IPRED2, The zweite Richtlinie zur Durchsetzung von "geistigem Eigentum" ("Intellectual Property Rights") besteht im Kern aus:
"Artikel 3
Straftat
Die Mitgliedsstaaten sorgen dafür, dass jede vorsätzliche, in gewerblichem
Umfang begangene Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums, der
Versuch einer solchen Rechtsverletzung sowie die Beihilfe und Anstiftung
dazu als Straftat gilt."
(Artikel 3. Seite 9 der Akte: com(2006)168)
Die Definition von "geistigem Eigentum" ("Intellectual property rights") wirft Patente, Urheberrechte, Markenrechte, Geschmacksmuster und andere Kategorien von Recht in einen Topf. Es wird keine Definition von "vorsätzlich" oder von "in gewerblichem Umfang" gegeben und es fehlen Beispiel dazu, was unter "geistigem Eigentum" zu verstehen sein soll und was nicht darunter zu verstehen ist.
Obwohl durch das Europäische Patentabkommen Software von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist, gewährt das Europäische Patentamt (EPA) Patente auf Softwareideen. Trotz der Tatsache, dass mehr als 90% der Rechtstreitigkeiten, die auf solchen Patenten basieren, keine Chance auf Erfolg vor Gericht besäßen, bietet das EPA damit Patentinhabern eine juristische Grundlage, um Softwareproduzenten und -händlern Gerichtsverfahren anzudrohen. Gefängnisstrafen, hohe Geldstrafen, Beschlagnahme von Besitz und die Gefahr der Firmenschließung sind Bedrohungen, die genügend Furcht unter Computernutzern erzeugen könnten, diese ungültigen Patente anzuerkennen. (Weitere Informationen zu der Problematik von Softwarepatenten gibt es auf der Seite über die Arbeit der FSFE gegen Patentierbarkeit von Software.)
Die starke Erhöhung der Risiken von Softwareentwicklung und -vertrieb wird sich abschreckend auf Produzenten und Händler auswirken, die in Strukturen agieren, die keine, oder nur wenige Geldmittel für juristische Zwecke zur Verfügung haben. Damit wird insbesondere Freie Software geschwächt, da diese oft durch Einzelpersonen, Kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) oder durch Unternehmen, die ihre Kerngeschäft nicht in der Softwareentwicklung sehen, entwickelt wird.
Wenn man den Initiatoren von Gerichtsverfahren in diesem Zusammenhang erweiterten Zugang zu nationalen Strafverfolgungsinstitutionen gibt und damit die nachteiligen Auswirkungen von Rechtsstreitigkeiten erhöht, dann werden Menschen dazu angeregt, diese Gerichtsverfahren als kommerzielles Werkzeug am Markt anzuwenden.
Ein weithin bekanntes Beispiel aus den USA ist SCO: Ohne irgendeinen Beweis oder irgendwelchen anderen Hinweise hat SCO IBM und andere der Verletzung von "geistigem Eigentum" auf kommerzieller Ebene beschuldigt. Damit haben sie den wachsenden Einsatz von Freier Software, wie etwa des GNU/Linux Betriebssystems gehemmt und haben dem Ansehen einer handvoll Unternehmen, allesamt Wettbewerbsgegner von Microsoft, einem der Hauptunterstützer von SCO, geschadet.
Da man sich gegen Straftatbestände nicht absichern kann, werden Versicherungen auf Patentrechtsverfahren unmöglich gemacht, sodass Softwareproduzenten ihre Vertragshändler nicht mehr entschädigen könnten.
Die Europäische Richtlinie zur "Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft" (com(2001)29ec) hat den Einfluss des Urheberrechts stark erweitert. Neben dem Verbot der nichtgenehmigten Vervielfältigung von Informationen schränkt das Gesetz jetzt auch die Möglichkeiten ein, wie die Öffentlichkeit Technologien einsetzen kann, um auf urheberrechtlich geschützte Informationen zuzugreifen. Zum Beispiel gilt man als Urheberrechtsverletzer, wenn man seine eigene Software entwickelt, mit der man eine gewöhnliche, selbst erworbene DVD anschauen kann. Schreibt man Software, mit der man Dateien mit anderen über das Netzwerk tauschen kann, so befindet man sich in einer rechtlichen Grauzone - es könnte eine Urheberrechtsverletzung darstellen. Die in der Richtlinie angedrohten Gefängnisstrafen und anderer harter Strafen wird viele davon abhalten, nützlicher Software aller Art zu schreiben (inklusive zwar geduldeter aber illegaler Software sowie Software in Grauzonen).
Der IPRED2-Vorschlag bestand ursprünglich aus zwei Teilen, wurde dann aber im Mai 2006 als ein Richtlinienvorschlag veröffentlicht: com(2006)168).
Der Grund für die Neuveröffentlichung und die Änderung von zwei Teilen zu einem ist ein Präzedenzfall des Europäischen Gerichtshof, welcher besagt, dass EU Richtlinienvorschläge von Mitgliedsstaaten die Einführung vom strafrechtlichen Maßnahmen erfordern können.
Die folgenden Informationen in diesem Abschnitt gelten für die erste
Veröffentlichung von IPRED2, es ist aber sehr wahrscheinlich das
es sich im aktuellen Vorschlag nicht ändern wird.
EP Verantwortliche Kommission: Rechtsausschuss (JURI)
EP Berichterstatter: Nicola
Zingaretti (PSE, Italien).
EP Meinungsgeber der Kommission: Industrie, Forschung und Energie
(ITRE), Binnenmarkt- und Verbraucherschutz (IMCO), Bürgerrechte,
Justiz und Innenpolitik (LIBE).
