt- gewordenen rauhen, verletzenden Worte entgegenherrschte: "Er haette sich von ihm in seiner politischen Haltung eines Bessern versehen." Auch Friedrich Wilhelm IV. hatte das Los, gelaehmt zu werden wie Dr. Haering. Aber jener bot ein Bild des Jammers, wenn er unter den Baeumen Sanssoucis, die den an Plaenen und Ideen ueberreichen genialen Kronprinzen einst unter sich hatten wandeln, zeichnen, malen, studieren sehen, gefahren wurde und nichts mehr von der Welt erkannte. Haering liess sich in seinem Rollsessel an seine Blumen fahren und pflegte diese. Unsere juengere Generation macht sich das Leben eines solchen abscheidenden Charakters frueherer Tage nach aeussern Notizen leicht zurecht. Geboren den 23. Juni 1797, Studierender der Rechte, Referendar, Mystifikator des Publikums mit einer Nachahmung Walter Scotts--dann eine Zusammenfassung seiner letzten Taetigkeit, die dem "brandenburgischen Roman" gewidmet gewesen--und der Kern scheint getroffen zu sein. Und dennoch bieten diese Momente fuer den Forscher, der dem Sein und Werden, dem Umirren und Wegeverfehlen, dem Suchen und Finden in der Literatur folgt, bei weitem nicht die genuegenden Anhaltspunkte. Man las bisher ueber Haering nur Zusammenfassungen, kurze Resuemees einer dahineilenden Zeit, die ihre Opfer der Pietaet rasch vollzieht, immer bedacht, nur bald wieder auf sich selbst zurueckzukommen. Bei solchen Resuemees fehlt natuerlich auch das Zuviel nicht. Die "maerkischen Romane" des dahingegangenen Vortrefflichen sind in der Tat nicht ganz so hoch zu stellen, wie sie etwa die Ankuendigung des Buchhaendlers stellt, der sie als Eigentum besitzt und sie gern "in jeder deutschen Huette eingebuergert" sehen moechte. Diese Romane sind reich an Vorzuegen aller Art. Doch reissen sie nicht durch eine maechtige und eigentuemliche Erfindung fort. Es sind sinnig gedachte, doch nur mit reproduktiver Umstaendlichkeit langsam sich fortbewegende Kulturstudien (uebertreibend bis zu Phantasien) ueber eine Mark Brandenburg, die jetzt mit Gewalt aus einer bescheidenen Magd in eine seither verkannte Koenigin aufgeputzt werden soll. Das Toilettenstueck ist ja im vollen Gange. Haette man nicht Berechtigung, jetzt auszurufen: Wollt doch nicht Feigen lesen von den Disteln, und Trauben von den Dornen! Wollt doch nicht die alten Gesetze dessen, was schoen ist, auf den Kopf stellen! Seitdem unsere Reichstagsabgeordneten ihre Exkursionen nach Potsdam machen und erstaunt zurueckkehren, dort so herrliche Baeume, grosse Gewaesser, sogar in Berlins naechster Naehe Spuren von "Gegend" zu finden, hat man die maerkischen Tannen- und Fichtenwaelder, diese durchsichtigen Linienregimenter, ueberaus poetisch, ja im verwehten Flugsand und dessen duerftiger Vegetation landschaftliche Stimmung finden wollen. Kauft man dann noch gar in Gruender-Compagnien diesen Sand mit Fichtenwaeldern in Masse und will Deutschland einladen, dort Huetten, d.h. Villen, zu bauen, dann zwingt in der Tat die Ausserkurssetzung des Murg- und Nero-Tals, des rauschenden Waldes um Eisenach oder Berchtesgaden zum Widerspruch--auch gegen die Uebertreibung des Poetischen, das sich in Haerings maerkischen Romanen finden soll. In allem Ernst, durch das Preisen und Aufputzen des Duerftigen, Aermlichen, Unzulaenglichen der Mark versuendigt man sich an jener Welt, die seither fuer schoen gegolten hat und deren Zaubergewalt auch dem maerkischen Romantiker Haering selbst zu oft vor die Seele trat, als dass es ihn nicht maechtig nach dem Sueden haette ziehen, zu dem Gestaendnisse zwingen sollen: "Ja in Neapel!" Seine "Wiener Bilder" sind eine wahre Befreiung des