Die größten Probleme der Richtlinie bestehen in den Artikeln 3 und 4 (Seite 9 und 10 des Dokuments). Artikel 3 ist weiter oben angeführt. Artikel 4 listet die harten strafrechtliche Maßnahmen auf, die für die in Artikel 3 beschriebenen Handlungen verfügbar gemacht werden sollen. Diese beinhalten Gefängnis- und Geldstrafen, Geschäftsschließungen, Zerstörung von Gütern, die Möglichkeit, durch das Gericht überwacht zu werden und das Verbot auf öffentliche Unterstützung zurückgreifen zu können.
Der Satz "jede vorsätzliche Verletzung [...] in gewerbsmäßigem Umfang", wird viele Menschen glauben machen, die Richtlinie beziehe sich nur auf vorsätzlichen Gesetzesbruch aus Profitgründen.
Nehmen wir zum Beispiel den Anwalt eines Patentinhabers, der
versucht einen Softwareentwickler dazu zu zwingen, seine
Software nicht mehr zu vertreiben.
Anwalt: "Hallo. Sie verletzen unser Patent, stellen Sie
den Vertrieb Ihrer Software ein."
Softwareentwickler: "Da muss ein Missverständnis vorliegen.
Ich habe kein Patent gelesen und außerdem ist
Softwarefunktionalität in der EU nicht patentierbar."
Anwalt: "Aber das Europäische Patentamt hat dieses
Patent gewährt und Sie verletzen es."
Softwareentwickler: "Es ist sehr unwahrscheinlich das es einer
gerichtlichen Überprüfung standhalten wird."
Anwalt: "Da Sie vorsätzlich ihre Software geschrieben haben
und Ihre Software den Softwaremarkt betrifft ist Ihre
Rechtsverletzung vorsätzlich und gewerbsmäßig- dies macht Sie zu
einem Kriminellen. Werden Sie nun den Vertrieb ihrer Software
einstellen oder riskieren Sie eine Vorstrafe, die
Schließung Ihres Unternehmens, eine hohe Geldstrafe und
vielleicht ein wenig Zeit im Gefängnis?"
Softwareentwickler: "...aber, meine Entwicklungsarbeit war
vorsätzlich, die Rechtsverletzung jedoch nicht. Ich habe noch
nicht einmal etwas von diesem dubiosen Patent gewusst."
Anwalt: "Nun, seit dem Zeitpunkt meiner Anschuldigung der
Rechtsverletzung Ihnen gegenüber sind Sie sich dessen jedoch bewusst.
Daher ist jede weitere Rechtsverletzung vorsätzlich. Werden Sie
jetzt den Vertrieb einstellen?"
Ein einfacheres Beispiel ist der Musiker, der auf der Strasse für das Kleingeld der Leute spielt. Die vorgeschlagene Richtlinie stempelt jeden Musiker zum Kriminellen ab, wenn das Lied, das er spielt, urheberrechtlich geschützt ist und ohne eine Lizenz vorgetragen wird. Es macht auch die Person, die den Musiker in die Stadt gefahren hat zum Kriminellen, da sie die Rechtsverletzung unterstützt hat. Leute, die dem Musiker ihr Kleingeld geben oder einfach nur umherstehen und zuhören, könnten dann ebenso Kriminelle sein, da sie den Musiker zum spielen animieren. Und jeder, der die Rechtsverletzung hätte verhindern können, dies aber nicht tat, ist auch ein Krimineller: Er hat die Rechtsverletzung begünstigt. Dieses Beispiel kann sehr nützlich sein, den Menschen klarzumachen, wie aberwitzig der Richtlinientext ist, aber es verdeutlicht nicht die Gefahr für die Softwarefreiheit. Daher ist es nur als erster Schritt für tiefergehende Erläuterungen zu verstehen.
Der Richtlinienvorschlag gibt den Rechteinhabern Sonderrechte um die Untersuchung zu beeinflussen:
"Artikel 7
Gemeinsame Ermittlungsgruppen
Die Mitgliedsstaaten sorgen dafür, dass die betroffenen Inhaber von
Rechten des geistigen Eigentums oder ihre Vertreter sowie Sachverständige
an den von gemeinsamen Ermittlungsgruppen geleiteten Untersuchungen von
Straftaten im Sinne von Artikel 3 mitwirken können."
Wichtig ist auch Artikel 8 (Seite 11), welcher aussagt, dass Mitgliedsstaaten Verletzungen "geistiger Eigentumsrechte" auch untersuchen und bestrafen sollen, wenn der Rechteinhaber dies nicht verlangt hat.
Die FSFE hat eine öffentliche Mailingliste eingerichtet, die
zur Koordinierung der Arbeit bezüglich dieser Richtlinie
dient. Wenn Sie helfen möchten, dann melden Sie sich hier an:https://mail.fsfeurope.org/mailman/listinfo/ipred2
Dieses Thema sollte auch auf nationalen Mailinglisten
angesprochen werden. Hoffentlich wird diese Internetseite
nützlich sein um andere zu informieren. Wenn Sie der Meinung
sind das weitere Informationen hier hinzugefügt werden sollten,
dann nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.
Viele Mitgliedsstaaten besitzen bereits strafrechtliche Maßnahmen für Urheberrechts- und Markenrechtsverletzungen, und einige haben diese sogar schon für Patentverletzungen. Wenn Politiker fragen: "Welchen Schaden haben strafrechtliche Maßnahmen in anderen EU-Mitgliedsstaaten hervorgerufen?", so sollten wir eine Liste mit treffenden Beispielen zur Verfügung haben.
Diese Liste muss zusammengetragen werden, und dafür benötigen wir Ihre Hilfe.