Gemuets vom Tifteln einer Stimmung, die sich auch in Pankow und Schoenhausen bei Berlin (ja, ja, die Eichen und Erinnerungen Schoenhausens sind schoen, und waere nur dem Park mehr Pflege zu wuenschen!) dem grossen Naturgeiste nahe fuehlen moechte. In dem frisch geschriebenen Buche, das wir nannten, wird dem deutschen Sueden, der blauen Donau, den schneebekraenzten Alpen, seinen Menschen und Sitten ihr volles Recht zuteil. Vor sechs Jahren, bald nach den Tagen von Koeniggraetz und Nikolsburg, brachte die "Allg. Ztg." einen Aufsatz: "Willibald Alexis und die 'preussische' Dichtung unserer Zeit." Der Verfasser war einer der begabtesten unserer juengern Erzaehler, Wilhelm Jensen. Dieser, selbst aus Deutschlands nordischer Mark, aus den Herzogtuemern, gebuertig, glaubte mit seinem beredten Fuerwort einen Beitrag zu geben zur Annaeherung zwischen deutschem Sued und Nord. Der Streit, welcher in der Familie gefuehrt worden waere, hiess es, muesste auch in der Familie geschlichtet werden. "Wenn ein Dichter oder irgendein Mann der Gegenwart es vermag, die Abneigung auszutilgen, welche sich des deutschen Suedens gegen den Norden, gegen Preussen und vor allem gegen dasjenige, was man sich gewoehnt hat, als den Kern und Typus dieses Volkes anzusehen, gegen die Mark Brandenburg und ihre Hauptstadt bemaechtigt hat, so ist es Willibald Alexis." Der junge Nordlandssohn fordert Sueddeutschland auf, an diese Quelle der Versoehnung, "die Werke des Hrn. G. W. Haering", sich zu begeben. Scherenberg, setzt er hinzu, Hesekiel, Fontane (Namen, die seit Jahren die Ansprueche auch der "Kreuzzeitung" auf den Parnass vertreten) reihen sich dann bei dem Vermittler an den Hauptvertreter der geistigen Versoehnung an, welchem der vielleicht feurigste Mund, der sich je ueber einen noch lebenden Autor ergangen hat, Opfer der Anerkennung bringt, die in der Tat den Leser fortzureissen vermoegen, weil der frische Geist der Huldigung Satz fuer Satz zu gleicher Zeit Behauptungen aufstellt, die frappieren, zum Nachdenken reizen, zuweilen als unhaltbar, oft aber als treffend erscheinen duerfen und somit zuletzt den Leser in einen Strudel von Herrlichkeiten fortreissen, die er alle in Willibald Alexis' Romanen finden soll.... Das Wahre daran sei dahingestellt. Soviel steht fest, Haerings, des ungluecklichen Mannes, dem wir das innigste Andenken bewahren, Entwicklung ging nicht mit so ausgedehnten Schwingen, nicht mit solchen Adlerfluegeln. Niedrig war der Strich seines Fluges niemals. Niemals--um ebenfalls maerkisch zu reden--glich er dem Kiebitz, der bald links, bald rechts die Beine verschraenkend am Meeresstrande dahinstreicht. Nein, was konnte an sich kuehner sein, als ein Erstlingswerk mit dem Namen Walter Scotts einzufuehren? Eine Tat, die man damals als Eulenspiege1streich belachte. Jetzt hat uns die "Kritik des gesunden Menschenverstandes" so gewissensstreng gemacht, dass wir in der Wiederholung eines solchen alten Literaturspasses einen bedenklichen Kasus verletzter Moral--"Zuchtlosigkeit" sagten ja wohl die alten "Grenzboten"--erblicken wuerden! Aber der belletristische Trieb des jungen Exreferendars tastete lange bald nach diesem, bald jenem Gebiete hin, folgte allerlei Impulsen, kuenstlich gepflegten Neigungen. Seine Natur liess nichts frei aus einem uebervollen Innern hervorstroemen. Selbst die Chronik der Buehnen Berlins weist einige dramatische Anlaeufe auf, die schnell wieder aufgegeben wurden. Die "Allg. Ztg." bucht einmal die Ereignisse. So darf sie auch die Zeiten nicht ueberspringen und die Tage nicht vergessen, wo Haering noch zu den Unentschlossenen gehoerte, wo Ludwig Boerne jenen mit gutem Essig und gutem Oel (beim Salat will das alles sagen) angerichteten "Haerings-Salat" schrieb, Erinnerungen an die Zeit, wo Wilhelm Haering und Ludwig Robert, damals zensurgemaesse Belletristen der Restaurationsperiode, den zum Besuch nach Berlin gekommenen Frankfurter Humoristen, der einen allbewunderten Aufsatz ueber die Sontag geschrieben hatte, durch die Strassen und Gesellschaften Berlins fuehrten, worauf bei jeder Vorstellung eines eilends vorueberschiessenden Bekannten regelmaessig derselbe Dialog hervorgebracht wurde. Vorstellung: "Hofrat! Boerne!" Verwunderung und Entzuecken: "Boerne? Sontag? Goettlich!" Es war die Zeit nach der Julirevolution, wo so mancher in Liberalismus gar so weise und vorsichtig machte und nur den Anschauungen des Polizeistaates verfiel. In jenen Tagen bot besonders die Haltung einer grossen Leipziger Buchhandlung mit ihren einflussreichen Blaettern und Sammelwerken, die im literarischen Verkehr wenigstens Nord- und Mitteldeutschlands entschieden den Ton angaben, den Mittelpunkt fuer eine Richtung, der sich auch Haering allzu eng anschloss. Die junge aufstrebende Bewegung der Geister innerhalb der schoenen Literatur, dann die sich vorzugsweise aus dem Universitaetsleben entwickelnde philosophische Kritik wurden von dorther bekaempft. Aus jener Zeit stammt der "Neue Pitaval", wo schon der Name des Mitherausgebers, Kriminaldirektors Hitzig, auf diejenige Berliner Sphaere schliessen laesst, wo man freisinnig am Teetisch war, im Buero aber tat, was die Obern wollten. Und auch darin irren sich unsere schnell zusammenfassenden, nur aus dem Konversationslexikon orientierten Nekrologe, dass sie schon von "grossen Erfolgen" z.B. des "Cabanis" sprechen. Nein, unser wackerer Freund hat sich redlich muehen, gegen eine "See von Plagen" und "die Pfeile des Geschicks" ruesten muessen. Ein junger Verleger namens Fincke wollte das Manuskript des "Cabanis" durchaus in sechs Teilen bringen. Da musste der letzte und vorletzte Band jeder kaum 100 Seiten betragen! Diese unglueckliche Idee, die ein warmes, spannendes Interesse bei einem sprunghaft, abgerissen gearbeiteten Werk nicht aufkommen liess, wurde nur durch eine fuer jene Zeit des bedruckten Loeschpapiers ueberraschend geschmackvolle Ausstattung einigermassen wiedergutgemacht. Missmutig ueber die Art, wie sich die Buchhaendler zu den Autoren zu stellen pflegen, begruendete Haering selbst eine Buchhandlung. Die Operationen seines Kapitals deckte ein anderer Name. Auch hier traten Misserfolge, Bekuemmernisse, Verwicklungen aller Art ein. Die Hoffnung auf eine Wuerdigung seiner maerkischen Romane, die zunaechst durch Haerings maechtig pulsierendes Heimatgefuehl und vielleicht auch durch Nachahmung des vielgepriesenen Kleistschen "Kohlhaas" hervorgerufen wurden, betrog ihn nur innerhalb Berlins nicht. Nach aussen hin fand sich kein Interesse. Nur die "Inexpressibles" des Hrn. v. Bredow belustigten.... Das Jahr 1848 ueberraschte unsern rastlos taetigen, immer geistesfrischen Wilhelm Haering in Italien. Eine Stellung, die er zur "Vossischen Zeitung" antrat, fuehrte ihn rasch in die richtige Strasse der Bewegung, bewahrte ihn vor unklarem Waehlen und Handeln in Tagen, wo so viel geirrt, so viel bereut worden ist. Diesem Entschluss, einem viel gelesenen Blatte seinen emsigen Fleiss, seine gewandte Federfuehrung, sein reiches Wissen auf allen Gebieten nutzbar zu machen, widmete er sich mit voller Hingebung. Er tat es mit befreitem, von Vorurteilen erloestem Sinn. So vieles, worauf auch er in den vormaerzlichen Tagen noch Nachdruck gelegt hatte, war ja vergessen. Alles Mehr oder Minder, alles So oder So hatte neuen, groesseren Geschenken des Jahrhunderts Platz gemacht. Jene vormaerzliche Annaeherung an einen Fuersten, von welchem er Anerkennung seiner patriotischen Vorliebe fuer maerkische Doerfer, Sandwege mit einsam frierenden Halmen, Tannenwaelder mit Eichhoernchen und gewissen wie schon gedoerrt auf die Welt kommenden Blueten, speziell maerkischen Rispengattungen (ich charakterisiere eine Naturbetrachtung, die uns mit Adalbert Stifter im Salzkammergut entzuecken, zwischen "Schierke und Elend" nur zur Verzweiflung bringen kann)--diese Annaeherung konnte ihm keine Demuetigung, keine oeffentlich auferlegte Kraenkung mehr bringen. In den vormaerzlichen Tagen besuchte ich ihn in Berlin. Wie leise hauchte er jedes Wort! Wie spionenhaft belauscht fuehlte sich all sein Tun! Ganz in Varnhagens Weise spuerte er ueberall Ungewitter und Heimliches in der Luft. Dieser Druck war endlich gefallen und die schoenste Frucht der Erhebung durch die Zeit wurde Haerings bester Roman: "Ruhe ist die erste Buergerpflicht." In diesem ausgezeichneten Gemaelde hatte man nichts von den weglosen Laengen seiner maerkischen Walter Scottiaden, von den langen Konversationen nicht mithandelnder Personen, von den gewissen Theater-Reminiszenzen in den Situationen und Charakteren. Hier waren die historisch erwiesenen Persoenlichkeiten wie im Portraitstil gehalten. Haugwitz, Lucchesini, die Pioniere des preussischen Unterganges, traten so greifbar und in so spannend verbundenen Situationen vor unser Auge, dass uns noch jetzt, jedesmal wenn die Droschke gemuetlich durch die Linden- oder Bruederstrasse schlendert, die in den historischen Haeusern derselben (wenn sie nicht schon demoliert sind) spielenden Begebenheiten dieses Romans einfallen. Preussen war durch Olmuetz auf die abschuessige Seite der schiefen Ebene geraten. Ueber dem ganzen Gemaelde lag das bange Vorgefuehl neuer verhaengnisvoller Stuerme, die fuer das damals von Manteuffel regierte Preussen heraufziehen muessten.... Lyrisches aus dem Zeitungsviertel (1873) ... Fuer die bedeutendsten neuern Erscheinungen auf dem Gebiete der gebundenen Rede gelten jetzt Hamerling und Scheffel, jener unter oesterreichischen, dieser unter rheinischen Voraussetzungen--wozu die dem norddeutschen Ohr unertraeglichen falschen Reime (reiten und leiden) gehoeren. Eingefuehrt sind hier beide--dieser durch Studenten, die in Heidelberg studierten; jener durch Wienerinnen, die sich hieher verheirateten. Schule, Salon, Konversation und Journalistik haben wenig zu ihrer Verbreitung getan, und noch jetzt wuerde der gebildete Kalkulator (Rechnungsrat), der einen gefuehlvollen Sonntagmorgenspaziergang im Tiergarten unternimmt, seine Stimmung ganz durch den Dichter Ferrand befriedigt fuehlen, der vor 30 Jahren in Berlin fuer einen klassischen galt. Die Berliner Poeten, die sich spaeter auf einem traurig untergegangenen Schiffe "Argo" versammelten, sind teils aus dem Leben geschieden, teils in andere Winde zerstreut oder an andere Berufszweige, z.B. Theaterkritiken zu schreiben, uebergegangen. Wir kommen hiebei, ohne diese Metamorphose heute naeher zu besprechen, der "Vossischen Zeitung" sehr nahe, und nehmen vom Buechertisch ein in Goldschnitt gebundenes zierliches Baendchen: "Gedichte von Hermann Kletke." (Berlin, Schroeder 1873). Wie ein Redakteur en Chef, der sechsmal in der Woche eine Zeitungsnummer mit zuweilen 10 eng gedruckten Beilagen zu beschaffen hat, der von hundert Gesuchen, Reklamationen, selbst Erwaegungen technischer Schwierigkeiten mit dem Umbrecher (metteur en pages) stuendlich in Anspruch genommen wird, noch Stimmung gewinnen und diese erhalten kann, sich der lyrischen Muse zu widmen, begreift sich nur aus dem Gesetz der Kontraste und dem selbst fuer das politische Gebiet zum Rechnungtragen, zur Ruecksichtnahme, zur Maessigung gestimmten weichen Naturell des hier in Frage stehenden Dichters selbst. Die heilige Nacht, die, ach! manchem politischen Redakteur (gluecklich, wer um 9 Uhr abschliessen darf!) allein zur Erholung uebrig bleibt, spielt denn auch in Verbindung mit dem Mond und den Sternen, dem Brunnengeplaetscher, den Waechtern usw. in den wohlgeformten, nur etwas zu epigrammatisch kurz gehaltenen Gedichten Kletkes eine hervorragende Rolle. Im Gefolge der Nacht gehen Traum, Tod, Jenseits, die vollkommenen Gegensaetze des Leitartikels, der uns des Morgens beim Kaffee an die Gegenwart fesselt. Fuer jede "Ente", die unser Dichter in seiner Zeitung wider Willen hat schwimmen lassen muessen, rudert hier ein Schwan. Die Schwaene, die Blumen, die Nachen, die Sonne und besonders das sonst den Lyrikern wenig zustroemende Gold, der ganze Apparat der deutschen Lyrik, sind vom Dichter umgesetzt in Situationen anziehender Art, das Gold in Abendroeten, ins Gluehen der Maedchenwange, in den Wellenspiegel des Sees, auch in die Tiefen eines gepriesenen edlen Charakters. Kurz, es gibt sich ein in dieser nihilistischen Zeit, und zumal auf dem Gebiete der Publizistik, in der Tat seltenes, kindlich reines, weihevolles Leben in diesen Gedichten kund. Und keineswegs ist es ein Leben nach der Richtschnur ueberlieferter Traditionen. Selbst den Greis ergreift noch der Reiz des Schoenen, die maechtig wieder auflebende Erinnerung, der Ton geht zuweilen in die dem Saturn trotzende Weise des Hafis ueber--aber bald (und vielleicht zu oft fuer diese immer gleiche Pointe) naht Sturm, oder bricht Nacht herein, oder pocht der Tod an die Tuer und macht so dem vorgefuehrten Bild ein Ende. Wenn wir ferner als tadelndes Wort noch von einer gewissen zuweit getriebenen Knappheit der Form sprechen, so ist allerdings damit zunaechst ein Lob ausgesprochen, das des Entferntseins jeder phrasenhaften Prolixitaet; aber doch ist die Uebertragung der stuendlichen Parole, die ein Redakteur en Chef im Munde fuehren muss: "Nur kurz! Nur kurz!" auf den lyrischen Mitteilungsdrang bedenklich. Bei Gedichten ist der Rotstift nicht angebracht. Es ist diesen zarten Eingebungen schaedlich, wenn man sie zweimal lesen muss, um sie zu verstehen, wie die weiland Gubitzschen Rezensionen in der "Vossischen Zeitung". In der Tat sind viele der Kletkeschen Gedichte so kompress in der Form gehalten, so zugleich von irgendeinem zufaelligen, dem Leser nicht sofort gelaeufigen Umstande veranlasst, dass es ein laengeres Verweilen kostet, eine Vertiefung in die gebrauchten Bilder, um in die Konstruktionen und ihren Sinn einzudringen. Am ungezwungensten bewegt sich des Dichters Humor. Im Scherz, angeregt von Vorkommnissen des taeglichen Lebens, besonders der Familie, fliesst die dichterische Sprache mit kristallner Klarheit voll und maechtig. Den Gesellschaftsliedern laesst sich unmittelbare Sangbarkeit und vor allem Geschmack nachruehmen. Letzterer wird doch wohl bei den Trinkliedern unserer Zeit nicht immer eingehalten? Man glaubt jetzt manches derartige, das dem Jahrhundert besonders zu gefallen scheint, nur fuer eine Tafelrunde geroeteter Nasen bestimmt. Louise Muehlbach und die moderne Romanindustrie (1873) Heute ist Auktion des Louise Muehlbachschen Nachlasses! Nicht ihrer Manuskripte--denn diese gingen mit noch nicht getrockneter Tinte sofort in die Druckereien--sondern ihrer Moebel, Teppiche, Vorhaenge, Penduelen, Gemaelde, Vasen und der aegyptischen Andenken, die alle in einer Etage der Potsdamer Strasse charakteristisch gruppiert standen! Hoffentlich hat die enthusiastische Ueberschaetzung, die der so ploetzlich der Welt Entrueckten jenseits des Ozeans zuteil wurde, ein reiches Kontingent von amerikanischen Steigerern herbeigefuehrt, das auch fuer eine alte Stahlfeder, die von ihr gebraucht wurde, fuenfzig Dollars zu zahlen bereit ist! Denn ganz Berlin ist erstaunt ueber die Zerruettung der Louise Muehlbachschen Vermoegensverhaeltnisse! Die Verstorbene hatte die glaenzendsten Honorare bezogen. Sie soll vom Khedive aussergewoehnliche Geldspenden erhalten haben. Sie gab Diners und Soupers von lukullischer Fuelle. Sie reiste ohne die mindeste Einschraenkung wie eine Fuerstin. Bei alledem soll fuer ihre noch unversorgte Tochter nichts als eine Schuldenlast vorhanden sein, wodurch die Bedauernswerte vielleicht genoetigt sein duerfte, die Erbschaft nur "unter der Wohltat des Inventars" anzutreten. Mitten aus angefangenen Romanen, die des Morgens gegen 10 Uhr einer Stenographin zwei bis drei Stunden lang diktiert wurden, ist die merkwuerdige Frau durch den Tod abgefordert worden, den unerbittlichen Tod, den sie durch kein Zeichen ihres Lebens und Verhaltens als auch fuer sie schon herannahend geahnt hatte. Wenn es vol1staendig "diesseitige" Menschen gibt, Individuen, fuer die man sich im Jenseits, falls man nicht mit den alten Aegyptern an die Seelenwanderung glauben wollte, nirgends eine passende Unterkunft und Anknuepfung denken kann, so sind dies die reinen Lebens- und Genussnaturen. Louise Muehlbach war eine solche. Sie war die ewig Unerschrockene, immer Mutige, immer auf der Bresche Stehende. Imperterrita haette sie irgendein Romantiker der Spanier in einem Drama genannt, das sich vielleicht aus ihrem fruehern romantischen Leben selbst haette formen lassen. Ihren Freunden wird der resolute, mutige, keine Gefahr oder Anstrengung scheuende, etwas breit-mecklenburgische Klang ihrer Stimme unvergesslich bleiben. Keine Niederlage drueckte sie zu Boden. Die freudigste Zuversicht, Siegesgewissheit, Trotz bei jedem Unternehmen lag in ihren Zuegen, in ihren Worten. Widersprachen die Tatsachen, so hatte sie der Auswege so viele wie ein Feldherr, der nach einer verlornen Schlacht doch noch seinen Rueckzug imposant zu maskieren versteht. Auf den "Berliner Buechertisch" koennte nur ihr letztes, von Fluechtigkeiten wimmelndes Werk "Kaiser Wilhelm und seine Helden" gehoeren, verlegt von einer hiesigen Buchhandlung (Werner Grosse), die nur einen massenhaften Absatz in den mittlern und untern Regionen anstrebt. Es war eine schon von ihren zerruetteten Finanzen herstammende Unsitte, dass sich die in den Stoffen bedraengte Frau, die durchaus ihre alten Erfolge wieder erobern wollte, an lebende maechtige Persoenlichkeiten anschloss, schon den Erzherzog Johann von Oesterreich als Romanstoff verarbeitete, waehrend der ehemalige Reichsverweser noch ruhig auf seinem Schloss in Steiermark sass, an Napoleon schrieb (siehe die "Enthuellungen aus den Tuilerien"), weil sie Hortense und die napoleonische Romantik verherrlichen, auch a tout prix an den Feierlichkeiten bei Einweihung des Suezkanals beteiligt sein wollte usw. Die Unsitte der "Aktualitaet" ist jetzt durch den ehemaligen Welfenagitator Meding, genannt Samarow, so weit gediehen, dass wir Romane zu lesen bekommen, wo in einer Szene Lasker mit Bismarck ueber einen Kompromiss unterhandelt, Herr v. Keudell dabei eine Zigarre raucht und Lothar Bucher, ans Fenster gelehnt, scheinbar gleichgueltig eine englische Zeitung liest. Die Poesielosigkeit, die Unbildung, das Yankeetum unseres Zeitalters sind die Befoerderer dieses ans Kindische streifenden Missbrauchs einer raschen und gewandten Feder geworden, die sogar nicht mehr angesetzt wird. Die Phantasie, die nur den Bogen fuellen will, bedient sich der Stenographie. Yankeetum nennen wir hier jene fast an den Urzustand von Wilden erinnernde masslose Schausucht, die gierig durch die Masse sich mit eingestemmten Armen Bahn bricht und alles anstaunt, alles belorgnettiert, alles im Bild anschaulich gemacht sehen will, Hinrichtungen, Schreckensvorfaelle, Weltausstellungsspektakel usw. Ganz Nordamerika leidet an diesem Sensationsfieber, waehrend sich doch Europa, nach einigen Aufregungen, laengst, wenigstens in den Kreisen der Bildung, beruhigt hat. Sollte man glauben, dass ein New-Yorker Blatt Louise Muehlbach nicht bloss nach Wien, sondern auch nach Ems schickte, um dort das diesjaehrige (so stille, friedliche, von nicht der mindesten "Sensation" begleitete) Erscheinen des Kaisers an der Kraehnchen-Quelle zu beobachten und zu beschreiben! Sie flog von Wien nach Ems, machte dann selbst in Marienbad eine Kur, erkaeltete sich, legte sich in Berlin ohne die mindeste Ahnung ihres gefahrvollen Zustandes ins Bett und ist im bewusstlosen Zustande, ohne Schmerzgefuehl, aus dem Leben geschieden. Als man ihre Leiche neben meinem alten Kampfgenossen Theodor Mundt in die Grube senkte und manchem des wuerdigen Sydow Sargweihe-Rede als zu herb noch im Ohre klang, haette ich, wenn hier Laien-Grabreden Sitte waeren, dem Thema: "Richtet nicht--!" erwidern moegen: Auch diese Prunk- und Prahlsucht, die du zu verurteilen scheinst--forsche nur nach, Priester!--, es lag ihr bloss die weibliche Liebe zugrunde! Liebe zuerst zu ihrem Gatten, der ihr bedeutender, anerkennenswerter erschien, als ihn die schulmaessige Wissenschaft Berlins wollte aufkommen lassen, oder diejenige Berliner Anerkennung, der man nur mit Titeln und Orden imponieren kann! Die Liebe war es, die auch allmaehlich die mephistophelische, satirische, ja zynisch verbitterte Verachtung der Welt annahm, die sich allmaehlich des Gatten und zurueckgesetzten Professors bemaechtigt hatte! Liebe, Liebe allein liess den Schein entstehen, als wenn die moderne Literatur mit dem Adel, mit der Kaufmannswelt, mit den tausend Anmassungen und hochgetragenen Nasen der Anmassung ringsum rivalisieren koennte! Es ist ein alter Satz, den George Sand nur wiederholt hat, wenn man ihn als von ihr herruehrend anfuehrt, dass unsere Fehler die Uebertreibungen unserer Tugenden sind. Dies auf das allerdings erschreckende Systeme de bascule angewandt, wie Louise Muehlbach verstanden hat, sich bei den bekannten Lieferanten von Luxus- und Genussgegenstaenden einen Kredit von Tausenden zu machen und zu erhalten, gibt einen Einblick in die Stufenfolge der Entwicklung der Charaktere. Die Verschwendung dieser Frau war nicht ganz die Folge der persoenlichen Eitelkeit, sondern eine Folge des Widerstandes, den der erlaubte Ehrgeiz geistig Schaffender der breitspurigen, vom Gluecke beguenstigten Alltagswelt leisten moechte. "Erlaubt"--? sagte ich von ihrem Ehrgeiz? Nun, in Bezug auf "Friedrich der Grosse und die Seinen" und "Kaiser Joseph" moechten wir in unsers Helmerding so koestlich vorgetragenes Couplet mit dem Refrain: "Dazu gehoert wahrhaftig doch Talent!" mit einstimmen. In fast allen Berichten ueber die Gegenwartsliteratur findet man den Satz aufgestellt: dass der eigentliche poetische Ausdruck der Zeit der Roman sei. Besonders bei Einleitungen zu einer Besprechung ueber einen neu erschienenen Roman von N. N. begegnet man regelmaessig diesem Axiom von fragwuerdiger Tragweite. Haette der betreffende Autor, dessen Zeltkamerad und wahrscheinlicher taeglicher Zigarrenkastengenosse der Rezensent zu sein pflegt, zufaellig ein Drama als epochemachend zu bezeichnen, so wuerde ihm niemand, der die Unzahl der ueberall erstehenden Theater erwaegt und das trotz der "Krachs" wieder beginnende Billet-Rennen, widersprechen koennen. Aber genau erwogen ist jener Satz weder fuer den Roman noch fuer die Buehne erweislich. Wenn z.B. heute ein origineller, aus Kunst und Naivitaet geschaffener Geist wie Robert Burns der deutschen Literatur, die aehnliches nur in den Ansaetzen einiger verschollener "Naturdichter" besitzt, geschenkt werden koennte, warum sollte er nicht in den Vordergrund treten und wieder auch fuer die Berechtigung der Lyrik zeugen koennen! Von einem Hindurchgehenmuessen des aesthetischen Begriffs, wie Carriere sagen wuerde, in "welthistorischer Entwicklung", ausschliesslich durch den Roman, scheint mir gar keine Rede. Macht gute Dramen, und alle Welt wird davon erfuellt sein! Macht ein "reizendes" Epos (ich spreche berlinisch), und es wird auf jedem Toilettentisch liegen! Schon deshalb muss man jenen Einleitungssatz zu den Rezensionen ueber die Romane von N.N. und N.N. ablehnen, weil die Ablagerung der schriftstellerischen Impotenz im Roman eine Ausdehnung angenommen hat, die schreckenerregend ist. Junge Maedchen ohne jede Lebenserfahrung, nur von den Reminiszenzen ihrer Lektuere erfuellt, haeufen Bogen auf Bogen und finden Gelegenheit, ihre Konvolute drucken zu lassen. Frauen "erfinden"--man kann wohl nach dem Sprichwort sagen: "auf Teufelholen" --Geschichten von geraubten Kindern, unterdrueckten Testamenten, Brandstiftungen, Nichtanerkennungen illegitimer Kinder, Eindringlingen, die sich, nachdem sie das Herz einer Graefin gewonnen haben, als Galeerensklaven entpuppen, oder sie nehmen Geschichtsstoffe, die in einer Weise zusammengeknetet werden, die den Melangen der Kuechenrezepte entspricht. Gewisse Memoiren-Exzerpenten, die jahrein jahraus ihre 8-9 Baende zusammenbringen, die dann vorher schon in der Unzahl unserer illustrierten Blaetter verwertet worden waren, schreiben mit umso groesserem Vertrauen, als sie nur von Menschen gelesen oder als langweilig beiseite gelegt werden, die nicht wieder schreiben. Kritik existiert fuer diese Buchmacherei nicht. Wer soll sie ueben, wer soll sie lesen, durchblaettern, als hoechstens ein auf massenhaftes "Abtun" angewiesener Rezensent in den "Blaettern fuer literarische Unterhaltung"? Nur die Reklame haelt sie, worunter nicht die Anzeige "unterm Strich" zu verstehen ist, sondern die den obern Zeilen ebenbuertige redaktionelle Meinungsaeusserung, in der Regel ein vom Autor oder von dem Verleger selbst besorgtes Referat, das jeden Tadel ausschliesst. Die Redaktionen der meisten hiesigen Zeitungen sind froh, wenn sie nur irgendwie die Buecherstoesse, die sich bei ihnen namentlich gegen Weihnachten aufhaeufen, in solcher Art erledigen koennen. Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Berlin--Panorama einer Weltstadt, von Karl Gutzkow. End of Project Gutenberg's Berlin--Panorama einer Weltstadt, by Karl Gutzkow *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BERLIN--PANORAMA EINER WELTSTADT *** This file should be named 7berl10.txt or 7berl10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7berl11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7berl10a.txt Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau. 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